Interview

Theodor Itten

Psychotherapiewissenschaft: Hamburger Gesprächsrunde zum Thema „Psychotherapie auf dem Weg zu einer eigenständigen Wissenschaft?“

Gesprächsrunde vom Samstag, dem 21. März, in Hamburg mit unseren zwei Wissenschaftlichen Beiräten Prof. Heinrich Berbalk und PD. Dr. med. Ingo Schäfer, Universität Hamburg, sowie Dipl.-Psych. Evelin Gottwalz-Itten und Dr. phil. Karin Wallenczus

Moderation: Theodor Itten, Mitglied der Wissenschaftsredaktion PTW

Zusammenfassung: Ziel des Gespräches war es, herauszufinden, was Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, welche sich nicht spezifisch und vertieft mit dem Thema „Psychotherapie auf dem Weg zu einer eigenständigen Wissenschaft“ beschäftigen, dazu denken. Alle vier Interview-Partner/innen sind in Lehre, Forschung und Praxis tätig. Wir von der PTW-Redaktion möchten diese Debatte unter unseren ASP/Charta-Mitgliedern und einem weiteren Kreis von LeserInnen fördern. Wir gehen den Fragen nach: Wie steht es um die Psychotherapie als eigenständige Wissenschaft? Kann diese, die Praxis einer Heilkunst durch die Beforschung derselben, mit den gefundenen Resultaten in eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin münden? Ja, das ist sie schon. Seit zehn Jahren gibt es an verschiedenen Universitäten ein Direktstudium in PTW. Was sind die verschiedenen Facetten, was sind die Vor- und eventuell Nachteile eines solchen Ausbildungsweges? Wir reden über die verschiedenen Facetten der Vor- und eventuell Nachteile eines solchen gewünschten, sowie notwendigen modernen Ausbildungsweges für unseren Beruf.

Psychotherapy Science: Hamburg round of discussions on the theme “psychotherapy on the way to becoming an independent science?”

Round of talks on Saturday, 21 March, in Hamburg with our two scientific advisory board members Prof. Heinrich Berbalk and PD. Dr. med. Ingo Schäfer, University of Hamburg, and Dipl.-Psych. Evelin Gottwalz-Itten and Dr. phil. Karin Wallenczus

Moderator: Theodor Itten, member of the Scientific Editorial Board of the PTW

Summary: The aim of this discussion was to establish psychotherapists’ views with regard to the theme “Psychotherapy on the way to becoming an autonomous science”, with a group who are not specifically immersed with this theme. All four interview partners are working in the field of lecturing, research and practice. We, as members of the PTW Editorial Committee, wished to bring this debate to the attention of our ASP/Charta members and to stimulate a wider group of readers. We explored the question: What is the position of psychotherapy as an autonomous science? Can by researching the practice of a healing art, lead to an autonomous scientific discipline? Yes, it is that already. Over the past 10 years various universities offer direct study courses in PTW (Psychotherapy Science). What are the various facets, what are the advantages and potential disadvantages of such vocational training? We are talking about the various facets of the advantages and possible disadvantages of a desired, as well as essential modern educational route for our profession.

Science psychothérapeutique : Table ronde tenue à Hambourg sur le thème : la psychothérapie en passe de devenir une science distincte ?

Table ronde du samedi 21 mars, organisée à Hambourg, avec nos deux conseillers scientifiques, le Prof. Heinrich Berbalk et PD. Dr méd. Ingo Schäfer, de l'Université d'Hambourg ; ainsi qu'en présence de la psychologue diplômée Evelin Gottwalz-Itten et de la docteure en philosophie Karin Wallenczus.

Modération : Theodor Itten, membre de la rédaction scientifique de PTW

Résumé: L'objectif de ce débat est de voir ce qu'en pensent les psychothérapeutes qui ne se consacrent ni spécifiquement ni de façon approfondie au thème : «la psychothérapie en passe de devenir une science distincte». Les quatre participants sont enseignants, chercheurs ou praticiens. Au sein de la rédaction de PTW, nous souhaitons promouvoir cette réflexion parmi les membres de l'ASP/la Charte, ainsi qu'auprès d'une cercle plus large de lecteurs. Nous abordons les questions suivantes : Où en est la psychothérapie en tant que science distincte ? Peut-elle, en tant que branche de la médecine nourrie par la recherche, aboutir à une discipline scientifique à part entière sur la base des résultats constatés ? Oui, elle en forme déjà une. Il existe divers cursus directs proposés par les universités depuis dix ans en science psychothérapeutique. Quelles sont les différentes facettes, les avantages et les éventuels inconvénients d'une telle formation ? C'est ce que nous abordons au sujet des filières de formation modernes, aussi bien souhaitées qu'indispensables.

La scienza della psicoterapia: tavola rotonda amburghese sul tema "la psicoterapia verso lo stato di scienza autonoma?"

Tavola rotonda di sabato, 21 marzo, ad Amburgo con i nostri due consulenti scientifici il Prof. Heinrich Berbalk e il Prof. Ingo Schäfer, dell'Università di Amburgo; e con la Dott.ssa (in psicoterapia) Evelin Gottwalz-Itten e la Dott.ssa (in filosofia) Karin Wallenczus

Moderatore: Theodor Itten, membro della redazione scientifica di PTW

Riassunto: Obiettivo di questa discussione era scoprire cosa le psicoterapeute e gli psicoterapeuti che non si occupano approfonditamente né specificamente del tema "la psicoterapia verso lo stato di scienza autonoma" pensano dell'argomento. Tutti i colleghi intervistati si occupano di insegnamento, ricerca e pratica della professione. Noi della redazione di PTW vogliamo favorire questo dibattito tra i nostri membri dell'ASP e di Charta, nonché in un più ampio circolo di lettrici e lettori. Affrontiamo la questione: a che punto è il percorso della psicoterapia verso lo stato di scienza autonoma? Può la pratica di un'arte medica, attraverso la ricerca su se stessa, sfociare insieme ai risultati trovati in una disciplina scientifica autonoma? Sì, ciò è già avvenuto. Da dieci anni nelle aule di diverse università esistono corsi di studi in Psicoterapia. Quali sono le diverse sfaccettature, i vantaggi e gli eventuali svantaggi di un tale percorso formativo? Discutiamo delle diverse sfaccettature dei vantaggi e degli eventuali svantaggi di un percorso formativo di questo tipo, auspicato quanto necessario per la nostra professione.

