Originalarbeit

Manfred Thielen

Körperpsychotherapie bei Angst

Zusammenfassung Der Autor beschreibt die unterschiedlichen Angsttheorien von Freud, Reich, psychodynamische Angsttheorien, die Weiterentwicklung körperpsychotherapeutischer Theorien sowie Erkenntnisse aus der prä-, post- und perinatalen Forschung. Der Autor bezieht sich auch auf die Säuglingsforschung und fokussiert im Einzelnen Angst aus einer ganzheitlichen Perspektive. Schließlich illustriert er an einem praktischen Beispiel die körperpsychotherapeutische Arbeit mit einer Angstproblematik.

Schlüsselwörter Angsttheorie, Freud, Reich, Psychodynamik, Säuglingsforschung, körperpsychotherapeutische Praxis

Abstract The author describes the different anxiety theories of Freud, Reich, psychodynamic anxiety theories, development of body psychotherapy theories as well as the latest scientific findings of the pre-, post- and perinatal research. The author also relates this to infant research and focuses anxiety from a holistic point of view. Finally he illustrates by a case study the body psychotherapy approach to the anxiety problems.

Keywords Anxiety theory, Freud, Reich, psychodynamics, infant research, body psychotherapy in practice

  1. Freudsche Angsttheorien und die Sicht von W. Reich

Sigmund Freuds (1856-1939) frühe Angsttheorie ging davon aus, dass das Kind bereits in seinen ersten Lebensjahren sexuelle und aggressive Impulse hat, die auf direkte Weise zur Befriedigung drängen. Es wendet sich mit diesen Impulsen – aus damaliger Sicht – in erster Linie an seine Mutter, die entsprechend der eigenen psycho-sexuellen Entwicklung und der gesellschaftlichen Normen darauf mit Unsicherheit, Ablehnung, oder auch mit Lächerlichmachen oder Bestrafung reagiert. Nach Freud können solche Erfahrungen beim Kind zu einer Blockierung der sexuellen Impulse führen, die zu einem Erregungsstau führt. Der Erregungsstau wird als Angst erlebt. Die Angst bewirkt, dass die sexuellen Impulse umgewandelt werden und dadurch ihre Bedrohung verlieren. Im Hinblick auf eine mögliche Bestrafung ist Angsthaben weniger bedrohlich als ein sexueller Impuls.

Wesentlich an der frühen Angsttheorie Freuds ist, dass die Energie der Angst ursprünglich als ein sexueller bzw. aggressiver Impuls gesehen wurde, diese Auffassung hatte Wilhelm Reich (1897-1957) aufgenommen und weiterentwickelt.
In einer späteren Version seiner Angsttheorie hat Freud den Signalcharakter der Angst herausgearbeitet. Sie signalisiert sowohl bedrohliche Ereignisse in der Außen-als auch in unserer Innenwelt. Realangst ist demnach die Angst vor Vorgängen in der Außenwelt und damit gesund. Demgegenüber entsteht die neurotische Angst auf gefährlich erlebte innere Impulse.

Eine besondere Rolle spielt aus psychoanalytischer Sicht die „Über-Ich-Angst“. Wenn unsere bewussten Handlungen in Widerspruch zu den Normen unserer Erziehung geraten und wir die verinnerlichten Normen unseres „Über-Ichs“ nicht erfüllen, befürchten wir Bestrafung, die dem früheren Liebesentzug der Eltern entspricht.
Reich war bis Ende der 20er Jahre ein enger Schüler Freuds und von diesem hochgeschätzt, wie sich u.a. darin ausdrückte, dass er bereits als junger Mann Leiter (1924-30) des Technischen Seminars der Psychoanalyse in Wien wurde. Er folgte Freuds erster Angsttheorie, und wie Freud ging er davon aus, dass Angst und Sexualität dieselbe Energie zur Grundlage haben. “Dieselbe Erregung, die am Genitale als Lustempfindung zum Vorschein kommt, meldet sich, wenn sie das Herzsystem erfasst, als Angst, mithin als das genaue Gegenteil der Lust.“ (Reich,1942, 1987, S. 103)

Wenn diese Energie durch Dehnung und Streckung nach außen geht, führt sie zu sexuellen Impulsen, wenn sie von der Peripherie zum Zentrum verläuft, dann wird sie zur Angst.

Freuds zweiter Angsttheorie folgte er hingegen nicht, er war vielmehr der Auffassung, dass die Aktual- oder Realangst, auch einen psychoneurotischen Überbau hat und dass umgekehrt die psychoneurotische Angst einen aktualneurotischen Kern besitzt. Für seine These, dass Angst und Sexualität dieselbe energetische Grundlage haben, führte er klinische Belege an. 1924 behandelte er zwei Frauen mit Herzbeschwerden. Die Herzsymptomatik ging zurück, die Herzangst ließ nach, sobald bei ihnen genitale Erregung auftrat. Für Reich war nach dem damaligen wissenschaftlichen Stand der Physiologie Lust mit Expansion und Angst mit Kontraktion verbunden, für ihn waren das die Urgegensätzlichkeiten des vegetativen Lebens (ebd., S. 215). Expansions-, Dehnungs- und Weitungsprozesse werden vom Parasympathikus und Kontraktionsprozesse vom Sympathikus gesteuert.

