Originalarbeit (Kurzfassung)

Mark Solms1

Eine neuropsychoanalytische Sicht: Wozu Depression?

Die moderne neurowissenschaftliche Forschung über Depressionen legt den Fokus hauptsächlich auf die physiologischen Effekte einer Kategorie von Medikamenten, die als Serotonin–Wiederaufnahmehemmer (wie z.B. Prozac) bekannt sind. Das zentrale Thema dieser Forschung während der letzten 20 Jahre war: Warum dauert es so lange (ungefähr drei Wochen), bis diese Medikamente ihre stimmungsaufhellende Wirkung entfalten? Der Serotoninspiegel im Gehirn wird durch diese Medikamente beinahe sofort erhöht. Warum also verbessert sich die Stimmung des Patienten nicht sofort?

Der enorme Forschungsaufwand, der in Bezug auf diese Frage betrieben wurde, hat nun endlich zu Antworten geführt.

Serotonin stimuliert einen Wachstumsfaktor, bekannt als BDNF, welcher seinerseits das Spriessen von Verbindungen zwischen den Neuronen fördert; und dieser neuronale Wachstumsprozess verläuft langsam; er dauert etwa drei Wochen. Aber warum sollte das Spriessen neuer Verbindungen im Gehirn die Stimmung heben? Die Antwort – so sagt man uns – liegt in der Tatsache begründet, dass Stress Verbindungen im Gehirn reduziert, besonders im vorderen Hippokampus. Dies geschieht, wenn der Hypothalamus der Hypophyse signalisiert, die Nebennierendrüse zu stimulieren, das ‚Kampf- oder Fluchthormon’ Kortisol auszuschütten. Kortisol reduziert die neuronalen Verbindungen im vorderen Hippokampus. Da Stress ein Hauptrisikofaktor für Depressionen ist, scheint jetzt die vollständige kausale Sequenz aufgezeichnet und ausgearbeitet worden zu sein: Stress verursacht hohe Kortisolspiegel, die eine Abnahme des Hippokampus verursachen, was wiederum zu Depressionen führt; Serotonin erhöht das BDNF, das die Abnahme des Hippokampus ins Gegenteil verkehrt, was zu einer Verbesserung der Depression führt. Aber es ist allgemein anerkannt, dass Stress, für sich genommen, nicht der einzige ätiologische Faktor bei der Entstehung von Depressionen sein kann. Warum werden einige Menschen mit bestimmten Stressfaktoren bestens fertig, während andere durch diese in eine schwere Depression (major depression) getrieben werden? Diese Frage hat zu weiterer Forschung geführt, hauptsächlich über die genetischen Mechanismen, die Individuen angesichts dieser Umwelt-Stressfaktoren mehr oder weniger verletzlich (oder resilient) machen. Dies führte zur Identifikation spezifischer genetischer Marker wie z.B. der Länge eines speziellen Allels auf einem Gen, das in den Transport von Serotonin involviert ist. Dies scheint das Gehirn dafür zu prädisponieren, auf verschiedene stressige Situationen verschiedenartig zu reagieren, vor allem während der frühen Hirnentwicklung.

Es gibt viele weitere Details in den komplexen Prozessen, von denen gegenwärtig angenommen wird, dass sie Depressionen verursachen, mit denen wir uns hier nicht zu beschäftigen brauchen. Diese kurze Zusammenfassung vermittelt das Wesentliche des Arguments.

Die auffallendste Tatsache bei dieser Art von Argument ist, dass es nichts mit Depressionen zu tun hat. Keiner der fraglichen Hirnprozesse – ob sie nun genetisch, chemisch, anatomisch sind oder die Entwicklung betreffen – hat eine innere Beziehung zum besonderen, qualitativen Gefühlszustand, den wir ‚Depression’ nennen. Sie korrelieren mit Depression oder erleichtern das Entstehen einer Depression oder bilden ihren Kontext. Aber die Hirnmechanismen, die die tatsächlichen depressiven Gefühlszustände produzieren, sind anderswo begründet.

Dieser Artikel identifiziert zuerst diese anderen Hirn-Mechanismen, die effektiv die depressiven Gefühle produzieren. Dann stellt er die Frage: Warum legt die moderne neurowissenschaftliche Depressionsforschung den Fokus nicht auf diese Hirn-Mechanismen? Die Antwort auf diese Frage erfordert einen kurzen Überblick über die neuere Geschichte verschiedener Disziplinen und theoretischer Tendenzen innerhalb des weiten Feldes der ‚mental health’ – Wissenschaft. Diese Übersicht führt zu einem Verständnis der biologischen Rolle, die Gefühle in der Natur spielen, und wie diese Rolle notwendigerweise Bedeutungen impliziert. Das Ziel dieses Artikels besteht darin aufzuzeigen, dass die Neurowissenschaft des Geistes zentral um das bedeutungsvolle subjektive Phänomen (die gelebten Leben) kreisen muss, das sie zu erklären sucht.

Anmerkungen

1 Department of Psychology, University of Cape Town. Supported by the Hope for Depression Research Foundation.This article reiterates arguments published elsewhere with Watts&Panksepp (2009), Solms&Panksepp (2010), Panksepp&Watts, and Zellner, Solms, Watts &Panksepp (in press). The present article is aimed at framing our conception of depression for a psychoanalytic audience.