Rezension

Prof. Dr. Hans Waldemar Schuch

Leitner, A.: Handbuch der Integrativen Therapie

233 S., Springer, Wien / New York, 2010. EUR 58,32. ISBN 978-3-211-99734-5

Endlich liegt ein Handbuch der Integrativen Therapie vor! Bisher war sie lediglich im Rahmen eines vielbändigen, kolossalen Werkes (Petzold 2007) sowie in weit gestreuten und zum Teil nur noch schwer zugänglichen Publikationen zugänglich.

Was ist Integrative Therapie? Ein paar Stichworte: Die Integrative Therapie wurde seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts von Hilarion G. Petzold und Mitarbeitern entwickelt. Sie ist mittlerweile Europaweit verbreitet. In Österreich wurde sie zuerst als Universitätslehrgang an der Donau-Universität Krems durch das Wissenschaftsministerium und anschließend als wissenschaftlich begründetes, eigenständiges Psychotherapieverfahren durch das Gesundheitsministerium anerkannt.

Die Integrative Therapie gründet auf einem multiwissenschaftlichen Ansatz, der sie im Hinblick auf Theorie und Praxis von anderen psychotherapeutischen Verfahren klar unterscheidet. Die Integrative Therapie versteht sich als Schulen übergreifendes Verfahren.

Was macht das besondere und wesentliche dieses Ansatzes aus? Im Zentrum der Integrativen Therapie befindet sich eine philosophische Anthropologie, die den Menschen, philosophisch ausgedrückt, als intersubjektives Leibsubjekt in der Lebenswelt sieht. Dementsprechend versteht sich die Integrative Therapie programmatisch als Humantherapie, als Therapie des ganzen Menschen, der sich als Mann oder Frau in der von ihm sinnlich realisierten Welt auf bestimmten Strukturebenen erlebt und verhält – als informierter Leib, in seiner Lebenszeit, in einer bestimmten Lebenssituation, in einem zeitgeschichtlichen Kontext, auf dem Hintergrund seiner Lebensgeschichte, mit dem Blick auf seine Zukunft, die auf seine Gegenwart zurückwirkt und mit einer Lebensperspektive, die es zu entwerfen und gestalten gilt. Um diesen – wenn man so will – ideologischen Angelpunkt sind zahlreiche empirisch-wissenschaftlich begründete Perspektiven und theoretische Modellvorstellungen gruppiert, insbesondere die Vorstellung einer neurobiologisch, psychologisch, soziologisch, ökologisch begriffenen lebenslangen Entwicklung entlang von kulturell definierten Lebensaufgaben. Dieser hochdifferenzierte, multiperspektivische Ansatz führt zu einem multimodalen psychotherapeutischen Verfahren, das psychotherapeutisches Geschehen als intersubjektiven Korrespondenzprozess begreift, in dem sich die Themen des Patienten situativ und relational szenisch abbilden. Auf dem Hintergrund einer Mehrebenenreflexion und unter Rückgriff auf bewährte Heuristiken wird das therapeutische Geschehen tiefenhermeneutisch evaluiert und vermittels spezifischer Interventionen im Konsens mit dem Patienten kreativ gestaltet.

Leitners Handbuch bietet einen bis dahin einzigartigen, hochinformativen, sehr gut lesbaren Überblick über Entwicklung, Theorie und Praxis der Integrativen Therapie. Es enthält u.a. eine Skizze der geschichtliche Quellen sowie der Entwicklung des aktuellen Verfahrens. Es präsentiert Definitionen, zentrale Konzepte, eine Grundregel sowie wesentliche Einstellungen der Integrativen Therapie. Es umreißt die Theorie der Persönlichkeit und der Persönlichkeitsentwicklung. Es legt Theorien zur Entstehung von gestörtem Verhalten und Erleben und von Leidenszuständen als Ätiologiemodell dar. Es erläutert die Theorie menschlichen Handelns in der Integrativen Therapie. Hervorzuheben sind die Abschnitte über die Praxis sowie die Effektivität der Integrativen Therapie. Insbesondere die im letzten Kapitel aufgeführten empirischen Studien geben Auskunft über die umfangreiche wissenschaftliche Evaluation und belegen eindrucksvoll die Wirksamkeit der Integrativen Therapie.

Eine Zusammenfassung zum Zweck der besseren Handhabung stellt, auch wenn sie ihren Zweck ausgezeichnet erfüllt, stets eine Komprimierung dar, die, wohl verstanden, wieder des Entpackens bedarf. Dies wäre auch ganz im Sinne der Integrativen Therapie, die programmatisch als Entwurf konzipiert ist, der immer wieder aufs Neue ausgeführt, interpretiert und weiterentwickelt werden will.

Literatur

Hilarion Gottfried Petzold (2007) Gesamtbibliographie 1958 - 2007. In: Sieper J, Orth I, Schuch W (Hrsg.) (2007) Neue Wege Integrativer Therapie. Klinische Wissenschaft, Humantherapie, Kulturarbeit – Polyloge. Sirius, Bielefeld und Locarno: 699 - 784.