Rezension

Ines Umfahrer

Schaller, R. (2009). Stellen Sie sich vor, Sie sind…

Das Ein-Person-Rollenspiel in Beratung, Coaching und Therapie, Bern: Hans Huber. Taschenbuch. EUR 24,95. ISBN 978-3-456-84670-5

Roger Schaller ist Fachautor, Seminarleiter, Psychotherapeut und Supervisor, hat eine Ausbildung in Psychodrama und arbeitet als Psychologe in einem sonderpädagogischen Zentrum. Darüber hinaus ist er Leiter von Kursen für verkehrsauffällige Fahrzeuglenkende und hat Erfahrungen als Therapeut in der Suchtprävention sowie in der Bildungsarbeit mit erwerbslosen Menschen.

Thema des Buches ist es, dass das Rollenspiel auch im Einzelsetting ein sehr wirksames Instrument in Therapie, Beratung und Coaching ist. Das Werk ist in verschiedene Teile gegliedert.

In Teil A wird die Theorie des Rollenspiels anhand philosophischer und psychologischer Hintergründe dargestellt. Der Autor schafft so einen guten Einstieg in das Thema und erläutert wichtige Theorien, die für das Rollenspiel und dessen Verständnis bedeutend sind.

Zum Beispiel wird das Schema der Unterscheidung von „Uhren“ und „Wolken“ vom Philosoph Karl Popper sehr gut mit dem Rollenspiel in Verbindung gebracht (Rollenspiele kann man auf einem Kontinuum zwischen Wolken ganz rechts und Uhren ganz links anordnen: stark strukturierte Rollenspiele sind wie Uhren, und desto explorativer und unstrukturierter sie werden, desto mehr gehen sie in Richtung Wolken). Roger Schaller vermittelt auch sehr gut, dass nicht nur stark strukturierte Rollenspiele, wie sie z.B. in der Verhaltenstherapie durchgeführt werden, zu nachhaltigen Erkenntnissen und Ergebnissen führen können, sondern auch unstrukturierte, und gerade Improvisation und Exploration zu wichtigen Einsichten führen können.

Außerdem beschreibt der Verfasser die drei Erfahrungswelten des Menschen (1. materielle Körper wie z.B. Sinneseindrücke, 2. psychische Zustände wie z.B. Schmerz oder Freude und 3. Welt wie z.B. Theorien, Fantasien, Ideen, Erzählungen, Bewertungen, Interpretationen, Einstellungen, moralische Urteile), und es wird darauf eingegangen, wie diese drei Welten das Rollenspiel beeinflussen. Theorien der Welt 3 können großen Einfluss auf das Verhalten und Handlungen des Menschen haben. Dabei hat die Welt 2 der Emotionen und Befindlichkeiten eine Verständigungs- und Vermittlungsfunkton. Im Rollenspiel bringt der Klient immaterielle Objekte der Welten 2 und 3 auf die Bühne und macht sie sichtbar, sozusagen zu körperlichen Gegenständen (z.B. die Angst spielen). So kann er Probleme erkennen, verstehen und sein Verhalten ändern. Es wird auch verdeutlicht, dass das Rollenspiel nur ein Element eines sehr komplexen Therapieprozesses ist, welches durch das aktive Handeln in der Szene aber äußerst wichtig ist.

Darüber hinaus wird im Buch das Netzwerk der Spiegelneuronen erklärt. Den Spiegelneuronen kommt eine besondere Bedeutung beim Rollenspiel zu. Nervenzellen, die im eigenen Körper ein bestimmtes Programm realisieren können, also eine zielgerichtete Handlung wie z.B. nach einer Tasse zu greifen, werden auch aktiv, wenn man die Handlung nur beobachtet oder auf andere Weise miterlebt, wie ein anderes Individuum dieses Programm in die Tat umsetzt. Sogar Geräusche, die typisch für eine bestimmte Aktion sind, haben den gleichen Effekt. Spiegelneuronen sind auch die Grundlage für Empathie. Durch sie kann man Handlungen und Absichten anderer verstehen, indem im Gehirn ständig kleine Rollenspiele ablaufen (sich z.B. vorstellen, man würde die Handlung des anderen selbst durchführen oder sich in die Lage eines anderen versetzen). Hierbei wird auch der Kontext berücksichtigt, d. h. das beobachtete Verhalten wird mit der jeweiligen Rolle des anderen in Verbindung gebracht. Jeder Mensch hat in jeder Situation eine bestimmte Rolle, z.B. die Rollen als Gast und Gastgeber, wobei man sich automatisch in die Rolle des anderen hineinversetzt und dadurch die Rolle des anderen verstehen kann. Daraus lässt sich ableiten, dass der Mensch ein rollenspielendes Gehirn hat, womit vom Autor eine Überleitung zu den verschiedenen Rollen gemacht wird.

Im Anschluss informiert Roger Schaller über verschiedene Rollen und konkretisiert, was eine Rolle überhaupt ist. Des weiteren werden die Rahmenbedingungen des Rollenspiels und die vier Anwendungsformen des Rollenspiels (Diagnostik, Exploration, Ritual und Training) kurz angerissen, welche in späteren Kapiteln dann einzeln sehr genau geschildert werden.

