Rezension

Matthias Oppermann

Soldt, P., Nitzschmann, K. (Hg.) (2009). Arbeit der Bilder

Die Präsenz des Bildes im Dialog zwischen Psychoanalyse, Philosophie und Kunstwissenschaften. Psychosozial-Verlag

Der Titel „Die Arbeit der Bilder“ überrascht, da er die gewohnte Perspektive umzudrehen scheint: nicht der Künstler schafft das Bild oder der Betrachter eignet es sich sehend an, sondern das Bild arbeitet und bekommt damit Subjektcharakter. Unter diesem Thema fand 2008 im Bremer Neuen Museum Weserburg eine interdisziplinäre Tagung mit Psychoanalytikern, einem Künstler und Referenten aus Kulturwissenschaft und Philosophie statt. Das vorliegende Buch stellt nun die einzelnen Vorträge einer breiteren Öffentlichkeit vor. Die herkömmliche psychoanalytische Kunstbetrachtung stellt, angereichert durch das Konzept der Gegenübertragung, zumeist eine Verbindung zwischen Bild oder Werk und lebensgeschichtlichen, neurotischen Bedingtheiten im Künstler her. Das Bild wird damit zu einer inneren Notwendigkeit. Beim Lesen solcher Texte bleibt man klug zurück und stellt verwundert fest, dass der Zauber oder das Besondere des jeweiligen Kunstwerkes damit nicht erklärbarer geworden ist. Dass dies in diesem Buch anders werden soll, versprechen die Fragen, die Karin Nitzschmann in ihrem Vorwort stellt, und denen sich das Buch mit den Beiträgen annähern soll: „Wie kommt es, dass Bilder auf den Betrachter eine emotionale Wirkung ausüben können? Wie ist es möglich, dass Bilder so verschiedenartige Eindrücke hinterlassen können? Ist es denkbar, dass Bilder einen vom Künstler selbst gar nicht intendierten Sinn entfalten, also gleichsam eine eigene Subjektivität beanspruchen dürfen?“

Ekkehard Gattig beginnt mit einer Standortbestimmung am Ende der Moderne, in der verbindliche Wahrheiten fragwürdig geworden, die Grenzen zwischen äußerer und innerer Realität immer mehr verwischt sind, und die Bildhaftigkeit den sprach-lichen Diskurs zu ersetzen beginnt. Er endet mit der These, dass ein Bild eine eigene Subjektivität mit einem eigenen Bild-Unbewußten hat, wenn es gelingt das Sonst-noch-nie-Gesehene darzustellen. Dadurch, dass Bilder mehr als eine Wahrheit ausdrücken können, in ihnen Unsichtbares und Rätselhaftes gegenwärtig ist, eröffnen sie einen Raum, in dem Subjektivität erfahrbar wird. Wir können dann unseren Standpunkt in der Welt neu erfahren. Die Bildarbeit leitet er von Freuds Konzept der Identifizierung ab. Indem eigene Projektionen mit Teilen des Bildes in Kontakt kommen und dann durch das Bild verän-dert reintrojiziert werden, entsteht etwas Neues, ein Abbild entsprechend einer intrapsychischen Repräsentanz. Wir haben dann das Gefühl, so etwas noch nie gesehen zu haben.

Der belgische Künstler Luc Tymans, der mit einem Interview vertreten ist, scheint dem zu widersprechen, wenn er Malerei nur als eine diffuse, vielschichtige Leerstelle sieht, in der sich der Betrachter, spiegelt. Die Bilder würden schweigen und nichts aussagen, damit sie Denken auslösen. Man könnte ihm sagen, dass wir Psychoanalytiker das irrtümlich auch über Jahrzehnte gedacht haben: dass wir nur Spiegel ohne Inhalt sind. Sein Wunsch, ein Bild zu malen, das keins ist, wird aber als Reaktion auf das „Bildbombardement“ in heutiger Zeit verstehbar. Alle Inhalte verschwänden hinter dem Spektakel, es entstehe ein Vakuum – und dieses Vakuum scheint er in seinen Arbeiten darzustellen. Das Verschwinden, das Fehlende oder Zerstörte wird hier als wirkkräftige Eigenschaft von Bildern aus Sicht des Künstlers benannt und im Buch aus anderer theore-tischer Perspektive immer wieder aufgegriffen.