PTW: Die Psychotherapie ist eine Heilkunst. Gleichzeitig entwickelt sie sich seit Jahren zu einer eigenständigen angewandten Human- und Sozialwissenschaft. Im Haus der Psychotherapiewissenschaft haben sich verschiedene andere Wissensgebiete ein Zimmer gemietet. Die Psychologie wohnte früher im Haus der Philosophie. Vor hundertfünfzig Jahren, hat sie sich mit dem Bau eines eigenen Domizils selbstständig gemacht. Unsere Psychotherapie kam aus dem Haus der Medizin, mietete Zimmer in den Wohnungen der Theologie, Philosophie, Anthropologie und im Haus der Psychologie. Seit gut 20 Jahren ist sie am Bauen eines selbständigen Wissenschaftshauses, in dem sie ihre Heilkunst ausüben, kritisch reflektieren und lehren kann. Im Forschungsgutachten für das deutsche Bundesministerium für Gesundheit für die Ausbildung von Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten vom April 2009 wird auf Seite 394 gesagt, dass als Perspektive für die Weiterentwicklung der Psychotherapieausbildung zu einem integrierten Ausbildungsplan mit Direktausbildung diverse Modellausbildungsgänge implementiert werden könnten. In der Schweiz haben wir im ASP 2010 einen Bericht geschrieben über den damaligen Stand der Psychotherapiewissenschaft in Europa(Itten et al., 2010). Was wären die notwendigen Voraussetzungen in der Schweiz dafür, an einer Fachhochschule und/oder Universität einen solchen PTW-Lehrgang zu gestalten? Meine erste Frage an euch ist: Was denkt ihr zur Psychotherapie als eigenständige Wissenschaft?

Wallenczus: Ich finde aus der Perspektive der Wissenschaft wäre es gut, wenn die Universität einen Rahmen setzt. In diesem werden die Studierenden mit einem Wissensset, z. B. Methoden, ausgestattet. Da sich jedoch die Praxis der Psychotherapie von dem unterscheidet, was die Universität lehrt, kann sie diesen Beruf nicht wirklich alleine lehren. Grundsätzlich ist Psychotherapie eine Kunst des Zuhörens. Das braucht seinen eigenen Raum, ein eigenes Feld. Meines Erachtens ist das zunächst kein Problem, sondern lediglich die Differenz zwischen den unterschiedlichen Formen. Aber es passieren in der Regel immer scholastische Fehler zwischen den unterschiedlichen Gebieten. Die theoretische Lehre des Wissens wird mit der Praxis der Therapie verwechselt. Die Kunst des Zuhörens muss man einüben. Mein Hauptproblem für die universitäre Ausbildung ist: Wo sollen die Studierenden die Praxis der Psychotherapie erlernen?

Gottwalz Itten: Wenn ich mir das alte Diplomstudium anschaue, war es doch so, dass es ein breites Spektrum der Berufsqualifizierung anbot, und die Psychotherapie war ein Teil darin. Meine These ist, in Anlehnung an Herrn Sulz, den ich sehr schätze, dass Psychotherapie weder eine eigene Wissenschaft noch eine angewandte Wissenschaft ist, sondern eine Profession. Die Psychotherapie ist wissenschaftsbasiert, aber meines Erachtens keine Wissenschaft. Dieses Thema spiegelt sich exakt in Karins Hinweis auf das Verhältnis zwischen der theoretischen Lehre und der therapeutischen Praxis: Was ist eigentlich mit dieser Praxis, die in einem ganz intimen Raum entsteht und etwas Interaktionelles ist? Da braucht es mehr als einen Theorie-Praxis-Transfer. Psychotherapie ist, wie der Buchtitel von Serge Sulz (2014) aussagt, mehr als Wissenschaft. Das zu erfassen, ist, ich sag mal, unsere Aufgabe. Ähnlich wie Karin, weiss ich auch nicht, wie so eine Ausbildung an der Uni eigentlich gehen soll, weil genau der Praxisbezug oder das, was wir Profession nennen, dort nicht gelernt werden kann. In Bezug auf die Strukturqualität stimmen die Rahmenbedingungen nicht.

Berbalk: Vor 20 Jahren hätte ich gedacht, dass Psychotherapiewissenschaft als eigenes Fach neben Philosophie, Theologie, Pädagogik. Medizin und Psychologie keine Berechtigung habe. Die Integration in das pädagogische Teilgebiet der Heilpädagogik, die Zugehörigkeit zur Nervenheilkunde als Teilgebiet der Medizin und die Zugehörigkeit zur Psychologie in einem der drei Anwendungsfächer Pädagogische, Arbeits- und Organisations- sowie Klinische Psychologie schien mir hinreichend und angemessen. So hatte für mich in der Psychologie das berufsqualifizierende Diplom den Vorteil, mit breiter, umfassender Ausbildung und Erprobung von Berufsfeldern eine individuelle Berufsentscheidung treffen zu können und das Risiko von frühzeitigen Fehlentscheidungen zu verringern. Studierende, die Psychotherapeutinnen werden wollten, sich aber nicht eigneten, konnten immer noch „an der Uni bleiben oder in die Werbung gehen“. Ähnlich in der Medizin: Für Psychotherapie ungeeignete Mediziner können sich z. B. der Forschung, bildgebenden Verfahren biologischer Psychiatrie und pharmakologischer Behandlung zuwenden. Es schien mir immer wichtig, dass anspruchsvolle Ausbildung nicht von Anfang an festlegt ist auf etwas, wofür das Interesse schwinden kann oder die Eignung fehlt. So sollten im Fach Psychologie zumindest die Grundlagen bis zum Vordiplom unabhängig von späterer Berufswahl und gleichzeitig vorbereitend auf ein grosses Spektrum möglicher Berufe vermittelt werden. Für die Entwicklung der Psychotherapie in Deutschland war die breite Grundlagenausbildung im ersten Studienabschnitt und die folgende klinisch-psychologische Ausbildung im Hauptstudium aber erst in Verbindung mit der in der Regel durch private Institute organisierten postgradualen Ausbildung mit Approbation zur Psychotherapie erfolgreich. Die für Psychotherapie berufsqualifizierende Aufbauleistung der privaten Ausbildungsinstitute und ihrer Verbände kann gar nicht hoch genug angerechnet werden. Fairness und Klugheit liessen erwarten, diese Pioniere auch bei der eventuellen universitären Einrichtung eines unabhängigen Faches Psychotherapie zu beteiligen. Ich sehe in einer eigenständigen Psychotherapiewissenschaft fünf Vorteile. 1.Vorurteilsfreie Offenheit gegenüber Nachbardisziplinen, ohne von diesen vereinnahmt zu werden. 2. Verhinderung von Missbrauch des Faches durch Ränkespiele innerhalb der Medizin und Psychologie bei den Besetzungen wichtiger Stellen mit dem Ergebnis sachgerechten statt machtgerechten Ausbaues des Faches. 3. Verhinderung von Überschneidungen und unsinnigen Wiederholungen auf dem Gesamtweg des Studiums zur Psychotherapie. 4. Durch die dynamische Verbindung zwischen Forschung und Anwendung synergetische Effekte für die Entwicklung von geeigneten Forschungs- und Interventionsmethoden. 5. Psychotherapiewissenschaft hätte die Möglichkeit, den Menschen in seinen phylo- und ontogenetischen Bezügen zu betrachten und für Beobachtung und Änderung statt Etikettierung und standardisierter Behandlung den Menschen, die Individuen, die Person in den Mittelpunkt zu rücken. Ein für mich ungelöstes Problem in einem Studium der Psychotherapiewissenschaft ist das Alter und damit verbunden die hinreichende Lebenserfahrung und persönliche Entwicklung der jungen Studierenden.

