Depression – eine Signatur unserer Zeit?1

Erkenntnisse aus der LAC-Studie

Marianne Leuzinger-Bohleber

Psychotherapie-Wissenschaft 10 (2) 11–18 2020

www.psychotherapie-wissenschaft.info

CC BY-NC-ND

https://doi.org/10.30820/1664-9583-2020-2-11

Zusammenfassung: Die LAC-Studie ist die wohl erste kontrollierte Psychotherapiestudie, die die Ergebnisse psychoanalytischer und kognitiv-verhaltenstherapeutischer Langzeitpsychotherapien bei chronisch Depressiven mit randomisierter und präferierter Zuweisung miteinander vergleicht. Beide Psychotherapieverfahren erwiesen sich als erfolgreich. Die Effektstärken und die vollständigen Remissionsraten waren höher als in anderen Studien. In zukünftigen Arbeiten werden nun Mediatoren- und Moderatorenvariablen untersucht, um beschreiben zu können, welche therapeutischen Faktoren in welchem der beiden Verfahren zu welchen Effekten geführt haben. In diesem Artikel werden die mittlerweile auch ausführlich publizierten Erkenntnisse aus der LAC-Studie sowie das methodische Vorgehen knapp skizziert.

Schlüsselwörter: chronische Depression, psychoanalytische und kognitiv-behaviorale Langzeittherapien, Outcomestudies, symptomatische und strukturelle Veränderungen

Depressionen haben in den letzten Jahrzehnten so stark zugenommen, dass sie nach Schätzungen der WHO im Jahr 2020 weltweit die zweithäufigste Krankheit sein werden. 20–30% der Menschen mit einer depressiven Erkrankung entwickeln einen chronischen Verlauf. Chronifizierende Patient*innen zeigen besonders häufig sehr schwerwiegende Depressionen, viele depressive Episoden und psychiatrische und körperliche Komorbiditäten. Sie nehmen – verglichen mit anderen depressiven Patient*innen – länger Psychopharmaka und zeigen eine niedrigere Remissionsrate. Chronische Depressionen sind zudem mit enormem Leid für die Betroffenen und ihre Familien sowie mit hohen direkten und indirekten Gesundheitskosten verbunden.

Lange Zeit galt die Depression als eine Erkrankung mit einer relativ guten Behandlungsprognose, doch dies hat sich in den letzten Jahrzehnten geändert. Ergebnisse aus der epidemiologischen Forschung zeigten, dass Depressionen häufig eine wiederkehrende Erkrankung mit einer hohen Rückfallquote sind und chronisch werden. 50% der depressiven Patient*innen erleiden nach der ersten depressiven Episode ein Rezidiv, 70% nach der zweiten und 90% nach der dritten Episode. Darüber hinaus haben sich pharmakologische und kognitiv-verhaltenstherapeutische als auch psychodynamische Kurztherapien als weit weniger erfolgreich erwiesen als erhofft: 50% aller depressiven Patient*innen erleiden nach jeder Form von Kurzpsychotherapie einen Rückfall. 20–30% aller depressiven Patient*innen sprechen nicht positiv auf Medikamente an. Von denjenigen, die das doch tun, erleidet ein Drittel innerhalb eines Jahres einen Rückfall, 75% innerhalb von fünf Jahren. Für diese Patient*innen können langfristige psychoanalytische Therapien oder Psychoanalysen eine Alternative bieten. In der repräsentativen DPV-Outcome-Studie haben zum Beispiel rund 80% aller 402 ehemaligen Psychoanalyse-Patient*innen mit psychoanalytischen Langzeittherapien eine nachhaltige Verbesserung ihrer psychopathologischen Symptome sowie ihrer Objektbeziehungen, ihrer beruflichen Entfaltungen und ihrer allgemeinen Lebensqualität gezeigt. Unter ihnen waren 27%, die als depressiv diagnostiziert worden waren, meist in Kombination mit einigen Persönlichkeitsstörungen. Als unerwartetes Ergebnis der Studie zeigte sich die enge Verbindung zwischen Trauma und schwerer psychischer Erkrankung: 62% der Patient*innen waren schwer traumatisierte Kinder aus dem Zweiten Weltkrieg (Leuzinger-Bohleber et al., 2003).

