Tanja Krones & Monika Obrist (Hrsg.). (2020). Wie ich behandelt werden will. Advanced Care Planning
Zürich: rüffer & rub. ISBN: 978-3-906304-62-5. 219 S., 19,80 CHF
Kathrin Schneider-Gurewitsch (2020). Reden wir über das Sterben
Zürich: Limmatverlag. ISBN: 978-3-85791-8971-1. 159 S., 24,00 CHF
Psychotherapie-Wissenschaft 10 (2) 99–100 2020
www.psychotherapie-wissenschaft.info
https://doi.org/10.30820/1664-9583-2020-2-99
Schwere Erkrankung, Pflegebedürftigkeit und der Prozess des Sterbens sind für die meisten Fachleute genauso ein dunkler Kontinent wie für Patient*innen. Dank der guten Arbeit der Palliative Care Zentren gibt es immer mehr Informationen, was in und auch vor diesen Lebensphasen wichtig ist. 2020 sind auch zwei Bücher erschienen, die mit ihren Informationen unterschiedliche Abschnitte einer Krankheitsphase behandeln; das von Krones und Obrist die Phase vor einer Erkrankung oder am Anfang einer Erkrankung und das von Schneider-Gurewitsch die allerletzte Phase zum Sterben. In beiden wird eine (neue) Haltung vertreten: Fachpersonen und Patient*innen mit ihren Angehörigen sollen sich über die Wünsche, Ziele und Vorgehensweise vor einer Krise verständigen, damit für alle mehr Klarheit, Sicherheit und Ruhe in einer schwierigen Zeit möglich wird.
Zuerst zum Buch Wie ich behandelt werden will. Advanced Care Planning: Sei es ein schwerer Unfall, eine plötzliche Krankheit wie ein Herzinfarkt oder ein Hirnschlag, sei es eine länger andauernde schwere Erkrankung wie Krebs, COPD oder ALS, dieses Schicksal kann alle treffen. Haben wir uns schon dazu Gedanken gemacht? Was hätte mein Vater, meine Mutter, mein*e Partner*in gewollt? Wie soll ich in plötzlichen Notsituationen entscheiden. Immer wieder stellen verunsicherte, verzweifelte, manchmal von Schuldgefühlen geplagte Klient*innen sich diese Fragen in der Therapie. Sind wir informiert, wenn unsere Klient*innen diese Themen in der Therapie ansprechen? Wissen wir, was unsere Wünsche sind?
Mit Tanja Krones, Professorin für klinische Ethik und Medizingeschichte an der Universität Zürich, und Monika Obrist, breit ausgebildet in Betriebswirtschaft, Pflege, Palliative Care, Organisationsentwicklung und -ethik, als Herausgeberinnen widmen sich Fachleute den verschiedenen Aspekten der «vorausschauenden Behandlungsplanung». Isabelle Karzig-Roduner (Fachexpertin Notfallpflege) und Theodore Otto-Achenbach (Fachexpertin Intensivpflege im Team Klinische Ethik USZ) beschreiben den intensiven Beratungsprozess einer Patient*innenverfügung «plus». Hier wird sehr praktisch eine Notfallplanung bei Urteilsunfähigkeit beschrieben, die aufklärt und zum Handeln befähigt. Eine Nationalfonds-Studie zeigt, dass nach einer vorausschauenden Behandlungsplanung die Behandlungswünsche von Proband*innen den Fachpersonen und Angehörigen doppelt so häufig bekannt waren und ebenso häufig umgesetzt werden konnten als bei herkömmlichen Patient*innenverfügungen.
«80% der Notfall- und Krisensituationen, die zu einer Spitaleinweisung führen, sind vorhersehbar», meint Andreas Weber, Palliativmediziner der ersten Stunde, und beschreibt, was nötig ist, um diese sehr belastenden Situationen durch «vorausschauende Behandlungsplanung» zu vermeiden oder zu entschärfen. Auch dieser Artikel gibt viel Orientierung und Wissen. Für Betroffene und ihre Angehörigen schafft dies Beruhigung in schwierigen Zeiten. Verschiedene weitere Artikel beschreiben aus der Sicht von Betroffenen, was aus ihrer Erfahrung Not tut.
Ein Kapitel von Barbara Loupatatzis (Palliativmedizinerin) und Tanja Krones beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Hintergründen des Erstarkens der Patient*innenautonomie und damit mit der Entwicklung bis hin zu einer Patient*innenverfügung als gesundheitliche Vorausplanung. Sie beleuchten auch kritisch die sich widersprechenden Aussagen in Patient*innenverfügungen, die den Patient*innenwillen nicht erkennen lassen und entsprechend in Notfallsituationen nicht umsetzbar sind.