Schäfer: Ich sehe durchaus die Vorteile, dass Psychotherapie als Wissenschaft ermöglichen würde, im mittlerweile ausdifferenzierten Feld, wichtige Grundlagen zu legen in einem Studium, die hinführen auf eine spätere Tätigkeit. Allerdings gibt es diese von euch teilweise schon erwähnten Spannungsfelder. Das eine, das will ich nochmals hervorheben: Kann man so früh entscheiden, ob ich diesen therapeutischen Beruf ausüben möchte? Was würde passieren, wenn man diesen durchläuft und später feststellt, das ist es nicht. Das ist ein wichtiger Punkt. Ich finde, dass das Verhältnis von Wissenschaft zur Praxis noch einer besonderen Betrachtung bedarf. Ich möchte auch nochmal auf Sulz zurückkommen: „Muss der Psychotherapie-Wissenschaftler von sich sagen können, das er per se auch Psychotherapeut ist?“ Ich möchte das gerne ein bisschen öffnen und eher eine versorgungspolitische Dimension da rein bringen. Es ist und bleibt ein interdisziplinärer Bereich. Es gibt durchaus Beispiele, wo Disziplinen sich neu interdisziplinär zusammenfinden. Zum Beispiel bringt das Fach „Public Health“ viele Fächer zusammen, ohne dass diese ihre Identität oder ihre Bereiche verlören. Die Gesundheitsökonomie bleibt trotzdem im Feld tätig, auch wenn „Public Health“ Aspekte der Gesundheitsökonomie integriert. Das geht vor allen Dingen im wissenschaftlichen Bereich recht gut. Die Idee eines Masterabschlusses, der viel Vorbereitung auf die Praxis beinhaltet, bringt es mit sich, dass dies nicht zwingend schon Praxis ist. Wo beginn eigentlich die praktische Ausbildung. Wie wird ihr Verhältnis zu anderen Disziplinen, wie Medizin, gestaltet?

PTW: Seit zehn Jahren bietet die private Sigmund-Freud-Universität in Wien einen Studiengang PTW an. Ein Bachelor in Psychotherapiewissenschaft vermittelt ein Grundwissen. Die verschiedenen psychotherapeutischen Modalitäten werden vorgestellt. Die Leute werden im Masterstudium langsam in die Ambulanz eingeführt. Was braucht es für Fähigkeiten diesen Beruf zu erlernen? Wie weit bauen wir unseren empirischen Wissensfundus in die zukünftige Forschung ein?

Wallenczus: Spannend für mich ist, dass das jetzt Entwicklungsstand ist. An der Uni ist in den letzten Jahrzehnten die Psychoanalyse rausgeflogen; es wurde immer mehr Verhaltenstherapie, ein bisschen Systemisches gelehrt, aber von der Basisvermittlung, das was Du Modalitäten nennst, war die Vermittlung doch eigentlich eine Schmalspur in Deutschland.

PTW: Die verschiedenen Modalitäten, wie Körper-Psychotherapie, Verhaltenstherapie, systemische und tiefenpsychologische Therapien, humanistische Therapien, stellen sich im Mastergang vor, damit die Studierenden in PTW (wie in der SFU Wien) eine bestimmte Richtung wählen können, um die Fachausbildung machen zu können.

Schäfer: Darf ich dann mal ganz ketzerisch fragen, was dann das Novum wäre im Bachelor und Master? In der Praxis? Das wäre allenfalls eine andere Ausbildungsstruktur, eine bestimmte Form, die dem nochmal gegeben würde, der Wahl, dem Verfahren. Aber ansonsten funktioniert das im Moment ja auch so.

PTW: Mit einem direkten PTW-Studiengang können wir diese Modalitätenvielfalt, die in Österreich und in der Schweiz per Gesetz geregelt ist, aufrechterhalten.

Schäfer: Die Forschung hat ja gezeigt, dass die Unterschiede innerhalb der deutschsprachigen Länder zum Teil gravierend sind.

PTW: Wir wissen aus der Forschung, dass die Methode nur 15 % Wirkfaktor hat, genauso viel wie das Placebo. 30 % Wirkfaktor ist die therapeutische Beziehung und 40 % ist der soziale Kontext der Patientin oder des Patienten.