Nach Bohleber (2005) ist die Depression in den Sozialwissenschaften zu einer Signatur unserer Zeit avanciert, in der sich traditionelle Strukturen und klare Verhaltenserwartungen weitgehend aufgelöst haben. Abgrenzungsphänomene und der enorme Zuwachs an individuellen Wahlmöglichkeiten von Lebensperspektiven führen zu einem Verlust an sozialer Sicherheit und machen die eigene Identität zum Lebensprojekt des Individuums. Der französische Soziologe Ehrenberg (2016) erklärt in seiner Studie das erschöpfte Selbst zur Krankheit der heutigen Gesellschaft, deren Verhaltensnormen nicht mehr auf Schuld und Disziplin, sondern vor allem auf Verantwortung und Initiative beruhen. An die Stelle des spätbürgerlichen Individuums scheint ein Individuum zu treten, das die Idee hat, dass «alles möglich ist», und das von der Angst um seine Selbstverwirklichung geprägt ist, die sich leicht bis zum Gefühl der Erschöpfung steigern kann. Der Druck zur Individualisierung spiegelt sich in Versagens-, Scham- und Unzulänglichkeitsgefühlen und schliesslich in depressiven Symptomen wider. Die «klassische Neurose» ist für Ehrenberg eine Krankheit des Individuums, die durch Konflikte zwischen Erlaubtem und Verbotenem determiniert wird, während die Depression für ihn als Krankheit des Individuums gesehen wird, die durch die Spannung zwischen Möglichem und Unmöglichem entsteht. Die Depression wird so zu einer Tragödie der Unzulänglichkeit.

Solche sozialwissenschaftlichen und historischen Analysen fordern auch die Psychoanalyse heraus, das Thema Depression neu zu untersuchen und den Stand ihrer Forschung neu zu bewerten. Inzwischen sind die Ergebnisse psychoanalytischer Kurzzeittherapien, die den Kriterien der evidenzbasierten Medizin entsprechen, durch viele Studien bestätigt worden. Demgegenüber liegen nach wie vor nur wenige Studien zu den Ergebnissen von Langzeitpsychotherapien und Psychoanalysen vor. Daher beschloss 2005 eine multizentrische Forschungsgruppe von Psychoanalytiker*innen und kognitiven Verhaltenstherapeut*innen, eine vergleichende Psychotherapiestudie zu den Ergebnissen kognitiv-verhaltenstherapeutischer und psychoanalytischer Langzeitbehandlungen zu initiieren, die sogenannte LAC-Studie (Projektleitung: M. Leuzinger-Bohleber, M. Hautzinger, M. Beutel, G. Fiedler, W. Keller). Wir konzipierten die Studie in enger Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe von Phil Richardson, Peter Fonagy und David Taylor aus London, die damals ebenfalls eine Studie über die Ergebnisse psychoanalytischer Langzeitpsychotherapien bei schwer zu behandelnden Depressionen plante, die Tavistock-Depressionsstudie. Inzwischen sind sowohl die Ergebnisse der Tavistock- (Fonagy et al., 2015) als auch der LAC-Studie (Leuzinger-Bohleber et al., 2019a, c) veröffentlicht worden. Diese und mehrere andere Studien zeigen die positiven Ergebnisse von psychoanalytischen (PAT) und verhaltenstherapeutischen (KVT) Langzeittherapien für depressive Patient*innen auf.

Die LAC-Studie

Die LAC-Studie (Langzeitbehandlungen chronisch Depressiver) ist eine randomisiert kontrollierte Studie zum Vergleich der Ergebnisse kognitiv-behavioraler und psychoanalytischer Langzeitbehandlungen chronisch depressiver Patient*innen mit randomisierter und präferierter Zuweisung. Die Neugierde, mehr über die Faktoren zu erfahren, die bei psychoanalytischen Behandlungen im Vergleich zu längeren kognitiv-behavioralen Therapien eine Rolle spielen, die drohende gesellschaftliche Marginalisierung psychoanalytischer Verfahren, aber auch das Interesse einiger KVT-Forscher*innen an einer längeren, von den Krankenkassen finanzierten Behandlung, waren einige der Gründe für diese multizentrische Studie zu den Ergebnisse von kognitiv-behavioralen und psychoanalytischen Langzeitbehandlung bei chronisch depressiven Patient*innen.

Die Planung und Durchführung der LAC-Studie fand vor dem Hintergrund vieler kontroverser Diskussionen statt (s.z.B. Leuzinger-Bohleber et al., 2020). So entschied sich die Forschungsgruppe beispielsweise für ein Design, das eine naturalistische Studie mit einer experimentellen kombiniert. Im Gegensatz zu vielen Studien der vergleichenden Psychotherapieforschung, in denen aus methodischen und pragmatischen Gründen fortgeschrittene Psychologiestudierende Personen mit genau definierten Symptomen (oft ebenfalls Studierende) nach einer manualisierten Therapiemethode behandelten, wurden in der LAC-Studie chronisch depressive Patient*innen interviewt, wie sie heute in Deutschland in Privatpraxen von Psychotherapeut*innen in Langzeitpsychotherapien behandelt werden. Wir erwarteten, dass viele dieser Patient*innen bereits mehrere Kurztherapien mit nur begrenztem Erfolg oder sogar negativem Ergebnis durchlaufen hatten und deshalb ein bestimmtes therapeutisches Verfahren bevorzugten. Wir vermuteten, dass sie daher nicht bereit wären, sich für eine Langzeitbehandlung randomisieren zu lassen. Deshalb konnten sie in der LAC-Studie zwischen den beiden Therapien KVT und PAT wählen.2 Wenn sie keine klare Präferenz hatten und dazu bereit waren, wurden sie randomisiert.

