Originalarbeit (Themenheft)

Hans-Rudolf Schärer

Sozialisation und Emanzipation in der Schule und in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung

Zusammenfassung: Derzeit sind in der deutschsprachigen Schweiz mit dem „HarmoS-Konkordat“ und dem „Lehrplan 21“ zwei Megaprojekte im Gang, welche den Zweck haben, die Normativität des schulischen Unterrichts auszubauen. Wie verhält sich eine Lehrerinnen- und Lehrerbildungsinstitution wie die PH Luzern diesem Trend gegenüber?

Einerseits haben die Ausbildungsverantwortlichen der PH Luzern selber einen Referenzrahmen mit acht Handlungsfeldern und zehn Professionskompetenzen entwickelt, der tatsächlich normative Wirkung entfalten und die Umsetzung der beiden Reformprojekte unterstützen soll. Der Referenzrahmen bietet Orientierung, ermöglicht Transparenz und dadurch Koordination, er erzeugt Professionsbewusstheit und bewirkt Verbindlichkeit. Aber er ist als Rahmen konzipiert, d. h., er definiert nicht im Einzelnen die Aktivitäten, für die er den Rahmen bildet.

Andererseits setzt die PH Luzern in ihrer Strategie bewusst Akzente, die im Zeichen einer „Erziehung zur Mündigkeit“ (Adorno) nicht die Adaption an gesellschaftliche Erwartungen im Blick hat, sondern die Emanzipation von gesellschaftlichen Zwängen und deren historische Infragestellung. Institutionell hat diese Strategie in den folgenden Organisationsgefässen ihren Ausdruck gefunden: Zentrum für Menschenrechtsbildung, Institut für Schule und Heterogenität, Zentrum für Geschichtsdidaktik und Erinnerungskulturen.

Der Wirkungshorizont einer Lehrperson über vierzig Jahre ihres Berufslebens hinweg auf annähernd tausend Schülerinnen und Schüler, die ihr in dieser Zeit anvertraut sind, lässt es unerlässlich erscheinen, dass sie gesellschaftliche Prozesse ethisch reflektiert und dass sie imstande ist dazu beizutragen, gegen menschenunfreundliche Entwicklungen Widerstand zu leisten.

Schlüsselwörter: Anpassung, Widerstand, Normativität, Emanzipation, Menschenrechtsbildung, Schule, Heterogenität, Geschichtsdidaktik, Erinnerungskulturen.

Socialization and Emancipation in Schools and with Teacher Training

Summary: Currently, in the German speaking part of Switzerland, with the “Harmos Concordat” and with the “Syllabus 21”, there are two mega-projects underway which have as their aim developing normative school tuition. How do a teacher and a teaching institution such as the PH in Lucerne respond in terms of this trend?

On the one hand, those responsible for the PH Lucerne education have their own frame of reference with 8 operational fields and have developed ten professional competencies that essentially unfold the de facto normative effect and support the implementation of both reform projects. This frame of reference offers orientation, allows transparency and thereby coordination, it generates professional awareness and brings about commitment. But it is also conceived as a framework, i.e. does not define the activities in individual cases for which it provides the framework. It is for all intents and purposes, a grid which allows the tendrils of good tuition to grow.

On the other hand the PH Lucerne consciously places emphasis with their strategy under the banner of an “Education for maturity” (Adorno) not with a view to adapting to societal expectations, but rather emancipation from societal coercion, i.e. their historical questioning. Institutionally this strategy has found expression in the following organizational receptacles:

1. Center for Human Rights Education

2. Institute for Schools and Heterogeneity

3. Center for Historical Didactic and Culture of Remembrance

The effectivity horizon of a teacher with over forty years in his profession and, with approximately thousand scholars that have over this time been entrusted to him, it appears essential that the societal processes are ethically reflected upon and that they are capable of contributing to providing resistance to inhumane developments.

