Interview

Theodor Itten

Schematherapie - Interview mit Professor Berbalk

Universität Hamburg

Zusammenfassung: Schilderung der Kognitiven Verhaltenstherapie sowie deren Weiterentwicklung zur Schematherapie durch Jeffrey Young, New York. Zu deren Verbreitung in den deutschsprachigen Ländern hat Berbalk in den letzten zehn Jahren entscheidend beigetragen. Erweiterung der Schema-geleiteten zur Person-geleiteten Verhaltenstherapie. Neue Sichtweise: vom Patienten über den Klienten zur Anvertrauten Person.

Schlüsselwörter: Schematherapie, Schema-geleitete Verhaltenstherapie, Person-geleitete Verhaltenstherapie, Patient vs. Anvertraute Person.

Die Fragen stellte Theodor Itten im Oktober 2010 in Hamburg.

1. Werter Professor Berbalk, Sie haben seit Ihrer Studienzeit immer auf beiden Seiten gearbeitet, als Psychotherapeut und als Lehrer der Psychologie, vor allem der klinischen Psychologie. Ist das ein Grund, dass Sie viel für die Schematherapie und ihre Verbreitung in Deutschland gemacht haben?

Nach der Anbahnung durch einen meiner Studenten, der ein Praktikum bei Dr. Young, einem Assistenten von Aaron Beck, gemacht hatte, gab es vor ca. 10 Jahren die ersten persönlichen Kontakte, zunächst in Holland und dann regelmäßig in den USA. Seit den ersten Kontakten verbreitete ich die Theorie und Praxis der Schematherapie nach Young in Vorträgen, Vorlesungen und Workshops in Deutschland, der Schweiz und in Österreich. Auf meine Einladung hin hielt Young seine erste Vorlesung über Schematherapie in Deutschland vor gut fünf Jahren an der Universität Hamburg. Ich organisierte dann große Workshops mit Jeffrey Young in Frankfurt, Hamburg und München. Mit ihm zusammen entwickelte und organisierte ich den international ersten Workshop für Schematherapie-Supervisoren in Hamburg. Hilfreich für die Verbreitung der Schematherapie war auch ein Interview, das ich zusammen mit Dr. Kempkensteffen von der Universität Hamburg mit Young in Schweden aufgenommen und im deutschsprachigen Raum verbreitet hatte. Der Anlass für das Interview war das Erscheinen seines Buches „Schema Therapy“ im Jahre 2003. Davor hieß sein therapeutischer Ansatz noch „Schema-fokussierte Therapie“. Von diesem Zeitpunkt an organisierte ich in Abstimmung mit Young ein Schematherapie-Curriculum mit nunmehr fünf Workshops und führte dieses Curriculum in München, Bad Dürkheim, Münster, Hamburg, Basel, Freiburg, Berlin, Köln und in Schleswig-Holstein, dem Ort des ersten Institutes für Schematherapie in Deutschland, ein.

2. Ihr persönlicher Kontakt zu Young hat der Verbreitung der Schematherapie im deutschsprachigen Raum genützt und Ihr Engagement hat der Schematherapie und Young bei der Verbreitung unermessliche Dienste erwiesen.

In erster Linie galt mein leidenschaftliches Engagement den fürsorglichen und befreienden Grundideen der Schematherapie. Dabei war für mich die Zustimmung erfahrener Therapeutinnen und Therapeuten ganz unterschiedlicher Herkunft eindrucksvoll.

Young entwickelte eine Theorie zur Entstehung und Aufrechterhaltung von früh im Leben erworbenen hinderlichen Schemata und kombiniert und integriert dabei Errungenschaften der Lehren von den Abwehrmechanismen, der Individualpsychologie, der kognitiven Therapie, der Verhaltenstherapie und der Stressverarbeitung. Der bindungstheoretische Ansatz Bowlbys stellt sogar die wichtigste Basis für Bedürfnisanalysen und Gestaltung der therapeutischen Beziehung dar. Implizit verwendet er klientenzentrierte und transaktionsanalytische Konzepte. Der Prozess der Anpassung an die Schemastruktur wird als dreifaltige Aufrechterhaltung und Stabilisierung über die sogenannte Schemabewältigung beschrieben.

