Rezension

Andrea Lamberger

Christian Stadler: Psychodrama. Wege der Psychotherapie

Reinhardt Verlag, München Basel, 2014. ISBN 978-3-497-02436-0. ISBN 978-3-497-60167-7. EUR 24,90

Geboren wurde der Autor und Dipl. Psychologe Christian Stadler im Jahr 1961; derzeit lebt er in Dachau, Deutschland. Das Studium der Psychologie und Philosophie absolvierte er in München; danach folgten langjährige Tätigkeiten in verschiedenen Gebieten der Psychologie, wie psychotherapeutische Praxis, ambulante und teilstationäre Psychiatrie, Begutachtung in Familiengerichtssachen, Mediationen, Beratung und Supervision in Einzel- und Gruppensetting. Weiters ist Christian Stadler Mitherausgeber der „Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie“ sowie Lehrbeauftragter und Supervisor beim „Moreno Institut für Psychodrama, Soziometrie und Gruppenpsychotherapie“ in Stuttgart.

Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf ging, als ich die ersten paar Seiten gelesen hatte, war: „Schade, dass ich dieses Buch nicht schon während der Zeit, als ich an meiner Diplomarbeit schrieb, gelesen habe“. Das Buch ist leicht lesbar und gut verständlich. Gleich zu Beginn findet man eine Tabelle mit den wichtigsten Begriffsdefinitionen zum Psychodrama (S. 11). Bei weiterer Durchsicht fallen sofort die leicht verständlich beschriebenen Abbildungen und praxisbezogenen Beispiele auf. Nicht wenige Textstellen, Zitate und Sprüche regen zum Nachdenken an. Die im Buch verwendeten Fachbegriffe sind nachvollziehbar und die dazu gehörigen Darstellungen aus der psychodramatischen Theoriedarstellung ziehen sich durch das ganze Buch. Die einzelnen Kapitel sind klar strukturiert und werden durch passende Fallbeispiele aus der Praxis des Autors ergänzt.

Das auf die Einführung folgende Kapitel beschreibt kurz die Geschichte Morenos und die Anfänge des Psychodramas und der Soziometrie in Österreich. Mit einbezogen wird hier auch noch der Durchbruch J. L. Morenos in den USA und die aktuellen Entwicklungen des Monodramas, Soziodramas und die Störungsorientierung.

Im Theorieteil findet sich zuerst eine Beschreibung das Menschen- und Weltbildes von J. L. Moreno; ohne dieses zu kennen, kann man Psychodrama kaum verstehen. Anschließend folgen „Das soziale Netzwerk als Diagnostik: Messung, Analyse und Intervention“, „Die Rollentheorie: Grundlage der Entwicklungspsychologie, Sozialpsychologie und Psychotherapie“, nachstehend „Die Kreativitätstheorie“, gefolgt von „Ressourcen und Lösung im Psychodrama“. Positiv erwähnen möchte ich hier ebenfalls noch das Unterkapitel „Psychodramatische Lösungsorientierung“. Hier ist es dem Autor wirklich gelungen, in sehr klaren Worten „Lösungen im psychodramatischen Sinn“ verständlich darzustellen. Für Ergänzung und für Auflockerung sorgen die bereits oben beschriebenen, leicht nachvollziehbaren Grafiken und die praxisbezogenen Beispiele.

Im vierten Kapitel beschreibt Stadler die fünf Instrumente des Psychodramas: die Bühne, der/die Psychodrama-LeiterIn, der/die ProtagonistIn, die Hilfs-Ichs und die Gruppe. Der/Die ProtagonistIn steht beim Psychodrama im Mittelpunkt. Es geht um ihn/sie und seine/ihre Lebensgeschichte. Im Prozess wird er/sie vom/von der Psychodrama-TherapeutenIn begleitet. Er/Sie bringt seine/ihre persönliche innere Welt nach außen, die im Psychodrama dann handelnd sichtbar gemacht wird.

Der Autor führt in die wichtigsten Bereiche des Psychodramas ein und zeigt die Bandbreite vom psychodramatischen Arrangement und dessen Abläufe auf. Um die Klienten beim Ausweiten ihres aktiven Rollenspieles zu unterstützen und die kreativen Prozesse zu fördern, liefert er mit hilfreichen Psychodrama-Techniken genügend Anregungen dazu. Zahlreiche Psychodrama-Werkzeuge, wie beispielsweise das Clap-Theater, das Playback-Theater, Fluid Sculptures, Pairs, der Magic Shop (Zauberladen) und der Basar, liefern hier die Ideen dazu.

Nachfolgend beschreibt der Autor die wichtigsten acht Basistechniken plus zwei spezielle Psychodrama-Techniken, wie zum Beispiel den Szenenaufbau, das Doppeln, das Rollenspiel in der eigenen Rolle, das Spiegeln, Veränderungen im zeitlichen Ablauf, die Maximierung, den Rollenwechsel, das Rollenspiel in der Rolle eines anderen, das Rollenfeedback, den Rollentausch, den Szenenwechsel, das Sharing.

Nach der allgemeinen Theorie von Krüger (2009) ordnet dieser die acht Basistechniken den Grundbedürfnissen des Menschen zu. Sein Kreismodell der Störungsorientierung im Psychodrama (S. 198) versucht, den humanistischen Ansatz der Kreativitätstheorie in Verbindung mit psychodynamischen Konzepten zu bringen.