Die Frage, welche Erregung, welche Energie der Angst zugrunde liegt, wird heute in aktuellen Fachbüchern entweder nicht gestellt oder nicht eindeutig beantwortet. In der verhaltenstherapeutischen Richtung wird diese Frage entsprechend ihrem pragmatischen Grundansatz kaum gestellt. In der tiefenpsychologischen, psycho-dynamischen Richtung hingegen spielt der Zusammenhang von Aggression und Angst eine wichtige Rolle.

  1. Psychodynamische Angsttheorien

Fritz Riemann (1902-1979), der mit seinem Buch „Grundformen der Angst“ (2002) einen Klassiker zur tiefen-psychologischen Angsttheorie und -therapie geschrieben hat, vertritt z.B. die Position,dass Angst und Aggression eng zusammenhängen. Wahrscheinlich wird die Aggression ursprünglich durch Unlust und Angst ausgelöst. Unlust ist seines Erachtens die archaische Form der Angst in unserer Frühzeit. Das Kleinstkind kann seine Angst nur in Form von Unlust, durch Schreien, Strampeln, um sich schlagen, also in motorischer Entladung und Abreaktion äußern (vgl. Riemann, 2002, S. 31).

In der psychodynamischen Therapie sind in der aktuellen Diskussion neben dem ursprünglichen Modell – Angst als Triebstau – drei Angstmodelle dominierend:

  1. Konfliktmodell: Angst als Folge eines Konflikts,
  2. Strukturschwächemodell: Angst als Folge von Ich-Schwäche,
  3. Bindungstheoretisches Modell: Angst als Bindungsverlustangst (vgl. Hoffmann, 2009, S. 16 ff.)

Zu 1.) Grundlage ist die 1. Signalangsttheorie von Freud. Das Ich wird demnach von zwei Seiten bedrängt, nämlich von den Triebansprüchen des Es und dem Gewissen (Über-Ich), wodurch Konflikte entstehen. Als zentrale Ursache von Angst sind demnach intrapsychische Konflikte anzusehen. Nach Freuds 2. Angsttheorie ist die Angst das letzte Mittel, eine traumatische Reizüberflutung des Ichs zu verhindern. Die entstehende Angst hat deshalb eher Panikcharakter.

Die Entwicklung von Ängsten steht im engen Zusammenhang zu frühkindlichen Entwicklungsphasen:

Zu 2.) Ich und Selbst können auf Grund einer defizienten Entwicklung, z.B.: durch traumatische frühkindliche Erfahrungen, mangelhafte Entwicklungsbedingungen oder konstitutionellen Gegebenheiten schwer beeinträchtigt sein. Es kommt zu einer „Ich-Schwäche“ oder „Brüchigkeit des Ichs“. Auf Signale der Angst hat das Individuum auf Grund seiner Ich-Schwäche unzureichende Möglichkeiten der Abwehr bzw. der Kompensation, es erlebt Gefahr und eine eher diffuse Angst.

Die Ich-Entwicklungsstörung steht nach psychoanalytischer Sicht häufig im Kontext mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung oder auch mit einer Borderline-Störung.

Zu 3.) Als Grundlage dieses Modells gilt die Bindungstheorie Bowlbys. Angst wird als Reaktion auf eine Bedrohung der fundamentalen Bindungen im Leben verstanden. Die Angst vor dem Verlust des Objekts oder die Trennungsangst ist in der frühkindlichen Entwicklung des Kindes die größte Angst. Einem bindungsunsicheren Menschen fehlte es in seiner frühen Kindheit an stabilem Halt einer warmherzigen, Sicherheit gebenden und gewährenden Beziehung. Stattdessen hat er schwere Deprivationserfahrungen oder Trennungserlebnisse machen müssen. Als Erwachsene hat er Schwierigkeiten, Bindungen einzugehen oder aufrechtzuerhalten, weil das Vertrauen zu anderen Menschen nicht ausreichend vorhanden ist.

In Bedrohungssituationen droht Beziehungsverlust bzw. Verlassensein und es wird Angst erlebt. Dieses Modell fokussiert auf den angstauslösenden Aspekten von bedrohter Bindung und Trennung.

  1. Reichs Angsttheorie

In seiner Charakteranalyse (1933) ging Reich (1989) bereits über die klassische Psychoanalyse hinaus, obwohl sie noch primär psychoanalytisch formuliert ist.

Reich differenzierte folgendermaßen zwischen Symptom und Charakter: „Während das Symptom nur einen bestimmten Erlebnis, einem umgrenzten Wollen entspricht, stellt der Charakter, die spezifische Wesensart eines Menschen, einen Ausdruck der gesamten Vergangenheit dar.“ (Reich, 1989, S. 78) Der Patient hat also in Form des Charakters einen kompakten Schutzmechanismus entwickelt, er dient einerseits als Schutz gegen Reize der Außenwelt und anderseits erweist er sich als Mittel, um der aus dem Es ständig vordrängenden Libido Herr zu werden. Es wird ständig Angst im Panzer gebunden, die Angst und andere Gefühle werden abgewehrt, deshalb stellt der Panzer das neurotische Gleichgewicht her (ebd., S. 79).

