Originalarbeit

Frank Röhricht

Das theoretische Modell und die therapeutischen Prinzipien/Mechanismen einer integrativen Körperpsychotherapie (KPT) bei somatoformen Störungen

Zusammenfassung Ausgehend von den in phänomenologischer Hinsicht zu beschreibenden spezifischen Störungen des Körpererlebens und Körperbezugs bei Patienten mit sog. somatoformen Störungen wird eine manualisierte, körperpsychotherapeutische Gruppentherapie entwickelt (KPT). Die KPT bietet einen störungs-spezifischen, syndromorientierten Zugang und fokussiert zunächst auf das Erklärungsmodell der Patienten eines “dysfunktionalen Körpers”. Der Therapeut versucht nicht, das Erklärungsmodell des Patienten zu ersetzen, sondern dieses mit zusätzlicher, neuer, teils auch widersprüchlicher Evidenz anzureichern, zu erweitern und komplettieren; erreicht wird dies durch ein Navigieren fort von einem einseitig auf den symptomatischen Körper ausgerichteten Wahrnehmungs-Fokus hin zu einem bio-psycho-sozialen Modell psychosomatischer Erkrankung. Die Grundzüge und Prinzipien der KPT-Interventionsstrategie werden vorgestellt.

Schlüsselwörter Somatoforme Störung, medizinisch nicht erklärbare Symptomatik, Körperpsychotherapie

Abstract Based upon phenomenological findings regarding a range of disturbed body experiences in somatoform disorder, a manualised body oriented psychological group therapy (BPT) was developed specifically for patients with medically unexplained symptoms. BPT offers a novel disorder specific and syndromatic intervention strategy for these patients, focusing initially on the explanatory model of „dysfunctional bodies“. The therapist works towards enriching and complementing this model, adding new and at times even contradictory evidence from a range of body related observations, perceptions and feelings. This is achieved through careful steering away the attentional focus from monocausal attribution of worrying somatic clues to a more complex bio-psycho-social model of psychosomatic disease. Theoretical and practical principles of BPT for the treatment of somatoform disorders are presented.

Keywords Somatoform disorder, medically unexplained symptoms, body psychotherapy

Einleitung

Die somatoforme Störung (somatoform disorder/SD, ICD-10 F45; DSM-IV 300.82) wird definiert als eine psychosomatische Erkrankung, bei der Patienten sich wiederholt mit körperlichen Symptomen und hartnäckigen Forderungen nach medizinischen Untersuchungen bei Ärzten vorstellen. Dies geschieht trotz wiederholter negativer Ergebnisse und der Versicherung, dass die Symptome nicht körperlich begründbar sind.

Folgende Kriterien werden in der ICD Klassifikation zugrunde gelegt:

Die terminologische Abgrenzung somatoformer Störungen bereitet große Probleme und angesichts epidemio-logischer Daten ist davon auszugehen, dass 15-30% der ärztlichen Konsultationen durch Patienten verursacht werden, die unter “medizinisch unerklärten Symptomen leiden (im englischen Sprachraum beschrieben als “medically unexplained symptoms” / MUS). Die Beschwerden umfassen chronische Schmerzen (hpts. Kopf,- Schulter- und/oder Rückenschmerzen), Müdigkeit, Schwindel oder funktionale (somatoforme) Körperbeschwerden (Burton 2003, Smith & Dwamena 2007). Viele dieser Patienten leiden gleichzeitig unter komorbiden psychiatrischen Störungen, schweren funktionalen Beeinträchtigungen und einer allgemein reduzierten Lebensqualität. In einer Studie von Henningsen et al. (2003) hatten 60% der Patienten auch eine oder zwei weitere Diagnosen sonstiger psychischer Krankheiten (hpts. Angst und Depression).

Schmerzen sind unter den sogenannten MUS die am häufigsten beklagten Symptome, wobei eine Studie von Reid et al. aus dem Jahre 2001 zeigte, dass die meisten Patienten über Bauch, Brust, Rücken und Kopfschmerzen klagen.

