Originalarbeit (Titelthema)

Agnes von Wyl, Aureliano Crameri, Margit Koemeda, Volker Tschuschke, Peter Schulthess

Praxisstudie ambulante Psychotherapie Schweiz (PAP-S): Studiendesign und Machbarkeit

Zusammenfassung: Im Rahmen der Forderung nach Evidenzbasierung in der Medizin wird auch von der Psychotherapie der Nachweis verlangt, dass sie wirksam ist. Deshalb hat die Charta für Psychotherapie, der schweizerische Dachverband für psychotherapeutische Ausbildungsinstitutionen, im Jahr 2004 die Initiative ergriffen, eine prospektive, naturalistische Psychotherapie-Outcomestudie durchzuführen. Alle der Charta angegliederten Institute wurden angefragt, sich an der Studie zu beteiligen. In der Schweiz sind nach wie vor verschiedenste psychotherapeutische Richtungen präsent. Deshalb bietet diese Studie auch die einmalige Gelegenheit zu untersuchen, ob die TherapeutInnen der verschiedenen Schulen tatsächlich die als schulenspezifisch deklarierten Techniken benutzen, oder ob es z.B. einige wenige Techniken gibt, die breit angewendet werden.

Im vorliegenden Artikel werden in erster Linie das Studien-Design und deskriptive Daten der Baseline-Erhebung vorgestellt. Aus 9 verschiedenen psychotherapeutischen Instituten waren 86 Therapeuten bereit, an der Studie teilzunehmen. Sie rekrutierten insgesamt 362 PatientInnen, 238 Patientinnen und 124 Patienten im Alter zwischen 17 und 72 Jahren.

Bezogen auf die 5 wichtigsten Outcome-Instrumente zeigte sich, dass 80% der PatientInnen zu Beginn der Therapie in mindestens einem Instrument eine Einschätzung im dysfunktionalen Bereich hatten. 90% der PatientInnen hatten eine Diagnose auf der Achse I des DSM IV. Weitere Auswertungen werden Outcome- und Prozess-Outcome-Ergebnisse zum Inhalt haben.

Schlüsselwörter: Psychotherapie, Outcome-Studie, prospektiv naturalistisches Design, psychotherapeutische Techniken

Effectiveness of Outpatient Psychotherapy in Switzerland (PAP-S study): Study design and feasibility.

Abstract: In the context of the demand for evidence-based medicine, also psychotherapy is expected to demonstrate its effectiveness. For this reason, the Swiss Charta for Psychotherapy, the umbrella organization for psychotherapy education and training institutions in Switzerland, launched a prospective, naturalistic psychotherapy outcome study in 2004. All member institutions of the Charta were invited to participate in the study. In Switzerland many types and subtypes of psychotherapy continue to exist. The study therefore also provides the unique opportunity to investigate whether therapists belonging to the different schools of therapy in fact utilize the techniques declared to be specific to their types of psychotherapy, or whether, for instance, there are just a few techniques that are widely utilized.

This article primarily presents the study design and the descriptive data in the baseline survey. Participating were 86 therapists at nine psychotherapy institutes. They recruited a total of 362 patients (238 women, 124 men) aged 17 to 72 years. With regard to the five most important outcome instruments, 80% of the patients had a rating in the dysfunctional range on at least one instrument. Ninety percent of the patients had a diagnosed disorder on Axis I of the DSM-IV. Further analyses of the data will yield outcome and process-outcome results.

Keywords: Psychotherapy, outcome study, prospective naturalistic design, psychotherapeutic techniques

Die Psychotherapieforschung – sowohl die Outcomeforschung wie die Prozessforschung – wird von einigen wenigen psychotherapeutischen Richtungen dominiert. Die kognitive Verhaltenstherapie ist vor allem in rando-misiert-kontrollierten Studien stark (randomised controlled trial, RCT-Studien), aber auch psychoanalytische Psychotherapie, klientenzentrierte Psychotherapie und systemische Therapie haben eine lange Forschungstradition in RCT und in anderen Forschungsdesigns. Andere Psychotherapierichtungen hingegen sind bisher weniger wissenschaftlich untersucht. Im Zuge der Evidenzbasierung in der Medizin und Psychotherapie wird von allen medizinisch-therapeutischen Verfahren, also auch der Psychotherapie, der Nachweis verlangt, wirksam zu sein. Deshalb hat die Charta für Psychotherapie, der schweizerische Dachverband für psychotherapeutische Ausbildungsinstitutionen, Fachverbände und Berufsverbände, im Jahr 2004 die Initiative ergriffen, eine prospektive, naturalistische Psychotherapie-Outcomestudie durchzuführen.

An dieser Stelle soll nicht der Unterschied von naturalistischen und randomisiert-kontrollierten Studien diskutiert werden (für eine Vertiefung s. Tschuschke et al., 2009). Vielmehr soll das spezifische Potential einer Prozess-Outcome-Studie mit noch kaum erforschten Therapieschulen und damit therapeutischen Techniken dargelegt werden. In der Schweiz sind im Unterschied zu Deutschland immer noch verschiedene psychotherapeutische Verfahren zugelassen. Dies bietet die einmalige Gelegenheit, therapeutische Verfahren, die nicht zum Mainstream gehören, wissenschaftlich zu untersuchen.