Der rigide Charakter nach Reich kann seine Angst mit Hilfe seines Muskelpanzers, seiner chronisch verspannten, hypertonen Muskulatur unterdrücken, während dies dem schizoiden Charakter nicht gelingt. Dieser ist zu unabgegrenzt, hat eine schwache Abwehr und seine Muskulatur ist eher durchlässig bzw. zu durchlässig und hypoton. Von seiner Grundstruktur ist er sehr ängstlich, weil er schlechte bzw. unzureichende Bindungserfahrungen mit seinen primären Bezugspersonen gemacht hat. Oft hat er/sie bereits nach der Geburt Ablehnung bis hin zu Hass durch die Mutter erfahren. Auf Grund von Erfahrungen der emotionalen Zurückweisung, Verletzung bis hin zur Demütigung fehlt das Grundvertrauen in das Außen, die Welt, die anderen Menschen werden tendenziell als bedrohlich, als Angst machend erlebt. Unangenehme Gefühle werden nicht verdrängt, sondern abgespalten. Reichs Erkenntnis, dass sich sowohl die Angst, als auch ihre Unterdrückung sich körperlich niederschlagen, war neu. Mit Hilfe einer chronisch angespannten, kontrahierten Muskulatur und einer flachen Atmung konnte sie, wie auch andere Gefühle, unterdrückt werden.

Betrachtet man auf dem Hintergrund der reichianischen Erkenntnisse über Angst und Charakter die drei psycho-dynamischen Angsttheorien, dann sind wichtige Aspekte dieser Modelle bereits in Reichs Charakteranalyse enthalten:

  1. Bei der Genese pathologischer Ängste spielten frühkindliche Konflikte, der Umgang der primären Bezugspersonen mit den Triebansprüchen, insbesondere sexueller und aggressiver Art, eine zentrale Rolle. Wie der Widerspruch zwischen Es-Bedürfnissen und Über-Ich-Verboten in der frühkindlichen Entwicklung gelöst wurde, hatte bei negativem Verlauf pathologische Ängste zur Folge.
  2. Wie an seinen Ausführungen zum schizophrenen Charakter deutlich wird, hat seine Ich-Schwäche oder Brüchigkeit große Auswirkungen auf sein Angstabwehrverhalten. Er ist dazu kaum bzw. nicht in der Lage und entsprechend ängstlich. Ihm fehlen die notwendigen Abwehr- und Kompensationsmöglichkeiten.
  3. Frühkindliche Störungen wie die schizoide sind Ausdruck von mangelnder Sicherheit, Deprivations-, Verletzungs- oder gar Demütigungserfahrungen des Kindes. Die Angst vor Verlust der oder Bestrafung durch die primären Bezugspersonen wird charakterlich in Form von ängstlichem Beziehungsverhalten verinnerlicht.

Auf diesem Hintergrund spricht vieles dafür, diese unterschiedlichen Angsttheorien zu einer ganzheitlichen zu integrieren und sie körperpsychotherapeutisch zu erweitern:

Ängste spiegeln sich auch auf der körperlichen, der muskulären und vegetativen Ebene wider. Um Angst wahrnehmen oder unterdrücken zu können, spielt die Atmung eine zentrale Rolle. Reich analysierte vor allem den Zwerchfellblock als körperliche Blockade, um unerwünschte Gefühle unterdrücken zu können. Die Lösung dieser Blockade stellte für ihn das „Tor“ zu den Gefühlen und zum Unbewussten dar.

Mit Hilfe der Atmung und der Lockerung bzw. Lösung von körperlichen, muskulären und vegetativen Blockaden, wurde von Reich ein anderer Zugangsweg zur Psyche und psychischen Krankheiten geöffnet, der über den verbalen Weg hinaus ging. Pathologische Angst war demnach nicht nur mit Worten, sondern auch bzw. vor allem non-verbal, über den Körper, zu bearbeiten.

  1. Weiterentwicklungen der reichianischen Angsttheorie

Die Erkenntnisse von Reich über Angst und Angststörungen wurden in der Folge von seinen NachfolgerInnen weiterentwickelt. Hier ist vor allem Alexander Lowen (1910 -2008), der Begründer der Bioenergetik, zu nennen. Er hat Reichs Charaktertypologie übernommen, verfeinert und weiterentwickelt. So hat er den „oralen Charakter“ hinzugefügt (vgl. Lowen, 1958, 1981). Lowen setzte an Reichs Vorstellung vom freien energetischen Fluss im Körper, der Möglichkeit, „ozeanische Gefühle“ zu erleben, an. Reich hatte bereits die Möglichkeit in seiner klinischen Praxis erlebt, dass aus Angst mit Hilfe einer veränderten Atmung Lust entstehen kann. Lowen hat hieran angeknüpft und in seiner klinischen Tätigkeit die Erfahrung gemacht, dass sich beim Aufgeben der Abwehrprozesse und beim seelisch-körperlichen Öffnen gegenüber der unterdrückten Erregung der Angst, sich das Gegenteil von Angst, nämlich Lust entwickelt. Auf der Körperebene entsteht aus der ängstlichen, muskulären Kontraktion lustvolle Expansion. Aber eine größere emotionale Offenheit erhöht auch das Verletzungspotenzial entsprechend, deshalb müssen beim Wiederöffnen der seelisch-körperlichen Prozesse in der Körperpsychotherapie auch neue Schmerz-Angst-Abwehrsysteme gelernt werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich alte Verletzungen bzw. Traumata wiederholen. Von daher ist eine realistische Kontrolle über diesen Prozess des Sich Öffnens von Seiten des/der PatientInnen in der Therapie notwendig.