Es wird geschätzt, dass die durch diese Patientengruppe verursachten Kosten in der Gesundheitsversorgung etwa 10-mal höher liegen als in der durchschnittlichen Versorgung (Hiller et al. 2003), aufgrund der hohen Frequenz an Arztbesuchen und der Vielzahl an medizinischen Untersuchungen. Typischerweise erachten Patienten mit somatoformen Störungen ihre Beschwerden als körperlich verursacht und lehnen daher häufig die angebotenen psychologisch-psychotherapeutischen Hilfen ab. Obwohl die meisten Haus-/Primärärzte mit dem medizinischen Terminus der somatoformen Störung vertraut sind, besteht eine weitgehende Inkonsistenz in der Verwendung der diesbezüglichen Begriffe. Die Störungsbilder werden mal als “funktionelle Syndrome”, “MUS”, “Somatisierungs-Störung”, “Psychosomatose” oder auch als “Konversions-Störung” beschrieben. Derzeit werden die diagnostischen Klassifikationen einer Revision unterzogen im Hinblick auf eine nosologische Neuordnung (ICD-11 und DSM-V).

Psychologische, multifaktorielle Ätiologiemodelle

Folgende Modelle zur Äthiopathogenese der somatoformen Störung werden aus der Perspektive lerntheoretischer, phänomenologischer und psychodynamischer Theorien herangezogen:

Hintergrundfaktoren werden in der Literatur auch als eine sogenannte psychophysiologische Trias herausgestellt: mangelnde Fürsorge, aber auch Überprotektion führen zu frühen Störungen im Bindungsverhalten, gestörte Bindungsstile resultieren daraus, des weiteren besteht eine alexithyme Affektstörung und hinzu kommen die lebensgeschichtlichen Stressfaktoren (körperliche Traumata), die sich negativ im Sinne auslösender Faktoren verknüpfen.

Für die Schmerzverarbeitung lässt sich ein Teufelskreis mit Rückkoppelungs-Schleifen hinsichtlich der Konsequenzen für Teilaspekte des Körpererlebens beschreiben. Die Konzentration bzw. Aufmerksamkeit der Patientin richtet sich auf als ‚stressig’ erlebte Körpergefühle. Zumeist besteht eine negative Bewertung dieser Phänomene (body cathexis/Körperbesetzung). Dies führt wiederum zu ‚besorgniserregenden’ kognitiven Stilen gegenüber dem eigenen Körper (body image/Körperbild), was die Selbstbeobachtung gegenüber unangenehmen Körpergefühlen und die Übererregbarkeit der physiologischen Systeme weiter verstärkt. Abgesehen von diesen regelhaft auftretenden Mustern gestörten Körpererlebens ist es wichtig zu beachten, dass die Varianz der sonstigen persönlichen Charakteristika und die Einflüsse situativer Kontextfaktoren das Schmerzerleben erheblich mit beeinflussen.

In biologischer Hinsicht sind die an der Schmerzregistrierung und Wahrnehmung beteiligten Prozesse gut beschrieben. Aus der Perspektive der KPT sind insbesondere jene zentralnervösen Projektionen wichtig, die Einfluss nehmen auf die affektive Schmerzverarbeitung im sog. Limbischen System. Im Hinblick auf die zentralnervösen/neuronalen Befunde sind Studien heraus zu stellen, die zeigen konnten, dass bei den Patienten mit somatoformer Störung hauptsächlich jene Hirnareale in bildgebenden Verfahren Schmerzäquivalente abbilden, die an der emotionalen Schmerzverarbeitung beteiligt sind (z.B. Amygdala).

In bildgebenden Studien konnte eindrucksvoll gezeigt werden, dass soziale Zurückweisung, d.h. ein emotionaler Schmerz, im Gehirn die gleichen Mechanismen / Neuronen-Verbände anspricht wie körperlicher Schmerz.