Die Frage, ob Psychotherapie allgemein wirksam ist oder ob vielmehr spezifische Wirkfaktoren die therapeutische Wirksamkeit ausmachen, wird kontrovers diskutiert. Spezifische Wirkfaktoren werden in der Regel einem bestimmten Psychotherapiemodell zugeordnet oder als spezifische Therapietechnik bei bestimmten psychischen Störungen verstanden (Pfammatter & Tschacher, 2010). Allgemeine Wirkfaktoren hingegen sind diejenigen, die implizit in jeder Psychotherapie vorkommen. Lambert und Ogles (2004) schlagen z.B. folgende drei Kategorien allgemeiner Wirkfaktoren vor: unterstützende allgemeine Faktoren (z.B. Therapiebeziehung), Lernfaktoren (z.B. Einsicht) und handlungsbezogene Faktoren (z.B. Übungen). Vielfach wird beschrieben, dass es in der Psychothe-rapiepraxis wie Psychotherapieforschung zwei Welten gebe: die Anhänger des sog. Äquivalenzparadoxons, also der Tatsache, dass es in verschiedenen metaanalytischen Studien nur geringe Unterschiede in den Effektstärken verschiedener Psychotherapierichtungen gibt (z.B. Stiles et al., 1986). Eine andere Sichtweise hält dem entgegen, dass sehr wohl Unterschiede auszumachen sind, wenn man störungsspezifische Forschungsansätze wählt (z.B. DeRubeis et al., 2005). Verschiedene Autoren versuchen eine Integration der beiden Ansätze: Pfammatter und Tschacher (2010) entwickeln eine synergetische Sichtweise der Wirkung der beiden Faktoren und betonen deren Zusammenspiel mit Störungsparametern und individuellen Patientenmerkmalen. Strauss (2001) argumentiert, dass neben allgemeinen Wirkprinzipien auch spezifische Störungen eine Eigendynamik entwickeln können, was schliesslich eine Integration der beiden Ansätze fordere.

Psychotherapeutische Methoden und Schulen konzentrieren sich allerdings in der Regel nicht auf allgemeine Wirkfaktoren, sondern auf ihre spezifischen therapeutischen Techniken. Zwar ist zu erwarten, dass Therapeuten mit zunehmender Erfahrung eklektischer arbeiten (z.B. Jensen et al., 1990). Trotzdem: Angehende Therapeuten wählen eine bestimmte Therapierichtung, weil ihnen diese Richtung sinnvoll erscheint, sie diese als tatsächlich wirkungsvoll einschätzen (im Gegensatz zu anderen) und sie sich schliesslich mit dieser Schule identifizieren. Eine Therapieschule beruft sich in der Regel auf ein spezifisches Störungs- und Therapiemodell und davon abge-leitete schulenspezifische Therapietechniken. Im Folgenden sollen die neun Therapieschulen, die in der PAP-S-Studie vertreten sind, mit einer kurzen Beschreibung des theoretischen Hintergrundes (nach Schlegel et al., 2011) und einer Auswahl von je drei spezifischen therapeutischen Techniken (s. Tschuschke et al., im Druck) vorgestellt werden.

1) Transaktionsanalyse

Dieser als humanistisch eingestufte Therapieansatz bezieht sich auf den früheren Psychoanalytiker Eric Berne. Neben psychoanalytischen Bausteinen integrierte Eric Berne auch solche der Verhaltenstherapie; beides auf dem Hintergrund eines humanistischen Menschenbildes mit der Betonung der einmaligen Individualität und den potentiellen Möglichkeiten von Menschen.

Therapeutische Techniken

2) Prozessorientierte Psychologie

Der Begründer, der Physiker Arnold Mindell, liess sich ursprünglich am C.G. Jung-Institut zum Jungschen Psychoanalytiker ausbilden. In seinen prozessorientierten Ansatz integrierte er ausserdem Gruppendynamik, Spiritualität, Körperwahrnehmung und kreativen Ausdruck.

Therapeutische Techniken

3) Integrative Körperpsychotherapie IBP (IBP, Integrative Body Psychotherapy)

Die von Jack Lee Rosenberg in den 60er Jahren begründete Therapierichtung integrierte verschiedene humanistisch ausgerichtete Ansätze, liess sich aber auch von Wilhelm Reich beeinflussen. Im Zentrum steht das Körpererleben, ausserdem werden Emotionen, Kognitionen, spirituelles Erleben und Verhalten als wichtig erachtet.

Therapeutische Techniken

4) Existenzanalyse und Logotherapie

Viktor Frankl legte seiner Logotherapie oder Existenzanalyse (die Begriffe werden mehrheitlich synonym verwendet) eine anthropologische Sichtweise des Menschen zugrunde. Ausgehend von der philosophischen Strömung des Existenzialismus wird dem Menschen ein freier Wille zugestanden, der sich im Geist der Dreidimensionalität Körperlichkeit, Psyche und Geist manifestiert. In den 1980er Jahren kam es zu einer Aufspaltung zwischen den Anhängern von Viktor Frankl und einem seiner Schüler, Alfried Längle. In der PAP-S-Studie sind sowohl ein Institut in der Tradition von Frankl wie auch ein Institut in der Tradition von Längle vertreten.