Er erkannte, dass nur ein Öffnen der seelisch-körperlichen Prozesse in der Therapie die Gefahr in sich barg, den Patienten u.U. zu ungeschützt, möglichen Verletzungen von außen auszusetzen. Reichs zu starke Fokussierung auf die sexuellen Impulse bzw. ihre Unterdrückung bei der Genese von Angst, erweiterte er im Sinne allgemeiner lebensenergetischer Impulse. Durch die Angst werden nicht nur sexuelle Impulse, sondern allgemeiner lebensfreudige Impulse unterdrückt. In seiner jahrzehntelangen klinischen Praxis stellte er bei vielen PatientInnen besonders Angst vor Sexualität fest. Sie hatten Angst vor dem Los- bzw. Fallenlassen, insbesondere vor dem „petit mort“ beim Orgasmus. Diese sexuelle Angst kann mit der Angst vor dem Verlust des Ichs einhergehen (vgl. Lowen, 1981, S. 129 ff.)

Eine weitere Angst, die er in seinen bioenergetischen Analysen feststellte, ist die Angst vor dem Wahnsinn, die sich oft in der Angst vor der Psychose, oder Angst wahnsinnig zu werden, ausdrückt. Dabei wird häufig Wut und Wahnsinn gleichgesetzt. Indem die Patientin den Wahnsinn vermeidet, indem sie ihre Erregung blockiert, d.h. weit herabsetzt, versucht sie ihre Explosionsgefahr oder Gefahr des Platzens zu verhindern (ebd., S. 139 ff.).

John Pierrakos (1921-2001) Mitbegründer der Bioenergetik, Gerda Boyesen (1922-2005), die Begründerin der Biodynamik, David Boadella (1987), Stanley Kelemann (1992), George Downing (1996) u.a. haben die körper-psychotherapeutische Angstkonzeption um weitere Aspekte bereichert.

  1. Weiterentwicklungen der körperpsychotherapeutischen Angsttheorie durch prä-, peri, postnatal und die Säuglingsforschung

Reich hatte sich ab 1942 intensiver mit der Entwicklung von Babys, insbesondere ihrer frühkindlichen Entwicklung beschäftigt. Bei seinem Sohn Peter hatte er bereits in dessen ersten Lebenswochen Fallangst festgestellt. Sie war Ausdruck einer Interaktionsstörung zwischen Reichs Frau und ihrem Sohn. Peter hatte beim Stillen einen „oralen Orgasmus“, seine Mutter war darüber irritiert und hatte sich darauf hin emotional etwas zurückgezogen. Reich sprach mit seiner Frau, um sie zu ermutigen, den oralen Orgasmus zuzulassen. Daraufhin hat sich ihr Kontakt zu ihrem Sohn wieder deutlich verbessert. Reich selbst hat mit seinem Sohn vorsichtig und sanft Fallübungen gemacht, um seine Fallangst vorsichtig und schrittweise abzubauen (vgl. Thielen, 2010, S. 196). Bereits Reich hat also erkannt, dass Ängste in frühster Kindheit einsetzen können.

Erkenntnisse über die Angstgenese durch die prä- und perinatal Forschung

Einer der wichtigsten Pioniere der prä- und perinatal Forschung ist Stanislaw Grof (geb. 1931). Er arbeitete zunächst als Psychiater in der damaligen Tschechoslowakei, später in den USA, war in Psychoanalyse ausgebildet und zu Zeiten, als die Arbeit mit LSD zu therapeutischen Zwecken noch erlaubt war, hat er mit Hilfe mehrerer tausend Therapiesitzungen unter LSD vier Matrixen der perinatalen Phase herausgearbeitet. Sehr tief verankerte Ängste und Panikzustände, die durch konventionelle Psychotherapie nicht zu mindern bzw. zu überwinden waren, sah er in der perinatalen Phase verursacht. Mittlerweile sind die sehr innovativen Erkenntnisse von Grof auch für Psychodynamiker und Pränatalforscher wie Ludwig Janus, der sich in der Tradition des Psychoanalytikers Otto Rank fühlt, zum Allgemeingut der prä- und perinatalen Forschung geworden.

 „... die Grofsche Prozessbeschreibung (wird) im ganzen heute weitgehend akzeptiert.“ (Janus, 2000, S. 19)

Menschen, deren Erleben von der zweiten perinatalen Grundmatrix beherrscht wird, werden von immer stärker werdenden Gefühlen der Angst überwältigt und sehen ihr Leben in unmittelbarer Gefahr. Sie können aber in der Regel die Ursache dieser Gefahr nicht eindeutig erkennen und neigen dazu, die Welt paranoid zu interpretieren. Als zusätzliche Komplikation während der 2. und 3. Matrix kann die Nabelschnur um den Hals des Fötus geschlungen sein und dann die Angst zu ersticken und oder zu sterben erlebt werden. Bei späteren Hyperventilationserfahrungen im erwachsenen Leben kann sich diese Todesangst wiederholen. Grof hat mit vielen Angstpatienten gearbeitet, die bereits eine Psychotherapie hinter sich hatten, ohne ihre Angstsymptomatik überwinden zu können, da dafür die biografische Aufarbeitung alleine nicht ausreichte. Erst mit der Bearbeitung der peri- und postnatalen Erfahrungen konnte sie bei diesen PatientInnen gemindert bzw. sogar überwunden werden.