Hintergründe und Bezugspunkte für die Anwendung körperorientierter Psychotherapieverfahren bei somatoformen Störungen

„The connection between emotions and bodily states must be made at the affective and cognitive levels by the patients themselves…Physical therapies may also be effective in helping patients to make the breakthrough to a new level of understanding, without the requirements of verbalization” (McWhiney et al. 1997). Dieses Zitat deutet in prägnanter, komprimierter Weise das basale Rational des therapeutischen Modells der integrativen Vorgehensweise in der KPT bei somatoformen Störungen an. Das Rational wird im folgenden weiter detailliert ausgearbeitet.

In einem integrierten ätiologischen Modell (siehe Abbildung 1 im Anhang) sind eine Vielzahl an Phänomenen in einem Funktionskreis mit interdependenten Faktoren für die Entstehung und Aufrechterhaltung der somatischen Prozesse verantwortlich: in diesem Funktionskreis lassen sich grundlegende Charakteristika wie folgt identifizieren: 1. eine prädisponierende biologischeVulnerabilität mit niedrigen Schmerzschwellen und labilen physiologischen Systemen; 2. labile Körperschemata, die zu Hypererregung und einem verstärkten somatischen Bewältigungsstil führen; 3. auf dieser Basis und ausgelöst durch negative Lebensereignisse (vor allem physische Traumata) fühlen sich Menschen mit somatoformen Störungen häufig gefangen in einem Teufelskreis aus aufmerksamer Konzentration auf ‚stressige’ Körpergefühle, einer negativen Bewertung dieser Phänomene und daraus resultierenden ‚besorgniserregenden’ kognitiven Stilen gegenüber dem eigenen Körper, was die Selbstbeobachtung gegenüber unangenehmen Körpergefühlen und die Hypersensibilisierung weiter fördert.

Verschiedene Aspekte des Körpererlebens beeinflussen die Art, in der Personen ihre Körper wahrnehmen, bewerten und bewegen. Das (Körper-) Bewusstsein ist ein selektiver Prozess, bei dem neutralen Umgebungsfaktoren im Verhältnis zum Körperbinnenraum beständig Bedeutung zugeschrieben wird. Ein kontinuierlicher Strom an sensorischer Information über die Position des Körpers, den Muskeltonus, die Stellung der Gelenke, die Umgebung (z.B. die Temperatur) und interne physiologische Zustände erreicht das Zentralnervensystem unablässig. Die ‚Entscheidung’, welche Information zur Aufmerksamkeit kommt, hängt von den folgenden Faktoren ab: 1. den vergleichenden Standards der vorgeformten Körper-Schemata (Aufmerksamkeit wird primär neuen, unerwarteten oder potentiell gefährlichen Stimuli zugewiesen), 2. dem Motivationszustand (z.B. Hunger, Durst, Geborgenheit, sexuelles Verlangen) und der vergleichenden kognitiven Evaluation der ständig variierenden Körperbilder (vorherige Exposition mit ähnlichen Stimuli resultierend in positiven oder negativen Konsequenzen im Körper mit Einfluss auf die assoziierten Körperkonzepte und deren spezifische Zuordnungen), 3. dem Gleichgewicht zwischen interner und externer Stimulation: experimentelle Studien haben gezeigt, wie die Intensität eines bewusst wahrgenommenen Stimulus interner Körperzustände sich erhöht, wenn sich die Intensität externer Stimuli mindert (Pennebaker 1982).

Körpersprache, d.h. die Psychomotorik (in Form von Haltung, Gestik und Bewegungsverhalten) werden fundamental als nonverbale Kommunikationsformen internalisierter psychischer Prozesse verstanden. Dabei wird je nach theoretischer Ausrichtung die Interpretation bzw. das Verständnis der primär als emotionale Prozesse aufgefassten pathologischen Inhalte beschrieben: als z.B. Vermeidung/Verdrängung von konflikthaftem Material (Psychodynamische Therapie) oder aber auch als Manifestationen von Lernprozessen im Sinne einer nicht geglückten Konflikt-Lösungsstrategie mit daraus resultierendem dysfunktionalen Verhalten (kognitive Verhaltenstherapie) bzw. als (Mal-)Adaptationsvorgänge bei erfolglosem Bemühen seitens der an einer Beziehungskonstellation (z.B. Familie) beteiligten Individuen. Nonverbales Kommunikationsverhalten kann insofern also auch im Zusammenhang der somatischen Prozesse bei SD-Patienten vor dem Hintergrund eines primären oder sekundären Krankheitsgewinns diskutiert werden.