Key words: Adaptation and resistance, normativity and emancipation, human rights education, schools and heterogeneity, history didactics and a culture of remembrance

Socializzazione ed emancipazione a scuola e nella formazione di insegnanti

Riassunto: Attualmente nella Svizzera tedesca vengono attuati due megaprogetti, il «concordato» Harmos e «Lehrplan 21», che hanno lo scopo di ampliare la normatività dell'insegnamento scolastico. Come si comporta un istituto di formazione degli insegnanti come la PH Luzern (Alta Scuola Pedagogica di Lucerna) di fronte a questa tendenza?

Da un lato i responsabili della formazione della PH Luzern hanno sviluppato autonomamente un quadro di riferimento con otto campi d'azione e dieci competenze professionali che dovrà avere un reale effetto normativo e sostenere l'attuazione dei due progetti di riforma. Il quadro di riferimento offre orientamento, trasparenza e attraverso essa consente la coordinazione, genera coscienza professionale ed ha un carattere vincolante. È tuttavia concepito come un quadro di riferimento, ciò significa che non definisce i dettagli delle attività per le quali costituisce i limiti. È per così dire il reticolo che rappresenta il presupposto per la crescita del viticcio del buon insegnamento.

Dall'altro, nella sua strategia la PH Luzern pone coscientemente un'enfasi che, all'insegna di una "Erziehung zur Mündigkeit" ("Educazione alla maggiore età"; Adorno), non volge lo sguardo verso l'adattamento alle aspettative della società, bensì verso l'emancipazione da costrizioni sociali e la loro messa in discussione storica. A livello istituzionale questa strategia ha trovato la sua espressione nelle seguenti strutture organizzative:

1. Centro per l'insegnamento dei diritti umani

2. Istituto per scuola ed eterogeneità

3. Centro per la didattica della storia e culture della memoria

L'orizzonte di efficacia di un insegnante, durante i quarant'anni di esercizio della professione in cui gli vengono affidati circa un migliaio di studenti, presuppone che egli rifletta in modo etico i processi sociali e che sia in grado di contribuire a esercitare resistenza verso sviluppi che vanno contro il benessere dell'uomo.

Parole chiave: adattamento e resistenza, normatività ed emancipazione, insegnamento dei diritti umani, scuola ed eterogeneità, didattica della storia e culture della memoria

Im Herbst 1966 hat Theodor W. Adorno mit Hellmut Becker, dem damaligen Direktor des Instituts für Bildungsforschung der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin, ein Radiogespräch zum Thema „Bildung – wozu?“ geführt. Darin findet sich die folgende Passage:

„Erziehung wäre ohnmächtig und ideologisch, wenn sie das Anpassungsziel ignorierte und die Menschen nicht darauf vorbereitete, in der Welt sich zurechtzufinden. Sie ist aber genauso fragwürdig, wenn sie dabei stehen bleibt und nichts anderes als ‚well-adjusted people‘ produziert, wodurch sich der bestehende Zustand, und zwar gerade in seinem Schlechten, erst recht durchsetzt. (…) Natürlich ist die Fähigkeit zum Verhalten in der Welt nicht ohne Anpassung an sie denkbar. Gleichzeitig kommt es jedoch darauf an, das Individuum so auszustatten, dass es seine personalen Qualitäten behält. Anpassung darf nicht zum Verlust der Individualität in einem gleichmachenden Konformismus führen. Diese Aufgabe ist deshalb so kompliziert, weil wir von einem Bildungssystem loskommen müssen, das nur auf das Individuum bezogen war. Andererseits aber dürfen wir keine Erziehung zulassen, die nun ihrerseits glaubt, das Individuum ausschalten zu können. Und diese Aufgabe: gleichzeitig individualistische und gesellschaftliche Prinzipien, gleichzeitig (…) Anpassung und Widerstand in der Erziehung zu vereinen, ist es, die dem Pädagogen (…) so besondere Schwierigkeiten macht.“ (Adorno, 1970, S. 109)

Gleichzeitig gesellschaftlichen und individualistischen Prinzipien folgen, gleichzeitig die Fähigkeit und Bereitschaft zur Anpassung und – falls nötig – zum Widerstand zu vereinen –, das ist nicht nur konstitutiv für die widersprüchliche Arbeit von Pädagoginnen und Pädagogen, sondern auch für die Aufgabe einer Lehrerinnen- und Lehrerbildungsinstitution. Wie versucht diesen Spagat die Pädagogische Hochschule Luzern zu bewältigen?