Therapie besteht aus Beziehungsgestaltung, Erschließen vergangener Erfahrungen und deren „Gerinnung“ in Schemata, Veränderung von Kognitionen, Zugang und Bearbeiten von Gefühlen und Körperempfindungen - auch Gestalttherapeutische Interventionen, Änderung Schema erhaltender Verhaltensgewohnheiten, Kompetenzerwerb und Erwerb von Selbstkontrolle sowie Emotionaler Enthemmung und Befriedigung zentraler Bedürfnisse. Summierung „evidenzbasierter“ Einzelmethoden? - Die Wahl und die integrierte Abfolge der Interventionen wird geleitet durch eine Schema Fallkonzeption, die von Patient und Therapeut geteilt wird und eine neue Dynamik der Schemaprozesse bewirken oder ermöglichen soll. Zum bisher erwähnten Schemaansatz kommt der sogenannte Modusansatz. Schematherapeuten berücksichtigen den momentanen persönlichen Hintergrund oder Zustand, auf dem sich das Handeln, Denken und Fühlen eines Patienten oder Therapeuten abspielen. Evolutionär gegebene, in der Lebensbewältigung erlernte und von bedeutenden Begleitpersonen in der Entwicklung übernommene Zustände oder Modi werden im Zusammenspiel beobachtet und Veränderungen der Ausprägungen und des Zusammenspiels werden vermittelt. Heilung hinderlicher Schemata und Integration der Modi sind die erklärten Ziele der Schematherapie.

3. Sie schilderten schon ihre berufliche Grundposition, die Verbindung zwischen Praxis und Theorie aufrechtzuerhalten und lebten das als Universitätsprofessor in Hamburg vor. Jeffrey Young wurde aber von der akademischen Psychologie und von der akademischen Verhaltenspsychologie angefeindet. Das ist Ihnen hier in Hamburg nicht passiert?

Der Wissenschaftler unter den Schematherapeuten ist der Holländer Arntz. Er hat auch gezeigt, dass empirisch die Schematherapie in Holland bei ambulant behandelten Borderline Patienten besser wirkt als Übertragungs-fokussierte Therapie. Das hat aber in Hamburg nicht zur Ablehnung Young`s geführt, auch wenn die theoretische Fundierung seiner Ideen durch psychologisches Basiswissen wünschenswert erschien. Die Suche Youngs nach Verbesserung der Therapie für sonst aussichtslose Patienten wurde mit Begeisterung aufgenommen. Anerkennung fanden Youngs effektive Methoden des Zugangs zu Schema relevanten Erfahrungen in der Kindheit mit geleiteten Vorstellungen und weitere „Erlebnis basierte“ Methoden zur Diagnose und Änderung dysfunktionaler emotionaler Gesamtzustände - seine „Modusarbeit“.

Die Schematherapie ist in Holland und England als effektiv nachgewiesen worden für ambulante Borderline Patienten. Gewisse Hinweise auf nützliche Anwendung bei anderen Störungsbildern werden beschrieben. In der Zukunft wahrscheinlicher als die Etablierung einer neuen Therapieform ist die Berücksichtigung von Schemaprozessen in anderen Therapierichtungen.

Schema - geleitete Verhaltenstherapie z.B. gibt es bereits und wird von mir in Deutschland vertreten. Auch auf dem Wege zu einer besseren Zuweisung von Patienten zu angemessener Behandlung und einem besseren Verständnis anderer Störungsbilder über die Borderline Störung hinaus könnte die Schematherapie wesentlich beitragen. Wird nicht an die Konkurrenz von Therapieformen sondern an die Person des Patienten gedacht, könnte Schematherapie mit anderen Überlegungen zusammen eine Brücke bilden: Das Ziel wäre, den Patienten eher nach seinen Bedürfnissen und Barrieren mit für ihn individuell zusammengestellten Interventionen zu behandeln. Das könnte dann auch eine Patienten - geleitete Kooperation von Behandlern mit unterschiedlicher Therapieausrichtung ermöglichen.