Innerhalb des therapeutischen Prozesses wird der Emotionswahrnehmung und -regulation besondere Aufmerksamkeit gewidmet (im eigenen Selbst und in Bezug auf andere). Der Mangel an emotionaler Ausdrucksfähigkeit, d.h. die unterdrückten, umgeleiteten oder symbolisierten Gefühle, stehen insofern im Mittelpunkt. Gleichzeitig gilt besonderes Augenmerk der eingeschränkten Fähigkeit, negative emotionale Inhalte zu kommunizieren (d.h. Ärger, Wut, Hass, Frustration). Pedrosa et al. (2008) identifizierten Defizite in der Erkennung emotionaler Gesichtsausdrücke („FER“) bei den Patienten mit somatoformer Störung und interpretierten diese Schwierigkeit als ein Indiz für das gleichzeitige Bestehen einer alexithymen Störung. Die Autoren schlussfolgerten, dass gestörtes FER in dieser Patientengruppe in plausiblem Zusammenhang mit den dysfunktionalen Sozialbeziehungen stehe.

Das Erklärungsmodell der Patienten mit somatoformen Störungen ist dominiert von der Vorstellung “dysfunktionaler Körper”, d.h. die Patienten gehen davon aus, dass eine körperlich-somatische Erkrankung den Beschwerden zugrunde liege, wobei die Erkrankung als solche bislang („nur“) noch nicht entdeckt worden sei. Es ist absolut erforderlich, diese Position in der Therapie zu akzeptieren, d.h., nicht direkt in Frage zu stellen. Der Therapeut signalisiert dem Patienten, dass er ihm seine Beschwerden “glaubt” und erkennt an, dass die Symptome und das daraus entstehende Leid in jeder Hinsicht real sind. Der Therapeut versucht nicht, das Erklärungsmodell des Patienten zu ersetzen, sondern dieses mit zusätzlicher, neuer, teils auch widersprüchlicher Evidenz anzureichern, zu erweitern und zu komplettieren; erreicht wird dies durch ein Navigieren fort von einem einseitig ausgerichteten Erklärungsmodell hin zu einem bio-psycho-sozialen Modell psychosomatischer Erkrankung.

Der Stand der empirischen Evidenz zur Wirksamkeit körperorientierter Therapien bei somatoformen Störungen ist an anderer Stelle zusammengefasst (Loew et al. 2006, Röhricht 2009, 2010)

Prinzipien der integrativen KPT bei somatoformen Störungen unter Berücksichtigung der Hintergrundfaktoren und der komplexen Ambiguität der menschlichen Existenz (d.h. den Subjekt-Objekt-Charakter des verkörperten Selbst)

Das zentrale Leitprinzip in der KPT-SD (manualisierte Vorgehensweise, Röhricht & Papadopoulos, Publikation in Vorbereitung) ist die fortdauernde, empathisch einfühlende und stets dorthin rückverweisende Bezugnahme auf den gelebten, subjektiven Körper (Leib) des Patienten. Dabei werden anders als bei anderen psychosomatischen Erkrankungen die in den Körpererfahrungen enthaltenen psychologischen Prozesse nicht direkt angesprochen, es sei denn, der Patient selber stellt einen solchen Zusammenhang unmittelbar her.

Die körperliche Existenz ist von einem besonderen, scheinbaren Paradox gekennzeichnet, da diese sowohl subjekt- als auch objekthaft wahrgenommen werden kann und immer beides ist. Einerseits kann der Körper wahrgenommen werden als der Statthalter des Selbst („Ich bin dieser Körper, dieser Körper bin ich“), andererseits kann der Körper zum Objekt im/am oder für das Selbst werden („Ich habe einen Körper, Ich mag diesen Körper/nicht“, etc.). Diese komplexe Ambiguität wird im Rahmen der KPT insofern indirekt angesprochen, als die Körperinterventionen auf eine subtile Integration somatischer und psychischer Aspekte des Körpersymptoms und den zugrundeliegenden Konflikten ausgerichtet sind. In diesem Prozess wird strikt eine primäre explizite Aufdeckung traumatischer Erinnerung vermieden, und stattdessen Kontakt mit den Konflikten/Traumata allmählich und eingebettet in integrative positive Körpererfahrungen hergestellt.