Randomisierung der Patient*innen, genau beschriebene Einschlusskriterien, bezogen auf die Verfahren verblindete Rater, reliable Messinstrumente, manualisierte und auf ihre Adhärenz überprüfte Therapieverfahren sowie die genaue Beschreibung der Stichproben, der drop-outs und der angewandten statistischen Verfahren etc. gehören zu den Kriterien der sogenannten evidence-based-medicine. Diese Kriterien müssen erfüllt sein, damit Studien sowohl in der Welt der Psychotherapieforschung als auch der Gesundheitssysteme anerkannt werden. Daher versuchte die Forschungsgruppe der LAC-Studie allen diesen Kriterien gerecht zu werden.

Darüber hinaus wurden die bekannten wissenschaftstheoretischen und methodischen Bedenken der psychoanalytischen Community ernst genommen und eine multiperspektivische Annäherung an den Therapieerfolg bei diesen difficult-to-treat-Patient*innen gewählt. So wird in der zweiten Hauptpublikation der LAC-Studie ein Aspekt dieser komplexen Problematik exemplarisch zur Diskussion gestellt: In der Welt der evidence-based-medicine werden bekanntlich fast ausschliesslich Symptomveränderungen als Erfolg für Psychotherapien betrachtet, während nach psychodynamischer Auffassung vor allem Veränderungen der inneren Objektwelt, sogenannte Strukturveränderungen, erfolgreiche Psychotherapien charakterisieren, denn das Ziel psychoanalytischer Behandlungen geht über Symptomveränderungen weit hinaus und wird, wie schon Freud dies postulierte, beschrieben als die Fähigkeit zu lieben, zu arbeiten und das Leben zu geniessen. Daher wurden in der LAC-Studie symptomatische und strukturelle Veränderungen miteinander in Beziehung gesetzt.

Da inzwischen die beiden Hauptpublikationen in englischer und deutscher Sprache vorliegen, kann ich in diesem Rahmen auf diese verweisen (vgl. Literaturverzeichnis) und mich damit begnügen, das methodische Vorgehen kurz zu skizzieren und die Ergebnisse zusammenzufassen. Doch zuerst gebe ich einen exemplarischen Eindruck von den Patient*innen, die im Rahmen der LAC-Studie behandelt wurden.

Abb. 1: Überblick über Messzeitpunkte und Instrumente in den ersten fünf Jahren

«Es zog mich ins Meer hinaus …»

Frau C., eine 55-jährige berentete Angestellte eines grossen Dienstleistungsbetriebs, wurde von einer psychiatrischen Klinik zur Nachbehandlung nach einem mehrmonatigen stationären Aufenthalt an die LAC-Studie überwiesen. «Ich kann nicht mehr arbeiten. Nach dem Tod meiner Mutter vor zwei Jahren bin ich völlig zusammengebrochen, lag nur noch im Bett, konnte weder schlafen noch essen. Nach einem Suizidversuch lieferte mich mein Mann in die Klinik ein. Dort ging es mir allmählich etwas besser. Ich wäre am liebsten dort geblieben. Ich habe Angst, wieder völlig zusammenzubrechen oder in Panik erneut zu viele Tabletten zu schlucken.» Schon im ersten Interview berichtete sie ihren Initialtraum: «Ich stehe am Meer – eine grosse, dunkle Welle kommt und zieht mich hinaus. Ich wehre mich nicht, sondern finde es eher schön, mich dem hinzugeben.»

Im Laufe der Behandlung stellt sich heraus, dass Frau C. seit ihrer Kindheit an schweren Depressionen gelitten hatte. Ihre Mutter, ein traumatisiertes, deutsches Kriegskind, war ebenfalls schwer depressiv, einer der Gründe für die emotionale Frühverwahrlosung der Patientin. Dazu kamen mehrere traumatische Separationserfahrungen und abrupte Umzüge der Familie. Am Gravierendsten aber war, dass die Mutter den jahrelangen, fast täglichen sexuellen Missbrauch der Patientin durch den Vater nicht verhindert, sondern sogar (unbewusst?) gefördert hatte (zum Behandlungsverlauf s. Leuzinger-Bohleber, 2018).

