Buchbesprechung

Tanja Lenz & Ingrid Fleck (2020). Exploratives Sandspiel. Wege zur Resilienz

Münster: Waxmann. ISBN: 978-3-8309-4157-6. 148 S., 24,90 EUR

Psychotherapie-Wissenschaft 10 (2) 102–103 2020

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CC BY-NC-ND

https://doi.org/10.30820/1664-9583-2020-2-102

Dieses Buch wurde von zwei Autorinnen verfasst, die beide Analytische Psychologinnen nach C.G. Jung sind. Es umfasst einen theoretischen und einen praktischen Teil. Schon beim ersten «Schnuppern» im Inhaltsverzeichnis haben mich im theoretischen Teil neben den Themen «Sand» und «Resilienz» die Kapitel «Frühe Bindung» und «Trauma» sehr angesprochen. Für mich bilden das Wissen um die Bindungsthematik wie auch die Kenntnis über Traumastörungen einen essenziellen Teil des Fundaments der Sandarbeit. In diesem theoretischen Teil erhalten LeserInnen auch wertvolle Literaturangaben dazu (wie John Bowlby, Bessel van der Kolk, Ursula Wirtz).

Das Buch beginnt mit einem einleitenden Kapitel im theoretischen Teil. Die Autorinnen sprechen, basierend auf der aktuellen Resilienzforschung, von «posttraumatischem Wachstum». Gemeint ist damit, aus schwierigen Lebensumständen gestärkt hervorzugehen und Ressourcen Raum zu geben, um sich zu entfalten. In der Jung’schen Psychologie entspricht die Individuation einem seelischen Entfaltungsprozess, nicht um Vollkommenheit zu erlangen, sondern um das jeweilige individuelle Potenzial zu erschliessen. Sandbildgestaltungen können helfen, Widerstandskraft aus traumatischen Lebenserfahrungen zu gewinnen, um dieses Potenzial entfalten zu können.

Im zweiten Kapitel werden verschiedene Formen des Sandspiels einschliesslich der explorativen Sandbildgestaltung besprochen: Für die Autorinnen ist das Sandspiel ein exploratives Gestalten, explorativ-erkundend, von KlientIn wie von TherapeutIn. Exploratives Gestalten im Sand kann gerade da, wo direkte Sprache aufgrund von Traumatisierungen versagt, helfen, nonverbal zu kommunizieren, das Leiden und die innere Welt neu zu strukturieren. Es vermag in tief liegende Schichten der Kindheit zurückzuführen, ermöglicht auf nonverbale, spielerische Weise einen Zugang zur Imagination und zum Unbewussten.

Im dritten Kapitel wird auf das Thema Bindung als frühe zwischenmenschliche Erfahrung und die Folgen auf die weitere seelische Entwicklung eingegangen. Gerade beim behutsamen Herstellen und Aufbauen von sicheren Beziehungen kommt dem explorativen Sandspiel eine spezielle Aufgabe zu. Die Phasen der Gestaltungen im Sand geben KlientInnen Zeit, Vertrauen zu sich selbst wie auch zu TherapeutInnen aufzubauen. Das Sandspiel zeigt neue Formen des Ausdrucks auf, kann eine neue gemeinsame Sprache schaffen.

Im vierten Kapitel zum Thema Trauma wird aufgezeigt, wie durch das Trauma abgespaltener Teile, die unter Umständen ein für KlientInnen anstrengendes Eigenleben führen, eine Ausdrucksmöglichkeit und Raum im Sandspiel finden. Das explorative Sandspiel hilft schwer auszudrückende Gefühle im Sandspiel ohne Worte mitzuteilen; dies immer, soweit KlientInnen es zulassen können. Dies mindert die Gefahr einer Re-Traumatisierung.

Im fünften Kapitel wird der Frage nachgegangen, wie es traumatisierten Menschen gelingen kann, psychische Stabilität und seelische Widerstandskraft, also Resilienz, zu entwickeln und eine positive Sicht in die Zukunft gewinnen. Die stabiler werdende therapeutische Beziehung bildet die Basis für eine interaktive Begegnung und fördert Resilienz. Durch explorative Sandspielgestaltungen wird der Blick auf Ressourcen gelenkt, die Arbeit mit Symbolen im Sand aktiviert die schöpferischen und heilenden Potenziale im Selbst. Durch die Bilder und den therapeutischen Prozess wird die Wahrnehmung für die individuelle unbewusste Dynamik sensibilisiert.