Aufgrund des somatischen Erklärungsmodells entwickeln die Patienten einen sehr spezifischen interaktionellen Beziehungsstil in der therapeutischen Beziehung, wobei die Kompetenz des Therapeuten beständig kritisch vom Patienten hinterfragt und angezweifelt wird (Projektion der eigenen Ambivalenz und Befürchtung, der Therapeut könne das Erklärungsmodell in Frage stellen). Damit ist die therapeutische Beziehung häufig belastet von einer misstrauischen, angespannten Grundstimmung. Der Therapeut in der KPT-SD muss sich daher bemühen, einen patienten-zentrierten interaktionellen Stil aufrecht zu erhalten, empathisch die Nuancen im Verhalten, den somatischen Beschwerden und den emotionalen Reaktionen zu registrieren und respektieren (“container” Funktion). Die zunehmende Verbalisierung des körperbezogenen Geschehens verhilft dem Patienten in späten Phasen der Therapie zu einer narrativen Neuorientierung.

Dieses Leitprinzip lässt sich zusammenfassen als: “Sei der Schmerz und lass uns in Worten hören, was er zur sagen hat” oder auch mit einer Handlungsanweisung für die therapeutische Arbeit skizzieren als: „Nicht gut fühlen, sondern gut fühlen“ (Nilges 2009).

Das heißt, nicht die Vermeidung, die Abspaltung oder Isolierung des Schmerzes, sondern die Akzeptanz, Integration und Neubewertung der Beschwerden im Rahmen des ganzheitlichen Körpererlebens ist der Königsweg der integrativen, körperorientierten psychotherapeutischen Behandlung.


Eine therapeutische Sequenz zur Illustration:

P: “Ich habe Druck im ganzen Körper, es tut überall weh, und ich fühle mich wie in einen Knoten geschnürt”

T: “Ich bin mir nicht sicher, was du meinst.Kannst du mir das bitte zeigen, wie sich das in deinem Körper anfühlt”

P: nimmt Haltung ein, die dem Gefühl entspricht

T: “wie stark geschnürt bist du eingeschnürt …kannst du darüber sprechen und mir das gleichzeitig zeigen… kannst du das mal übertreiben… gibt es da irgendwelche anderen Gefühle…fühlt sich das irgendwie bekannt an?”

P: verändert den körperlichen Ausdruck

T: (spiegelt die Haltung von P) “was siehst du, wenn du dir diese Haltung bei mir, wie in einem Spiegel, anschaust? Woran erinnert dich das? Wie alt fühlst du dich grad?

P: “Ich sehe aus wie ein alter wehleidiger Mann, der Prügel bezogen hat, und sich nun duckt aus Angst vor mehr Prügel”

Der Wirkmodus der KPT-SD

KPT-SD (Röhricht & Papadopoulos) wurde bezugnehmend auf die oben dargestellten Grundannahmen entwickelt und basierend auf dem Prinzip, dass die therapeutischen Interventionen sowohl in Übereinstimmung mit den Erwartungen der Patienten sein sollen und der Phänomenologie der psychopathologischen Symptome (hier: körperbezogene Phänomene) entsprechen.

Seitens der Neuropsychologie wurde herausgestellt, dass der therapeutische Prozess nur dann erfolgreich und gezielt auf die komplexen psychopathologischen Phänomene der psychischen (in diesem Fall somatoformen) Störung einwirken kann, wenn die Interventionsstrategie simultan (wenn auch nicht explizit) die emotionalen (körperbezogene Sorgen, Ängste, negative Körper-Kathexis), physiologischen (Hypererregbarkeit, somatische Amplifizierung) und kognitiven (Fehlinterpretationen somatischer Stimuli, negative Körper-Konzepte) Aspekte anspricht bzw. berücksichtigt (Cozolino 2000). In herkömmlichen Gesprächstherapien kann eine solche Vorgehensweise nicht realisiert werden; in der KPT werden hierzu sensorische Wahrnehmungsprozesse, konzentrative Bewegungsangebote, eine körperliche Inszenierung basaler psychischer Prozesse und die kognitive Re-Evaluation in eine kohärente Strategie integriert.