Therapeutische Techniken

5) Kunst- und ausdrucksorientierte Psychotherapie

Zentrale Techniken dieser Therapierichtung sind verschiedenste Ausdruckformen aller Kunstdisziplinen. Als Hintergrund dieser künstlerischen Ausdruckformen geht man von psychotherapeutischen Grundlagen psychodynamischer, systemischer und daseinsanalytischer Herkunft aus, integriert aber auch salutogenetische Annahmen.

Therapeutische Techniken

6) Analytische Psychotherapie nach C. G. Jung

C. G. Jung, ein Schüler Freuds, trennte sich früh von der Psychoanalyse. Grund waren unter anderem seine von Freud abweichenden Auffassungen bezüglich des Triebkonzeptes. Die Postulierung eines kollektiven Unbewussten darf als eigenständige Entwicklung einer tiefenpsychologischen Theorie eingeschätzt werden.

Therapeutische Techniken

7) Bioenergetische Analyse und Therapie

Die Wurzeln dieses körperbezogenen Ansatzes liegen in der klassischen Psychoanalyse Freuds. Ausgehend von Wilhelm Reich hat Alexander Lowen, der als Begründer der bioenergetischen Analyse bezeichnet werden kann, das heutige Konzept entwickelt, bei dem die Bedeutung des Sexualtriebes und der Ich-Bedürfnisse im Zentrum stehen. Körperbezogene Interventionen haben zum Ziel, Primärbedürfnisse des Baby- und Kleinkindalters nach zu erleben und zu heilen.

Therapeutische Techniken

8) Gestalttherapie

Die Gestalttherapie, als deren wichtigster Begründer Fritz Perls gilt, entstand wie viele humanistisch ausgerichtete Psychotherapien in den 1960er Jahren. Auch sie kann als typisch integrative Therapierichtung bezeichnet werden, verbindet sie doch die Philosophie des Existenzialismus, die Phänomenologie Husserls und die Grundlagen der Gestalttheorie nach Wertheimer und andern und integrierte dies auf der Grundlage der humanistischen Psychotherapie und Psychoanalyse.

Therapeutische Techniken

9) Psychoanalytische Psychotherapie

Die Psychoanalyse und psychoanalytische Psychotherapie bezieht sich auf Sigmund Freud als Gründungsvater. In der über 100-jährigen Geschichte haben etliche Weiterentwicklungen stattgefunden, insbesondere ist die Bedeutung von Objektbeziehungen zu nennen.

Therapeutische Techniken

Die Übersicht lässt erahnen, dass einige der aufgeführten Methoden viele theoretische und technische Ähnlichkeiten aufweisen. Der Versuch, einen Überblick über die verschiedenen Therapierichtungen zu schaffen, zeigte, dass z.B. körperpsychotherapeutische Ansätze sowohl aus der psychoanalytischen wie aus der humanistischen Tradition entstanden sind. Auch bei den therapeutischen Techniken gibt es solche, die explizit von mehreren Schulen genannt werden, wie z.B. Experimentieren mit neuem Verhalten von der Bioenergetische Analyse und Therapie und der Gestalttherapie wie auch der Verhaltenstherapie. Neben der schulenspezifischen Integration von therapeutischen Techniken nehmen viele TherapeutInnen Elemente aus verschiedenen Weiterbildungen auf und arbeiten eklektisch. Deshalb soll als eine zentrale Fragestellung der PAP-S-Studie geprüft werden, in welchem Ausmass die TherapeutInnen der verschiedenen Schulen die als schulenspezifisch deklarierten Techniken benutzen und ob es Techniken gibt, die breit angewendet werden. Es kann gut sein, dass damit vordem spezifische Wirkfaktoren zu allgemeinen Wirkfaktoren geworden sind. In diesem Artikel werden allerdings ausschliesslich das Design der Studie und deskriptive Informationen zu TherapeutInnen und PatientInnen aufgeführt.

Methoden

Das Gesamt-Design

Im Jahr 2004 hat die Charta für Psychotherapie die Initiative ergriffen, eine prospektive Psychotherapie-Outcomestudie durchzuführen. Neun Charta-Institute bzw. Therapieschulen haben sich zur Teilnahme bereit erklärt. Ausserdem beteiligten sich einige PsychotherapeutInnen an der Studie, deren Schule nicht offiziell teil-nahm. Die Teilnahme bedeutete für die Institute auch eine finanzielle Verpflichtung, wobei der grössere Teil der Kosten durch ein grosszügiges Legat einer Stiftung abgedeckt werden konnte.