Berbalk: Der Frage nach dem Novum, die Ingo gestellt hat, könnte ich mich anschließen, ginge es nur um die Neuorganisation des alten Wissens und der Fertigkeiten im Bachelor und Master. Was wäre die besondere Originalität, die man erwarten würde, in einem neuen Studienfach? Die allgemeine Wirksamkeit (bezogen auf Patienten im Allgemeinen) welchen Faktors auch immer, das sind für mich oftmals irrelevante, irreführende und irrationale Abstraktionen. Sie eignen sich lediglich zur Rechtfertigung von Klassifikationen und zugeordneten manualisierten Therapien. Sie eignen sich nicht zur Bewertung von Hilfe für Personen. In der Medizin liegt eine hoffnungsvolle Tendenz in der Individualisierung der Behandlung entsprechend der Einzigartigkeit des Individuums. In der Psychotherapie, wo die Erkenntnis der Einzigartigkeit der Person verloren gegangen scheint, hätte vergleichbare Originalität die Person in ihrer Einzigartigkeit an den Ausgangspunkt aller Aktivitäten in Theorie und Anwendung zu stellen. Die Lebensbewältigung der Person ist im Erfolg wie im Scheitern von den Lebensbedingungen und -anforderungen ebenso abhängig wie von den persönlichen Anteilen in ihrem dynamischen Zusammenspiel. Nicht nur notwendig, sondern auch originell wäre im neuen Studium der Psychotherapiewissenschaft die Rahmenbedingung der beständigen Überprüfung des Dreiklangs von Person, Lebensbedingung (insbesondere die soziale Umgebung) und Bewältigung. Erfolge der frühen Verhaltenstherapie waren oft eng verknüpft mit der Schaffung förderlicher externer Lebensbedingungen und dem Unterbinden und wenn nötig dem Verlassen von destruktiven Lebensbedingungen. Als Voraussetzung für Heilung und Integration von Person, Umgebung und Lebensbewältigung. Die meisten meiner Patienten benötigen am dringendsten eine kreative Therapiestunde mit einer Perspektive zur Lösung ihrer finanziellen Probleme. Dann geht es wieder an die Änderung der Person und ihrer Beziehungen und an das Suchen zum alternativen Umgang mit den „Psychotherapie-Problemen“. Die Bedingungen von Personen beim Treffen guter Entscheidungen für den Alltag und für den Lebensweg unterscheiden sich so grundsätzlich, dass eine Therapeutin ohne Aufnahme und Berücksichtigung der Lebensbedingung einer Person in ihren Erfolgsaussichten in der Therapie begrenzt wäre.

Schäfer: Das ist genau einer der wichtigsten Gründe dieser Kritik, dass man nicht jetzt aus anderen Fächern noch sozusagen Psychotherapie herauslöst und sie hier zusammenführt in einer neu zu gründenden Therapiewissenschaft. Denn eigentlich müsste es ja der Weg sein, in diesen Disziplinen Psychotherapie weiter zu stärken. Das wird die Herausforderung werden, so bestechend und sinnvoll dieses Modell ist. Das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Psychotherapien auch in anderen Disziplinen wie Medizin und Psychologie zu stärken, allein schon aus versorgungspolitischen Gründen. Wir wollen Psychotherapie in der Psychiatrie in der Psychiater-Ausbildung stärken. Wie geht das zusammen mit dieser Idee, eine eigene Identität zu finden, als wissenschaftliche Psychotherapie-Disziplin?

Wallenczus: Mit der Ergänzung, dass PTW mit Fachärzten gleichgestellt werden sollte. Und eigenständig bleiben sollte, damit es nicht im medizinischen Modell verhaftet bleibt. Das wäre verdammt schade.

Schäfer: Für mich ist der Masterblock das Wichtigste, da die praktische Ausbildung nach wie vor verschiedenen Disziplinen offen stehen muss. Die Bachelor-Idee, ich weiss nicht, ob das hier so zu deuten ist, das man so eine Art Vordiplom machen kann (Bachelor in Psychologie) und dann in diesen PTW-Master umsteigt. Was macht der, wenn er merkt, das ist nichts für ihn?

PTW: Dann hat er oder sie einen Bachelor, der ein Teil der Humanwissenschaften, der Sozialwissenschaften ist. Sie oder er kann alternativ in einen Pflegeberuf gehen, Gesundheitspsychologie, Sozialarbeit oder Coaching machen.

Berbalk: Psychotherapiewissenschaft könnte in meiner Phantasie Personen, die nicht praktizieren möchten, aber in die Lage versetzen ihr eigenes und das Leben anderer besser zu verstehen. In meiner Phantasie wären Perspektiven und Studienklima in den Psychotherapiewissenschaften auch an den Bedürfnissen der Studierenden orientiert. Ich erwarte als Ergebnis Einfallsreichtum und Zutrauen auch für Lebenswege außerhalb der praktischen Psychotherapie.

Schäfer: Das ist ein Risiko, bei dieser weiteren Spezialisierung, für die Leute, die das machen. Deshalb finde ich es hier gut, den Bachelor zumindest offen zu lassen. Ich hab mir das angeschaut, es gibt ja in Deutschland Studiengänge, wo den Bachelorstudenten vermittelt wird, sie könnten mit diesem Bachelor vielleicht schon in Kliniken arbeiten, so als psychotherapeutischer Spezialassistent. Entspricht das der Realität? Spannende und wichtige Punkte, die man sich anschauen muss.

Wallenczus: Ich finde, man sollte das nicht gegeneinander in den Berufsgruppen ausspielen. Es ist bereichernd, wenn mehrere Berufsgruppen Zugang zur Psychotherapie haben. Am Ende des Tages ist Psychotherapie nur ein Gespräch zwischen zwei Personen über eine längere Sequenz.

Berbalk: Evelin, Du hast gesagt, das Ganze steckt nach wie vor unter einem medizinischen Modell. Einem Diagnosemodell oder einem Krankheitsmodell. PTW könnte das verhindern, dass das so bleibt.

Wallenczus: Ich finde, profitieren können wir genauso gut von der Medizin, wie umgekehrt auch. Es geht darum, diese Differenz anzuerkennen und aus dieser Differenz einen Erkenntnisgewinn zu machen. Wir reden jetzt erstmal nicht über Machtgeschichten, wer da in der Vormacht ist.

PTW: Es wär das Ziel, den ganzen Reichtum des Erfahrungswissens, den es seit 100 Jahren so in der Psychotherapieberatung und Psychoanalyse gibt, so zu bündeln, um den jungen Menschen, welche diesen Beruf erlernen, in einer neuen Art und Weise das zu ermöglichen.