Es ist offensichtlich, dass gesellschaftliche Bildungsprozesse derzeit eine neue Normativität entfalten. Zu erwähnen ist einerseits die Umsetzung des HarmoS-Konkordats vom 14. Juni 2007, das die folgenden sieben verpflichtenden, gesamtschweizerischen Koordinationsbereiche umfasst (s. dazu die Website der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz www.edk.ch):

Anderseits ist das Projekt „Lehrplan 21“ zu nennen (www.lehrplan.ch). Es bezweckt bekanntlich die Ersetzung von kantonalen und regionalen Lehrplänen für die Volksschule durch einen sprachregionalen, deutschschweizerischen Lehrplan, der den Akzent auf den sogenannten „kompetenzorientierten Unterricht“ legt. Der Lehrplan umfasst in der neuen, überarbeiteten Fassung auf 470 Seiten 363 Kompetenzen, die während der obligatorischen Schulzeit erreicht werden sollen.

Es ist hier nicht der Ort, die Diskussion über diese zwei politisch umstrittenen Projekte zu vertiefen. Unmittelbar einleuchtend ist aber, dass in verschiedenen Bereichen eine stärkere Harmonisierung dem schweizerischen Schulsystem guttut und dass die mit dem Begriff der Kompetenzorientierung verbundene Absicht zu befürworten ist, in der Schule weniger „träges“ Wissen zu vermitteln, sondern wo immer möglich und sinnvoll Anwendungen, z. B. im Problemlösen, in den Blick zu nehmen. Einleuchtend ist aber auch, dass Schule und Lehrerbildung – Kompetenzorientierung hin oder her – weiterhin die Aufgabe haben, individuelle Bildungs- und Verstehensprozesse zu fördern, die über blosse „Handlungskompetenzen“ hinausreichen.

Wie verhält sich nun die PH Luzern konkret in diesem Spannungsfeld von gesellschaftlichen und individuellen Prinzipien, von Sozialisation und Emanzipation, von Anpassung und Widerstand?

Genereller Ausbildungsreferenzrahmen und besondere Zentren der PH Luzern

Was den einen Pol des Spannungsfeld von Anpassung und Widerstand betrifft – den „Sozialisationspol“ –, so haben die Verantwortlichen der PH Luzern einen eigenen „Referenzrahmen“ für die Ausbildung entwickelt (www.phlu.ch). Er umfasst, vereinfacht gesagt, zehn Professionskompetenzen von Lehrpersonen, die auf acht Handlungsfelder bezogen sind. Die Handlungsfelder sind in zwei Kategorien unterteilt: in jene, die einen Bezug auf den Unterricht haben, sowie in jene, die einen Bezug auf Schule und Gesellschaft haben. Die Handlungsfelder lauten:

In Bezug auf den Unterricht:

1. Aufbauen einer tragfähigen Beziehung mit den Schülerinnen und Schülern

2. Gestalten und Führen einer Klassengemeinschaft

3. Fördern und Begleiten der Persönlichkeitsentwicklung der einzelnen Schülerinnen und Schüler

4. Bereitstellen von Lerngelegenheiten

5. Begleiten und Beurteilen der Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler

In Bezug auf die Schule und die Gesellschaft:

6. Produktive Gestaltung der Zusammenarbeit in der Schule und mit Dritten

7. Einnehmen der professionellen Rolle als Lehrperson in Schule und Gesellschaft

8. Verstehen und Mitgestalten von Schulentwicklung und Schulsystem

Auf diese Handlungsfelder bezogen sind die folgenden zehn Professionskompetenzen:

1) Kompetenz zur Unterrichtsplanung

2) Kompetenz zur Gestaltung eines kompetenzorientierten, verstehensorientierten und motivierenden Unterrichts

3) Kompetenz zur adaptiven Lernbegleitung und -beratung

4) Diagnose- und Beurteilungskompetenz

5) Erziehungskompetenz

6) Beziehungskompetenz

7) Organisationskompetenz

8) Reflexionskompetenz

9) Kompetenz im Umgang mit Belastungen

10) Berufsethische Kompetenz

Die PH Luzern spricht bewusst von einem „Referenzrahmen“. Damit ist Verschiedenes gesagt: Er dient als Referenz, d. h., er bietet Orientierung, ermöglicht Transparenz und dadurch Koordination, er erzeugt Professionsbewusstheit und bewirkt Verbindlichkeit. Er ist also normativ. Aber er ist als Rahmen konzipiert, d. h., er definiert nicht im Einzelnen die Aktivitäten, für die er den Rahmen bildet. Er ist sozusagen das Raster, welches das Wachstum der Ranke des guten Unterrichts erst ermöglicht.

Dieser Referenzrahmen durchwirkt die ganze Ausbildung an der PH Luzern in allen Hauptmodulen aller Studiengänge, welche die Hochschule anbietet; und er definiert, in welchen Handlungsfeldern und an welchen Kompetenzen in den jeweiligen Veranstaltungen gearbeitet wird. Er ist auf theoretischer Ebene sozusagen das zentrale Sozialisations- und „Anpassungs“-Instrument an gesellschaftliche Erwartungen.

Doch die Vorbereitung von Studierenden auf die Tätigkeit als Lehrpersonen ist eben nicht nur eine sozialisatorische Aufgabe, sondern auch eine Bildungsaufgabe sui generis mit dem Ziel der persönlichen Mündigkeit. Je geringer die Bedeutung der Schule als gesellschaftliche Grossinstitution wird, umso selbstständiger, selbstbewusster und reflektierter, d. h. umso mündiger müssen Lehrpersonen handeln können. Das ist übrigens der Hauptgrund dafür, dass Lehrpersonen sich in ihrer Ausbildung zwingend auch mit Forschung zu beschäftigen haben. Inmitten zunehmend heterogener Vorstellungen der verschiedenen „Anspruchsgruppen“ der Schule (Behörden, Eltern, Politik, Schülerinnen und Schüler selber) von dem, was im guten Unterricht vonnöten ist, müssen sie imstande sein, selbstständig und nachvollziehbar zu begründen, was sie weshalb tun und was sie weshalb unterlassen. Dafür sind die Verfahrensweisen und das Ethos der Wissenschaftlichkeit unabdingbar.

Aber Mündigkeit und Emanzipation erschöpft sich nicht in intellektueller Selbstständigkeit, sondern meint auch Individualität und Freiheit – und à la limite auch die Fähigkeit, gegen Anpassung, wie Adorno sagte, Widerstand zu leisten. Es ist eine zentrale Aufgabe der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, für das Recht zu sensibilisieren, individuelle Besonderheiten und Ansprüche gegen gesellschaftliche Zumutungen und Zwänge zu behaupten und durchzusetzen.

Im Hinblick auf diesen Begriff von Mündigkeit hat die PH Luzern seit ihrem Start unter anderem drei Angebote geschaffen, die der Hochschule ein besonderes Gepräge geben und die gewissermassen den „emanzipatorischen“ Pol im Gefüge ihrer Ausbildung repräsentieren. (Die Angebote sind auf der Website www.phlu.ch beschrieben.)