Die Studie wurde als naturalistische quasi-experimentelle Studie durchgeführt. Dabei wurde darauf geachtet, dass Qualitätsstandards umgesetzt werden konnten (s. z.B. Leichsenring, 2004). Die zur Teilnahme bereiten TherapeutInnen verpflichteten sich, alle PatientInnen, die neu um einen Therapieplatz anfragten, zur Mitwirkung an der Studie einzuladen. Willigten PatientInnen ein, wurden sie vor der fünften Therapiesitzung zum Prä-Assessment in eines der fünf regionalen Assessmentcenter eingeladen. Unabhängige AssessorInnen führten ein diagnostisches Interview durch, das einerseits die psychiatrische Diagnose mithilfe des SKID-Interviews und andererseits aus der OPD-Diagnostik die Achsen Struktur und Konflikt einschätzte. Ausserdem wurden den PatientInnen verschiedene Fragebogen ausgeteilt. Für die Prozessmessungen machten die TherapeutInnen von jeder Therapiesitzung eine Tonaufnahme und füllten eine Checkliste zu den Interventionen der aktuellen Sitzung aus. Ausserdem beantworteten sowohl die TherapeutInnen wie auch die PatientInnen alle fünf Sitzungen Fragebogen. Im Anschluss an die letzte Therapiesitzung meldeten die TherapeutInnen die PatientInnen für die Post-Messung im Assessmentcenter an. Ein Jahr nach Abschluss der Therapie fand die katamnestische Untersuchung im Assessmentcenter statt. In fünf regionalen Assessmentcentern war jeweils eine Koordinatorin für die Planung der Assessments zuständig. Insgesamt wurden 23 Assessoren zur Durchführung der Prä-, Post- und Katamnese-Assessments ausgebildet. Abbildung 1 zeigt das Design im Überblick. In allen Kantonen, in denen teilnehmende TherapeutInnen ihre Praxis hatten, wurde die Bewilligung eines Ethikantrags eingeholt. Die wissenschaftliche Co-Leitung der Studie oblag zwei Hochschulen. Eine der beiden Hochschulen, die ZHAW, Departement Angewandte Psychologie, fungierte als Projektkoordinationsstelle. Die Leitungsgruppe der Studie setzte sich aus dem Charta-Präsidenten, der wissenschaftlichen Leitung und zwei weiteren Personen zusammen. Vier der fünf Mitglieder des Leitungsgremiums arbeiten auch psychotherapeutisch in vier unterschiedlichen Therapierichtungen (bioenergetische Analyse, Gestaltpsychotherapie, systemische Therapie, psychoanalytische Psychotherapie).

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Abbildung 1: Schematische Darstellung Designs PAP-S-Studie

Stichprobe

Beteiligte Institute und TherapeutInnen

Neun Psychotherapieinstitute bzw. Verbände beteiligten sich an der Studie:

1) Die Schweizerische Gesellschaft für Transaktionsanalyse (deutsche und französische Sektion; SGTA/ASAT)

2) Institut für Prozessarbeit (IPA, vorher FG POP)

3) Institut für Integrative Körperpsychotherapie (IBP)

4) Internationale Gesellschaft für Existenzanalytische Psychotherapie (IGEAP)

5) Schweizer Institut für Logotherapie und Existenzanalyse (ILE)

6) Europäische Gesellschaft für interdisziplinäre Studien (EGIS)

7) Schweizer Gesellschaft für Analytische Psychologie (SGAP)

8) Schweizer Gesellschaft für Bioenergetische Analyse und Therapie (SGBAT)

9) Schweizer Verein für Gestalttherapie und Integrative Therapie (SVG)

Zwei TherapeutInnen psychoanalytischer Richtung beteiligten sich ebenfalls an der Studie. Ausserdem wurde die SGBAT durch Therapien der Schwestergesellschaft aus Österreich ergänzt.

Insgesamt erklärten sich 86 TherapeutInnen bereit, sich an der Studie zu beteiligen. Tabelle 1 zeigt einen Über-blick über die TherapeutInnen. Von einigen TherapeutInnen fehlen die Angaben. 66.7% von ihnen sind weiblich, allerdings nahmen bei einigen Instituten nur Therapeutinnen teil, bei anderen Instituten war das Verhältnis Therapeutinnen zu Therapeuten ausgeglichener. Das Alter der TherapeutInnen variiert zwischen 32 und 77 Jahren. Mit einem Durchschnittsalter von 51 Jahren handelt es sich insgesamt um erfahrene TherapeutInnen.

Patientinnen und Patienten

Die TherapeutInnen verpflichteten sich, während zwei Jahren alle PatientInnen, die eine Therapie begannen, zur Mitwirkung an der Studie einzuladen. Sie führten dazu eine Patientenliste. Die Hochrechnung der auswertbaren Patientenlisten ergab, dass insgesamt ca. 1660 PatientInnen angefragt wurden. Davon haben 379 PatientInnen der Teilnahme zugestimmt. Allerdings sind 17 davon nicht zum Prä-Assessment erschienen. Sie werden nicht als StudienpatientInnen aufgeführt. Somit besteht das Gesamtsample aus 362 PatientInnen (s. Tabelle 1).

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Tabelle 1: Teilnehmende Institute und Verbände, Anzahl TherapeutInnen und PatientInnen und demographische Angaben

Die PatientInnen setzten sich aus 238 Frauen und 124 Männern zusammen. Sie hatten ein Durchschnittsalter von 39.7 Jahren (SD = 11.80), der oder die jüngste PatientIn war 17.2 Jahre, der oder die älteste 72.7 Jahre alt (n=353). Die SGTA/ASAT hatte im Durchschnitt die jüngsten PatientInnen (M = 38.1; SD = 10.88), ILE die ältesten PatientInnen (M = 49.8; SD = 9.80).