Beginnend mit der einfachsten Technik, dem Szenenaufbau, wird der innere Konflikt der/des ProtagonistenIn auf die Bühne gebracht. Beim Doppeln versetzt sich der/die DoppelgängerIn in den/die ProtagonistenIn hinein und bringt seine/ihre inneren Gefühle und Empfindungen verbal nach außen. Das Doppeln kann als eine regressionsfördernde Technik gesehen werden, als eine kurze Intervention, bis der/die ProtagonistIn sich wieder in seinem/ihrem Denken, Fühlen und seinen/ihren Handlungsimpulsen klar wahrnimmt. Die Wirkung zeigt sich durch das Fokussieren auf die inneren Prozesse, da diese entschleunigt werden. Beim Rollenspiel in der eigenen Rolle wechselt der/die ProtagonistIn nie in eine andere Rolle, er/sie spielt immer sich selbst. Gefördert werden die Selbstreflexion, das Verständnis für die eigene Beteiligung an Konflikt- und Problemlagen, und auch das Erkennen von Prozessabläufen. Der/Die ProtagonistIn findet so leichter zu neuen Erlebens- und Verhaltensweisen. Beim Spiegeln übernimmt ein/e StellvertreterIn die Rolle der/des ProtagonistenIn in dessen Abwesenheit und agiert genauso, wie er/sie es vorher von ihm/ihr gesehen hat. Er/Sie kann so seine/ihre eigenen Handlungsweisen und Schwierigkeiten erkennen und aus der Außenposition heraus neue Impulse entwickeln. Zu den Veränderungen im zeitlichen Ablauf zählen die Vorwärts- und Rückwärtsbewegung auf der Zeitachse, die aus dem Metier Film bekannte Zeitlupe sowie der Zeitraffer – diese Technik vergleicht der Autor mit der EMDR-Technik (Eye Movement Desentization and Reprocessing), das „Freeze“ erklärt im Psychodramaspiel die Technik des Einfrierens einer Handlung. Um die Dynamik auf der Bühne zu intensivieren, verwendet man die Maximierung im psychodramatischen Vorgehen. Stadler geht nach den oben beschriebenen kleineren Psychodrama-Techniken, die den Fokus auf die eigene Person legen, genau auf die Basis-Techniken ein und beschreibt diese in weiterer Folge, wie zum Beispiel den Rollenwechsel, das Rollenspiel in der Rolle eines anderen und das Rollenfeedback. Auch dieser Abschnitt wird von ihm wieder mit ausreichenden Beispielen und Abbildungen anschaulich und verstehbar dargestellt. Beim Rollenwechsel und dem Rollenspiel in der Rolle eines anderen wird der Fokus besonders auf das „DU“ gelegt, während beim Rollentausch das „WIR“ im Vordergrund steht. Gelingt der Rollenwechsel, erfährt der/die ProtagonistIn, da er/sie für kurze Zeit seine/ihre eigene Rolle verlässt und in die Rolle des anderen schlüpft, mehr über die andere Person, wodurch seine/ihre Objektwahrnehmung gestärkt wird. Der Autor unterscheidet weiter zwischen Rollenfeedback und Identifikationsfeedback. Er weist darauf hin, dass der/die ProtagonistIn vor zu großer Konfrontation durch den/die TherapeutenIn geschützt werden muss, da er/sie sich selbst zuvor auch von seiner/ihrer verletzlichen Seite gezeigt hat. In noch größerem Ausmaß ist beim Identifikationsfeedback darauf zu achten. Hier schlüpfen die ZuseherInnen und MitspielerInnen eines Psychodramaspieles nicht in die Rolle der/des ProtagonistenIn, sondern in die Rolle eines der Hilfs-Ich, und es besteht die Gefahr, den/die ProtagonistenIn zu blamieren, wenn er/sie das Gefühl hat, dass sich die Zuseher besser in die Gefühlslage der anderen einfühlen als in seine. Unter dem Titel „Szenenwechsel“ beschreibt der Autor auch Amplifikation und Sharing. Der Szenenwechsel kann in der Vergangenheit, in der Gegenwart und auch in der Zukunft stattfinden, der/die ProtagonistIn ändert sich jedoch nicht, er/sie bleibt der/die selbe.

Im folgenden Abschnitt schildert Stadler den Ablauf des therapeutischen Prozesses und ergänzt ihn mit sechs einfach verständlich beschriebenen Fallbeispielen aus der Praxis. Er zeigt hier auf, dass diese Verfahren in verschiedenen Bereichen einsetzbar sind und zum Ziel haben, den/die ProtagonistenIn fürs Alltagsleben neu zu orientieren.

Im anschließenden Glossar findet man noch zahlreiche Spezialbegriffe verkürzt und doch ausreichend erklärt.

Der Autor beweist in eindrucksvoller Art und Weise, wie wissenschaftliche Literatur interessant und lesenswert verfasst werden kann. Dieses Buch ist nicht nur für Personen zu empfehlen, die mit dieser Methode arbeiten, sondern auch für in Ausbildung stehende Personen, die sich für den Einsatz von Psychodrama-Techniken interessieren. Die Kombination der zahlreichen Fallbeispiele und der vielen bildlichen Darstellungen macht das Buch „Wege der Psychotherapie“ zu einem Werk, zu dem man dem Verfasser nur gratulieren kann.

E-Mail: andrea.lamberger@chello.at