Rezension

Ulrich Sollmann

Ulfried Geuter: Körperpsychotherapie – Grundriss einer Theorie für die klinische Praxis

2015, Berlin, Springer-Verlag. 379 Seiten, € 49,90

Die Pluralität an psychotherapeutischen Richtungen ist nicht mehr zu übersehen und ist aus fachlicher und wissenschaftlicher Sicht wünschenswert. Wenn sich denn ein Dialog miteinander entwickeln kann. Hierzu zählt die Entwicklung, dass im 20. Jahrhundert, so Jürgen Kriz, erst die Grundlagen gelegt werden mussten, was nämlich Psychotherapie sein soll, was sinnvoll und angemessen sei, wie Erkenntnis, Fortschritt und Forschung miteinander verknüpft werden können. Hierdurch kam es zu Differenzierung in mindestens vier grundlegende Verfahren und Paradigmen, nämlich tiefenpsychologisch, behavioral, humanistisch und systemisch.

Die Einbeziehung des Körpers erfolgte unterschiedlich, aber wenn, dann „automatisch“, indem jeweils recht unterschiedliche Aspekte herausgegriffen und betont wurden.

Bislang gab es aber keine explizite körperpsychotherapeutische Theoriebildung.

Ulfried Geuters Buch „Körperspsychotherapie – Grundriss einer Theorie für die klinische Praxis“ ist in dreierlei Hinsicht ein Meilenstein in dieser Entwicklung und setzt deutliche Zeichen.

Ihm ist es, wie David Boadella betont, meisterlich gelungen, eine differenzierte, spezifizierte, wissenschaftlich diskursiv beleuchtete Grundlegung zu schaffen. Gerade hierdurch gelingt ihm, die sich ergänzenden, aber auch konkurrierenden körperpsychotherapeutischen Konzepte, Verfahrensweisen und Denkmodelle sowie theoretischen Grundannahmen unter einem Dach zusammenzuführen. Ihm gelingt es, Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeit der verschiedenen Schule so miteinander zu verknüpfen, so aufeinander zu beziehen und gleichzeitig voneinander abzugrenzen, dass man sich im therapeutischen Raum „Körperpsychotherapie“ professionell, kollegial und menschlich zuhause fühlt.

Geuter gelingt es in der Bezugnahme auf den Körper, Psychotherapie in ihrer besonderen Bedeutung zu würdigen. Hierdurch lädt er einerseits ein, sich verstärkt gerade mit dieser Perspektive zu befassen, andererseits wirkt er dem doch oftmals eklektizistisch anmutenden Nießbrauch (Missbrauch?) anderer Psychotherapieverfahren entgegen, die sich jeweils situativ das „Passende“ aus dem Bereich Körperpsychotherapie herauspicken, um es bezogen auf ihre eigene Theorie und Praxis zu nutzen und anzupassen. Leider oftmals ohne Bezugnahme auf den Kontext und die Quellen.

Geuters Buch ist schließlich ein deutliches und überzeugendes Plädoyer dafür, Körperpsychotherapie als eigenständiges Verfahren anzuerkennen. Dies ist einerseits berufspolitisch von Bedeutung, andererseits kann das Buch auch als Abschluss einer jahrzehntelangen Entwicklung im Bereich Körperpsychotherapie verstanden werden. In den vergangenen 70–100 Jahren entwickelten sich die verschiedensten körperpsychotherapeutischen Schulen, indem sie jeweils einen spezifischen Ausschnitt, ein Grundmodell, eine theoretische Perspektive praxeologisch, konzeptionell und wie auch immer theoretisch zu erfassen suchten. Diese Schulen firmierten jeweils unter sehr persönlichen Bezeichnungen, die oftmals für Außenstehende unverständlich oder auch irritierend waren. Zwar hatten alle „mit dem Körper zu tun“, und doch basierten Selbstverständnis, Identifizierung, Praxis und Verortung im psychotherapeutischen Feld eher auf der Betonung jeweils einer oder einiger Perspektiven.

Die Identität der jeweiligen Schule war eng verknüpft mit der Gründerpersönlichkeit. Diese Entwicklung ermöglichte die Erforschung besagter individueller Perspektiven, schuf gleichfalls einen Reichtum an professioneller Vielfalt. Vielfach förderte dieser Freiraum kreative Konzepte, Modelle und Zugangsweisen zur Arbeit mit dem Körper und den Menschen. Dies konnte jedoch oftmals nicht darüber hinwegtäuschen, dass jeder in seiner Nische blieb. Seit einiger Zeit wuchsen dann aber das Interesse und das Bemühen, sich untereinander zu verständigen und eine gemeinsame Basis zu finden, was schließlich in die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Körperpsychotherapie (DGK) mündete. Geuters Buch bildet nun einen ersten Abschluss dieser Entwicklung insoweit, als man sich selbst in der Vielfalt und Einheit im psychotherapeutischen Feld als Körperpsychotherapie nach außen vertreten kann, um als solche auch wahrgenommen zu werden. In der Psychoanalyse verlief diese Entwicklung, so könnte man sagen, in umgekehrter Richtung. Anfangs gab es die von Sigmund Freud entwickelte Psychoanalyse, die sich dann allmählich ausdifferenzierte, neue Perspektiven erkundete oder entwickelte, die dann wiederum durch die Schulengründer wie Jung, Adler, Kohut, Kernberg, Stern usw. bereichert zur Ausdifferenzierung der Psychoanalyse führten.