Die Interventionsstrategie umfasst im Einzelnen:

Therapeutische Phasen der KPT-SD

Die psychotherapeutische Interventionsstrategie kann nicht strikt detailliert vorgeschrieben werden, wird jedoch im Rahmen des manualisierten Vorgehens im Sinne einer Leitlinie in verschiedene Phasen unterteilt. Dabei werden zunächst drei relativ gut unterscheidbare Stadien der KPT-SD unterschieden, jede Phase charakterisiert durch typisch dort zu beschreibende therapeutische Prozesse. Die detaillierte Skizzierung der drei Stadien dient der grundsätzlichen Orientierung und einer Zuordnung therapeutischer Elemente/Interventionen im therapeutischen Prozess.

Das erste Stadium der Therapie konzentriert sich auf der Entwicklung der (verkörpert/”embodied” strukturierten) therapeutischen Beziehung und auf die ersten Schritte zur Erarbeitung einer fundamental positiven Körperbesetzung; zum Einsatz kommen Techniken, die der differenzierten Körperaufmerksamkeit bzw.
-wahrnehmung dienen, die Patienten werden angeleitet, die Körpererfahrungen parallel zu verbalisieren. Das primäre Ziel in diesem Stadium richtet sich auf die Verschiebung der Defizit-Fokussierung auf die als problematisch erlebten Körperzonen hin zu einer den Körper als Einheit verstehenden Perspektive und unter besonderer Betonung jener Körperregionen, die sich positiver besetzt darstellen bzw. spürbare Kompetenzen im Gesamtkörpergeschehen haben.

Parallel zu den Körperwahrnehmungs-Übungen fokussiert die therapeutische Arbeit auf die interaktionellen “Körper-Dialoge” zwischen den Gruppenteilnehmern und zwischen Patient und Therapeut in dem Bemühen, einen empathisch-vertrauensvollen Raum zu gestalten.

Am Ende dieses ersten Stadiums der Therapie sollte sich der allgemeine, symptombezogene Angst-/Stresspegel innerhalb der Gruppe reduziert haben und erste Anzeichen einer sich wieder anbahnenden partiellen Körperkontrolle über die nicht-autonomen Körperreaktionen andeuten.

Das mittlere Stadium der Therapie: hier steht parallel zur weiteren Differenzierung der Erfahrung des Körperbinnenraumes die Betonung der Kontext-Faktoren wahrgenommener Köpersensationen im Mittelpunkt des therapeutischen Geschehens. Die Patienten werden nun im interaktionellen Gruppenprozess und mittels szenischer Inszenierungen der Symptom-Konstellationen unterstützt in ihren Bemühungen, den situativen Charakter der Körpersymptome zu beobachten, zu registrieren und zu verstehen. Die Körpererfahrung wird allmählich neu strukturiert als dynamisches Erleben in Abhängigkeit von externen und internen Stimuli.

In dieser Phase stellen sich bei den Patienten Erinnerungen/Bilder/Körpersensationen ein, die den Konfliktpol bzw. traumatische Erfahrungen exemplarisch verdeutlichen. Die Rekonstruktion der Körpergeschichte geschieht besonders häufig im Zusammenhang der auf expressiven Körperausdruck und kommunikatives Bewegungsverhalten zielenden Interventionen, bei denen „Als-ob“-Symbolisierungen Anstoß zur Modifikation alexithymer Positionen geben (z.B. Arbeit mit Naturmaterialien, Tüchern mit unterschiedlichen Farb-, Tastqualitäten und mit Stimme).

