Konferenzbericht
Margit Koemeda-Lutz
8th European Conference on Psychotherapy Research
24.–26. September, Klagenfurt
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Auf den ersten Blick erscheint Klagenfurt nicht als internationaler Verkehrsknotenpunkt. Und doch, zwischen Alpensüdrand und adriatischem Meer gelegen, erwies es sich als sehr geeigneter Ort für die 8. Europäische Konferenz der Society for Psychotherapy Research (SPR) mit dem Leitthema „Psychotherapeutic diversity: How many approaches do we need?“
Mit etwa 250 TeilnehmerInnen und wissenschaftlichen Beiträgen aus 31, insbesondere auch osteuropäischen, Ländern (Albanien, Bulgarien, Litauen, Polen, Russland, Serbien, Tschechien, Slowakei und Slowenien) sowie TeilnehmerInnen aus Chile, China, Indien, Mexiko und den USA, konnte man eine internationale Konferenz mit globalem Flair erleben. Die Kongresssprache war ausschliesslich Englisch.
Das wissenschaftliche Programm setzte sich aus 101 Beiträgen zu 88 Podien, 62 Kurzvorträgen in 12 thematisch zusammengestellten Workshops, 45 Postern, 4 Vor-Konferenz-Workshops, 8 strukturierten Diskussionen und zwei Plenarveranstaltungen zusammen. Für die ReferentInnen eine echte Herausforderung, ihre zum Teil jahrelange Arbeit in 15–20 Minuten prägnant zusammenzufassen, für die HörerInnen, wenn es gelang, ein Genuss!
Die Themen reichten von Kulturvergleichen über Methodenfragen, experimentelle Designs bis hin zu Einzelfallstudien, klinischen Themen und Untersuchungen von Wirkfaktoren. Damit wurde dieses Spektrum in seiner ganzen Breite dem Leitthema von Diversität und Pluralismus in Psychotherapie und Psychotherapieforschung mehr als gerecht. Unter dieser Überschrift fühlte sich auch das PAP-S-Leitungsteam eingeladen, über Ergebnisse unserer naturalistischen Prozess-Ergebnisstudie zu berichten.
Die Tagung wurde von einem Plenarvortrag von Dr. Mark Hilsenroth vom Derner Institute of Advanced Psychological Studies der Adelphi University, New York, mit dem Titel „Psychotherapy Diversity: Many Paths to the Mountain Top“ eröffnet. Dieser Vortrag informierte sowohl über aktuelle Entwicklungen und Zielsetzungen in der Psychotherapieforschung als auch über verschiedene Routen und die Geschichte der Mount-Everest-Besteigungen. Diese Mischung aus eindrucksvollen visuellen und akustischen Darbietungen sowie kognitiv zu verarbeitenden Informationen, aus Metaphern und Analogien zwischen Bergsteigerkunst und Psychotherapieforschung wurde von vielen als interessant und anregend empfunden. Ein großzügiger Apero Riche rundete den Abend und das Willkommen der TeilnehmerInnen ab.
Interessant – im Rahmen eines Panels zum Thema „Essstörungen“ – war das Ergebnis, dass Diätpläne, wenn Betroffene damit ein selbstfürsorgliches und Selbstliebe vermittelndes Konzept verbinden, besser eingehalten werden, als wenn sie sich die negativen Konsequenzen von übermässiger Kalorienzufuhr vor Augen halten (Eleni Kanellopoulou, Universität Athen).
Spannend waren auch Einblicke in eine über die Anwendung von Fragebögen hinausgehende Untersuchung der therapeutischen Beziehung, z. B. die von F. Ramseyer und W. Tschacher, Universität Bern, vorgetragenen methodisch-technisch beeindruckenden Studien zur nonverbalen Bewegungssynchronisierung von TherapeutInnen und PatientInnen und deren Bezug zum Behandlungsergebnis (aggregierte Einzelfalluntersuchungen).
Überraschend in diesem Zusammenhang auch die von Prof. Franz Caspar vorgetragenen Forschungsresultate zur Einflussnahme von PatientInnen auf das Verhalten ihrer TherapeutInnen. Für psychoanalytisch Geschulte zeigte sich hier eine erstaunliche Parallele zu Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomenen, ohne dass dies explizit erwähnt wurde.
Die Forschungsgruppe von Prof. Günter Schiepek aus Salzburg schliesslich beeindruckte mit einer – leider didaktisch nicht durchgängig geglückten – Darstellung ihrer äusserst aufwendigen und groß angelegten Mehrebenenanalysen von „psychotherapeutic pattern transitions“, Einzelfalluntersuchungen von Veränderungsprozessen, bei denen fMRI-Scans, Biomarker, linguistische Parameter und Prozessfragebögen einbezogen wurden.
Der Bericht des PAP-S-Teams (M. Koemeda-Lutz et al., Specificity and Pace Variability of Therapists’ Intervention under Naturalistic Conditions) über die Untersuchung von verbalem Therapeutenverhalten in Behandlungen nach 8 unterschiedlichen Konzepten, die durchschnittlich etwa zu zwei Dritteln allen Therapieansätzen gemeinsame, jedoch zu einem Drittel methodenspezifische Interventionsarten ergaben sowie eine hohe Variabilität der zeitlichen Abstände zwischen einzelnen Interventionen in Abhängigkeit von Interventionstypen, fügte sich sehr gut in das Gesamt der Beiträge zum Leitthema ein und stieß in einem vollen Hörsaal auf lebendiges Interesse.
Wer Forschung nicht ausblendet und sich in zwei Tagen zwischen 32 und 48 Kurzvorträge anhören, dabei einen Einblick in Brennpunkte der aktuellen Psychotherapieforschung erhalten und ForscherInnen unterschiedlichen Alters zuschauen oder selbst daran teilnehmen mag, dem seien zukünftige SPR-Konferenzen wärmstens empfohlen. Die nächste internationale Konferenz soll von 22. bis 25. Juni 2016 in Jerusalem stattfinden.
Die Tagung schloss mit einem Podiumsgespräch der ehemaligen, aktuellen und zukünftigen europäischen SPR-PräsidentInnen (F. Caspar, E. Bänninger-Huber, W. Tschacher, H. Schauenburg, S. Poulsen), einer anschliessenden Schiffsfahrt auf dem Wörthersee und einem gemeinsamen Abendessen mit Tanz in der Villa Lido am Ufer des Sees.
Autorin
Dipl. Psych. Dr. Margit Koemeda-Lutz, eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin ASP in eigener Praxis, Fakultätsmitglied SGBAT und IIBA, Mitglied der PAP-S-Forschungsgruppe, der Charta-Wissenschaftskommission und im Redaktionsteam von „Psychotherapie-Wissenschaft“ sowie „Bioenergetic Analysis“.
Korrespondenz
E-Mail: koemeda@bluewin.ch