4. In ihrem Vorwort zu Youngs Buch „Sein Leben neu erfinden (Reinventing your life)“ (1996), ist mir aufgefallen, wie stark die Schematherapie das Kurative und das Emanzipative der Psychotherapie in sich trägt. Können Sie das etwas erläutern?

Ich habe ein Säulenmodell der Schematherapie entwickelt, man könnte es auch Tempelmodell nennen. Auf einem festen Fundament, dem Symbol für die therapeutische Beziehung stehen sieben Säulen, die im Verlauf oder an bestimmten kritischen Punkten in der Therapie notwendige und insgesamt hinreichende Bedingungen für Heilung von frustrierenden und schädigenden Erfahrungen und damit auch für Befreiung von Irrwegen der Lebensbewältigung darstellen. Heilung und Befreiung gehören in diesem Gesamtverständnis von Schematherapie zusammen, sind gleichbedeutend. Vielleicht ist dabei von Interesse, dass ich die Schematherapie dennoch als symptomorientierte Therapie betrachte. In der Schematherapie werden in den dysfunktionalen Schemaprozessen gewissermaßen Symptome höherer Ordnung gezielt verändert. Das ist gut und menschengerechter für Patienten und Therapeuten, beide sind motivierter und besser versorgt. Ich habe in einer früheren Arbeit auf die Unterscheidung zwischen „game“ und „growth“ Therapien hingewiesen. Im Wesentlichen lassen sich danach Therapieformen als an Symptomen oder an persönlichem Wachstum orientiert unterscheiden. Ich bin sehr sicher, dass sich viele Therapeuten für Schematherapie nicht nur wegen der anspruchsvolleren Symptom Betrachtung sondern gerade auch aus Wachstumsüberlegungen interessiert haben. Das gleiche scheint mir für Patienten zuzutreffen: viele möchten die von Young und Klosko eindrucksvoll beschriebenen Barrieren überwinden, andere möchten sich als Person entwickeln. Nun kann man der Schematherapie entweder das Potential für beides zubilligen, und meinen, dass die Überwindung und Heilung von Hinderlichen Schemata auch schon Wachstum darstellt. Ich selbst habe die Haltung, dass Schematherapie auf dem Wege zu Wachstum und persönlicher Entwicklung hilfreich sein kann.

Wünschenswert ist es, daß wir über die Schematherapie hinausgehen und Begriffe wie Evidenz basierte Therapie auch darauf hin überprüfen, ob sie auch Evidenz für persönliches Wachstum von Patient und Therapeut mit beinhalten. Ich betrachte die Förderung persönlichen Wachstums für Rückfallprophylaxe und Prävention als unabdingbar.

Eine meiner Säulen für die Schematherapie ist die hinreichende Beachtung der realen Lebensbedingungen. Sowohl für das, was die Schematherapie mit der Änderung und Heilung von Hinderlichen Schemata gut kann, als auch das Erkennen und Entwickeln der Person sind mit den realen Lebensbedingungen fördernd oder beschränkend verbunden. Einflussnahme auf die realen Lebensbedingungen kann für Heilung und Befreiung wie auch für Wachstum der Person entscheidender sein als eine Schematherapie oder eine sonstige Therapie.