Zentrum für Menschenrechtsbildung

Die PH Luzern betrachtet die Menschenrechtsbildung als eine Kernaufgabe der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, und sie führt deshalb schon seit ihrem Start vor elf Jahren als einzige Schweizer PH ein eigenes Zentrum für Menschenrechtsbildung. Tatsächlich sind die sozialen und kulturellen Differenzen innerhalb einer Schulklasse wohl noch nie so gross gewesen wie heute. Je grösser diese Unterschiede sind, umso mehr braucht es die Besinnung auf Gemeinsamkeiten. Die Menschenrechte geben in dieser Situation Halt und Orientierung: Sie sind universell, gelten also für Menschen mit unterschiedlichster sozialer und kultureller Herkunft; sie sind evident; sie sind einprägsam; und sie sind rechtlich verpflichtend, also einklagbar.

Erfreulicherweise ist die Menschenrechtsbildung auch im Lehrplan 21 enthalten. Es heisst da, bezogen auf den dritten Zyklus, d. h. die Sekundarstufe I (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz, 2015, S. 16): „Die Schülerinnen und Schüler können die Entwicklung, Bedeutung und Bedrohung der Menschenrechte erklären.“ Diese Kompetenzbeschreibung gliedert sich in die folgenden drei Teilkompetenzen:

Das Zentrum für Menschenrechtsbildung der PH Luzern ist Teil des schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte. Es beteiligt sich mit Modulen an der Ausbildung an der PH Luzern, führt Forschung im Bereich der Menschenrechtsbildung durch, unterstützt Schulen in ihren Bemühungen, Menschenrechtsbildung in den Unterricht einzubauen und entwickelt oder evaluiert Unterrichtsmaterialien. Es führt zudem regelmässig einen CAS-Weiterbildungsstudiengang für Menschenrechtsbildung durch und organisiert im Ein- oder Zweijahresrhythmus das internationale Menschrechtsforum Luzern (IHRF), einen internationalen Kongress, der jeweils ein aktuelles Thema im Bereich der Menschenrechte und der Menschenrechtsbildung zur Diskussion stellt. Das Besondere daran ist, dass jeweils rund 30 Studierende der PH Luzern, der Hochschule Luzern und der Universität Luzern das IHRF-Student-Team bilden, welches das zweitägige Forum während eines Jahres konzipiert und realisiert. Die Studierenden werden dabei von der IHRF-Leitung und Fachpersonen gecoacht und erweitern ihre Kompetenzen im fachlichen, organisatorischen und administrativen Bereich. Im nächsten Jahr wird das IHRF bereits zum zehnten Mal durchgeführt, und zwar zum Thema „Menschenrechte und Geschichte“. Bisherige Themen waren: Menschenrechte und Terrorismus, Menschenrechte und Wirtschaft, Menschenrechte und Bildung, Menschenrechte und Kinder, Menschenrechte und Umwelt, Menschrechte und Religion, Menschenrechte und die Digitalisierung des Alltags, Menschenrechte und Migration, Menschenrechte und Menschen mit Behinderungen.

Institut für Schule und Heterogenität

Das Institut für Schule und Heterogenität der PH Luzern geht davon aus, dass Kinder und Jugendliche verschieden sind und unterschiedliche Lernvoraussetzungen mitbringen – und dass sie gleichzeitig insofern gleich sind, als sie alle denselben Anspruch auf bestmögliche schulische Förderung haben. Das Institut bearbeitet vier thematische Schwerpunkte:

1. Es behandelt übergreifende Fragen zur Heterogenität im Bildungsbereich und untersucht strukturelle Bedingungen, Unterrichtskonzepte und das pädagogische Handeln von Lehrpersonen hinsichtlich des Umgangs mit Vielfalt.

2. Es widmet sich in seinen Forschungs- und Entwicklungsprojekten der Integration von Kindern und Jugendlichen mit besonderem Bildungsbedarf und Behinderung in Regelklassen.

3. Es befasst sich mit Fragen der Heterogenität aus inter- und transkultureller Perspektive.

4. Es untersucht die Umsetzung des altersgemischten Lernens in Schulklassen.

Zu erwähnen sind an dieser Stelle zwei exemplarische Projekte des Instituts.