Entwicklungspsychologisch betrachtet, kann die Entstehung der Angst noch früher als in der perinatalen Phase beginnen. Pränatalforscher wie Emerson, Chamberlain, Renggli (vgl. Harms, 2000) haben die Möglichkeiten der Interaktionsstörungen zwischen primären Bezugspersonen und dem Embryo bzw.Fötus in der Schwangerschaft, seit Beginn der Zeugung, untersucht. Die pränatale Psychologie geht von vorgeburtlichen Gefühlen (Janus, 2000, S. 69) aus. Angst bzw. ihre Vorformen entstünden demnach bereits im Mutterleib. Damit wäre Angst ein eigenständiger Affekt, der unabhängig von sexuellen und aggressiven Impulsen entstünde, es sei denn der Fötus hätte auch bereits diese Impulse. Angst scheint ein physiologischer Erregungsprozess zu sein, der mit Unlust verbunden ist. Unlust ist – wie das Amöbenbeispiel von Reich (vgl. Boadella, 1983, S. 112) zeigt – mit Kontraktion und Lust mit Expansion verbunden. Angst stünde beim Fötus von daher mit Unlustempfinden und muskulärer Kontraktion in Verbindung und wäre ein starker Erregungsimpuls.

  1. Der Beitrag der Säuglingsforschung zum Verständnis der Angstgenese

Martin Dornes (1998) fasst die Ergebnisse der Säuglingsforschung zur Entwicklung der Angst beim Säugling zusammen. Es gibt natürliche Bedingungen, die bei allen Spezies Angst auslösen: Alleinsein, Dunkelheit, überraschende oder plötzliche Geräusche. Säuglinge haben in erster Linie realistische Ängste. Sie verschwinden wieder, wenn die sie auslösende Situation sich verändert. „Dauerhafte chronische Angst entsteht durch die Verknüpfung einer an sich adaptiven Affektdisposition mit Vorstellungsinhalten, die unabhängig von aktuellen Situationen sind.“ (ebd., S. 183)

Da Säuglinge noch nicht phantasieren können, sind ihre Ängste realistischer Natur. Ihr Affektsystem geht ihrem Phantasiesystem zeitlich voraus. Phantasierte Ängste gründen sich auf Wahrnehmungen innerer oder äußerer bedrohlicher Reize. Dornes unterscheidet zwischen Angst und Furcht. Furcht resultiert aus der Wahrnehmung einer äußeren Gefahr und Angst aus der Wahrnehmung einer Bedrohung von innen (ebd., S. 184). Furcht taucht bei den Säuglingen in der Regel erstmals mit sieben Monaten auf, wenn sie sich aktiv fortbewegen können. Diese Fähigkeit beinhaltet die Möglichkeit, sich von den Eltern fortzubewegen und birgt Gefahren für ihr Überleben in sich.

Die am besten untersuchten Ängste in der Säuglingszeit sind Fremden- und Trennungsangst. Sie wurde mit 7-8 Monaten festgestellt, wenn die Mutter beginnt, das Kind phasenweise alleine zu lassen. Fremdenangst und Trennungsangst werden in der Psychoanalyse (PA) mehr oder weniger gleichgesetzt, das ist aber nach Dornes unangemessen. Fremdenangst kommt auch bei Mutteranwesenheit vor, nicht nur bei Abwesenheit, wie die PA behauptet. Beide Ängste haben unterschiedlichen Verlauf und unterschiedliche Höhepunkte. Nach Spitz (ebd., S. 187) kann man Fremden auch mit einer Mischung aus Neugier und Vorsicht begegnen und nicht unbedingt mit Angst. Säuglinge orientieren sich mit 9 Monaten in zwiespältigen Situationen oder bei widersprüchlichen Gefühlen an der Mutter und ihren Affekten. Der mütterliche Affekt bestimmt dann den kindlichen. Dieses Phänomen heißt: „Social referencing“ (vgl. ebd., S. 189)

Es gibt auch biologische oder genetische Disposition zur ängstlichen Erregbarkeit. Es gibt leicht tröstbare und schwerer tröstbare Säuglinge. Wenn die Ergebnisse der prä- und perinatalen Psychologie mit denen der Säuglingsforschung verglichen werden, müssen Widersprüche festgestellt werden. Der Ursprung der Angst wird von den pränatalen Psychotherapeuten bereits in der vorgeburtlichen Zeit gesehen, während er für die Säuglingsforscher im Alter von 7 M. beginnt.

Die Trennungsangst hat in erster Linie mit der Angst vor dem Verlust des geliebten, Sicherheit gebenden Objektes zu tun, ist also eng mit der Interaktion des Kindes mit den Eltern und der „Affekt-Abstimmung“ (affect attunement, nach D. Stern) verbunden. Fehlabstimmungen durch die primären Bezugspersonen können ängstliche Verhaltensweisen des Säuglings verstärken und verfestigen. Sie sind die Grundlage für die Entstehung von neurotischen, irrationalen Ängsten.

  1. Angst als ganzheitliches Geschehen

Die Potenzialität, Angst, wie andere Basisgefühle auch, zu haben, ist genetisch bedingt. Viele Schreck- und Angstreaktionen auf entsprechende Schlüsselreize, z.B. Abwehr- und Fluchtreflexe vor einem Abgrund, vor unbekannter Gefahr u.a. sind angeboren (vergl. Morschitzky, 2009, S. 198). Angst im gesunden Sinne ist eine lebenserhaltende Kraft, die dem Menschen Gefahren und Bedrohung signalisiert und es ihm dadurch möglich machen, sich vor ihnen zu schützen.

Angst als ganzheitliches Erleben besteht aus drei Ebenen:

Angst ist auch ein komplexes neurobiologisches Geschehen, bei dem u.a. Adrenalin ausgeschüttet wird, das eine Beschleunigung der Herz-Kreislauftätigkeit bewirkt. Bei Gefahr, von einem schmerzhaften Reiz bis hin zu einer Reaktivierung eines unbewussten Traumas aus der Kindheit, reagiert der Körper mit Flucht- oder Kampfimpulsen.