Verhaltenstherapie, Kognitive Therapie, Gestalttherapie und Schematherapie können betrieben werden, wie ich als Junge meine Werkzeuge zum Reparieren (Heilung) verwendet hatte. Zum Frisieren (Wachstum) gehören nicht nur Werkzeuge zur Reparatur. Es braucht Veredelungswerkzeuge und dem zu veredelnden Gegenstand innewohnende Möglichkeiten. Soll Wachstum bei Patient und Therapeut begünstigt werden, benötigen wir zusätzliches Rüstzeug aus einer Person-zentrierten Psychotherapie und damit Fähigkeiten, welche die der Person gegebene Tendenz zur Selbstentwicklung anstoßen.

5. In der Schematherapie hat sich Jeffrey Young Gedanken zum Modus gemacht. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Schema und Modus?

Die Schematherapie ist jung und insofern ist noch nicht alles so konsistent, wie es vielleicht in ein paar Jahren sein wird. Es wird dann wahrscheinlich nicht mehr darüber nachgedacht, weil es klarer konzipiert wird. Ein Hinderliches Schema ist eine Gedächtnisstruktur, die frühere Erfahrungen der Person mit sich selbst oder anderen Menschen mit kognitiven, emotionalen und somatischen Aspekten repräsentiert. Zusammen mit der nahezu unbegrenzten Zahl von orientierenden und förderlichen Schemata können sich die Schemata gruppieren zu umfassenderen Anteilen der Person. Den Begriff Anteil der Person ergänze ich zu dem üblichen Vokabular der Schematherapie. Ein Anstoß, ein Aufruf oder eine Auslösung eines Schemas durch eine passende innere oder äußere Gegebenheit führt zu einer Schema bezogenen Anpassung, einem Versuch, die Schemasituation zu vermeiden oder zu einem Ankämpfen gegen die Situation. Dieses Erdulden, Vermeiden oder die Überkompensation sind mögliche Schema Reaktionen, die für die Person im Vordergrund ihres Erlebens und Handelns stehen. Analog zur Schema Reaktion befindet sich die Person im Zustand eines spezifischen Modus, wenn die aktuelle innere oder äußere Situation ein bestimmtes Schemamuster oder Schemakombination angestoßen hat. Eine Schemareaktion ist die Antwort auf ein aktiviertes Schema, ein Schemamodus ist die Antwort auf die Aktivierung einer Kombination oder eines Clusters von Schemata bzw- in meiner Terminologie die Antwort auf die Aktivierung eines Anteils der Person.

Modi stellen den aktuellen Hintergrund für das Erleben und Verhalten der Person dar. Den Modi wird in der Schematherapie eine zunehmend größere Rolle zugeschrieben, was keineswegs immer berechtigt ist. Günstig für die Therapie wirken sich oft die Kombination der Arbeit mit Schemata und die Arbeit mit Modi aus. In meiner Arbeit mit Anteilen der Person und den zugehörigen Modi wird im Gegensatz zu gängigen Vorgehensweisen in der Schematherapie eine umfassende Sichtung aller wichtigen Personanteile und Modi herausgestellt. Bedeutsam ist dabei auch die Symbolisierung jedes Personanteils durch eine geeignete Finger- oder Handpuppe. Mit dieser von mir speziell entwickelten Methode geht die Modusarbeit weit über das Ziel der Schematherapie hinaus. Werden in der Schematherapie Modi bekämpft oder gefördert, geht es in meiner Arbeit um Erkennen von gegenwärtigen Mustern der Personanteile, deren Integration und darüber hinaus um Anstöße für persönliche Weiterentwicklung und Wachstum der Person. Spezielle Techniken meines Ansatzes ermöglichen den Bezug von Störungen zu den Personanteilen und damit die kombinierte Veränderung von Störungsbild und Zusammenspiel der Personanteile.

6. Sie haben sich intensiv mit Eltern- und Kinderschaft beschäftigt. Es ist dies der Lebensabschnitt unserer primären Geschichte, in der sich die Schemata bilden. Schematherapie als Methode für Kinder- und Jugend-PsychotherapeutInnen? Geht das und wenn ja, wie?