232 PatientInnen waren während 2 Jahren vor der aktuellen Therapie nicht in psychotherapeutischer oder psychiatrischer ambulanter Behandlung, 87 waren in ambulanter psychotherapeutischer oder psychiatrischer Behandlung und 28 wurden auch stationär oder teilstationär psychotherapeutisch oder psychiatrisch behandelt (n = 347; s. Tabelle 2). 91 der PatientInnen waren verheiratet. Insgesamt lebten aber 189 PatientInnen in einer festen Partnerschaft (n=341). 216 PatientInnen gaben an, keine Kinder zu haben; 137 der PatientInnen hatten zwischen 1 und 4 Kinder (n=353). Knapp 40% der PatientInnen hatten einen Abschluss auf Hochschulebene, 3 PatientInnen verfügten über keinen Schulabschluss. 263 PatientInnen (73%) arbeiteten Voll- oder Teilzeit, weitere 31 PatientInnen waren in Ausbildung. Knapp 12% der PatientInnen waren arbeitslos, krankgeschrieben oder berentet.

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Tabelle 2: Beschreibung der Patientenstichprobe zum Zeitpunkt des Prä-Assessments

Instrumente

Ergebnismessung

a) Selbsturteil des Patienten, der Patientin

b) Fremdurteil durch den externen Assessor, die externe Assessorin

Prozessmessung

a) Selbsturteil des Patienten, der Patientinnen

b) Fremdurteil durch den behandelnden Therapeuten, die behandelnde Therapeutin

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Tabelle 3: Beispiel einer Interventionsliste für die teilnehmenden Therapeuten: Bioenergetische Therapie und Analyse.

Weitere Erhebungsbogen

Ratingmanual für psychotherapeutische Konzepttreue

Um die Interventionen der verschiedenen psychotherapeutischen Schulen einschätzen zu können, wurde das Ratingmanual zur Fremdeinschätzung psychotherapeutischer Interventionen entwickelt (Tschuschke et al., 2013). Alle an der Studie beteiligten Institute und Verbände wurden aufgefordert, bis zu 10 der typischen und relevanten Interventionen ihrer Therapierichtung zusammenzustellen. Ausserdem wurden die richtungsspezifi-schen Interventionen der folgenden vier Therapierichtungen, die nicht an der Studie beteiligt waren, durch die Autoren des Manuals in Zusammenarbeit mit Experten der jeweiligen Richtungen ergänzt: kognitive Verhaltens-therapie, psychoanalytische Psychotherapie, klientenzentrierte Psychotherapie und systemische Therapie. Schliesslich wurden sogenannte allgemeine Interventionen, die in Zusammenarbeit mit den beteiligten Instituten und Verbänden sowie aus der Literatur zusammengestellt wurden (z.B. Lambert, 2004), hinzugefügt.

Folgende Struktur diente als Grundlage für die Beschreibung der Interventionen: Bezeichnung, Definition, ope-rationale Kriterien und Ankerbeispiele. Nach etlichen Überarbeitungen konnte schliesslich das Manual auf 100 psychotherapeutische Interventionen festgelegt werden. Im Folgenden wird die Intervention „Atemarbeit“ bei-spielhaft vorgestellt.

Atemarbeit

Definition

Der spontane Atem/die Atmung der Pat. wird von der Th. kommentiert bzw. sie lässt der Pat. den eigenen Atem/die eigene Atmung beobachten oder regt dazu an, dass mit Atem/Atmung gearbeitet wird.

Operational

Th. thematisiert bzw. lässt

Unterscheidung

Zu Entspannungstechnik vermitteln: Entspannungstechniken beziehen mehr ein als den Atem.

Ankerbeispiele

1) Th: „Als Sie gerade von Ihrer Arbeitskollegin erzählten, fiel mir auf, dass Sie nur mehr ganz flach geatmet haben. Wie haben Sie das erlebt?“

2) Eine Pat. berichtet von einem Autounfall, bei dem ihre Tochter schwer verletzt wurde. Ihre Schilderung wird immer wieder von heftigem Schluchzen unterbrochen. Th. berührt sie am Rücken und sagt: „Das war entsetzlich, nicht wahr? Versuchen Sie trotzdem, - jetzt - so gut wie möglich weiter zu atmen.“

3) Th: „Ich schlage Ihnen vor, dass Sie Ihren Bericht für etwa drei Minuten unterbrechen, während Sie schweigen, Ihre rechte Hand auf den Bauch legen und Ihre Atembewegungen beobachten ….“ Nach Ablauf der 3 Minuten: „Was haben Sie erlebt?“

4) Th: „Nehmen Sie fünf tiefe Atemzüge in die Brust. Was spüren Sie jetzt? Ein leichter Schwindel im Kopf. OK, dann drücken Sie Ihre Füße etwas mehr in den Boden. Ja genau so. Was können Sie jetzt wahrnehmen?“

5) Th: „Legen Sie Ihre Hände auf den Bauch und atmen Sie so, dass sich Ihre Hände beim Einatmen heben und beim Ausatmen senken“.

6) Th: “Stellen Sie sich vor, dass sich dieses Gefühl der Zuversicht mit jeden Einatmen anreichert und bei jedem Ausatmen im Körper verteilt“.

7) Th: „Stellen Sie sich beim Ausatmen vor, Ihr Atmen fließt wie Sand in einer Sanduhr durch Ihren Körper. Ihre Füße und Ihre Beine werden langsam mit diesem Sand aufgefüllt....“

8) Th: „Achten sie auf Ihre Atmung. Sie scheint mir eher flach. Gönnen Sie sich etwas mehr Luft und achten Sie darauf, wie sich Ihr Gefühl verändert, wenn Sie mir weiter erzählen.“

Procedere

Die Daten der PAP-S-Studie setzten sich aus folgenden Quellen zusammen:

1) Fragebogen, durch die TherapeutInnen ausgefüllt.

