Rezension
Gerda Posratschnig
Stadler, C & Kern, S (2010): Psychodrama. Eine Einführung
(1. Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH. 262 S. [D] EUR 24,95 ISBN 978-3-531-16539-4.
Christian Stadler ist Psychotherapeut (Tiefenpsychologie und Psychodrama), Supervisor und Mitherausgeber der Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie. Sabine Kern ist Psychodrama-Psychotherapeutin, Klinische- und Gesundheitspsychologin und Redakteurin der Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie.
Der vorliegende Text von Christian Stadler und Sabine Kern ist eine wissenschaftliche Arbeit, die sich mit dem Psychodrama beschäftigt. Da es sich um eine Einführung handelt, werden auch die Grundbegriffe eingehend erläutert. Die AutorInnen spannen einen Bogen von der Entstehung bis zur Gegenwart des Psychodramas. Am Anfang beschreiben sie die Wurzeln des Psychodramas, das von Jakob Levi Moreno entwickelt wurde und 1932 in den USA seinen Durchbruch als Psychotherapie hatte: das Theater, die Psychotherapie, die Soziologie und die Theologie. Im Theaterspiel sah Moreno sowohl ein Ausdrucks- als auch ein Heilmittel. Schon als Kind spielte er gerne mit anderen Kindern „Theater“. Auch das wirkte sich prägend auf die Entwicklung des Psychodramas aus. Psychotherapie bedeutete für Moreno, dass Seele, Körper und Gesellschaft geheilt werden. Die Behandlung bezieht sich nicht nur auf den Einzelnen, sondern auf die ganze Gesellschaft, weil der Mensch in seine Umgebung eingebettet ist. Die Konzepte ‚Kreativität’ und ‚Spontaneität’ waren für Moreno wesentliche Bestandteile der Gesundheit. Gearbeitet wird in und mit der Gruppe. Jeder Teilnehmer hat die Möglichkeit, einen Veränderungs- oder Heilungsprozess zu erleben, denn auch die Gruppe selbst unterliegt einer Entwicklungsdynamik. Der soziologische Ansatz liefert die Beschreibung des Menschen in Rollen. Aus der Theologie stammt die positive Grundhaltung Morenos gegenüber den Menschen und ihrer Entwicklungsfähigkeit.
Stadler & Kern beschreiben in weiterer Folge die fünf Instrumente des Psychodramas: die Bühne, die Psychodrama-LeiterIn, die ProtagonistIn, die Hilfs-Iche und die Gruppe. Die Bühne steht beim Psychodrama im Mittelpunkt. Auf ihr können unbewältigte Ereignisse szenisch dargestellt werden. Die AutorInnen weisen darauf hin, dass die psychodramatische Bühne für alles offen sein, aber gleichzeitig Schutz bieten sollte. Die Psychodrama-LeiterIn hat direktive und perzeptive Aufgaben.