Design und Ergebnisse der LAC-Studie

Soweit wir wissen, ist die LAC-Studie die erste kontrollierte Psychotherapiestudie, die die Ergebnisse psychoanalytischer und kognitiv-verhaltenstherapeutischer Langzeitpsychotherapien bei chronisch Depressiven mit randomisierter und präferierter Zuweisung miteinander vergleicht. Damit die Patient*innen zwischen PAT und KVT wählen konnten, erhielten sie folgende (neutrale) Beschreibung der beiden Verfahren:

In der psychoanalytischen Therapie (PAT) wird der Einfluss untersucht, den unbewusste Wünsche und Ängste auf das bewusste Erleben und Handeln im Hier und Jetzt ausüben. PAT bleibt nicht, wie oft angenommen wird, bei der Aufarbeitung unbewältigter Kindheitserlebnisse stehen, sondern deckt deren (un)bewusste Wirkung im Zusammenhang mit lebensgeschichtlichen Erfahrungen auch im Hinblick auf die Zukunftsgestaltung auf. Durch die Möglichkeit, in der Beziehung zur/m Analytiker*in unbewusste Beziehungsgestaltungen zu wiederholen, versucht die PAT, der Bedeutung wiederkehrender depressiver Verarbeitung von Lebenserfahrungen auf die Spur zu kommen. Die «Nachhaltigkeit» der PAT kann in einer «Nachentwicklung» des eigenen Selbstwertgefühls und in der Beziehung zu nahestehenden Menschen gesehen werden. Eine Veränderung der Symptomatik ergibt sich infolge des analytischen Prozesses, indem die bislang unzulänglichen Krankheitsursachen aufgedeckt, bearbeitet und integriert werden. Die Therapie kann mit einer Frequenz von ein- bis maximal dreimal 50 Minuten in der Woche stattfinden. Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) zielt auf eine Veränderung des gegenwärtigen Denkens und Verhaltens ab. Sie ist ein Anwendungsbereich der Verhaltensforschung und Lerntheorien. Im Mittelpunkt der Behandlung steht dabei die Veränderung des Verhaltens, Erlebens und Denkens durch Prozesse wie Neu-, Um- und Verlernen. Therapeut*in und Betroffene*r führen zusammen eine genaue Analyse der Probleme durch, die als Lerngeschichte aus der Vergangenheit gesehen werden kann. In der Therapie werden systematisch ungünstige Verhaltensweisen und Denkmuster identifiziert und Patient*innen werden dazu angeleitet, hilfreiche Strategien zu entwickeln und diese schrittweise selbstständig einzusetzen, um so zu lernen, nicht optimale Verhaltensweisen zu verändern. Die Therapie verfügt zur Erreichung von Veränderungen und anvisierten Lösungen neben dem Gespräch über eine Vielzahl von bewährten Verfahren, die zum Teil auch ausserhalb oder im Anschluss der Sitzungen als Hausaufgabe durchgeführt werden. Die Therapie findet meist mit einer Frequenz von einmal 50 Minuten pro Woche statt, kann aber je nach Behandlungsphase auch häufiger oder intensiver (z.B. zweistündige Sitzungen) durchgeführt werden.

Wir haben ein consort diagram mit detaillierten Analysen zur Rekrutierung der Patient*innen – zu den verschiedenen Gründe für deren Ausschluss aus bzw. Verbleib in der Studie – in den zuvor genannten Publikationen zur Studie veröffentlicht. Insgesamt wurden 554 Patient*innen zu einem Erstinterview gesehen. Davon wurden 252 Patient*innen in die Studie eingeschlossen. Sie erhielten eine von ihnen bevorzugte oder nach dem Zufallsprinzip zugewiesene Behandlung und wurden mehrere Jahre lang untersucht. Typisch für ein naturalistisches Behandlungssetting wurden die Behandlungen in gegenseitigem Einvernehmen von Therapeut*in und Patient*in abgeschlossen. Von den 252 Patient*innen waren 73,4% nach einem, 63,9% nach zwei und 65,5% nach drei Jahren noch in der Studie. Im Vergleich zu anderen Studien ist dies eine gute Rücklaufquote für eine so schwer kranke Patient*innenpopulation.