Die neurobiologische Seite der Angst soll in diesem Kontext nicht weiter vertieft werden, hierzu wird auf die entsprechende Fachliteratur verwiesen (vergl. Morschitzky, 2009)

  1. Die körperpsychotherapeutische Arbeit mit Ängsten

Auf der Basis einer gründlichen Anamnese und Diagnostik und der Analyse der biografischen Grundkonflikte wende ich mich auch der körperlichen Symptomatik der Angst zu. Wenn die Patientin über eine ausreichende Ich- oder besser Selbst-Stärke verfügt, lasse ich sie zunächst die psychische und körperliche Angstsymptomatik explorieren. Im konkreten Fall litt die Patientin an Panikattacken, die sie bei Anforderungen im Beruf oder auch bei starken zwischenmenschlichen Konflikten. Darüber hinaus litt sie an einer Agoraphobie und hatte Angst vor dem U-Bahn-, Bahnfahren und Fliegen.

Seit ein paar Jahren lebte sie mit ihrem Freund zusammen. Sie konnte abends nicht alleine sein und vor allem nicht alleine schlafen. Sie war also sehr stark abhängig von ihrem Freund. Neben der Angstproblematik litt sie an massiven Schlafstörungen und psychosomatischen Beschwerden (Magen- und Verdauungsproblemen, Schuppenflechte, Gelenkschmerzen u.a.). Bei ihren Panikattacken hyperventilierte sie, hatte Angst, in Ohnmacht zu fallen, was ihr auch schon passiert war und erlebte nahezu die ganze Palette an Symptomen wie: beschleunigter Herzschlag, Schwitzen, Zittern, Atemnot, Beklemmungsgefühle in der Brust, Übelkeit, Schwindel, Unsicherheit, Benommenheit, Angst die Kontrolle zu verlieren u.a. Die Panikattacken wurden vor allem im Kontakt mit ihrer Mutter, insbesondere durch Konfliktsituationen mit ihr, ausgelöst.

Die Beziehung zu ihrer Mutter war in ihrer Kindheit ganz eng, vor allem nach der Trennung der Eltern, als sie 9 J. alt war, wurde sie von der Mutter als Ersatzpartner missbraucht. Sie hat die Pat. wie eine Freundin behandelt bzw. vereinnahmt und sich ihr gegenüber vollkommen unabgegrenzt verhalten, z.B. erzählte sie ihr auch von ihren sexuellen Vorlieben und Problemen. Ihre Mutter litt selbst unter starken Ängsten und hatte ihre Tochter mit ihrer Ängstlichkeit angesteckt.

Einige Zeit vor Therapiebeginn hatten sie eine sehr schwierige Beziehung. Bereits Telefonate oder nur SMS konnten bei der Pat. Panikgefühle auslösen. Deshalb hatte sie den Kontakt zur ihr über viele Monaten weitgehend abgebrochen.

Auf der Basis einer vertrauensvollen und positiven Übertragungsbeziehung arbeiteten wir zunächst daran, Alternativen zu ihren körperlichen Paniksymptomen zu finden. Ich vermittelte ihr, dass Angst auf der körperlichen Ebene mit einer muskulären Kontraktion, An- bzw. Verspannung einhergeht.

Um diese Überspannung und ihre Übererregung, zunächst körperlich zu reduzieren, schlug ich ihr zwei Körperübungen aus der reichianischen Tradition und aus der Bioenergetik vor.

Auf dem Rücken auf einer Matratze liegend, sollte sie bei der 1. Übung die Beine im 90 Gradwinkel nach oben strecken, die Knie sollten möglichst gestreckt und die Zehen zum Körper nach unten gerichtet werden. Die Arme sollte sie nach oben, ebenfalls im 90 Gradwinkel strecken und die Handflächen nach hinten kippen lassen. Dabei habe ich sie vertieft und etwas schneller als üblich in den Bauch atmen und sich dabei eine Situation vorstellen lassen, die ihr Angst machte. Diese Position sollte sie möglichst lange aushalten, dann sollte sie die Füße auf die Matratze aufsetzen und die vorhandene Spannung mit Füßen und Händen in die Matratze laufen und dabei den Kopf drehen („Reichianisches Laufen“). Sie lief sehr schnell und wurde dabei ärgerlich und sogar wütend auf ihre Mutter.

Sie war wütend auf deren Instrumentalisierung und fühlte sich als ihr Ersatzpartner missbraucht. Ihr wurde dabei bewusst, dass sie als Kind immer Rücksicht auf sie nehmen musste, da sie ja krank – frühberentet – war und an Ängsten, Depressionen und psychosomatischen Symptomen gelitten hatte. Diese Situation hatte sich noch vor einigen Jahr verschärft, da die Mutter an Hautkrebs erkrankt war und vor kurzer Zeit sogar einen Herzinfarkt erlitten hatte. Über viele Jahre hatte die Patientin ihre Wut auf ihre Mutter aus Angst, ihr könnte etwas passieren, sie müsse sie schonen, unterdrückt. Diese Wut hatte z.T. den „mörderischen“ Charakter, der schrittweise in der Therapie freigesetzt wurde. Diese unterdrückte und z.T. abgespaltene Wut hatte sich in Form von Panikattacken autoaggressiv nach innen, gegen ihr eigenes Selbst, gewandt. Sie erlebte die Panikattacken als Versagen und hatte sich deshalb Selbstvorwürfe gemacht und sich abgewertet.