Ein weiterer Prozess, der sich in diesem mittleren Therapie-Stadium entwickelt, ist die intensive Exploration der körperlichen Existenz/Realität im Zusammenhang der Gruppeninteraktionen (Therapeut-Patient und Patienten untereinander). Die Körpersensationen werden gemeinsam evaluiert als Indizien für bzw. Hinweise auf die Qualität der Beziehungen und den sich darin ereignenden situativen Veränderungen im Selbsterleben. Die Aufgabe des Therapeuten besteht darin, den Patienten zu alternativen Konzeptualisierungen des Körpergeschehens zu verhelfen, d.h. mit unterschiedlichen Bewertungen und Bedeutungszuschreibungen zu experimentieren anstatt einem vorgegebenen Muster/Schablonen zu folgen. Besondere Beachtung gilt den negativen Urteilen (Körper wird als feindliches Objekt wahrgenommen, das Unruhe/Schmerz und Stress verursacht und sich den Lebenszielen in den Weg stellt bzw. das Selbst negativ kontrolliert). Angestrebt ist eine ganzheitlich-differenzierende Perspektive, eine Haltung von Selbst-Akzeptanz und Selbst-Respekt.

Das letzte Stadium der Therapie dient der kognitiven Restruktierung, der Erarbeitung narrativer Modelle über die Körpersymptome, die ein „Leben-mit“ ermöglichen, das nicht mehr ausschließlich um diese kreist, sondern diese als insuläre, aber verbundene und teil-kompensierte Realitäten „unter anderen“ begreift. Hier beginnen die Patienten nun, eine Reduktion der zuvor als „katastrophal“ eingestuften Körpersensationen wahrzunehmen und psychosoziale Attribute, d.h. situative Einflüsse nicht nur zu erkennen, sondern auch zu beeinflussen.

In den zwei letzten Gruppentherapie-Sitzungen konzentriert sich das Geschehen auf eine weitere Integration der perzeptiven, kognitiven, emotionalen und motorischen Aspekte des Körpererlebens im Zusammenhang der Narrative. Zudem wird für jeden Patienten individuell ein Plan für körperbezogene Übungen und Konfliktlösungs/Coping-Strategien erarbeitet, die zum Zwecke der Aufrechterhaltung der in der Therapie erarbeiteten Erkenntnisse und Positionen außerhalb der Therapie weiter fortgeführt werden können.

Abbildung 1

Abbildung 1

Autor

Professor Dr. med. Frank Röhricht, Facharzt für Psychiatrie und Körperpsychotherapeut, ist Leitender Arzt und Klinischer Direktor der Erwachsenenpsychiatrie in Newham/Ost-London, UK, und Visiting Professor an der University of Hertfordshire, School of Psychology. Leiter verschiedener Forschungsprojekte zur Phänomenologie der Leiblichkeit und zur Evaluation körperpsychotherapeutischer Interventionsstrategien bei schweren psychischen Erkrankungen. Entwicklung von störungsspezifischen Therapie-Manualen zur integrativen Körperpsychotherapie in der Schizophrenie, bei schweren Depressionen und somatoformen Störungen; wissenschaftlicher Gutachter. Mitbegründer (1998) der Dresdener „Werkstatt Körperbild/Körperpsychotherapie“. Patron der britischen Gesellschaft für Tanz- und Bewegungstherapie, Vorsitzender der Forschungssektion der Deutschen Gesellschaft für Körperpsychotherapie. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen und Monografie »Klinische Körperpsychotherapie« (2000) sowie Mitherausgeber »Handbuch zur Körperbildforschung« (2009), Herausgeber »Störungsspezifische Konzepte in der Körperpsychotherapie« (Januar 2011) .

Korrespondenz

Professor Frank Röhricht, MD MRCPsych, Visiting Professor University of Hertfordshire, Consultant Psychiatrist, East London NHS Foundation Trust, Newham Centre for Mental Health, Glen Road, Cherry Tree Way, London E13 8SP,
E-mail: frank.rohricht@eastlondon.nhs.uk, http://www.frankrohricht.com,
Tel/Fax +44-(0)20-75406757, Mob +44(0)7773352374

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