Im Mentoringprojekt begleiten Studierende der PH Luzern Primarschülerinnen und Primarschüler mit Migrationshintergrund oder aus sozio-ökonomisch benachteiligtem Elternhaus während acht Monaten als Mentorinnen und Mentoren. Sie sensibilisieren bei gemeinsamen Freizeitaktivitäten die Kinder für Formen des spielerischen Lernens und motivieren zu lernfördernder Freizeitgestaltung. Die Mentorin und das Kind, das sie begleitet, kochen gemeinsam, besuchen die Bibliothek, die Ludothek oder ein Museum, sie unternehmen Erkundigungen in der Stadt und im Wald oder wenden sich sportlichen Aktivitäten zu. In der gemeinsam verbrachten Zeit soll Alltägliches aus einer bislang unbekannten Perspektive entdeckt und ein Einblick in unterschiedliche Lebenswelten vermittelt werden. Während der Projektdauer begleiten fachspezifisch qualifizierte Projektkoordinatorinnen und Projektkoordinatoren die Studierenden. Das Projekt wird vom Bundesamt für Migration unterstützt.

Beim Projekt über soziale und moralische Urteile zum Ausschluss von Kindern mit Lernbehinderung und Verhaltensauffälligkeit die Frage im Zentrum, wie Sozialisationsbedingungen innerhalb des Klassenzimmers Ausschlussurteile und Ausschlussverhalten gegenüber Kindern mit Behinderungen beeinflussen und welche Rolle dabei die Lehrpersonen spielen. Das Projekt wird vom Schweizerischen Nationalfond unterstützt.

Zentrum für Geschichtsdidaktik und Erinnerungskulturen

Das im Jahr 2012 gegründete Zentrum verfolgt das Ziel, individuelles und gesellschaftliches Interesse für Vergangenheit zu wecken und aufrechtzuerhalten, um so Geschichte als Erfahrungsquelle zu erschliessen und das aufgeklärte Lernen aus der Geschichte für die Gegenwart und Zukunft fruchtbar zu machen. Seine Schaffung hat auch einen spezifisch pädagogischen Grund. Denn wie Georg Kreis einmal sagte, betrachtet man Geschichte, so stellt man das Gegenteil von Zwangsläufigkeit fest: nämlich die Gestaltbarkeit der Dinge. Der Blick in die Geschichte ermutigt, weil er mit dem Wandel auch die Wandelbarkeit der Gesellschaft wahrnehmbar macht. Mit anderen Worten: Der geschichtliche Blick zurück eröffnet Handlungsoptionen für die Zukunft – mehr noch: Die Beschäftigung mit Geschichte ermutigt dazu, diese Handlungsoptionen nicht nur zu erkennen, sondern sie auch wahrzunehmen. Dies aber – Zuversicht zu vermitteln, die Handlungsbereitschaft erzeugt – ist ein genuines Anliegen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung überhaupt.

Ein besonderes Gewicht richtet das Zentrum für Geschichtsdidaktik und Erinnerungskulturen auf Menschen mit Zivilcourage – auch dies ein edukatives und emanzipatives Anliegen par excellence. So ist aus Anlass des Holocaust-Gedenktags eine Publikation mit dem Titel „Menschen mit Zivilcourage: Mut, Widerstand und verantwortliches Handeln in Geschichte und Gegenwart“ in Erarbeitung; und im Januar 2014 wird im Historischen Museum Luzern die vom Zentrum mit konzipierte Ausstellung „Carl Lutz’ Zivilcourage: ein mutiger Diplomat während des Holocausts“ eröffnet, eine Hommage an den seinerzeitigen Vizekonsul der Schweizer Botschaft in Budapest, der während des zweiten Weltkriegs zehntausende Menschen jüdischen Glaubens vor dem sicheren Tod rettete, indem er ein Schutzbrief-System entwickelte und rund 70 Häuser unter Schutz der Eidgenossenschaft stellte, damit Jüdinnen und Juden dort vor der Deportation sicher waren.

Es ist auch ein Mitarbeiter des Zentrums für Geschichtsdidaktik und Erinnerungskulturen, der auf wissenschaftlicher Ebene federführend war bei der Aufarbeitung der düsteren Vergangenheit der Kinderheime im Kanton Luzern.