2) Fragebogen, durch die PatientInnen ausgefüllt.

3) Assessments (prä, post und katamnestisch) durch externe AssessorInnen durchgeführt.

Alle 23 AssessorInnen waren ausgebildete Psychotherapeuten mit mehrjähriger Berufserfahrung. Sie wurden für die Durchführung der SKID-I und -II-Interviews sowie das OPD-Interview geschult und regelmässig supervidiert. Sie gehörten unterschiedlichen psychotherapeutischen Schulen an.

Prä-Messungen: In der jeweils ersten Therapiesitzung generierten die TherapeutInnen für jeden neuen Patienten bzw. jede neue Patientin eine ID-Nummer. Die PatientInnen wurden über die Studie informiert und erhielten das Informationsblatt. Sie mussten sich bis spätestens nach der 3. Sitzung entscheiden, ob sie an der Studie teilneh-men. Falls ja, mussten sie die Einverständniserklärung unterschreiben. Die TherapeutInnen meldeten ihre PatientInnen bei der Assessment-Koordinatorin in der eigenen Region an. Der Assessmenttermin wurde vereinbart. Der/die zugeteilte AssessorIn führte mit dem / der PatientIn in der Regel vor der 5. Therapiesitzung das Prä-Assessment durch.

Prozess-Messungen: Von jeder Sitzung machten die TherapeutInnen eine digitale Tonaufzeichnung der Therapiestunde. Falls einer der PatientInnen zwar an der Studie teilnehmen wollte, aber keine Tonaufzeichnung wünschte, wurde er oder sie trotzdem eingeschlossen. Anschliessend an die Sitzung füllten die TherapeutInnen den Interventionsbogen aus.

Nach jeder 5. Sitzung: Die TherapeutInnen händigten den PatientInnen den HAQ-S, den Klientenstundenbogen und den OQ-45 aus. Die PatientInnen füllten die Fragebogen in der Praxis ihrer TherapeutInnen aus und verschlossen sie in einem Couvert. Die TherapeutInnen füllten den HAQ-F aus und schickten alle Unterlagen an die Projektkoordinationsstelle.

Post-Messungen: Nach der letzten Therapiesitzung meldeten die TherapeutInnen die PatientInnen bei der Asses-sment-Koordinatorin der Region an. Diese organisierte das Post-Assessment mit einem/einer der AssessorInnen. Die Projektkoordinationsstelle meldete sich bei den TherapeutInnen und forderte eine bestimmte Anzahl von (in der Regel 3) von Audioaufnahmen von zufällig ausgewählten Sitzungen ein. Die TherapeutInnen brannten die verlangten Sitzungen auf eine CD und schickten diese an die Projektkoordinationsstelle.

Post-Messung bei einem Therapieabbruch oder Therapieunterbruch: Sowohl bei einem Abbruch als auch bei einem Unterbruch der Therapie wurde nach Möglichkeit eine Post-Messung durchgeführt. Die TherapeutInnen verpflichteten sich, einen Therapieabbruch oder Therapieunterbruch zu melden. Teilweise konnte das Procedere wie nach einem regulären Therapieabschluss durchgeführt werden, teilweise plante die Projektkoordinations-stelle das Post-Assessment. Eine Study-Nurse war für unklare Situationen, säumige TherapeutInnen und AssessorInnen usw. zuständig.

Katamnese: Ein Jahr nach Therapieabschluss kontaktierte der/die dafür zuständige AssessorIn den Patienten bzw. die Patientin und vereinbarte einen Termin für das 3. Assessment.

Resultate

Diagnosen nach DSM IV

Von 361 PatientInnen (eine Codierung fehlt) wurde 320, also 89%, eine Achse I-Diagnose nach DSM IV gegeben. Auf der Achse II der Persönlichkeitsstörungen (N = 327) wurden 150 Diagnosen (45%) gestellt. Mit 101 Nennungen ist das Cluster C (selbstunsichere, dependente und zwanghafte Persönlichkeitsstörung) am häufigsten vertreten.

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Tabelle 4: Diagnosen nach DSM IV

Durchschnittswerte der Outcome-Instrumente zum Zeitpunkt Prä-Assessment

Für die Instrumente BSI, BDI, OQ-45, GAF und die Achse Struktur des OPD werden Mittelwerte und Stan-dardabweichung zum Zeitpunkt des Prä-Assessment dargestellt (s. Tabelle 5). Der Mittelwert des BSI liegt bei 0.84 (SD = 0.47), der Mittelwert des BDI bei 15.32 (SD = 9.63). Die Cut-Off-Werte zwischen funktionalem und dysfunktionalem Bereich des BSI und BDI orientieren sich an den Empfehlungen von Hiller, Schindler Andor und Rist (2011). Der Mittelwert des OQ-45 liegt bei 63.05 (SD = 22.73). Hier bezieht sich der Cut-Off-Wert von funktionalem vs. dysfunktionalem Bereich an den Vorgaben von Lambert und Kollegen (2004). Der Mittelwert des GAF, wie er von den externen Assessoren anlässlich des Prä-Assessments eingeschätzt wurde, liegt bei 63.05 (SD = 22.73). Dabei ist zu beachten, dass beim GAF höhere Werte ein besseres Funktionsniveau widerspiegeln. Hier wurde der vorgeschlagene Cut-Off-Wert von 70 von Jacobi, Uhmann und Hoyer (2011) übernommen. Schliesslich beträgt der Mittelwert der von den externen Assessoren eingeschätzten Werte der OPD-Achse 4 (Strukturachse) 1.96 (SD = 0.50).