Die Patient*innen litten an einer chronischen Depression mit hohem aktuellen Symptomschweregrad (BDI 32,1 Punkte; QIDS-C 14,3 Punkte), das heisst, 75% der Patient*innen der Stichprobe der LAC-Studie hatten höhere Symptomwerte als depressive Patient*innen in anderen grossen Stichproben. Die Mehrheit der Patient*innen war im Jahr vor Beginn der Behandlung aufgrund ihrer Depression lange wegen Arbeitsunfähigkeit krankgeschrieben. Mehr als 70% von ihnen hatten schon (teils mehrere) Psychotherapien hinter sich. Mehr als ein Drittel unserer Stichprobe war schon mindestens einmal in einer stationären Psychotherapie. 36% nahmen antidepressive Medikamente ein. Laut DSM-IV erfüllten 58,3% die Kriterien einer major depression, 12,3% litten an Dysthymie und bei 29,4% wurde eine double depression diagnostiziert.

BDI

PREF KVT

PREF PAT

RAND KVT

RAND PAT

Gesamt

Gesamtwert [MW (SD)]

32,0 (7,8)

31,2 (7,8)

32,6 (7,0)

33,9 (9,2)

32,1 (8.0)

N

63

101

41

47

252

Diff [MW (SD)]

14,4 (12,1)

10,7 (11,1)

12,6 (13,3)

12,0 (12,7)

12,1 (12,0)

Cohen’s d

1,58

1,09

1,20

1,00

1,17

Remission

38%

28%

47%

32%

34%

N

37

76

34

38

185

Diff [MW (SD)]

15,2 (9,7)

13,9 (12,7)

11,9 (12,2)

15,2 (12,7)

14,1 (12,0)

Cohen’s d

1,77

1,38

1,03

1,39

1,38

Remission

45%

38%

33%

33%

38%

N

31

61

27

30

149

Diff [MW (SD)]

17,2 (10,7)

15,8 (10,9)

17,5 (12,4)

20,1 (11,9)

17,2 (11,4)

Cohen’s d

2,43

1,62

1,85

1,89

1,83

Remission

43%

44%

50%

44%

45%

N

28

64

30

27

149

QIDS-C

Diff [MW (SD)]

14,1 (3,0)

14,3 (3,0)

13,3 (2,6)

15,2 (3,4)

14,3 (3,1)

N

63

101

41

47

252

Diff [MW (SD)]

7,1 (4,0)

5,7 (4,4)

6,6 (4,8)

6,8 (4,9)

6,4 (4,5)

Cohen’s d

1,90

1,46

1,92

1,39

1,56

Remission

54%

33%

41%

33%

39%

N

41

69

34

40

184

Diff [MW (SD)]

7,8 (4,5)

8,0 (4,4)

6,9 (5,9)

8,6 (4,9)

7,9 (4,8)

Cohen’s d

2,12

2,45

1,62

1,94

2,07

Remission

57%

44%

46%

44%

47%

N

35

64

28

34

161

Diff [MW (SD)]

7,0 (5,5)

8,0 (5,1)

9,7 (3,7)

10,4 (5,9)

8,5 (5,2)

Cohen’s d

1,69

1,85

3,43

2,38

2,08

Remission

52%

55%

79%

68%

61%

N

33

71

33

28

165

Tab. 1: Veränderungen der Selbsteinschätzung (BDI) und der Fremdbeurteilung der Depression (QIDS-C) im Laufe der Studie

Symptomveränderungen

Wie erhofft, erwiesen sich beide Psychotherapieverfahren als erfolgreich, um bei diesen schwer kranken Patient*innen eine signifikante Symptomreduktion zu erwirken (vgl. Tab. 1). In den Selbsteinschätzungen der Patient*innen zeigten sich grosse und stabile Veränderungen. Schon nach einem Jahr nahm der BDI-Wert von 32,1 Punkten um 12,1 Punkte ab, nach drei Jahren sogar um 17,2 Punkte. Die Effektstärken waren sehr hoch: d = 1.17 nach einem Jahr und d = 1.83 nach drei Jahren. Die vollständige Remissionsrate lag schon nach einem Jahr bei 34% und stieg auf 45% nach drei Jahren. Analoge Ergebnisse zeigten sich in den Einschätzungen der unabhängigen, bezogen auf die Therapieverfahren verblindeten Rater: Die QIDS-C-Werte sanken im ersten Jahr von 14,1 auf 7,1 und weiter auf 7,0 drei Jahre nach Beginn der Behandlung. Die Effektstärken waren ebenfalls sehr hoch. Sie stiegen von d = 1.56 nach einem Jahr auf d = 2.08 drei Jahre nach Behandlungsbeginn. Entgegen unseren Hypothesen fanden wir aber keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den Verfahren oder randomisierter und präferierter Zuwendung. Besser als in anderen Studien sind die erzielten Remissionsraten: 39% der Patient*innen zeigten schon nach einem Jahr eine volle Remission, drei Jahre nach Behandlungsbeginn waren es 61%. Chronisch depressive Patient*innen profitieren daher von Langzeitpsychotherapien.

