Editorial
Ulrich Sollmann
Körperpsychotherapie ist eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin
Die Körperpsychotherapie hat sich inzwischen zu einem wissenschaftlich anerkannten und praktisch erprobten psychotherapeutischen Verfahren entwickelt. Dies findet seinen Ausdruck im Zusammenspiel von Eigenständigkeit und Integration einerseits sowie in der gezielten und indikationsgestützten Befruchtung anderer Psychotherapieverfahren andererseits. Viele gehen inzwischen auch schon davon aus, dass die Körperpsychotherapie eine weitere Säule neben bspw. Psychoanalyse und Verhaltenstherapie ist. Dieser Entwicklung wird unter anderem dadurch Rechnung getragen, dass in Deutschland sich die verschiedenen körperpsychotherapeutischen Schulen unter dem Dach der Körperpsychotherapie und in einer eigenen Fachgesellschaft zusammengeschlossen haben (Deutsche Gesellschaft für Körperpsychotherapie DGK).
Diese Entwicklung im psychotherapeutischen Feld wird zunehmend auch durch das Interesse sowie die entsprechende Forschungspraxis anderer Grundlagenwissenschaften gestärkt. So kommt es bspw. in der vergleichenden Verhaltensforschung, Gestenforschung und Verhaltenskoordinationsforschung zu interessanten neuen Erkenntnissen, die einerseits eine fruchtbare Bereicherung für das Verständnis, die Konzeptionierung und die therapeutische Praxis der Körperpsychotherapie sind. Die Ergebnisse spiegeln andererseits, dass die Relevanz des Körpers und die Bezugnahme auf den Körper in Wissenschaft und Forschung sichtbar zugenommen haben.
Während man sich lange und ausführlich mit sprachlicher Kommunikation und den systemischen Aspekten von Kommunikation befasst hat, rückt nunmehr eine Forschung in den Blickpunkt, die sich differenziert und systematisch mit dem Körper in der Kommunikation bzw. als Kommunikation befasst.
Während in den letzten Jahren die Körper-Perspektive in der Psychotherapie vielfach durch Forschungen und Aussagen bspw. aus der Hirnphysiologie, der Säuglingsforschung geprägt wurde, meldet sich die Körperpsychotherapie selbst als wissenschaftliche Disziplin verstärkt zu Wort. Einerseits wächst die Zahl körperpsychotherapeutischer (wissenschaftlicher) Fachliteratur und wird als wissenschaftlich relevant wahrgenommen. Andererseits generiert die Körperpsychotherapie wichtige Brücken zwischen ihren eigenen Erkenntnissen und Forschungsergebnissen sowie den Ergebnissen der oben genannten Felder von Grundlagenforschung.
Das aktuelle Themenheft will einen exemplarischen Einblick in neuere Arbeiten aus dem Bereich der Körperpsychotherapie bieten. Es stellt darüber hinaus erstmalig im (körper-) psychotherapeutischen Feld interessante, neue Ergebnisse aus der oben erwähnten Grundlagenforschung zur Diskussion.
Wir hoffen, dass die Zusammenstellung der Beiträge eine Bereicherung für Psychotherapie ist. Wir hoffen aber auch, dass die Grundlagenforschung neugierig auf die (Körper-) Psychotherapie wird. So neugierig, dass beide Seiten sich in Zukunft noch mehr gegenseitig befruchten können.
Es gibt bislang nur wenige Beiträge zur Körperpsychotherapie in der Gruppe. Röhricht stellt daher ein theoretisches Modell und die therapeutischen Prinzipien/Mechanismen der integrativen Körperpsychotherapie in der Gruppe vor. Er hat eine manualisierte körperpsychotherapeutische Gruppentherapie mit Patienten mit sogenannten somatoformen Störungen entwickelt. Statt den Wahrnehmungsfokus auf den symptomatischen Körper auszurichten, zeigt Röhricht dass und wie die Interventionsstrategie der KPT einem bio-psycho-sozialen Modell psychosomatischer Erkrankung gerecht werden kann.