Der Ausdruck von Ärger und Wut war in ihrer bisherigen Sozialisation weitgehend tabuisiert worden, von daher lernte sie in der Therapie schrittweise, sich Ärger und Wut anzueignen. Dabei waren eine Reihe von körper-orientierten Übungen, insbesondere Erdungsübungen (Grounding), hilfreich, um körperliche An- und Verspannung, Druckgefühle im Bauchbereich, Unbehagen mit Gereiztheit, Ärger und Wut in Verbindung zu bringen. Wirkungsvoll war folgender Aufbau der Übungen, zuerst mit einer Stressposition den inneren Stress zu verstärken und damit bewusster zu machen und ihn dann im zweiten Schritt durch körperlichen und affektiven Ausdruck zu entladen. Entweder entlud die Patientin ihre Angstspannung mit Hilfe von Laufen bzw. einem Wutanfall – durch Schlagen und Strampeln – auf der Matratze, oder im Stehen durch Boxen und Treten gegen einen Schaumstoffwürfel, oder in Form eines Rollenspiels direkt mit ihrer Mutter und später auch mit ihrem Vater.

Ihr wurde zunehmend bewusster, dass der Ausdruck von Ärger, Wut, Zorn und auch Hass eine Alternative zu ihren Panikreaktionen sein konnte. Zu ihrem Vater hatte sie in den letzten Jahren ein gutes, vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut, sie trafen sich ca. einmal pro Woche und führten intensive Gespräche auch über ihre Ängste. Da er sich einer Krebsoperation unterziehen musste, hatte sie trotz einer guten Prognose Angst um ihn.

In ihrer Kindheit hatte sie phasenweise ein enges und liebevolles Verhältnis zu ihm. Doch nach der Trennung der Eltern verschlechterte sich ihre Beziehung. Sie erlebte ihn als unberechenbar und phasenweise sogar angsteinflössend. Sie fühlte sich auch von ihm als Ersatzpartnerin benutzt, bei der er Trost, Unterstützung, aber auch körperliche Nähe suchte.

In ihrer Jugend hatten sie einige Jahre kaum Kontakt miteinander und die Patientin hatte den Eindruck, dass er stark um sich selbst kreiste und sich kaum für ihr Leben interessierte. Sie fühlte sich von ihm wegen ihres attraktiven Aussehens zwar bewundert, doch hatte sie das Gefühl, dass sie seinen intellektuellen und politischen Ansprüchen nicht genügte.

Z.B. verbrachte sie mit ihm, ihrem Freund und einem Freund ihres Vaters einen Feiertag gemeinsam auf dem Land. Sie ging mit ihrem Vater und dessen Freund spazieren und die beiden Männer unterhielten sich weitgehend nur untereinander über intellektuelle und politische Themen, sie fühlte sich dabei ausgeschlossen und tendenziell minderwertig. Abends nach dem Spaziergang bekam sie dann eine heftige Panikattacke, ihr Vater wollte schon den Notarzt rufen. Bei der therapeutischen Nachbearbeitung dieser Situation wurde sie zunächst reinszeniert, sie begann dabei ansatzweise die, größtenteils körperlichen, Paniksymptome zu erleben. Ihr wurde dabei bewusst, dass sie auf ihren Vater wütend war, dass sie ihn schütteln oder ihm auf die Brust trommeln könnte. Im Rollenspiel trommelte sie mit ihren Händen ersatzweise auf einen Schaumstoffwürfel.

Sie fühlte sich von ihrem Vater in der beschriebenen Situation ignoriert und abgewertet und war darüber wütend. Ihre Wut stand in Verbindung mit den z.T. beschriebenen alten Situationen aus ihrer Kindheit. Vor allem in ihrer Jugend fühlte sie sich zuwenig von ihm beachtet und Wert geschätzt.

Nach der körperpsychotherapeutischen Bearbeitung dieser Situation war sie auch in der Lage, sich mit ihrem Vater über die Situation konkret auseinander zu setzen. Dabei konnte ihr Vater ihren Ärger und ihre Wut nachvollziehen und ihm tat sein Verhalten leid. Er versicherte ihr, dass er sie auch intellektuell anerkennt, obwohl er sich tatsächlich für sie eine andere Arbeit wünschte.

Sie hatten im weiteren Verlauf weitere Auseinandersetzungen, bei denen sie z.T. auch spontan wütend wurde und kurzfristig Verlassenheitsängste erlebte. Auch ihr Vater zeigte seine Wut, diese wütende Auseinandersetzung hatte den Charakter eines „reinigenden Gewitters“, danach hat sich ihre Beziehung weiter intensiviert und verbessert.

An diesem Ausschnitt aus einer Fallvignette wird deutlich, dass die Panikattacke der Patientin erlebte Erfahrungen und Widersprüche aus ihrer Kindheit als Ursache hatte. Den Grundkonflikt zwischen Abhängigkeit und Autonomie konnte sie mit beiden Eltern nicht lösen. Die konstruktive Aggression, die sie zur Abgrenzung von beiden Eltern, insbesondere von der Mutter, benötigte, war aus Angst vor Verlust blockiert. Insbesondere nach der Trennung der Eltern fühlte sie sich in erhöhtem Maße von ihrer Mutter, bei der sie lebte, abhängig. Sie fühlte sich von ihr durch deren somatischen und psychischen „Krankheiten“ zum Wohlverhalten erpresst. Ihre Wut gegen diese Erpressung und Funktionalisierung musste sie aus Angst vor Verlust verdrängen bzw. abspalten. Körperlich zeigte sich diese nicht zugelassene Wut in hoher Erregung, beschleunigtem Herzschlag, Beklemmungsgefühlen in der Brust, in Form von Angst- bzw. Paniksymptomen hatte sie sich autoaggressiv gegen die Patientin gerichtet.