In Teil B werden die Instrumente, Grundregeln und Rahmenbedingungen des Rollenspiels ausführlich erläutert, wie z.B. die verschiedenen Bühnen, der Szenenaufbau und die Formen der Rollenübernahme.

In Teil C präzisiert der Autor die verschiedenen Techniken des Rollenspiels und gibt Hinweise zur Durchführung. Dies wird immer mit Beispielen belegt. In den weiteren Teilen D, E, F und G geht Roger Schaller auf vier Funktionen des Rollenspiels (Diagnostik, Exploration, Ritual und Training) jeweils detailliert ein und es wird ersichtlich, für was und wie man sie einsetzen kann. Zum Abschluss werden im Teil H noch einige wichtige „Basics“ angeführt, z.B. die zehn schlimmsten Fehler, die man im Rollenspiel machen kann, außerdem werden die Rahmenbedingungen und Instrumente zusammengefasst dargestellt sowie Leitlinien für den Rollenspiel-Prozess erwähnt. Am Ende werden noch kurz bisherige Forschungen zur Wirksamkeit des Rollenspiels präsentiert.

Das Buch ist sehr übersichtlich und verständlich geschrieben, und die Theorie wird auch immer mit Beispielen noch näher beleuchtet und erklärt. Der Aufbau des Buches ist nachvollziehbar und logisch angeordnet. Somit folgt der philosophisch psychologischen Einleitung ein ausführliches Beschreiben der verschiedenen Rollen, der Grundregeln, Instrumente und der Rahmenbedingungen sowie der Techniken des Rollenspiels. Dadurch bekommt man eine gute Übersicht über das Thema. Die anschließende Auseinandersetzung mit den vier Funktionen des Rollenspiels gibt einen konkreten Einblick in die Umsetzung in der Praxis. Roger Schaller veranschaulicht die Techniken auch mit Erfahrungen aus seiner Praxis, wobei er die Fälle sehr gut reflektiert. Der Praxisteil wird auch immer wieder mit der Theorie ausreichend verbunden. Allerdings hat er keine Beispiele mit negativen Erfahrungen mit Klienten im Rollenspielsetting erwähnt.

Am Schluss wird noch einmal sehr gut zusammengefasst, was man tun sollte und was nicht. Es ist also ein Lehrbuch, das aber äußerst leicht zu verstehen ist, untermalt mit zahlreichen Beispielen. Man erfährt sehr viel über das Rollenspiel generell, z.B. über die verschiedenen Techniken. Danach bringt der Autor aber auch immer Beispiele, wie man die vermittelte Theorie explizit im Einzelsetting durchführen bzw. umsetzen kann. Es gibt auch zahlreiche Abbildungen, Tabellen und Zeichnungen zum besseren Verständnis des zuvor Erläuterten. Außerdem werden sämtliche Begriffe immer klar definiert und mit Beispielen erläutert.

Anzumerken ist, dass anfangs im Theorieteil stark auf philosophische Vorläufer eingegangen wird und der psychologische Entstehungshintergrund des Rollenspiels vernachlässigt wird. Es wird im Buch auch sehr wenig Bezug auf J. L. Moreno, den Begründer des Rollenspiels, genommen, was der Autor vielleicht noch ergänzend hätte anführen können. Dies wird für neue Leser ungewohnt sein. Der Verfasser stellt das Thema in der Theorie somit aus einem anderen Blickwinkel dar.

Das Buch ist meiner Meinung nach sehr wichtig für Psychotherapeuten, Psychologen, Supervisoren, Couches, Trainer, etc., kurz gesagt für alle Berufsgruppen im sozialen Bereich, die mit ihren Klienten im Einzelsetting arbeiten und das Rollenspiel einsetzen möchten, da es eine wertvolle Unterstützung im Beratungsprozess sein kann. Das Werk ist auch deshalb von großer Bedeutung, weil viele Klienten nicht in einer Gruppe spielen wollen und so eine Möglichkeit haben, ohne den Gruppenkontext die Vorteile und Erkenntnismöglichkeiten durch das Rollenspiel nutzen zu können.

Die Theorie wird im Buch eher kurz vorgestellt, hier wurde sie allerdings länger ausgeführt. Der Grund hierfür ist, dass die vorgestellten Techniken des Rollenspiels Menschen, die sich mit dem Thema in irgendeiner Form bereits auseinandergesetzt haben, bereits bekannt sind. Neu daran ist, dass der Autor es auf das Einzelsetting umlegt. Aufgrund der Praxisbeispiele wird demonstriert, dass die verschiedenen Techniken auch für das Einzelsetting einsetzbar sind.

Fazit ist also, dass Roger Schaller sein Buch sehr praxisnah verfasst hat und es für jedermann verständlich geschrieben hat. Es gibt einen guten Überblick und Einblick in die Welt des Rollenspiels und man bekommt zahlreiche Anregungen für die Arbeit im Einzelsetting präsentiert. Der Leser lernt ein großes Repertoire an Techniken kennen, die man in der Umsetzung für eigene Bedürfnisse abwandeln kann. Meiner Meinung nach handelt es sich hier um ein äußerst empfehlenswertes Werk.