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Tabelle 5: Belastungen zu Therapiebeginn in den Outcome-Instrumenten und Vergleich zu Grenzwerten.

Tabelle 6 zeigt, dass gemäss BSI 62% der PatientInnen im dysfunktionalen Bereich liegen, gemäss BDI sind es 46%, die im dysfunktionalen Bereich liegen und der OQ-45 weist einen Anteil von 49% PatientInnen im dys-funktionalen Bereich aus. Der GAF, der von externen Ratern eingeschätzt wurde, weist 67% Werte im dysfunk-tionalen Bereich auf. Da die Instrumente unterschiedliche Aspekte der psychischen Beeinträchtigung abbilden, wurden bei „summiert“ im funktionalen Bereich diejenigen PatientInnen aufgeführt, die in ausnahmslos allen Instrumenten im funktionalen Bereich liegen. Dies sind 67, also 19% der beteiligten Patientinnen. Die anderen, also 294 PatientInnen, haben in mindestens einem der Instrumente Werte im dysfunktionalen Bereich.

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Tabelle 6: Belastung zum Zeitpunkt des Prä-Assessments (Häufigkeit), unterteilt nach funktional bzw. dysfunktional der wichtigen Outcome-Instrumente.

OPD-Strukturachse

Von den 323 PatientInnen, mit denen ein OPD-Interview durchgeführt werden konnte, zeigten 14 (4.3%) in ihrer Persönlichkeitsorganisation eine durchgängig gute Struktur, bei weiteren 105 (32.5%) PatientInnen wurden nur leichte strukturelle Einschränkungen beobachtet (s. Abbildung 2). Alle anderen Einschätzungen diagnostizierten strukturelle Vulnerabilitäten: 183 (56.7%) PatientInnen erhielten die Diagnose einer mässigen, 21 (6.5%) PatientInnen einer geringen Struktur. Eine geringe Struktur bedeutet, dass diese PatientInnen eine eingeschränkte Verfügbarkeit über psychische Funktionen haben.

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Abbildung 2: Verteilung der Einschätzungen der OPD-Strukturachse von gut bis desintegriert (N = 323)

Diskussion

In die PAP-S-Studie konnten 362 PatientInnen aus 10 verschiedenen psychotherapeutischen Schulen aufgenommen werden. Zur Datenerhebung verfolgte man eine multi-method, multi-informant-Strategie mit Assessments, durchgeführt von externen Assessoren zu drei Zeitpunkten (Prä-, Post- und Katamnese-Assessment), ergänzt durch Prozessdaten von den TherapeutInnen und den PatientInnen, die systematisch jede 5. Sitzung erhoben wurden, und ausserdem Audioaufnahmen der Therapiesitzungen. Dies erlaubt die Beantwortung von Fragestellungen zu allgemeinen und spezifischen Wirkfaktoren (z.B. Pfammatter & Tschacher, 2010; Strauss, 2001). Insbesondere wird von Interesse sein, verschiedenste therapeutische Techniken (Identifikationsaufforderung, Deutung, Atemarbeit usw., s. Tschuschke et al., 2013) im Vergleich zu untersuchen.

Ziel des vorliegenden Artikels war es, das Studiendesign und das Procedere im Detail darzustellen und deskriptive Daten zu den PatientInnen und TherapeutInnen zu zeigen. Die DSM IV-Diagnosen der PatientInnen verteilten sich folgendermassen: Auf der Achse I wurde bei 89% der PatientInnen eine Diagnose eingeschätzt. Auf der Achse II, der Achse der Persönlichkeitsstörungen, erhielten 45% der PatientInnen eine Diagnose. Und schliesslich liegen 20% aller beteiligten PatientInnen bei den Einschätzungen der Outcome-Instrumente im funktionalen Bereich, zeigen also wenig Symptome. Ein Anteil von rund 90% an Diagnosen auf der Achse I kann für ein Sample von ambulanten Psychotherapiepatienten erwartet werden. Da es keine Aufnahmekriterien gab in Bezug auf die psychische Störung, ist mit einem Anteil von Teilnehmenden, die ohne psychiatrische Diagnose sind, zu rechnen.