Als es in unserer Körperpsychotherapie gelang, ihre Aggressionen von sich weg und gegen die Aggressoren ihrer Kindheit zu richten, konnten ihre Panikattacken schrittweise abgebaut werden. Mit Hilfe von Atemtechniken, insbesondere einer vertieften Ausatmung, gelang es ihr auch nach und nach ihre Phobien zu überwinden. Sie lernte, zunächst mit Ängsten, U-Bahn und Zug zu fahren und auch zu fliegen. An diesem Fallbeispiel wird der enge Zusammenhang zwischen Angst, konkret Panik, und unterdrückten Aggressionen deutlich. Es zeigt auch, dass über die körperliche Seite der Angst, eine Alternative zum Angstverhalten gefunden werden konnte. In der körperlichen Symptomatik, der muskulären Kontraktion und dem vegetativen Druck, liegen auch die Ansätze ihrer Lösung, nämlich Expansion, Ausdruck und vegetative Balance. Die Ursachen der Angst müssen selbstverständlich biografisch und objektbezogen in und mit der therapeutischen Beziehung aufgearbeitet werden.

Angst ist nicht nur ein Symptom oder eine Krankheit, sondern auch eine Kraft, die Gefahr signalisiert und uns somit schützt, aber auch der Ort neuer Herausforderung, dort, wo die Angst ist, ist oft auch der Weg. Mit Angst, sich der Herausforderung stellen und so die Angst in Mut verwandeln.

Korrespondenz

Praxis Manfred Thielen, Crellestr. 14, 10827 Berlin, 030/ 8519906, E-Mail: ma.thielen@gmx.de

Literatur

Boadella, David (1983). Wilhelm Reich. Leben und Werk des Mannes, der in der Sexualität das Problem der modernen Gesellschaft erkannte und der Psychologie neue Wege wies. Frankfurt/M., Fischer Taschenbuch Verlag.

Boadella, David (1991). Befreite Lebensenergie. Einführung in die Biosynthese. München, Kösel-Verlag.

Boyesen, Gerda (1987). Über den Körper die Seele heilen. Biodynamische Psychologie und Psychotherapie. München, Kösel-Verlag.

Boyesen, Gerda/Bergholz, Peter (2003). Dein Bauch ist klüger als du. Hamburg, Miko-Edition.

Butollo, Willi (2000). Die Angst ist eine Kraft. Über die konstruktive Bewältigung von Alltagsängsten. Weinheim, Basel, Beltz-Verlag.

Dornes, Martin (1998). Die frühe Kindheit. Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre. Frankfurt/M., Forscher Taschenbuch Verlag.

Downing, George (1996). Körper und Wort in der Psychotherapie. Leitlinien für die Praxis. München, Kösel-Verlag.

Grof, Stanislav (1985). Geburt, Tod und Transzendenz. Neue Dimensionen der Psychologie. München, Kösel-Verlag.

Hoffmann, Sven Olaf (2009). Psychodynamische Therapie von Angststörungen. Stuttgart, New York, Schattauer.

Janus, Ludwig (2000). Der Seelenraum des Ungeborenen. Pränatale Psychologie und Therapie. Walter Verlag.

Harms, Thomas (Hrsg.) (2000). Auf die Welt gekommen. Die neuen Baby-Therapien. Berlin, Ulrich Leutner Verlag.

Keleman, Stanley (1992). Verkörperte Gefühle. Der anatomische Ursprung unserer Erfahrungen und Einstellungen. München, Kösel-Verlag.

Lowen, Alexander (1985). Körperausdruck und Persönlichkeit. Grundlagen und Praxis der Bioenergetik. München, Kösel-Verlag. Engl. Orginalausgabe: 1958.

Lowen, Alexander (1989). Angst vor dem Leben. Über den Ursprung seelischen Leidens und dem Weg zu einem reicheren Dasein. München, Goldmann. Engl. Orginalausgabe. 1980.

Morschitzky, Hans (2009). Angststörungen. Diagnostik, Konzepte, Therapie, Selbsthilfe. Wien, New York, Springer Verlag, 4. Aufl.

Porges, S.W. (2001). The Polyvagal Theory: Phylogenetic substrates of a social nervous system. International Journal of Psychophysiology, 42, 123-146.

Reich, Wilhelm (1987). Die Entdeckung des Orgons. Die Funktion des Orgasmus. Köln, Kiepenheuer&Witsch. Erstausgabe: 1942.

Reich, Wilhelm (1989). Charakteranalyse. Köln, Kiepenheuer&Witsch. Erstausgabe: 1933.

Thielen, Manfred (Hg.) (2002). Narzissmus. Körperpsychotherapie zwischen Energie und Beziehung. Berlin, Ulrich Leutner Verlag.

Thielen, Manfred (Hg.) (2010). Körper-Gefühl-Denken. Körperpsychotherapie und Selbstregulation. Gießen, Psychosozial Verlag, 2. korr. Auflage.