Trautmann-Voigt und Voigt unterstreichen, dass die Notwendigkeit des reflektierten Einbeziehens des Körpers in das therapeutische Handeln inzwischen durch die Forschungsergebnisse der Grundlagenforschung bestätigt ist. Die Sprache des Körpers und die Entwicklung derselben differenziert zu berücksichtigen wird anhand der Arbeit mit Borderline- und Traumapatienten vorgestellt und konzeptioniert. Die beiden Autoren operationalisieren dies in Bezug auf die Struktur der Therapie sowie die Therapieprinzipien.
von Wahlert und Mestel beleuchten ein spezifisches körperpsychotherapeutisches Konzept im Kontext stationärer Psychotherapie. Die Bondingpsychotherapie in der Gruppe ist ein spezifisches Gruppenverfahren, das seit ca. 50 Jahren erfolgreich, integriert im klinisch-stationären Kontext zur Anwendung kommt. Die Autoren beschreiben das Verfahren im Einzelnen, beziehen die Implikationen auf die neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Bindungsforschung und Hirnphysiologie. Sie beschreiben dabei vor allem die Bedeutung der Realerfahrung im körperpsychotherapeutischen Kontext, aber auch die Kontraindikationen.
Thielen beschreibt die unterschiedlichen Angsttheorien von Freud, Reich, psychodynamische Angsttheorien und die Weiterentwicklung körperpsychotherapeutischer Theorien sowie die Erkenntnisse aus der pre-, post- und perinatalen Forschung. Er bezieht sich ebenfalls auf die Säuglingsforschung und illustriert an einer ausführlichen Fallvignette die körperpsychotherapeutische Arbeit mit einer Angstproblematik.
Die Integration des Körpers in die Psychotherapie bzw. die Berücksichtigung der Relevanz des Körpers in der Psychotherapie ist in den letzten Jahren vielfach durch Ergebnisse der Grundlagenforschung bestätigt sowie differenziert beleuchtet worden. Neuere Ergebnisse der Grundlagenforschung helfen das Zusammenwirken von Gesten und Sprache zu beleuchten. Gerade dieses Zusammenspiel ist für den (körper-) psychotherapeutischen Kontext von bedeutsamer Relevanz. Insoweit kann die (Körper-) Psychotherapie von den Ergebnissen verschiedener Wissenschaftsprojekte, die von der Volkswagenstiftung gefördert wurden, profitieren. Lausberg und Kryger wenden sich in ihrem Beitrag dem gestischen Verhalten als Indikator therapeutischer Prozesse in der verbalen Psychotherapie zu. Lausberg und Kryger haben im Rahmen der Volkswagenprojekte sich eingehend mit der Verknüpfung von Gesten und Sprache im Gehirn befasst. Sie zeigen auf, dass und wie sich das gestische Verhalten im Verlauf einer erfolgreichen Therapie verändert. Anhand konkreter Beispiele beziehen sich beide Autorinnen auf die Funktion der Selbstberührungen und die Repräsentation von Objektbeziehungen in gestischen Darstellungen. Aus psychodynamischer Sicht tragen Selbstberührungen zu einer Stabilisierung der Körpergrenzen bei. Die Autorinnen dokumentieren erstmals in ihrer Fachstudie, dass Veränderungen von Objektbeziehungen im Therapieverlauf sich in den gestischen Darstellungen der Bezugsgruppen im Gestenraum abbilden.
Holler fasst wesentliche Ergebnisse im Bereich der Verhaltenskoordinationsforschung (für verbales und non-verbales Verhalten) zusammen. Sie führt ein in das Phänomen der sprachbegleitenden Gestik, beschreibt die Ergebnisse empirischer Studien zu kommunikativen und interaktiven Funktionen der Gestik. Sie erläutert ebenfalls die Verhaltenskoordination in der gestlichen Modalität.
Pika befasst sich seit vielen Jahren mit der vergleichenden Verhaltensforschung bei Menschen und Primaten. Im Interview beschreibt sie wie sie Zugang zum Bereich der vergleichenden Verhaltensforschung gefunden hat. Die Faszination für diesen Forschungsgegenstand liegt gerade in der Beobachtung, der Erforschung und dem persönlichen (Mit-) Erleben von komplexen Kommunikationssystemen. Interessant dabei ist die Erweiterung der Perspektive Sprache, Körpersprache und (non-) vokale Fähigkeit/Kommunikation. Es ist ein wissenschaftlicher, aber auch persönlicher Genuss an den Schilderungen/Bildern von Pikas Ausführungen teil zu haben, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie spannend es ist, sich mit Gestik im Rahmen der (menschlichen) Kommunikation zu befassen. Im Unterschied zu Holler, die sich eher mit der redebegleitenden Gestik befasst, fokussiert sich Pika auf die evolutiven Ursprünge der Entwicklung und der Komplexität pre-linguistischer Gestik, die kulturübergreifend bisher kaum erforscht worden sind.