So führt Joachim F. Danckwardt, ausgehend von der Frage, wie sich das Unbewusste im Bildprozess niederschlägt, an einem Bild von Saul Steinberg aus, wie der Betrachter das verlorene Objekt durch die Identifizierung mit den Formprozessen im Bild ersetzt. Stück für Stück müsse der Künstler, wie auch der Betrachter, altes Sehen, eben noch Gesehenes wieder verlassen, und sich auf etwas Neues einstellen. Dieser erlebte Objektverlust spiele sowohl beim Betrachter als auch beim Künstler eine große Rolle. Das Erfahren von Verlust scheint eine notwendige Bedingung für die Arbeit der Bilder. In seinem Beitrag sind zwei wunderbar zu lesende Bilduntersuchungen zu finden.Ausführlich beschreibt erdie Bildprozesse in dem Bild „Vater“ (2007) von Neo Rauch und in Gerhard Richters Serie „Verkündigung nach Tizian“ (1973). Bei Gerhard Richter schildert er, wie die Bildprozesse hin zu mehr Abstraktion einen Raum schaffen, in dem traumatische Erfahrungen transformierbar werden und nicht mehr abgewehrt werden müssen. Dies scheint mir insofern von Bedeutung, als hier die künstlerische Arbeit ein Mittel wird, um die Wiederholung des Vergessens zu durchbrechen und als ein Hin zu etwas Neuem beschrieben wird.

Die These des Textes der Züricher Philosophin und Psychoanalytikerin Lisa Schmuckli ist die Vorrangigkeit des Bildes vor der Sprache. Freuds Satz:„wo Es war, soll Ich werden“ überführt sie in: „wo Visuelles war, soll Erzählung werden“. Galt früher in der Philosophie das Sehen als der höchste der fünf Sinne, da er mit Vernunft, Objektivität und Überblick assoziiert war, erschüttern heute neue Sehtechniken und bildgebende Verfahren traditionelle Sehgewohnheiten. Durch Verlust eines objektiven Bezugsrahmens, der einst die Zentralperspektive war, verlören die Bilder ihre formale Einbindung. Das Sehen werde „wild“, weil es radikal subjektiv geworden sei.

Mit der Entdeckung des Unbewussten im Traum dränge das Unsichtbare in das Bild. Schließlich führe die Beschleunigung der Bilder heute dazu, dass das Sehen noch weiter verwildere. Dies führe zu einer Automatisierung der Wahrnehmung bis hin zu einer Anästhesierung im Wahrnehmungsprozess. Durch das wilde Sehen bekomme das Bild eine eigentümliche und unheimliche Macht. Hiermit greift sie den kulturkritischen Strang in diesem Buch auf. Neben dem Begehren nach dem Bild steht nun die Gefahr durch das Bild bzw. durch seinen Gebrauch. Die Kritik an den heutigen Sehgewohnheiten findet in Werner Balzers Beitrag über die Krise der Bildlichkeit und Verkümmerung der symbolischen Repräsentanzen in dem Buch ihren Höhepunkt. Der Titel seines Aufsatzes „Eyes Mind Shut“ ist eine Anspielung auf Kubriks Film „Eyes Wide Shut“ und eine Verkürzung des Wortspiels von Werner Balzer „Eyes wide, mind shut“, womit er die „opto-akustische Erstürmung des Gesamtsensoriums“ in unserer heutigen Zeit paraphrasiert. Er beschreibt die heutige Zeit mit seiner Bilderflut als ein Zeit, die die Sichtbarkeit vergöttere, und in eine Krise der Repräsentation geraten sei. Wurzelte das Bildermachen ursprünglich in einer Aufhebung von Abschied und Getrenntheit, war ein Bild zunächst reine Verkörperung, wurden Bilder später zu einem Medium der Erinnerung. Das Bild wurde zu etwas Symbolischem. Diesen Entwicklungsschritt sieht er angesichts des Bildkonsums in heutiger Zeit gefährdet. Seiner Meinung nach erleben wir heute eine Resomatisierung und Wieder-verfleischlichung der Bilder. Er führt dies sehr leidenschaftlich aus, als möchte er den Leser aufrütteln, damit er endlich versteht, dass die Bilderflut des Teufels sei („der deal mit deren Seelen.“). Beim Lesen findet man sich dann nicht in einer Bilder-, sondern in einer Wortflut wieder und ist manchmal versucht, sein eigenes Denken mittels Protest zu bewahren. Interessant und spannend wird der Artikel, wenn er die Funktion der Bilderflut als eine sensorische Hülle beschreibt: das schwache Ich wickelt sich in die Bilder, als wären sie eine Haut.Hier schließt er wieder zu Thema auf und führt in dem Buch einen wichtigen neuen Begriff, den des Bildaktes, ein.