Eine anhaltende Verbesserung der depressiven Symptomatik hat eine grosse Bedeutung für diese schwer kranken Patient*innen, die unter einer hohen Rückfallquote auf jede Form der Kurzzeittherapie reagieren. Auch für die Familien der schwer depressiv Erkrankten hat vor allem die Verhinderung von Rückfällen und die Abnahme der Schwere der Depression eine grosse Bedeutung, auch weil dadurch die Wahrscheinlichkeit verringert wird, dass die Depression auf die nächste Generation weitergegeben wird. Zudem führen chronifizierte Depressionen zu hohen Gesundheitskosten.

Eine Stärke der LAC-Studie ist es, dass sie die existierende Praxis zur Behandlung von chronisch Depressiven mit Langzeitpsychotherapien gut abbildet: In anderen Worten verfügt sie über eine hohe externale Validität. Die Therapien wurden von erfahrenen, staatlich anerkannten Therapeut*innen in ihrer Privatpraxis durchgeführt und von den Krankenkassen finanziert.

PAT und KVT boten unterschiedliche Arten von Psychotherapien mit unterschiedlicher Behandlungstechnik und Dauer an. Sie basieren auf unterschiedlichen Konzeptualisierungen der Entstehung, der Gründe und der aufrechterhaltenden Bedingungen von depressiven Erkrankungen. In den Hauptpublikationen haben wir lediglich die Veränderungen der depressiven Symptomatik diskutiert (Leuzinger-Bohleber et al., 2019a, b). In weiteren Arbeiten werden Mediatoren- und Moderatorenvariablen untersucht, um beschreiben zu können, welche therapeutischen Faktoren in welchem der beiden Verfahren zu welchen Effekten geführt haben. Klinisch besonders relevant ist die Frage, ob es bestimmte Patient*innen gibt, die von einem der beiden Verfahren besser profitieren als vom anderen. Daher könnten durch Vergleiche zwischen den Extremgruppen erfolgreicher bzw. nicht erfolgreicher Patient*innen in beiden Verfahren wichtige Erkenntnisse bezüglich der sogenannten differenziellen Indikation gewonnen werden. Zudem erhoffen wir uns Einsichten auf die Frage, ob bzw. welche Kombination mit Medikamenten für welche Patient*innen sinnvoll erscheint. Zur Beantwortung solcher Fragen werden zudem die Daten der sekundären Ergebnismasse zur sozialen Adaptationsfähigkeit, zur Qualität sozialer Beziehungen, zu Persönlichkeitseigenschaften etc. beigezogen.

Für die Wirkung der LAC-Studie in der Fachöffentlichkeit, aber auch bei den Krankenkassen, werden die gesundheitsökonomische Analysen der Daten absolut entscheidend sein. Unbestritten sind die direkten Kosten für die Psychotherapien bei der KVT geringer, denn die durchschnittliche Anzahl der Sitzungen war wesentlich geringer (57) als in der PAT (234 Sitzungen). Doch zeigen verschiedene Studien, dass sich das Bild wesentlich verändert, sobald indirekte Gesundheitskosten einbezogen werden (wie Arbeitsfehltage, Krankenhausaufenthalte, Lebenszufriedenheit, Krankheit der Kinder etc.; vgl. dazu u.a. Leuzinger-Bohleber et al., 2019c; Laezer et al., 2016). Erste Ergebnisse der LAC-Studie zeigen zum Beispiel, dass die Patient*innen in der PAT laut Angaben in der Basisdokumentation weniger häufig Ärzte bzw. Ärztinnen aufsuchten und der Arbeit fernblieben als in der KVT. Daher werden zurzeit weitere Analysen der Daten durchgeführt und demnächst veröffentlicht. Eine zweite Ergebnispublikation ist bereits erschienen (Leuzinger-Bohleber et al., 2019c). Darin werden die Ergebnisse zu den sogenannten strukturellen Veränderungen in beiden Behandlungen diskutiert.