Vor ein paar Jahren habe ich auf einer internationalen Tagung der Schematherapeuten in Holland auf die paradoxe Situation hingewiesen, dass sich die Schematherapie mit der Entstehung tiefgreifender Störungen bei Erwachsenen beschäftigt, deren Entstehungsbedingungen in Kindheit und Jugend zu finden sind. Die naheliegende Anwendung von Schematherapie bei Kindern und Jugendlichen gab es nicht. Zusammen mit einem Hamburger Kollegen haben wir im vergangenen Jahr in München mit einem Workshop zur Schematherapie bei Kindern und Jugendlichen begonnen. Ich arbeite seit ca. zwei Jahren mit Behandlungsteams für Kinder und Jugendliche zusammen und bin Fallsupervisor für 6 Behandlungsteams in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und - Psychotherapie. Insbesondere meine schematherapeutische Arbeit mit Puppen ist hilfreich. Die Behandlungsteams erarbeiten eine gemeinsame Sicht der Schemata und Personanteile eines Patienten und prüfen die Angemessenheit bisheriger Interventionen und verabreden verteilte Betreuungsaufgaben für das Kind oder den Jugendlichen mit dem Ziel der angemessenen Versorgung bezüglich frustrierter Kernbedürfnisse, Anleitung und Nacherziehung bei fehlender Anleitung und fehlenden Vorbildern und Förderung altersgemäßer Personanteile.

Mit Jugendlichen arbeite ich auch direkt mit dem Puppenansatz, insbesondere zum Verstehen ihrer Person und ihrer Beeinträchtigung sowie zur Erarbeitung von persönlichen Zielen und möglicher und gewünschter Kooperation mit dem Behandlungsteam. Schemata und Modi der Teammitglieder werden berücksichtigt und die Ursprünge der Fehlentwicklungen zu Hause und in der Schule werden in Eltern- und Schulberatungen erklärt. Wenn möglich werden die Eltern zu heilsamem und förderlichem Verhalten angeleitet. Schematherapeutische Bedürfnisanalysen und Entwicklungsziele werden für Umplatzierungen in andere Lebensumgebungen verwendet.

7. Erlauben Sie mir noch ein paar Fragen zu ihren Forschungen. Eine goldstandard naturalistische Studie läuft momentan in der Schweiz, die Praxisstudie ambulanter Psychotherapie Schweiz (PAP-S) von der Schweizer Charta für Psychotherapie. Was für gegenwärtige Forschungsideen haben Sie z.B. für die jüngere Generation?

Die Patienten werden immer unverwechselbarere Individuen und haben dann auch die Chance einen individuellen Weg der Veränderung zu finden. Je einfacher die Störung, je „Evidenz basierter“ und vorgefertigter darf auch der Behandlungsansatz sein. Je komplizierter, schwerer und verankert in der Persönlichkeit des Patienten die Störung erscheint, umso individuellere Wege der Therapie sind gefragt.

Schematherapie eignet sich für die Behandlung einer schweren, komplizierten Störung: Borderline. Schematherapie erscheint erlernbar und hat eine Reihe von Annahmen und Handlungsanweisungen für Therapeuten. Dem gegenüber steht die Aufforderung an Therapeuten extrem flexibel zu sein. Darüber hinaus besteht die Erwartung, dass nur erfahrene Therapeuten Schematherapie lernen sollten, und sie selbst mit eigenen Schemaprozessen vertraut und selbst auf einem guten Wege der Heilung und der persönlichen Integration sind.

Die Art der beschriebenen Beobachtungen und aufgeworfenen Fragen führt mich zu dem Rat, vor intensiven Forschungsaktivitäten Fragen der angemessenen Forschungsmethoden zu klären. Vieles spricht dafür, sich um kluge Einzelfallstudien zu bemühen, die so angelegt sind, dass ihre Ergebnisse in Teilen in Gruppen analysiert werden können. Ich erwarte, dass Untersuchungen mit Dyaden als Untersuchungseinheiten besonders aufschlussreich sein werden, da sich bedeutsame Therapien nicht ohne die Beziehung zwischen Patient und Therapeut beschreiben lassen. Innovative Ansätze, wie zum Beispiel meine Methode der Anteils-/ Modusarbeit mit Puppen könnte zu neuen Annahmen in der Schematherapie führen, oder auch gänzlich neue Wege beschreiten lassen.