Wallenczus: Mir hat nicht nur das Wissen aus dem Studium geholfen, sondern die grundsätzliche Universitätsausbildung hat mich dazu aufgefordert, noch ganz andere Sachen zu lesen. Neugierig zu bleiben, Interesse zu entwickeln, noch woanders als in der Psychologie zu gucken. Es fehlt der ganze soziologische Teil, der so viel zu bieten hat. Theorien, welche Erfahrungen wir aufnehmen, Wahrnehmungsgeschichte. Wenn ich manche jungen Psychotherapeuten sehe und nach Wahrnehmung frage, habe ich den Eindruck, sie müssen erstmal 3 Jahre Phänomenologie absolvieren, um überhaupt ein Phänomen beschreiben zu können. Und da geht es drunter und drüber zwischen Beschreibung, Erklärung, Bedeutung. Ich weiss nicht, ob die Uni mir das beigebracht hat, aber sie hat mir die Gelegenheit gegeben, differenziert eine Beschreibung anstellen zu können, und dafür war das Studium sehr gut.

Gottwalz-Itten: Wenn Universitätsinstitute klinische Ausbildung anbieten, was heisst das? Es braucht eine schulen- und störungsübergreifende Haltung, also ein integratives diskursives Denken und eine Offenheit allen Schulen gegenüber.

Berbalk: Man konnte in den Unis früher frei da durch gehen: der ist interessant, dem gesell ich mich mal zu, bei dem mach ich die Diplomarbeit oder promovier ich. Es gab eine grössere Entfaltungsmöglichkeit, die Passung zu finden.

Schäfer: Diese akademische Atmosphäre müsste bei einem Master nicht unbedingt zwingend anders sein. Ich könnte mir auch vorstellen, im Bereich Klinische Psychologie, wenn man da einen Schwerpunkt setzen möchte, darin auszubauen, also auch Praxisbezug herzustellen. Durch Praxisseminare, Praktika ein Novum aufzustellen, aber das kann die fundierte Weiterbildung nicht ersetzen, kann lediglich ein Stück mehr darauf vorbereiten.

PTW: Man muss sich das vorstellen wie an einer Messe, wo man hineingeht und sich das anschaut. Im Entscheiden für eine Modalität wählt die Auszubildende ihren Selbsterfahrungsweg. Das Interessante ist das Gefährliche, wenn wir das wissenschaftlich verankern wollen. Psychotherapiewissenschaft ist das eine, Heilkunst das andere. Wie seht ihr das?

Berbalk: Dass es da drin steht, ist ein Hinweis darauf, dass die Chancen, die hier gegeben sind, nicht gegeben waren z. B. in einem Psychologie-Studium, wo jemand als Kliniker hervorging. Wenn Ärzte einen mit Psychotherapie assoziierten Facharzt machen, dann müssen sie ja auch eine gewisse Stundenzahl an Selbsterfahrung absolvieren. Oft heisst es dann, da müssen wir durch. Dann werden diese Stunden genauso ehrgeizig angegangen wie andere Punkte im Studium. Sie lernen dann nichts Neues. Da brauchen Ärzte wie Psychologen Hilfe zur Nutzung einer großen Chance.

Schäfer: Es kommt immer sehr auf die Person an, was all diese Punkte betrifft. Es gibt angehende psychologische Therapeuten, die ich nicht weiterempfehlen würde, genauso wie ärztliche Weiterbildungskandidaten. Für die, welche das sehr ernst nehmen, kommen wir zu dem Punkt – da möchte ich dieses Zitat aufgreifen, ich weiss nicht, von wem es kommt: dass man gute Psychotherapeuten nicht ausbilden, sondern nur aussuchen kann –, dass es wenig mit dem Grundstudium zu tun hat, wie man sich eigentlich später in der Weiterbildung entwickelt.

Berbalk: Die Kombination wäre gut. Sie gut ausgesucht zu haben und gut ausgebildet zu haben. Hier besteht die Chance für alle, die daran beteiligt sind, systematischer und gründlicher ausgebildet zu werden.

PTW: Wenn wir in Europa eine gegenseitige, länderübergreifende Titelanerkennung wünschen, müssen wir eine gemeinsame Ausbildungsbasis haben.

Schäfer: Dazu ist es vielleicht wichtig, sich die unterschiedlichen Systeme in den deutschsprachigen Ländern anzuschauen. Nach meiner Kenntnis existiert das Denken in Deutschland so nicht. Die Idee einer universitären Ausbildung, die nicht selbstfinanziert irgendwo stattfinden könnte.

Berbalk: Da gibt es verschiedene Versuche. Ich sehe enorme Schwierigkeiten auf uns zukommen, an den Universtäten und Instituten, die Qualität hochzuhalten, denn diejenigen, die sie einkaufen, um etwas Qualifiziertes zu machen, die bekommen nichts oder sehr wenig. Dann schlägt das auf die Auszubildenden durch. Wir bekommen das Versprochene nicht geboten. Da liegt bei uns das Problem der Finanzierung.

Gottwalz-Itten: Kontinuierliche Reflektionen über den je eigenen psychotherapeutischen Weg sind sehr wichtig, dafür braucht es eine gute supervisorische Begleitung und entsprechende Freiräume, um die therapeutische Kompetenzentwicklung offen thematisieren zu können. Gleichzeitig wäre die Umsetzung der modernen Evaluationsforschung wichtig, die nicht nur Atmosphäre und Meinungen am Ende eines Seminares misst, sondern die Ausbildung als interaktionellen Prozess im Blick hat in Verbindung mit dem erlernten oder verinnerlichten Wissen und Können.

Berbalk: Früher gab es Ausnahmen, in Hamburg war eine Vielfalt da. Die Studenten hatten den Vorteil überall gucken zu können. So etwas wird man in der Psychotherapiewissenschaft finanziell nicht schaffen. Die Hamburger Tradition geht zurück auf ein paar treibende Personen, die das durchgesetzt haben, dass das so eine Bedeutung bekommen hat. Ich glaube nicht, dass wir so ein Psychotherapie-Institut mit so einer Breite hinbekommen werden. Eher eine Psychotherapiewissenschaft mit originellen Neuerungen. Die Qualität der Forschung und Ausbildung wird von der Kooperation der Lehrenden und Forschenden aus verschiedenen Fachrichtungen abhängen. Es wäre schön, wenn sich Personen zusammenfänden, die sich auf etwas Neues einlassen könnten.