Das Buch richtet sich an Laien wie an Fachleute des Gesundheitswesens – Psychotherapeut*innen, Psychiater*innen, Pflegefachleute, Sozialarbeiter*innen, Ärzt*innen, Studierende und ist verständlich und praxisnah geschrieben. In der jetzigen Coronapandemie sind wir sensibilisiert, wie schnell eine schwere Krankheit jede*n treffen kann. Ich empfehle das Buch allen, weil es Orientierung gibt und Ängsten mit Wissen und Handlungsoptionen begegnet. Doch nachdenklich macht mich, dass es diese personenzentrierte «vorausschauende Behandlungsplanung» bisher nur für somatische Notfallsituationen gibt. Für psychische Notfallsituationen fehlt ein entsprechender Leitfaden, der Patient*innen und auch ihren Angehörigen sowie der nahen Umgebung Orientierung und damit auch eine gewisse Kontrolle gibt. Eine Patient*innenverfügung «plus» für psychische Erkrankungen? Wir müssen die Diskussion eröffnen und von den Somatikern lernen.
Jetzt zum Buch Reden wir über das Sterben: Es schliesst inhaltlich an die «vorausschauende Behandlungsplanung» an und führt dieselbe Haltung für die letzte Phase des Lebens, den Sterbeprozess, ebenso informativ und praxisnah weiter. Auch Fachleute, Psychotherapeut*innen, Ärzt*innen sind erschreckend uninformiert, wenn es um den Prozess des Sterbens geht. Kathrin Schneider-Gurewitsch hat als Ärztin mit Hirnverletzten, Koma- und Krebspatient*innen gearbeitet und sie ist selbst mehrmals an Krebs erkrankt. Sie kennt also zwei Perspektiven, die bei schweren Erkrankungen eine wichtige Rolle spielen.
Bei ihrer dritten Krebserkrankung war klar, dass sie diese nicht überleben würde. Als letzte grosse Arbeit wollte sie über das Sterben schreiben, darüber, was es braucht, um «unwürdige Situationen und Kämpfe» sowie Überforderung bei Patient*innen, Angehörigen, Ärzt*innen und Pflegenden zu vermeiden. Sie konnte das Buch nicht mehr zu Ende schreiben. Aus der grossen Menge ihrer Entwürfe und gesammelten Materialien haben ihr Mann Pavel Schneider-Gurewitsch, auch Mediziner, ihre langjährige Assistentin Marianne Recher und die Journalistin Cécile Speidel dieses Buch geschrieben und Kathrin Scheider-Gurewitsch einen grossen Wunsch erfüllt.
Auch in diesem Buch geht es um praktische Themen: Patient*innenverfügung, ärztliche Prognosegespräche, Therapieverweigerung, ‹Alternative Therapien›, Palliative Care. Stark ist das Buch, wenn Schneider-Gurewitsch bei all den Themen für Offenheit plädiert, dafür, dass alle Patient*innen das Recht auf ihre eigene Sicht und ihre eigene Entscheidung haben. Immer bezieht sie dezidiert Stellung, fordert ihre ärztlichen Kolleg*innen heraus. Im Kapitel über Prognosegespräche greift sie zum Beispiel eine Gepflogenheit der Ärzteschaft an, auf die dringende Frage der Patient*innen nach der verbleibenden Lebenszeit keine Antwort zu geben. Sie fordert auf diese Frage Antworten, auch wenn dies eine «fast unmögliche Aufgabe ist» (S. 40). Eine Antwort auf die Frage, wie viel Zeit jemandem bleibt, wie hoch die Chancen sind, ist wesentlich für den Entscheid, wie und ob weiterbehandelt werden soll. Sie zitiert eine Studie von Christakis (1999), die aufzeigt, dass Patienten aus privilegierten sozio-ökonomischen Schichten eher prognostische Informationen erhalten als andere Patient*innen: «Weisse reiche Männer mit Hochschulabschluss erhielten die meisten Informationen» (S. 42).
Aus dem Thema der mangelnden Informationen bei Prognosegesprächen der Studie von Christakis leitet sie über zum Thema «Assistierter Suizid» und ist überzeugt, «dass das grosse Interesse am assistierten Suizid mit der miserablen Betreuung von Sterbenden zu tun hat, auch mit der fehlenden oder schlechten Qualität der prognostischen Information» (S. 41). Das Kapitel «Hilfe beim Sterben» ist jedoch leider etwas konfus. Es bezieht sich zu stark auf assistierten Suizid und benennt zu wenig die Unterstützung beim natürlichen Sterben. Auch ihre Gedanken über Spiritualität sind nicht so aussagestark wie andere Kapitel.
Das Buch erteilt Hilfestellungen und bietet Wissen für Betroffene, Angehörige, Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen. Ich arbeite als Psychoonkologin und in der Palliative Care mit Schwerstkranken. Das Buch bearbeitet viele Themen, die meine Patient*innen umtreiben und die sie besprechen wollen. Ich bin froh, das leicht zu lesende Buch allen empfehlen zu können. Je mehr wir uns mit diesem Thema beschäftigen, umso besser können wir mit dieser immer sehr herausfordernden Situation umgehen oder jemandem beistehen.
«Lasst mich so sterben, dass meine Angehörigen sich im Guten daran werden erinnern können» (S. 97). Das ist doch ein wunderbares Ziel.
Doris Signer-Brandau
Literatur
Christiakis, N. (1999). Death Foretold – Prophecy and Prognosis in Medical Care. Chicago, London: Univ. of Chicago Press.