Sie tritt sowohl aktiv als auch beobachtend und unterstützend in Erscheinung. Sie versucht, die Befindlichkeiten und Problemstellungen der GruppenteilnehmerInnen herauszufinden, sie leitet das Spiel mit Hilfe von psychodramatischen Techniken, und sie stellt anschließend den Raum für Feedback und Sharing zur Verfügung. Die AutorInnen weisen besonders auf die Bedeutung der perzeptiven Funktion der Psychodrama-LeiterIn hin. Sie beobachtet beispielsweise den Ablauf einer Szene oder die Reaktion einer ProtagonistIn. Zusätzlich achtet sie darauf, was die Szene bei den GruppenteilnehmerInnen auslöst oder welche Gruppendynamik vorherrscht. Stadler & Kern gehen darüber hinaus auf die Bedeutung des Einfühlens und Mitschwingens durch die Psychodrama-LeiterIn ein. Die ProtagonistIn steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, so lange ihre Problemlage auf der Psychodramabühne dargestellt wird. Die MitspielerInnen (Hilfs-Iche) und die Rollen, die sie spielen sollen, werden von ihr ausgewählt. Die Hilfs-Iche spielen die Rollen der Personen, die in der dargestellten Szene von Bedeutung sind. Sie können aber auch beispielsweise Tiere, Gegenstände, Gefühle oder Wünsche darstellen. Die AutorInnen erläutern weiters die Bedeutung des Rollenfeedbacks, bei dem die Hilfs-Iche der ProtagonistIn eine Rückmeldung über die Gefühle geben, die sie in der gespielten Szene hatten. Dadurch hat die ProtagonistIn die Möglichkeit, die dargestellte Situation aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, um eine Lösung des Problems entdecken zu können. Stadler & Kern weisen auf die heilende Funktion der Gruppe hin. Sie sagen, dass sich aus den tragfähigen Beziehungen zwischen den TeilnehmerInnen ein Gruppenzusammenhalt entwickelt, den sie mit dem Begriff ‚Kohäsion’ bezeichnen. Die AutorInnen weisen auf die Bedeutung der Kohäsion hin, die dafür sorgt, dass sich die TeilnehmerInnen wertgeschätzt, akzeptiert und angenommen fühlen. In dieser Atmosphäre fällt es ihnen leichter, sich zu öffnen und über ihre Probleme zu sprechen.
Stadler & Kern beschreiben verschiedene psychodramatische Arrangements wie zum Beispiel das protagonistInnenzentrierte Psychodrama, das Rollenspiel und das Gruppenspiel, wobei sie besonders auf das protagonistInnenzentrierte Psychodrama eingehen. Im protagonistInnenzentrierten Psychodrama wird das Thema einer Person (ProtagonistIn) in der Gruppe bearbeitet.
Sie steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, während die anderen GruppenteilnehmerInnen sich als Hilfs-Iche zur Verfügung stellen. Die AutorInnen beschreiben auch die einzelnen Phasen des Psychodramas (die Erwärmungs-, die Spiel- oder Aktionsphase und die Integrationsphase), und worauf es in der jeweiligen Phase ankommt. Während der Erwärmungsphase sollen die Gruppenmitglieder Zugang zu dem Thema finden, das sie am meisten beschäftigt. Zusätzlich soll ein Wir-Gefühl und eine Vertrauensbasis entstehen, die eine Gruppe tragfähig machen. Stadler & Kern empfehlen mit einer so genannten Befindlichkeitsrunde zu beginnen, wobei sich daraus bereits ein Spielwunsch nach einer psychodramatischen Inszenierung ergeben kann. Die Bereitschaft der ProtagonistIn, sich auf die Inszenierung einzulassen, wird von den AutorInnen mit dem Begriff ‚Spontaneitätslage‘ bezeichnet. Die Spiel- oder Aktionsphase dient der szenischen Darstellung, durch die für die ProtagonistIn eine Außenansicht aber auch ein emotionales Eintauchen möglich wird. Stadler & Kern bezeichnen die psycho-dramatische Erlebniswelt mit dem Begriff ‚Surplus-reality‘.
Sie sehen das Ziel eines psychodramatischen Spiels darin, dass die ProtagonistIn die gespielten Szenen so erlebt als würden sie im Hier und Jetzt stattfinden. Ist die Spielszene zu Ende, werden die Hilfs-Iche aus ihren Rollen entlassen. Stadler & Kern verwenden hierfür den Begriff der ‚Entrollung’. Während der Integrationsphase, die auch Gesprächs- oder Abschlussphase genannt wird, kommen die psychodramatischen Techniken Sharing und Rollenfeedback zum Einsatz. Ein Ziel der Integrationsphase sehen die AutorInnen darin, die aus dem psychodramatischen Spiel gewonnen Erkenntnisse ins reale Leben zu transferieren. Beim Rollenfeedback sprechen die Hilfs-Iche darüber, wie sie sich in der gespielten Rolle gefühlt haben. Durch diesen Perspektivenwechsel kann die ProtagonistIn erfahren, welche Gefühle sie bei den anderen MitspielerInnen ausgelöst hat, d.h. wie sie von den anderen gesehen wird. Beim Sharing erzählen die MitspielerInnen von ähnlichen Erfahrungen, wie sie von der ProtagonistIn erlebt wurden. Die AutorInnen weisen darauf hin, dass das Sharing die ProtagonistIn entlastet und gleichzeitig die Gruppenkohäsion stärkt.
Stadler & Kern beschreiben in weiterer Folge verschiedene psychodramatische Techniken, wie z.B. den Szenenaufbau, das Doppeln, das Spiegeln, den Rollentausch. Mit dem Szenenaufbau beginnt das psychodramatische Spiel. Durch ihn wird der innere Konflikt der ProtagonistIn auf die Bühne gebracht. Beim Doppeln fühlt sich die doppelnde Person in die ProtagonistIn ein und verbalisiert das innere Erleben der ProtagonistIn. Diese Technik wird angewandt, um bei der ProtagonistIn Blockaden zu lösen. Beim Spiegeln übernimmt eine StellvertreterIn die Rolle der ProtagonistIn. Dadurch hat die ProtagonistIn die Möglichkeit, aus ihrer Rolle herauszutreten und diese neu zu bewerten. Beim Rollentausch tauschen zwei RollenspielerInnen wechselseitig ihre Rollen, d.h. die eine Person spielt gleichzeitig die Rolle der anderen Person – und umgekehrt. Die AutorInnen sehen die Wirkung des Rollentausches darin, dass, wenn zwei Menschen die Rollen tauschen, jeder einen Einblick in das Innenleben des Anderen bekommt.
Stadler & Kern gehen auf einen weiteren wichtigen Begriff des Psychodramas ein: das soziale Atom.
Es erfasst die sozialen Beziehungen einer Person. Sie sagen, mit dem Psychodrama hat man die Möglichkeit, die Interaktionen szenisch darzustellen und auf diese Weise Konflikte und Probleme innerhalb von Beziehungsmustern zu erfassen. In weiterer Folge beschreiben die AutorInnen verschiedene Arrangements, mit deren Hilfe man das Rollenverhalten von Menschen beobachten kann (z.B. standardisierte Rollenspiele, Rollendiagramm, Role-Rating). Stadler & Kern gehen auch auf den Begriff Soziometrie ein, unter dem man die Messung zwischenmenschlicher Beziehungen versteht. Das Individuum befindet sich immer innerhalb eines sozialen Netzes, das einbezogen werden muss, wenn man den Einzelnen verstehen will. Zusätzlich beschreiben sie die Anwendungsfelder des Psychodramas (z.B. Behandlung, Beratung, Bildung, Training, Selbsterfahrung). Außerdem vergleichen die AutorInnen das Psychodrama mit anderen psychotherapeutischen Verfahren (psychodynamische Verfahren, Verhaltenstherapie, Gestalttherapie, Gesprächstherapie, systemische Therapie) und streichen Verbindendes und Trennendes in Theorie und Methode heraus. Abgerundet wird der Text mit Angaben über die Ausbildung zur PsychodramatikerIn und nützlichen Literaturhinweisen.
Mit diesem Text wollen Stadler & Kern die Grundlagen, die Methodik und die Anwendungsgebiete des Psychodramas näher beschreiben und erklären. Sie gehen dabei auch auf die Geschichte des Psychodramas und die Grundgedanken ihres Begründers, J. L. Moreno, ein. Es gelingt ihnen, die psychodramatischen Instrumente, Arrangements und Techniken anschaulich darzustellen und mit zahlreichen Beispielen zu vervollständigen. Für mich ist der Text eine sehr gute Einführung in das Thema Psychodrama. Er ist gut lesbar und übersichtlich strukturiert. Die AutorInnen haben aufgezeigt, dass dieses Verfahren in vielen verschiedenen Bereichen eingesetzt werden kann, wie beispielsweise in Psychotherapie, Beratung oder Bildung.