PTW: Ein Beispiel aus unserem Heft. Ein Philosoph, der schon Vorträge bei einem PTW-Kongress gehalten hat und sich damit beschäftigt, was es auf der unteren erkenntniswissenschaftlichen Ebene für ein solides Basiswissen in der Psychotherapiewissenschaft braucht. Was vom bekannten Wissensvorrat hält sich? Was muss sich weiter entwickeln?

Gottwalz-Itten: Wie kam es überhaupt zu dem Wort Psychotherapiewissenschaft? Es ist wissenschaftlich basiert, aber wieso muss man das zusammenpacken?

PTW: Die Bewegung kommt daher, dass Psychotherapie als eigenständiger, wissenschaftlicher Beruf deklariert wird und nicht nur eine angewandte Psychologie ist. Viele Psychotherapeuten/innen, in unserer Generation (geboren zwischen 1950 und 1960) haben ein Grundstudium in Psychologie, Soziologie, Medizin, Sozialarbeit, Pflege, Anthropologie, Geschichte o. Ä. und haben nach einer Fachausbildung PT erfolgreich praktiziert. Dies ist momentan nach der gesetzlichen Regulierung nicht mehr möglich. Es ist eine dringende berufspolitische Positionierung. Die Psychotherapie ist nun auf dem Weg zu einem eigenständigen wissenschaftlichen Beruf.

Wallenczus: Ist das nicht schon längst Wirklichkeit? Psychotherapie ist doch schon ein eigenständiger Beruf. Natürlich operieren wir mit Wissenschaft, aber man nimmt sich den Teil so, wie man ihn braucht.

PTW: Trotzdem kannst du in Frankreich, Italien, Deutschland und der Schweiz momentan nur Psychotherapeut und Psychotherapeutin werden, wenn du einen Psychologie-Master hast, in Klinischer Psychologie.

Wallenczus: Wenn man in Deutschland Diplompsychologie studiert hat, dann hat man auch überall Klinische Psychologie studiert, immer.

PTW: Unser Beruf hat eine sehr lange Tradition. Wir haben heute so viel Wissen und Können. Wir haben in der Psychotherapie viel erforscht. Wir wollen eine sichere Abgrenzung zur Medizin und Psychologie, mit einem Psychotherapie-Wissenschafts-Institut.

Berbalk: Dafür könnte ich mich erwärmen, da ich über viele Jahre gesehen habe, was Glaube ist und Wille und was nicht geschafft wird. Man braucht in der Psychotherapie auch die Lehrerin, den Lehrer oder den Lehrmeister, an denen man sich etwas abgucken kann und das auch möchte. Die oder der einem auch was zutraut, wenn man was macht. Ein Punkt, der euch am Herzen liegt. Warum muss das Psychotherapiewissenschaft heissen?

Gottwalz-Itten: Wenn ich Literaturwissenschaften studiert habe, bin ich dann eine Literatin? Wenn ich Psychotherapiewissenschaften studiere, was befähigt mich eine gute Psychotherapeutin zu werden? Am Anfang kann man vielleicht vom Lehrer profitieren, ob das Psychotherapiewissenschaft heisst oder Institut für Psychotherapie.

Schäfer: Der Anspruch müsste mehr darauf hinausführen, auf die praktische Ausbildung eines solchen Studienganges. Es ist eine Chance, die Psychotherapie Forschung zu bündeln und voranzubringen. Dann käme der wissenschaftliche Aspekt mit dazu.

Gottwalz-Itten: Wie Psychotherapie dann erforscht werden könnte, wäre ein spannendes Feld. Ich denke, qualitative Forschung in der Psychotherapie ist wichtig und Fragestellungen so zu entwickeln, dass etwas Neues entdeckt oder entstehen kann. Dann gewinnt der Begriff Psychotherapiewissenschaft für mich wirklich Substanz.

Wallenczus: Es muss ja auch eine Praxisgelegenheit geben, um mit Menschen zu sprechen, die ein psychisches Leiden haben. Personen, die sich von Anfängerinnen behandeln lassen. Unsere Hamburger Uni hätte es nicht hinbekommen, diese Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Schäfer: Ja, das ist eine Chance in einem solchen Studiengang noch mal differenziert und gut zu verankern. Wenn ich Psychotherapie erforschen will, was sind da adäquate Herangehensweisen, was ist die Palette der heutigen Methoden.

Berbalk: Die talentiertesten zukünftigen Therapeuten werden im heutigen Psychologiestudium vielfältig mit für Psychotherapie nicht relevanten Anforderungen entmutigt oder aus dem Studium entfernt. Das würde im PTW-Grundstudium nicht sein. Da gäbe es die Fokussierung auf klinisch relevante Forschungsmethoden, ja es könnte auch auf die Erfindung neuer, besser passender Methoden Wert gelegt werden. Das wäre gut. Es könnte auch eine Aufgabe sein, neue Medien und Formate für die Therapie zu entwickeln, z. B. Kombination von klassischer Begegnung mit Internet-Kontakten. Oder systematische Variation der Therapiedauer oder Anzahl der Patienten. Ich experimentiere mit Therapie von einem Kontakt bis zur lebenslangen Therapie analog der Hausarztbeziehung. Therapie mit sehr alten Menschen ist nach meinem Eindruck Stiefkind der Profession. Alte Menschen sind Quellen der Lebenserfahrung zur individuellen Lebensbewältigung. Oft gilt es für sehr alte Personen Menschenrechte zu verteidigen.

PTW: Wichtig ist, wie können Forschungsresultate, wie du Ingo sie in Hamburg machst, in die psychotherapeutische Praxis eingebaut werden? Das kann in einem PTW-Studium gut auf Masterebene gezeigt und praktisch angeleitet werden.

Gottwalz-Itten: Das setzt voraus, dass es wirklich fortschrittliche Forscher wie Ingo und Volker Tschuschke weiterhin gibt.

Schäfer: Es gibt in Deutschland Programme, wo Psychotherapieforschung gefördert wird. Die aber noch einen zu geringen Anteil hat und das wäre dann doch die Chance, an Standorten, wo diese Studiengänge etabliert sind, sie nicht nur als eine Lehre zu verstehen, die nachher zur Praxis führt, sondern als einen Leuchtturm, wo Psychotherapieforschung vorangetrieben wird. Dorthin könnten möglicherweise Fördergelder fliessen.