Geuter erhebt in seinem Buch nicht den Anspruch, die Theorie der Körperpsychotherapie zu entwickeln. Es geht ihm um einen Grundriss und den Grundriss einer Theorie für die klinische Praxis. Geuter bezieht sich dabei auf den aktuellen, ihm verfügbaren Stand von Wissenschaft und Praxis, wohl wissend, dass sich Theorien, Begrifflichkeiten und Konzepte ändern können. Ebenso unterstreicht er in seinem Buch die Notwendigkeit, Körperpsychotherapie auch als klinische Praxis zu sehen, wodurch gerade eine erhöhte Akzeptanz im psychotherapeutischen Feld zu erwarten ist. Gerade hierdurch outet sich Körperpsychotherapie als respektabler, unverzichtbarer Bestandteil im psychotherapeutischen Feld insgesamt.

„Körpererleben“ ist ein zentraler Zugang zum Selbst-Erleben und zur Förderung der Selbstregulation. Geuter stellt Körperpsychotherapie als ein erlebniszentriertes Therapieverfahren vor, das das erlebende Subjekt in seinem individuellen Lebensprozess in den Mittelpunkt der Therapie stellt. Körpererleben, Körperausdruck, Körperkommunikation ermöglichen einen zentralen Zugang zum Selbsterleben und prägen dieses selbst. Hierüber und in der kommunikativen Mit-Bewegung, dem körperbezogenen und erlebniszentrierten Miteinander gestaltet sich Leben und natürlich auch Psychotherapie.

Geuters Buch definiert Körperpsychotherapie (Kap. 2), führt differenziert ein in die Geschichte und die Wurzeln von Körperpsychotherapie (Kap. 3). Es benennt die Grundideen der körperpychotherapeutischen Schulen, die er als Erbe einer allgemeinen Theorie ansieht (Kap. 4). In den weiteren Kapiteln (Kap. 5–10) erläutert er die paradigmatischen Grundlagen von Körperpsychotherapie und entwirft seine Theorie des erlebenden Subjekts, des Erlebens als des zentralen Bezugspunkts von Körperpsychotherapie. In diesem Zusammenhang hinterfragt er das vielfach, vor allem von den Reichianischen Verfahren vertretene Energiemodell und grenzt Körperpsychotherapie klar ab von den Neurowissenschaften: „Es gibt keine Grundlegung der [Körperpsychotherapie] in den Neurowissenschaften“, so Geuter.

Weiter wendet er sich differenziert, sensibel, aber auch wissenschaftlich gut begründet den Aspekten Wahrnehmung, Sinneskanäle des Körpererlebens, der Bedeutung des Spürens über die Innensinne, der Bewertung von körperlicher Haltung und Befindlichkeit sowie dem emotional-prozeduralen Gedächtnis, „das sich über das Körpererleben in der Therapie wachrufen lässt“, zu. Geuter versteht Emotionen als körperbasierte Bewertung und führt im Einzelnen die Wechselwirkung von Emotion, Körper, Selbstwahrnehmung, Bewertung und Auswirkung auf die Beziehung aus.

In den Kapiteln 11 und 12 formuliert Geuter Grundlinien einer entwicklungspsychologischen Theorie früher Prägungen, die u. a. in Form von affektmotorischen Schemata, geronnener Erfahrungen, aktuelle Haltungsmuster strukturieren und leben lässt.

Er betrachtet schließlich den Menschen in seiner Bezogenheit auf das Miteinander. Dieses „zwischen-leibliche Miteinander“ ist ein wesentlicher Bestandteil menschlicher Lebensaktualität und -gestaltung sowie unverzichtbar für die therapeutische Dyade, den Dialog und die körperpsychotherapeutische Arbeit in der Gruppe. Geuter ist der Auffassung, dass sich in der Körperpsychotherapie eine besondere Form des Verstehens ergibt, „die darauf beruht, dass aus dem Erleben unmittelbar Sinn entsteht“ (Kap. 16). Selbstregulation ist somit, so Geuter, „als die Fähigkeit alleine oder mithilfe anderer, eine dysfunktionale oder dysregulierte Emotionalität wieder regulieren zu können“, ein übergeordnetes Ziel therapeutischer Behandlungen.

„Die Kunst der Psychotherapie besteht darin, dass ein Therapeut auf der Basis seines Wissens, des wissenschaftlichen Wissens, wie auch eines Wissens über die sozialen und kulturellen Lebenszusammenhänge der Patienten, das für den jeweiligen Patienten mit seinen Problemen in der jeweiligen Situation Hilfreiche zu tun vermag.“ (S. 12)

Geuters Buch wird diesem Anspruch voll und ganz, und wie Jürgen Kriz betont, in hervorragender Art und Weise gerecht.

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