Zukunftsgerichtetheit des Lehrberufs

Ein kleines Gedankenexperiment zum Schluss.

Im kommenden Sommer wird die Studentin M. M. an der PH Luzern als Primarlehrerin diplomiert. Sie tritt dann ihre erste Stelle an (sagen wir, im Alter von 24 Jahren). Dann ist sie während vierzig Jahren im Lehrberuf tätig (möglicherweise auf verschiedenen Stufen, vielleicht an verschiedenen Orten, mit wechselndem Pensum). Im Jahr 2055, im Jahr ihrer Pensionierung, unterrichtet sie ihre letzte Klasse von Kindern. Was heisst das?

Es heisst, dass das, was M. M. in ihrer Ausbildung als Lehrperson an professionellem Wissen und an professioneller Haltung heute erwirbt, konkrete, persönlich vermittelte Auswirkungen hat auf Kinder, die im Jahr 2065 erwachsen werden – also in mehr als zwei Generationen.

Diese „Selbstwirksamkeit“ mit einer Perspektive über mehrere Generationen hinweg ist zweifellos eine der schönsten Seiten des Lehrberufs. Lehrpersonen und Studierende von heute schaffen tatsächlich Zukunft, und zwar Tag für Tag, und in der jahrelangen persönlichen Begegnung mit hunderten, ja möglicherweise über tausend jungen Menschen.

Die Zukunftsgerichtetheit des Lehrberufs ist aber nicht einfach nur schön, weil sie jung erhält. Sondern sie impliziert auch ein hohes Mass an Verantwortung. Denn wenn das berufliche Handeln von Lehrpersonen und Studierenden von heute unmittelbare Auswirkungen hat bis ins Jahr 2065, so kann es uns nicht gleich sein, wie die Welt im Jahr 2065 beschaffen ist. Das ist der Grund dafür, weshalb die „emanzipativen“ Elemente gegenüber den „adaptiven“ Elementen in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung jetzt und in Zukunft nicht zu kurz kommen dürfen.

Autor

Hans-Rudolf Schärer studierte Germanistik und Romanistik an den Universitäten Zürich, Paris und Siena und schloss mit einer Promotion sowie einem Mittelschullehrdiplom ab. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Assistent an der Universität Zürich unterrichtete er im Teilpensum Deutsch und Französisch an der Kantonsschule Luzern. Von 1991 bis 2001 leitete er die Gruppe Lehrerinnen- und Lehrerbildung im Bildungs- und Kulturdepartement des Kantons Luzern. Von 1987 bis 2001 war er zudem Lehrbeauftragter am Religionspädagogischen Institut der Theologischen Fakultät der Universität Luzern. 2001 schloss er eine Managementweiterbildung der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich ab. Seit 2001 ist er Gründungsrektor der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz Luzern (PHZ Luzern). Von 2002 bis 2013 war er Präsident der Kommission Ausbildung der Rektorinnen- und Rektorenkonferenz der Pädagogischen Hochschulen der Schweiz SKPH bzw. COHEP und von 2007 bis 2014 Mitglied der Hochschulkommission der PH Fribourg. Seit 2014 ist er Präsident der Rektorenkonferenz der Pädagogischen Hochschulen der Schweiz bzw. der PH-Kammer der Rektorenkonferenz der schweizerischen Hochschulen swissuniversities.

Korrespondenz

Prof. Dr. Hans-Rudolf Schärer

Rektor PH Luzern

Pfistergasse 20

6000 Luzern 7

E-Mail: hans-rudolf.schaerer@phlu.ch

Literatur

Adorno, T. W. (1970). Erziehung – wozu? In: Adorno, T. W., Erziehung zur Mündigkeit: Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959–1969 (S. 105–119). Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz (2015). Lehrplan 21: Räume, Zeiten, Gesellschaften mit Geografie, Geschichte; Kompetenzaufbau. Luzern: Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz.