Die vier primären Erkenntnismethoden als wissenschaftliche Leitlinien für die Selbsterfahrung in der Psychotherapieausbildung

Autor/innen

  • Walter Pieringer
  • Christian Fazekas

Abstract

Die aktuelle Szene der Selbsterfahrungskonzepte in den einzelnen Psychotherapieschulen ist zur Zeit sehr heterogen und bezüglich ihres wissenschaftlichen Standards in kritischer Diskussion. In diesem Artikel wird der Ansatz einer wissenschaftstheoretischen Fundierung der Selbsterfahrung in der Psychotherapieausbildung vorgestellt. Zwei erkenntnistheoretische Thesen liegen dieser Arbeit zugrunde:

1. Psychotherapie, welche die Behandlung des ganzen Menschen anstrebt, orientiert sich in den Konzepten ihrer Selbsterfahrung an einer komplexen Methodologie, d.h. an den vier basalen Erkenntnismethoden.

2. Der Ansatz einer komplexen Methodologie wiederum trägt in sich die Prämisse, daß Selbsterkenntnis die Integration von Körper, Geist und Seele bedeutet.

Nach diesen Thesen erstellen sich folgende wissenschaftstheoretische Leitlinien für die Selbsterfahrung in der Psychotherapieausbildung:

1. die phänomenologische Selbsterkenntnis: die Erfahrung personaler Existenz;

2. die dialektische Selbsterkenntnis: die Erfahrung sozialer Identität;

3. die empirisch-analytische Selbsterkenntnis: die Erfahrung persönlicher Autonomie;

4. die hermeneutische Selbsterkenntnis: die Erfahrung der persönlichen Erotik.

Die Diskussion in der Literatur zeigt ebenfalls die Tendenz in Richtung einer komplexen Methodologie. Die zu Beginn der Schulengründung meist vorherrschende einseitige methodologische Orientierung wird zunehmend als wissenschaftstheoretische Enge erkannt und durch Beachtung weiterer Erkenntnismethoden ergänzt.

Mit diesem Ansatz wird nicht die Idee einer Einheitspsychotherapie vertreten, wohl aber die einer einheitlichen und umfassenden wissenschaftstheoretischen Fundierung von Zielen und Inhalten der Selbsterfahrung in der Psychotherapieausbildung.

Schlüsselwörter:
Psychotherapie, Selbsterfahrung, Erkenntnismethoden, Wissenschaftstheorie.

 

Autor/innen-Biografien

Walter Pieringer

Walter Pieringer, geb. 1942, Dr. med., FA für Psychiatrie und Neurologie, Univ.-Prof. für Medizinische Psychologie und Psychotherapie, Lehranalytiker im Österreichischen Verein für Individualpsychologie; Gruppenanalytiker, Psychodramaleiter. Arbeitsschwerpunkte: Wissenschaftstheorie der Medizin, Psychotherapie und Psychosomatik; Psychotherapie im Krankenhaus.

Korrespondenz: Univ.-Prof. Dr. W. Pieringer, Klinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie, Karl-FranzensUniversität Graz, Auenbruggerplatz 39, A-8036 Graz 

Christian Fazekas

Christian Fazekas, geb. 1962, Dr. med., Arzt für Allgemeinmedizin, Assistent an der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie. Arbeitsgebiete: Psychosoziale Versorgung, Psychosomatische Grundlagenforschung, Körperorientierte Psychotherapie. 

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Veröffentlicht

01.10.1996

Zitationsvorschlag

Pieringer, W., & Fazekas, C. (1996). Die vier primären Erkenntnismethoden als wissenschaftliche Leitlinien für die Selbsterfahrung in der Psychotherapieausbildung. Psychotherapie-Wissenschaft, 4(4), 229–238. Abgerufen von https://psychotherapie-wissenschaft.info/article/view/639