Psychotherapieforschung bezogen auf die psychotherapeutische Praxis

Autor/innen

  • Gerd Rudolf

Abstract

Die Wissenschaftlichkeit der Psychotherapie ist nicht zuletzt gebunden an die kritische Reflektion ihrer Konzepte und ihres praktischen Handelns, speziell an die Evaluation ihrer Prozesse und Ergebnisse. Aktuelle Forschungsschwerpunkte werden benannt, Fragen der Therapie-Ergebnisforschung ausführlich diskutiert Im Vordergrund steht das Problem angemessener Erfolgskriterien bei der Beseitigung von Symptomen und der Entwicklung der Persönlichkeit durch Psychotherapien. In der methodischen Diskussion besonders umstritten sind Forderungen der Kon-trollgruppenbildung und randomisierten Zuweisung, die unter Praxisbedingungen in Langzeittherapien nicht realisiert werden können. So erweist sich im Rückblick die Effizienzstudie klassischer Prägung als die falsche Methode, um Psychotherapie, so wie sie in der Praxis durchgeführt wird, wissenschaftlich zu validieren.

Psychotherapie, die im Bild der Ingenieurswissenschaft oder in der Analogie zur Pharmakotherapie nicht angemessen erfaßt wird, benötigt statt vorwiegend naturwissenschaftlicher Methoden eine verstärkte Rückbesinnung auf ihre humanwissenschaftliche Herkunft. So sollte Psychotherapie dort untersucht werden, wo sie gemacht wird, in den Praxen statt im Forschungslabor. Dabei gilt es, die qualitativen Aspekte der Phänomene in Krankheit und Therapie stärker zu beachten gegenüber einer rein naturwissenschaftlich-biometrischen Quantifizierung; sie erfordert Erfassungsmethoden und Meßinstrumente, die der Eigenart und den theoretischen Konzepten des jeweiligen Verfahrens gerecht werden, anstatt daß routinemäßig die jeweils international gebräuchlichsten Instrumente verwendet werden. Dazu gehört auch die theoriegeleitete Operationalisierung von Störungen und therapeutischen Veränderungsprozessen.

Psychotherapieforschung ist nur möglich durch die Zusammenarbeit von praktizierenden Therapeuten und Forschern, die sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Weltsicht nicht leicht verstehen, aber bei beiderseitigem Bemühen durchaus gute Kooperationen erreichen können.

Schlüsselwörter:
Praxisbezogene Psychotherapie-Forschung, qualitative Methoden, Operationalisiserung, Zusammenarbeit von Praktikern und Forschern.

Autor/innen-Biografie

Gerd Rudolf

Prof. Dr. med. Gerd Rudolf, Direktor der Psychosomatischen Klinik der Universität Heidelberg. Arbeitsschwerpunkte: Psychosomatische Medizin und Psychotherapieforschung; Standardisierung und Operationalisierung von Befunden, Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD), Durchführung multizentrischer Psychotherapiestudien (abgeschlossen Berliner Psychotherapiestudie, beginnend DCPT-Praxisstudie zur Langzeitpsychoanalyse); Arbeiten zur Struktur, strukturellen Störung und interaktionellen Therapie.

Korrespondenz: Prof. Dr. med. Gerd Rudolf, Psychosomatische Klinik der Universität Heidelberg, Thibautstraße 2, D-69115 Heidelberg

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Veröffentlicht

01.07.1996

Zitationsvorschlag

Rudolf, G. (1996). Psychotherapieforschung bezogen auf die psychotherapeutische Praxis. Psychotherapie-Wissenschaft, 4(3), 124–134. Abgerufen von https://psychotherapie-wissenschaft.info/article/view/642