PTW: Es ist interessant, dass die Bücher zu PTW, welche wir hier haben, von Männern geschrieben wurden. Unser Beruf hat sich in den letzten 20 Jahren immer mehr zu einem Frauenberuf entwickelt. In Psychologie und Psychotherapie sind 80–90 % der Studierenden, Frauen. Was denkt ihr über die Stimme der Frauen? Was würde es, innerhalbe eines Psychotherapiewissenschafts-Studienganges brauchen, damit der Beruf wieder genderbezogen ausgeglichen sein könnte? Momentan sind es meist ältere Männer – zwischen 60 und 70 Jahren –, die fachliche Interessen daran haben, die PTW zu etablieren.

Wallenczus: Ich kann dazu nur sagen, wenn es einem egal ist, dass man verschwindet, dann muss man auch nicht fragen. Man macht ja nur weiter Forschung, um auf einer bestimmten Ebene Karriere zu machen. Ich hab selber lange geforscht und war eine der Ersten mit befristeten Verträgen. Projekte gingen nicht weiter, weil die Sekretärin doch nicht finanziert wurde. Weiter zu forschen bedeutet eine riesige persönliche Investition, die sich eigentlich nicht auszahlt. Bei mir z. B. nochmal zu habilitieren. Ich hätte dann keine Psychotherapie-Ausbildung machen können, weil es zwei eigene Bereiche sind. Ich finde Forschung, so wie ich sie kennengelernt habe, an der Uni, relativ uninteressant.

Schäfer: Vielleicht würde es ja für die Idee reichen, dass man Forschung als Faszination, als Berufung erleben kann, welchen Spass machen kann. Die beste Forschung wird wahrscheinlich gemacht, wenn man ein Bein in der Praxis hat. Das ist nicht leicht. Das wäre für mich ein Ideal, damit Forschung nicht abgehoben ist. Forschung zu begreifen als Karriere greift für mich hier nicht, entspricht nicht meiner Erfahrung.

PTW: An der Universität in Bern haben wir seit über zehn Jahren einer Forschungsprofessur, Prof. Dr. Wolfgang Tschacher, der die Abteilung für Psychotherapie leitet. Diese unterstützt Forschungsunternehmung, Forschungsdesign und Forschungsideen von Kolleginnen und Kollegen.

Berbalk: Eine gute Idee.

Gottwalz-Itten: Deine Frage war doch auch, ob es ein Frauenberuf ist und warum forschen die Männer mehr? Ich glaube, es sind einfach komplett unterschiedliche Berufspraxen. Das Familienleben lässt sich mit einer psychotherapeutischen Praxis besser vereinbaren, weil diese zeitlich übersichtlicher ist. Der Bereich der Forschung, der sehr komplex und zeitaufwendig ist und ein hohes Mass an Flexibilität und Einsatz braucht, ist schwieriger mit dem Familienleben zu kombinieren.

Wallenczus: Also zu meiner Zeit (80er Jahre), als ich angefangen habe zu studieren, waren es etwa 30 % Frauen. Damals war es noch ein richtiger Männerberuf.

Berbalk: Die Professoren waren alles Männer, es gab keine einzige Professorin. Ich weiss nicht, ob diese Mann-Frau-Geschichte so wesentlich ist. Ich glaube, Männer sind genauso gute Therapeuten wie Frauen. Ich habe einen Gedanken, wo es vielleicht doch wesentlich ist. In den psychotherapeutischen Sektoren z. B. gerade im Kinder- und Jugendbereich. Die sind nicht gut versorgt, wenn da nur Frauen als Therapeutinnen da sind. Da wäre es schön, wenn es eher ausgewogene Verhältnisse wären. Im Augenblick arbeiten die Kliniken so, dass wenigstens beim Pflegepersonal dann noch mal ein Mann auftaucht. Dass die Jungs dann auch eine männliche Person haben und mitbekommen, wie die mit ihnen umgehen.

PTW: Abschliessend eine Schlussrunde mit der Frage: Was ist das Fazit dieser heutigen Runde und welche Chance räumt ihr der Psychotherapiewissenschaft ein? Was für Vor- und Nachteile seht Ihr? Was müssen wir beachten, um damit weiterzukommen?

Berbalk: Ich glaube, dass die Wissenschaften noch sehr orientiert sind an Gesetzmässigkeiten, an Diagnosen, an Techniken, an Richtungen. Ich wäre erleichtert, wenn etwas Neues entstehen könnte, wenn gesagt würde, wir sind im 21 Jahrhundert und alles, was wir bedenken, bedenken wir aus den Blickwinkeln der beteiligten Personen. Aus dem Blickwinkel des Therapeuten, aus dem Blickwinkel der Patienten. Mit welchen Personen und Menschen wird gearbeitet. Die Person ist der Ausgangspunt und das Wichtigste.

Wallenczus: Ich würde mir wünschen, dass die Studierenden nicht nur Psychotherapeuten werden müssen, sondern noch andere Dinge tun können. Ich finde, Psychotherapie wird im Augenblick sehr funktionalisiert. Sie wird zunehmend zum einzigen Ort eines intimen, affektiven, authentischen Austausches. Zu welcher Aufgabe soll die Psychotherapie gesellschaftlich beitragen? Das ist ein wichtiger Aspekt.

Gottwalz-Itten: Wenn aus dem Projekt Psychotherapiewissenschaft etwas Eigenständiges entstehen könnte, wäre es wunderbar. Das heisst für mich, dass die Psychotherapiewissenschaft die Medizin bereichern würde ebenso wie andere Wissenschaftsbereiche. Also wenn diese ganzen Diskurse zusammenlaufen würden, so wie das Individuelle und das Gesellschaftliche zusammengehören, und die verschiedenen Schulen noch mehr voneinander lernen würden. Mein Fazit lautet: Mehr Synergien zwischen klinischer Praxis und Theorien schaffen durch den Ort der Psychotherapiewissenschaft. Weg von einem störungsspezifischen medizinischen Modell.