Erstaunen mag der relativ hohe Anteil an Persönlichkeitsstörungen von 45%. Es ist gut möglich, dass dies mit der Art der Diagnosestellung zusammenhängt: Die hier referierten Diagnosen wurden aufgrund eines SKID-Interviews erstellt und nicht von einem Kliniker, der seine weiteren therapeutischen Schritte auf die Diagnose abstellt. Teilweise werden die Diagnosen aufgrund eines strukturierten Interviews als epidemiologische Diagnosen, die von Klinikern gestellten Diagnosen als klinische Diagnosen bezeichnet (z.B. Ajdacic-Gross & Graf, 2003). Möglicherweise hätten Kliniker nicht die gleich hohe Anzahl an Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert. Trotzdem macht es Sinn, die Diagnosen durch externe Assessoren einschätzen zu lassen, um mit vergleichbaren Werten arbeiten zu können (s. z.B. auch Leichsenring, 2004). Auf den ersten Blick erstaunt auch, dass 20% der PatientInnen in keinem der fünf Outcome-Instrumente im dysfunktionalen Bereich lagen, dass ihre Symptome also nicht klinisch bedeutsam sind. Dass dieser Prozentsatz nicht kleiner ist, mag damit zusammen hängen, dass die PatientInnen nicht vor dem Erstgespräch, sondern erst nach einigen Stunden Therapie, die Fragebogen ausfüllten. Es ist zu erwarten, dass die Symptombelastung bereits abnahm bzw. als weniger belastend empfunden wurde. Dafür spricht auch, dass der GAF, der von den externen AssessorInnen eingeschätzt wurde und auf das allgemeine Funktionsniveau fokussiert, von allen Outcome-Instrumenten den höchsten Anteil von Werten im dysfunktionalen Bereich zeigte.

Die OPD-Strukturachse zeigt einige Einschätzungen im unauffälligen Bereich (36.8%), relativ viele Einschät-zungen, die einem mässigen Strukturniveau entsprechen (56.7%) und einige wenige (6.5%), die ein eher geringes Strukturniveau abbilden, bei letzteren handelt es sich um PatientInnen, die über eingeschränkte psychische Funktionen verfügen. Das Konzept Struktur bietet neben der Symptombelastung eine psychodynamisch wichtige Variable. Sie wurde in der Studie als Outcome-Instrument integriert, um mögliche strukturelle Veränderungen abbilden zu können, d.h. die zunehmende Integration derjenigen Bereiche, die für die Psychodynamik einer Patientin oder eines Patienten von zentraler Bedeutung sind (Rudolf, 2002).

Eine Limitation der Studie sind fehlende Daten. In einer naturalistischen Studie, in der mit „realen“ TherapeutInnen und „realen“ PatientInnen gearbeitet wird, braucht es besondere Anstrengungen, um möglichst komplette Daten zu erhalten. Dies gilt auch für die PAP-S-Studie: Für TherapeutInnen und PatientInnen bedeutete die „Papierarbeit“ für die Studie zusätzlichen Aufwand. Insbesondere mussten die PatientInnen in die Räumlichkeiten der regionalen Assessmentcenters fahren um das Assessment, das zwei oder mehr Stunden dauerte, zu absolvieren. Einige PatientInnen verlangten, die Assessments vorzeitig zu beenden, weil es für sie zu anstrengend war. Umso beachtlicher ist es, dass die meisten PatientInnen das ganze Assessment mitgemacht haben. Trotz dieser Einschränkung ist es gelungen, einen umfangreichen und interessanten Datensatz zu generieren. In weiteren Publikationen werden einerseits die Outcome-Ergebnisse publiziert werden. Andererseits soll die Fülle an möglichen Prozess-Outcome-Fragestellungen möglichst vollständig beantwortet werden.

AutorInnen

Agnes von Wyl, Prof. Dr., ist Leiterin der Abteilung Forschung Psychotherapie und psychische Gesundheit an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Departement Angewandte Psychologie. Sie arbeitet ausserdem als Dozentin und psychoanalytische Psychotherapeutin. Ihre Forschungsgebiete umfassen Psychotherapieforschung, Infant Mental Health und psychische Gesundheitsförderung.

Aureliano Crameri MSc, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung Forschung Psychotherapie und psychische Gesundheit an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Departement Angewandte Psychologie. Er arbeitet ausserdem als Dozent für Forschungsmethoden.

Margit Koemeda, Dr. Dipl. Psych., Psychotherapeutin ASP, Lehrtherapeutin und Trainerin SGBAT, IIBA. Mitglied der Wissenschaftskommission der Schweizer Charta für Psychotherapie; Redaktionsmitglied in drei Fachzeitschriften; Autorin von Büchern und Fachartikeln zu Themen der Psychotherapieforschung und Körperpsychotherapie.

Volker Tschuschke, Univ.-Prof. Dr. Dipl.-Psych., ist emeritierter ehemaliger Lehrstuhlinhaber des Faches Medizinische Psychologie an der Universitätsklinik Köln, jetzt Leiter des Studiengangs Psychotherapiewissenschaft an der Sigmund Freud-Privatuniversität Berlin. Er ist Psychoanalytiker und war jahrelang Dozent an verschiedenen Ausbildungsinstituten, ist Autor von zahlreichen Büchern und Beiträgen in internationalen und nationalen Fachzeitschriften und arbeitet außerdem als Psychotherapeut und Supervisor.

Peter Schulthess , MSc, Psychotherapeut ASP, Ausbildner für Gestalttherapie am IGW Schweiz. Internationale Lehrtätigkeit für Gestalttherapie. Präsident der Schweizer Charta für Psychotherapie und Mitglied deren Wissenschaftskommission. Redaktion „Psychotherapie-Wissenschaft“. Diverse Publikationen zur Psychotherapie und Gestalttherapie, Herausgeber einer Buchreihe zur Gestalttherapie im Verlag EHP.

Korrespondenz

Prof. Dr. Agnes von Wyl

Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Departement Angewandte Psychologie

Minervastrasse 30, 8032 Zürich

E-Mail: agnes.vonwyl@zhaw.ch

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