Mentalisierungsgestützte Eltern-Kind-Intervention: ein bindungsorientierter Therapieansatz im Kontext traumatisierter Familiensysteme
Abstract
Die frühe und komplexe Traumatisierung junger Menschen bedingt oft lebenslange Einschränkungen im Sinne oft gravierender Traumafolgestörungen. Wenn sie selbst Eltern werden, stellen diese schweren lebensgeschichtlichen Belastungen, konnten sie nicht verarbeitet und psychisch integriert werden, einen hohen Risikofaktor dar, dass die eigenen Kinder in einem frühen transgenerationalen Prozess in ihrer kindlichen Entwicklung durch die Traumatisierung ihrer Eltern selbst sekundär traumatisiert werden. Dieser Prozess kann bereits pränatal über epigenetische Veränderungen einsetzen. Entscheidend für die kindliche Entwicklung ist dann die Zeit der ersten Bindungsaufnahme und -gestaltung junger Mütter zu ihren Kindern. Schwere traumatische Erfahrungen beeinträchtigen die Mentalisierungsfähigkeit, die als Fähigkeit, sich selbst und das Kind reflektierend in den je eigenen Bedürfnissen, emotionalen und anderen mentalen Zuständen zu verstehen und angemessen feinfühlig darauf zu reagieren, der zentrale Faktor für den Aufbau sicherer Bindungsstrukturen und -muster zwischen Eltern und Kindern ist. Kinder schwer traumatisierter Eltern haben aufgrund dieser eingeschränkten elterlichen Reflexionsfähigkeit ein hohes Risiko, unsichere, sehr oft desorganisierte Bindungsmuster zu entwickeln. Eine desorganisierte Bindungsstruktur aber bedingt eine hohe Wahrscheinlichkeit einer späteren psychischen Erkrankung dieser Kinder.
Die Autorin stellt einen integrierten Behandlungsansatz – Mentalisierungsgestützte Eltern-Kind-Intervention – dar, indem an der Schnittstelle zwischen therapeutischer Behandlung und psychologisch-traumapädagogischer Intervention mithilfe verschiedener Bausteine der Versuch unternommen wird, den transgenerationalen Teufelskreis der Weitergabe traumatischer Erfahrungen zu unterbrechen. Die Mentalisierungsgestützte Eltern-Kind-Intervention beinhaltet nach einer umfassenden trauma- und bindungsspezifischen Eingangsdiagnostik als wesentliche Elemente das Mentalisierungstraining im Rahmen einer Eltern-Kind-Intervention sowie das Angebot einer begleitenden mentalisierungsorientierten Psychotherapie für die teilnehmenden Eltern. Das Mentalisierungstraining umfasst teils strukturierte, teils freie Eltern-Kind-Interaktionen, die videografiert und in einer folgenden Sitzung mit den Eltern im Blick auf das zu beobachtende Mentalisieren ausgewertet werden. Das Ziel des Trainings ist der Ausbau der Mentalisierungsfähigkeit und die Verbesserung der Feinfühligkeit von Eltern im Umgang mit ihren Kindern. Eltern, die die mentalen Zustände ihrer Kinder erkennen und angemessen darauf reagieren können, schaffen damit eine Basis für eine sichere Bindung ihrer Kinder. Sie ermöglichen damit auch, dass das Kind in diesen wichtigen Bindungen und Beziehungen selbst lernt zu mentalisieren. Dieser Baustein stellt gerade für traumatisierte Eltern eine hohe Belastung und potentielle Berührung eigener traumatischer Erfahrungen dar. Um die Eltern auf diesem Weg zu stabilisieren und den im Mentalisierungstraining angestoßenen Prozess zu unterstützen, wird den Eltern psychotherapeutische Begleitung angeboten. Die in der Therapie mögliche Erfahrung eines mentalisierenden Verständnisses durch den Therapeuten entlastet und dient gleichzeitig als Modell. In einer Identifizierung mit der als hilfreich erlebten therapeutischen Haltung können Eltern dies in die Beziehung zu ihren Kindern einbringen, die auch darüber eine Entlastung und Vertiefung erfahren kann.
Schlüsselwörter: Mentalisierungsfähigkeit, Bindungstrauma, transgenerationale Weitergabe, Feinfühligkeit, mentaler Zustand, desorganisierte Bindungsstruktur, Bindungsstörung.
Veröffentlicht
Zitationsvorschlag
Ausgabe
Rubrik
Lizenz
Diese Zeitschrift bietet freien Zugang (Open Access) zu ihren Inhalten, entsprechend der Grundannahme, dass die freie öffentliche Verfügbarkeit von Forschung einem weltweiten Wissensaustausch zugutekommt.
Autor:innen, die in dieser Zeitschrift publizieren möchten, stimmen den folgenden Bedingungen zu:
- Die Autor:innen behalten das Copyright und erlauben der Zeitschrift die Erstveröffentlichung unter einer Creative Commons Namensnennung Lizenz, die es anderen erlaubt, die Arbeit unter Nennung der Autor:innenschaft und der Erstpublikation in dieser Zeitschrift zu verwenden (gemäß der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 DE-Lizenz).
Die Autor:innen können zusätzliche Verträge für die nicht-exklusive Verbreitung der in der Zeitschrift veröffentlichten Version ihrer Arbeit unter Nennung der Erstpublikation in dieser Zeitschrift eingehen (z.B. sie in Sammelpublikation oder einem Buch veröffentlichen).