Grundlagen der Psychotherapie, basierend auf der Analytischen Psychologie nach C.G. Jung, werden im sechsten Kapitel besprochen. Hervorgehoben wird die Bedeutung des geschützten Raumes für die Entstehung von innerer Sicherheit im therapeutischen Bezugsfeld. Aspekte der Analytischen Psychologie und das Konzept der transzendenten Funktion werden in Kapitel Sieben erläutert. Der Prozess der Individuation, das Potenzial des Unbewussten sowie die Möglichkeiten, Resilienz zu fördern, werden betont.

Dora M. Kalff wird als Begründerin des Sandspiels, basierend auf dem »Lowenfeld’schen Worldtechnique», in Kapitel Acht gewürdigt. Der spielende Mensch erlebt sich tätig in einem Wechselspiel von verschiedenen Wirklichkeiten, Bewusstem und Unbewusstem. Immer spielt der dialogische Austausch zwischen Ich und Du, von KlientIn und TherapeutIn, eine wesentliche Rolle. Durch diese existenzielle Verbundenheit, wenn sie gut gelingt, setzt sich die Psychodynamik der Selbstregulation in Gang: Ich und Selbst korrelieren, Resilienz wird bestärkt.

In Kapitel Neun und Zehn wird anhand eines Erlebnisberichtes einer Klientin die Einbettung des Sandspiels innerhalb des Analyseprozesses dargestellt. Kapitel Elf schildert sechs Fallvignetten Erwachsener. Sie zeigen auf, wie sich in therapeutischen Prozessen mithilfe des Sandspiels individuelle Entwicklung von Resilienz und Verringerung des psychischen Leidens entwickeln. Eine Ausnahme bildete der Fall einer schwerst traumatisierten Frau mit tragischen Verlusten. Sie brach die Therapie ab. Die Fallvignetten sind in sich abgeschlossen. Es geht darin um die Themen frühe Verletzungen, Schizophrenie, Trauer, Krieg, Flucht, Depression. Die begleitenden TherapeutInnen sollen durch ihr verbal zurückhaltendes, beobachtendes und nur wenig intervenierendes Begleiten des Sandspielprozesses Vertrauen und Bindung fördern und dadurch auch den Individuationsprozess unterstützen. Das Vorgehen beim Betrachten des fertiggestellten Bildes von TherapeutIn und KlientIn ist abgestimmt auf die individuelle Bereitschaft und Fähigkeit der KlientInnen, sich den Aussagen des Bildes zu nähern.

Die Autorinnen zeigen auf, wie durch das explorative Sandspiel eine positive Veränderung der Symptomatik entsteht. KlientInnen wurden offen für neue Lösungswege und entwickelten einen besseren Zugang zu sich selbst und zu ihren Ressourcen. Durch die tragfähige therapeutische Beziehung erlebten sie sichere Bindung und wurden insgesamt beziehungsfähiger. Sie erlebten sich während des therapeutischen Prozesses mehr und mehr als GestalterInnen ihres Lebens, selbstwirksam, verantwortlich für ihr Leben. Humor wurde zu einer wichtigen Ressource.

Das Vorstellen der Fallvignetten kann einerseits die Neugierde nach mehr Details, nach den kleinen Schritten der verschiedenen Verläufe wecken, die nicht unbedingt gestillt wird. Andererseits werden LeserInnen von den Fällen nicht überflutet und überfordert. Gerade zu Beginn eines therapeutischen Weges ist dies konstruktiv und gibt Mut zur eigenen Arbeit.

Im Vorwort schreiben die Autorinnen, das Buch richte sich insbesondere an PsychotherapeutInnen in Ausbildung und solle durch den einführenden Charakter Verständnis für diese psychotherapeutische Methode fördern. Diesen Eindruck bekam ich auch beim Lesen: Wie schön für TherapeutInnen, die noch ihren Weg finden müssen, wenn sie ein solches Buch in die Hände bekommen. Es ist motivierend, hat Tiefgang und inspiriert. Durch das ganze Buch hindurch war für mich dieses Respektvolle, Achtsame in der Vorgehensweise im begleitenden Sandspielprozess der beiden Autorinnen spürbar. Auch nach jahrelanger Arbeit als Sandspieltherapeutin treffen mich Sandbilder, hier diese Fallvignetten, immer wieder tief: Sie überraschen und überzeugen durch das aufgezeigte «Wissen» aus dem Unbewussten, das sich in den von Händen gestalteten Sandspielwelten zeigt. Sie beinhalten auch den nicht zu vergessenden unabdingbaren Aspekt des Tröstens – im Sinne der Traumaarbeit nach Luise Reddemann – für das Festigen von Resilienz.

Ursula Kübler