Strukturelle Veränderungen

Aus psychoanalytischer Sicht leiden chronisch depressive Patient*innen an einer pathologischen Welt von inneren Objekten und Selbstvorstellungen, die mit unerträglichen Emotionen (Verzweiflung, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit) und chronischen dissoziativen Zuständen verbunden sind. Die Veränderung struktureller Defizite in den Selbst-Objekt-Repräsentanzen erfordert Zeit und ein intensives Durcharbeiten in der professionellen Beziehung zum Psychotherapeuten bzw. zur -therapeutin, das heisst im Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehen. Solche sogenannte strukturelle Veränderungen zu untersuchen, war für die Psychoanalytiker*innen, die an der LAC-Studie beteiligt waren, daher von grossem Interesse. Die strukturellen Veränderungen wurden mit der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) und der Heidelberger Umstrukturierungsskala (HSCS) gemessen, einem der sekundären Outcome-Instrumente der LAC-Studie. Mit diesen wurde das zunehmende Bewusstsein der Patient*innen für ihre, psychodynamisch betrachtet, bedeutsamen unbewussten Fantasien und Konflikte untersucht, was als wichtige Voraussetzung für strukturelle Veränderungen im Sinne der HSCS angesehen wird. Auch wenn es drei Jahre nach Behandlungsbeginn noch nicht möglich ist, nachhaltige Veränderungen in der Therapie wirklich zu erfassen, so können doch zu diesem Zeitpunkt bereits erste Hinweise auf solche dauerhaften psychischen Transformationen gefunden werden.

So war ein wichtiges erstes Ergebnis, dass die verblindeten Rater zu Beginn der Behandlung keine Unterschiede in den OPD-Ratings und der HSCS zwischen den Patient*innen in den beiden untersuchten Therapieverfahren sowie der randomisierten und der Präferenzgruppe fanden. In anderen Worten: Die intrapsychischen Konflikte oder strukturellen Defizite unterschieden sich nicht bei den Patient*innen, die durch KVT oder PAT behandelt werden sollten (T0-Daten; vgl. Abb. 2). Ein Jahr nach Beginn der Behandlung waren die Anteile der strukturellen Veränderungen zwischen PAT (26%) und KVT (24%) nur unwesentlich unterschiedlich. Nach drei Jahren erfüllten mit 60% mehr Patient*innen bei der PAT die Kriterien für eine strukturelle Veränderung im Vergleich zur KVT (36%) – analog zur Zielsetzung bei diesen Behandlungen. Zudem gingen bei jenen Patient*innen, die die grössten strukturellen Veränderungen zeigten, auch die depressiven Symptome am deutlichsten zurück (vgl. Abb. 2; für Details s. Kaufhold et al., 2019).

Abb. 2: HSCS Total Score für KVT (helle Säulen) und PAT (dunkle Säulen); T0: vor Beginn der Behandlungen; T4: ein Jahr nach Behandlungebeginn; T8: drei Jahre nach Behandlungsbeginn

Diese Ergebnisse zeigen, dass durchaus Unterschiede in den Ergebnissen zwischen PAT und KVT erzielt wurden, die aber erst festgestellt werden konnten, als das Forschungsmikroskop feiner eingestellt wurde. Daher werden zurzeit noch weitere Datenanalysen durchgeführt. Zudem erwarten wir, dass analog zu den anderen Studien zur Langzeitbehandlung, der Stockholmer Psychotherapiestudie, der Helsinki Therapiestudie, der Münchner Depressionsstudie und der Tavistock Depressionsstudie Unterschiede zwischen den Verfahren bezüglich der Symptomveränderung erst zum Zeitpunkt einer Katamnese sichtbar werden (vgl. Leuzinger-Bohleber et al., 2020). Auch aus diesem Grund werden zurzeit die Ergebnisse fünf Jahre nach Behandlungsbeginn differenziert weiter untersucht.

Literatur

Bohleber, W. (2005). Editorial zum Special Issue of the Journal Psyche «Depression. Psychoanalytische Erkundungen einer Zeitkrankheit». Zur Psychoanalyse der Depression. Erscheinungsformen-Behandlung-Erklärungsansätze. Psyche – Z. Psychoanal., 59, 781–788.

Ehrenberg, A. (2016). The weariness of the self: Diagnosing the history of depression in the contemporary age. Montreal: MQUP.

Fonagy P., Rost F., Carlyle J. et al. (2015). Pragmatic randomized controlled trial of long-term psychoanalytic psychotherapy for treatment-resistant depression: the Tavistock Adult Depression Study (TADS). World Psychiatry., 14(3),312–321.

Laezer, K.L., Tischer, I., Gaertner, B. & Leuzinger-Bohleber, M. (2016). Aufwendige Langzeitpsychotherapie und kostengünstige medikamentengestützte Verhaltenstherapie, im Vergleich. Ergebnisse einer gesundheitsökonomischen Analyse der Behandlungskosten von Kindern mit der Diagnose ADHS und Störung des Sozialverhaltens. Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie. Zeitschrift für Psychoanalyse und Tiefenpsychologie, 47(4), 540–562.

Leuzinger-Bohleber, M. (2018). Das «erschöpfte Selbst» in Zeiten des «Global Unrest». Klinisch- psychoanalytische Überlegungen. In T. Fuchs, L. Iwer & S. Micali (Hrsg.), Das überfordere Subjekt (S. 310–344). Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Leuzinger-Bohleber, M., Hautzinger, M., Fiedler, G. et al. (2019a). Outcome of psychoanalytic and cognitive-behavioural long-term therapy with chronically depressed patients: a controlled trial with preferential and randomized allocation. The Canadian Journal of Psychiatry, 64(1), 47–58.