Schäfer: Ich könnte mir vorstellen, dass es ein guter Schritt wäre, Psychotherapie zu stärken. Sichtbarer zu machen, dass es spezieller Methoden möglicherweise bedarf. Es wäre eine Möglichkeit, begabten Leuten, die sich in diese Richtung entwickeln wollen, frühzeitig schon eine Spezialisierung zu ermöglichen. Bedarf der Abstimmung mit anderen Bereichen. Wichtige Frage: Kann man damit wirklich nur Psychotherapeut werden? Ein Studiengang, der nur auf einen ganz bestimmten Beruf hinführen wurde? Das wäre nochmal zu klären, aber ich denke, es wäre eine gute und wichtige Chance.

PTW: Danke Euch allen für die Teilnahme an diesem Gespräch.

Gesprächsteilnehmende

Heinrich Berbalk, Diplom-Psychologe, Dr. phil., Studium u. a. an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main, Universitätsprofessor für Psychologie an der Universität Hamburg. Akademische Lehre seit 40 Jahren in Kiel, Trier und Hamburg. Eigene Psychotherapeutische Praxis und Leitung des Instituts für Person-geleitete Veränderung in Eckernförde, Schleswig-Holstein. Jüngste Publikationen in „Lehrbuch der Verhaltenstherapie“, Bd. 1, 3. Aufl., hrsg. von J. Margraf und S. Schneider (Schematherapie, mit J. E. Young, 2009) und „Psychotherapie-Wissenschaft“ (Person-geleitete Verhaltenstherapie: ein Ansatz für Klinische und Persönlichkeitspsychologie, 2014).

E-Mail: berbalk@akm-net.de

 

Eveline Gottwalz-Itten, Psychotherapeutin ASP, in freier Praxis in Sankt Gallen. Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und Systemische Therapeutin und Supervisorin. Ambulanzleitung und stellvertretende Institutsleitung des Hamburger Ausbildungszentrums der DGVT. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Vermittlung des „Offenen Dialogs“. Jüngste Publikationen in „Models of Madness“, hrsg. von J. Read und J. Dillon (Family therapy and psychosis: replacing ideology with openness, mit V. Aderhold, 2013) und „Psychotherapie-Wissenschaft“ (Psychosentherapie im Ambulanzalltag, mit H. Hartmann, 2013).

E-Mail: e.gottwalz@dgvt-hamburg.de oder info@gottwalz.ch

 

Theodor Itten, B.A., MBPsS. Geboren 1952 in Langenthal, Schweiz. Studierte von 1972 bis 1981 Psychologie, Sozialwissenschaften und Soziale Anthropologie an der Middlesex University und City University in London. Ausbildung zum Psychoanalytischen Psychotherapeuten in der Philadelphia Assoziation London. 1981 Rückkehr in die Schweiz. 14 Jahre im Stiftungsrat der Schweizerischen Stiftung Pro Mente Sana aktiv. Ehemaliger Präsident der Assoziation Schweizer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Mitglied der Wissenschaftsredaktion der Zeitschrift "Psychotherapie-Wissenschaft" und bis vor kurzem Executive Editor International Journal of Psychotherapy.

Buchveröffentlichungen:

Jähzorn – Psychotherapeutische Antworten auf ein unkontrollierbares Gefühl

(Springer Wien/New York, 2007; 2.Auflage 2015)

The New Politics of Experience & The Bitter Herbs (2014, PCCS-Books)

Korrespondenzadressen:

- Magniberg 10, CH- 9000 St. Gallen

- Am Kaiserkai 12, D-20547 Hamburg

E-Mail: info@ittentheodor.ch

 

Ingo Schäfer, PD Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizin- und Public-Health-Studium in Tübingen, Bordeaux, Lausanne und Hamburg. Leiter des Arbeitsbereiches Ambulanzen in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Klinisch-therapeutischer Schwerpunkt im Bereich Traumatherapie, auch bei Menschen mit Komorbiditäten und schweren psychischen Erkrankungen. Aktuell Vorsitzender der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT). Jüngste Publikationen in „Trauma und Gewalt“ (Wie können wirksame Ansätze zur Diagnostik und Behandlung von Traumafolgen ein Teil der Routineversorgung werden? Projekte zur Dissemination und Implementierung von Interventionen im Rahmen der BMBF-Verbünde zu Missbrauch, Vernachlässigung und Gewalt, mit L. Goldbeck und R. Rosner, 2015) und „Psychotherapeut“ (Ungedeckte psychotherapeutische Bedarfe bei Stimulanzienkonsumenten: Bedeutung komorbider Störungen und traumatischer Erfahrungen, mit A. Lotzin und S. Milin, 2014).

E-Mail: i.schaefer@uke.de

 

Karin Wallenczus, Diplom-Psychologin, Dr. phil., Studium in Würzburg und Hamburg; Psychologische Psychotherapeutin (VT), Systemische Therapeutin, Supervisorin. Tätigkeiten in Forschung, Lehre und Organisationen, inzwischen als Psychotherapeutin niedergelassen. Jüngste Publikationen in „AIB – ambulante intensive Begleitung: Handbuch für innovative Praxis in der Jugendhilfe, hrsg. von T. Möbius und W. Klawe (AIB als systemischer Ansatz, 2003) und „Ressourcen: ein Hand- und Lesebuch zur therapeutischen Arbeit“, hrsg. von H. Schemmel und J. Schaller (Ressourcenorientierte Arbeit in der Jugendhilfe, 2003).

E-Mail: karinwallenczus@aol.com

Literatur

Itten, T., Barwinski, R., Schmidt, V., Schulthess, P., Stutz, E., Weibel, U. & Van Gisteren, L. (2010). Psychotherapie-Wissenschaft (PTW): Bericht über die Entwicklungsmöglichkeiten eines eigenständigen PTW-Studiums und eines integralen Konzeptes für die wissenschaftliche Berufsausbildung. Zürich: ASP.

Sulz, S. K. D. (Hrsg.) (2014). Psychotherapie ist mehr als Wissenschaft. Ist hervorragendes Expertentum durch die Reform gefährdet? München: CIP-Medien.

Strauß, B., Barnow; S., Brähler, E., Fegert, J., Fliegel, S., Freyberger, H. J., Goldbeck, L., Leuzinger-Bohleber, M., & Willutzki, U. (2009). Forschungsgutachten zur Ausbildung von Psychologischen PsychotherapeutInnen und Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen. Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit. Bonn: Bundesministerium für Gesundheit, Verfügbar unter:

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/redaktion/pdf_publikationen/forschungsberichte/Forschungsgutachten-Ausbildung-Psychologische-Psychotherapeuten.pdf