Die „Toxizität der Bilder“ gehe nicht aus der Substanz des Bildes, sondern aus seinem Gebrauch hervor. Durch den damit verbundenen interaktiven und situativen Kontext wird das Bild erst in seiner Bedeutung konstituiert, eine weitere Bedingung für die Arbeit der Bilder. Es ist eben nicht unwichtig, ob eine Bild in einem Museum, auf einen Bildschirm oder daheim über dem Sofa hängt. Durch das Element eines musealen oder auratischen Raums kommt nach Balzer ein trianguläres Element in die Rezeption des Bildes hinein.

Phillpp Soldts Überlegungen sind in die Darstellung zweier Bildbeschreibungsvignetten aus einer interessanten psycho-analytisch-empirischen Untersuchung zu ästhetischen Erfahrungen eingebettet. In dieser Studie, die auf die Beziehung zwischen Bild und Betrachter fokussierte, wurde schnell deutlich, dass sich jede Bildbetrachtung aus der inneren Konflikt-haftigkeit des Betrachters speist. Es stellte sich die spannende Frage, wie das Bild genutzt wird, um diesen durch das Bild sozusagen aufgewühlten Konflikt zu bearbeiten. Seine Hypothese, dass das Bild dabei als Quasi-Subjekt benutzt wird, wird an einer transkribierten Bildbetrachtung anschaulich dargestellt. Er formuliert dabei den, wie mir scheint, wichtigen Unterschied zwischen der Arbeit des Bildes und der Arbeit eines neurotischen Symptoms. Anders als beim neurotischen Symptom, das einen Kompromiss zwischen Wunsch und Verbot enthält, erlaube das Übergangsphänomen „Bildlichkeit“ im geglückten Fall ein Zugleich jener Polaritäten, die im Konflikt zusammenprallen. Er konstruiert den Idealfall, wie eine Bildbetrachtung in eine Objektbeziehung verwandelt werden kann: Wenn wir uns von einem Bild nicht nur animieren lassen, sondern auch zulassen und aushalten, dass es sich uns entzieht – womit es nicht mehr der reinen Erregungsabfuhr dienen kann – erschaffe der Betrachter aus dem Bild ein Quasi-Subjekt. Dieser Gedanke beschreibt wiederum das, was Luc Tyman in seinem Malprozess zu gestalten versucht. Zum Abschluss des Buches führt uns Wolfram Bergande durch unterschiedliche Interpretationen des Bildes „Las Meninas“ von Diego de Velàzques. Er sieht in „Las Meninas“ ein Bild, das exemplarisch vorführt, wie die Perspektive eines jeden über ein anderes Selbstbewusstsein vermittelt wird. Ein jeder versetzt sich in das Hineinversetzte des anderen, und beide tun das in wechselseitiger Abhängigkeit. So folgert er im Allgemeinen, dass sich in jedem Bild zwei Selbstbewußtseine gegenüber stehen. Dieser anspruchsvolle Text lädt dazu ein, in dem Bild „Las Meninas“ verschiedene Perspektiven einzunehmen, darüber nachzudenken, wer ist wo repräsentiert und was spiegelt sich in wem, und dies wie in einem unendlichem Kreislauf.

Das Besondere an diesem Buch war für mich, dass es sowohl Spaß machte, die dargestellten Gedanken nachzuvollziehen und weiterzudenken, als auch Lust auf Bilder transportierte und vermittelte. Kritisch fand ich jene, zum Glück seltenen Stellen, in denen sich Versuche andeuteten, über die Qualität von Bildprozessen aus psychoanalytischer Sicht normative Aussagen formulieren zu wollen. Besonders gelungen scheint mir, dass die einzelnen Beiträge Aspekte der vorherigen immer wieder aus einer anderen Perspektive aufgreifen. So ist aus einer Zusammenstellung verschiedener Vorträge und unterschiedlicher Ansätze ein sehr lesenswertes Buch geworden.