Leuzinger-Bohleber, M., Hautzinger, M., Keller, W. et al. (2019b). Psychoanalytische und kognitiv-behaviorale Langzeitbehandlung chronisch depressiver Patienten bei randomisierter oder präferierter Zuweisung. Ergebnisse der LAC Studie. Psyche – Z. Psychoanal., 73, 77–105.

Leuzinger-Bohleber, M., Kaufhold, J., Kallenbach, L. et al. (2019c). How to measure sustained psychic transformations in long-term treatments of chronically depressed patients: Symptomatic and structural changes in the LAC Depression Study of the outcome of cognitive-behavioural and psychoanalytic long-term treatments. The International Journal of Psychoanalysis, 100(1), 99–127.

Leuzinger-Bohleber, M., Solms, M. & Arnold, S.E. (Hrsg.). (2020). Outcome Research and the Future of Psychoanalysis. Clinicians and Researchers in Dialogue. London: Routledge.

Leuzinger-Bohleber, M., Stuhr, U., Rüger, B. & Beutel, M. (2003). How to study the ‹quality of psychoanalytic treatments› and their long-term effects on patients’ well-being: A representative, multi-perspective follow-up study. Internat. J. of Psycho.-Anal., 84(2), 263–290.

Kaufhold, H., Bahrke, U., Kallenbach, L. et al. (2019). Wie können nachhaltige Veränderungen in Langzeittherapien untersucht werden? Symptomatische versus strukturelle Veränderungen in der LAC-Depressionsstudie. Psyche – Z. Psychoanal., 73, 106–133.

Depression – a sign of the times?

Findings from the LAC study

Abstract: The LAC-study is probably the first controlled psychotherapy study comparing the results of psychoanalytic and cognitive-behavioral long-term psychotherapy in chronically depressed patients with randomized and preferred assignment. Both psychotherapy methods proved to be successful. The effect sizes and complete remission rates were higher than in other studies. In future work, mediator and moderator variables will be investigated to describe which therapeutic factors led to which effects in which of the two methods. This article briefly outlines the findings of the LAC-study, which have meanwhile been published in detail, and the methodological approach.

Key words: chronic depression, psychoanalytic and cognitive-behavioral long-term therapies, outcome studies, symptomatic and structural changes

Depressione – una caratteristica del nostro tempo?

I risultati dello studio LAC

Riassunto: Lo studio LAC è il primo studio comparativo di psicoterapia che confronta i risultati dei trattamenti psicoanalitici e cognitivo-comportamentali a lungo termine, prendendo in esame casi di pazienti con depressione cronica che hanno rispettivamente potuto scegliere la terapia o ne hanno seguita una attribuita loro in modo casuale. Entrambi i metodi si sono rivelati efficaci. I tassi di remissione completa e di effettiva efficacia sono stati maggiori di quelli rilevati in altri studi. Nelle ricerche future verranno poi analizzate le variabili legate a mediatori e moderatori, per poter riconoscere, descrivere e correlare tra loro fattori ed effetti terapeutici di uno o dell’altro metodo. Questo articolo presenta una sintesi dei risultati dello studio LAC, nel frattempo pubblicati in dettaglio, nonché del procedere metodologico adottato.

Parole chiave: depressione cronica, terapie psicoanalitiche e cognitivo-comportamentali a lungo termine, studi di outcome, cambiamenti sintomatici e strutturali

Die Autorin

Marianne Leuzinger-Bohleber, Dr. phil., ist Lehranalytikerin (DPV/IPA) und em. Professorin für Psychoanalyse an der Universität Kassel. Sie war 2001–2016 Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts (SFI) in Frankfurt/M. und ist nun Senor Scientist an der Universität Mainz und dem IDeA Exzellenzzentrum in Frankfurt/M. Sie erhielt unter anderem den Mary Sigourney Award 2016 und den Haskell Norman Prize for Excellence in Psychoanalysis 2017.

Kontakt

E-Mail: m.leuzinger-bohleber@gmx.de

Anmerkungen

1 Dieser Beitrag basiert auf früheren Arbeiten (Leuzinger-Bohleber et al., 2019a, c, 2020; Kaufhold et al., 2019), in denen sich weiterführende Literaturangaben befinden.

2 2005 waren PAT und KVT die einzigen von Krankenversicherungen in Deutschland – aufgrund ausreichender evidenzbasierter Studien zu ihrer Wirksamkeit –anerkannten Psychotherapien.