Und es gibt einen zweiten Hintergrund: ob jemand Gewinn haben kann aus einer Therapie lässt sich allein aus dem Geschehen in der Therapie ohne die Berücksichtigung der Umgebung, in der er lebt, mit den realen Umständen, mit denen er sich rumzuschlagen hat, nicht sagen. Ich weiß z.B. von meiner Frau, die als Suchttherapeutin arbeitet, unter welchen lähmenden, aussichtslosen und zerstörerischen Lebensumständen die Patienten oft schon ihr ganzes Leben verbringen mussten und oder immer noch leben. In solchen Fällen werden hinderliche Schemata und dysfunktionale Zustände der Patienten durch Realität aufrechterhalten und sind keineswegs, zumindest nicht ausschließlich Ergebnis hinderlicher Gedächtnisstrukturen in der Person. Für so betroffene Patienten braucht es noch mehr die Verbindung von Sozialarbeiter und Psychotherapeut, das gehört zusammen.

An dieser Stelle fehlt es in der Psychotherapie und damit auch in der Schematherapie an Ökopsychologischen Überlegungen und Handlungsmöglichkeiten. Viele Therapien und besonders solche, die auf die innere Veränderung abzielen wie die Schematherapie laufen ohne diese ökopsychologische Seite Gefahr den Patienten zu überfordern und ihn letztlich dafür verantwortlich zu machen und ihn damit im Stich zu lassen. Wir haben da noch viel zu tun. Von Amerika können wir hier allerdings nicht lernen. In Deutschland sind wir z.B. was die Berücksichtigung der realen Lebenswelt der Patienten angeht weit und uneinholbar voraus. Was noch fehlt ist die noch stärkere Integration in die Psychotherapie. Ich kenne genügend Schicksale, bei denen positive Beeinflussung der realen Lebensbedingungen die bessere Psychotherapie ist, aus der heraus sich oft in erstaunlicher Weise Selbstheilungskräfte entwickeln.

Werter Professor Berbalk, ich bedanke mich für das Gespräch.

Biographie

Diplom-Psychologe Dr. phil. Heinrich Berbalk, Universitätsprofessor für Psychologie / Verhaltenstherapie an der Universität Hamburg. Eigene Psychotherapeutische Praxis in Schleswig – Holstein und Stations- Supervisor am Zentrum für Integrative Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Kiel in der Psychiatrie, der Psychosomatik und der Kinder – und Jugendlichen Psychiatrie und Psychotherapie.

Korrespondenz

E-Mail: berbalk@akm-net.de

Einschlägige Publikationen

Berbalk, H. & Hahn, K.-D. (1980). Lebensstil, psychisch-somatische Anpassung und klinisch-psychologische Intervention. In Baumann, U., Berbalk H., Seidenstücker, G (Hrsg.). Klinische Psychologie: Trends in Forschung und Praxis, Bd. 3. Bern: Huber.

Berbalk, H. & Kempkensteffen, J. (2000). Die Bedeutung des „Momentanen Personalen Gesamtzustandes“ für die Arbeit in der Depressionstherapie. Psychotherapeuten Forum: Praxis und Wissenschaft, Nr. 3.

Berbalk, H. & Young, J.E. (2009). Schematherapie. In Margraf, Schneider (Hrsg.). Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Bd. 1. New York: Springer.

Berbalk, H. (2011). Schematherapie. In Meinlschmidt, G., Schneider, S., Margraf, J. (Hrsg.) 2011 New York: Springer.