Ethnokulturelle Übertragung und Gegenübertragung in der psychodynamischen Psychotherapie in den Niederlanden

Wouter Gomperts

Psychotherapie-Wissenschaft 8 (2) 41–45 2018

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CC BY-NC-ND

https://doi.org/10.30820/8243.07

Zusammenfassung: In den letzten Jahren sind immer mehr nicht-westliche Migranten der zweiten Generation in psycho­analytischer Psychotherapie, bisher vor allem bei Therapeuten mit einem traditionellen niederländischen Hintergrund. Alle «normalen» psychischen Probleme und Ingredienzien der Behandlung können dadurch einen etwas anderen Inhalt annehmen und eine andere Bedeutung bekommen. In diesem Artikel liegt der Schwerpunkt auf der ethnokulturellen Über­tragung und Gegenübertragung in der therapeutischen Beziehung.

Schlüsselworte: psychodynamische Psychotherapie, transkulturelle Psychotherapie, Migration, Übertragung und Gegen­übertragung

Die Rassifizierung des Selbst

Aziza ist 29 und hat einen marokkanischen Hintergrund. Ihr Vater kam als Gastarbeiter in die Niederlande. Aziza ist in Marokko geboren, wuchs aber ab ihrem vierten Lebensjahr in den Niederlanden auf. Im Erstgespräch berichtet sie, dass sie in der Grundschule gemobbt wurde. Sie hatte Henna auf den Händen, und ihre Eltern waren traditionell gekleidet.

«Nur zwei grosse doofe autochthone Mädchen spielten ab und zu mit mir. Die Isolation war so schlimm, dass die Lehrerin erklärte, alle Kinder müssten der Reihe nach mit mir spielen. Als würde man ein Almosen bekommen, das man aus Stolz eigentlich nicht annehmen will, über das man sich aber auch wieder freut, und daher die Demütigung schliesslich doch hinnimmt. Schon als Kind schämt man sich für seinen Hintergrund; in der Schule wegen des Kopftuchs der Mutter, und weil sie kaum Niederländisch spricht und das Essen merkwürdig ist.»

Migranten der zweiten Generation mit einem nicht-westlichen Hintergrund haben oft seit ihrer frühen Jugend erlebt, wie ihre Eltern von einzelnen Personen und von Institutionen gedemütigt wurden. Aziza erzählt:

«Man musste immer Mittelsperson für die Familie sein. Man musste Dokumente lesen, Briefe schreiben, dolmetschen, und bekam so Dinge zu hören, die man lieber nicht hören wollte. Wie im Krankenhaus zum Beispiel über meine Mutter: Warum müssen diese Gastarbeiter auch unbedingt noch mehr Kinder kriegen?»

Minderwertigkeits- und Überlegenheitsgefühle können in der kleinen Welt der Familieninteraktion entstehen, hängen aber auch mit den Machtverhältnissen in der grossen Welt der Gesellschaft zusammen. Von früh auf bildet sich das Selbstgefühl und die Identität durch die Einstellung wichtiger Bezugspersonen (Zuhause, in der Schule) zu Ethnizität und Hautfarbe, und das wiederum hängt mit der Bedeutung zusammen, die diesen Kategorien in einer bestimmten Gesellschaft beigemessen wird. Weisse Kinder haben Generationen lang gelernt, dass Schwarze weniger wert sind als Weisse. Sie lernten es mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie die Tatsache, dass Bäume aus Holz sind. Von Generation zu Generation werden negative (positive) Gefühlsassoziationen hinsichtlich bestimmter Kategorien von Menschen durch stets wiederholte Einprägung und Konditionierung in das implizite Gedächtnissystem aufgenommen. Das hat ein rassifiziertes Selbstgefühl zur Folge, sowohl bei Weissen wie bei Schwarzen, bei Patienten und bei Therapeuten.1 Die Aussenwelt ist in der Innenwelt und die Vergangenheit in der Gegenwart. So sagt ein Patient mit einem karibischen Hintergrund etwa:

«Es ist nicht verschwunden. Es ist aktiv. Warum? Je mehr man sich der niederländischen Norm annähert, physisch oder im Denken, desto besser ist man. Je weiter man sich von dieser Norm entfernt, desto schlechter ist man. Es ist drinnen in einem, im Kopf und im Herzen. Es ist internalisiert, und das schon seit Generationen. Leute glauben, sie seien hässlich, dumm oder rückständig, sie hätten eine zu breite Nase, zu dicke Lippen, schlechtes Haar und die falsche Hautfarbe. Und am liebsten würden sie eine weisse Person heiraten, dafür würden sie einen Mord begehen. Denn dann kriege man bessere Kinder, mit der besseren Hautfarbe. Mit besseren Chancen. So sind wir trainiert!»

Ethnokulturelle Übertragung und Gegenübertragung

Altman (2004) weist darauf hin, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse intrapsychisch und interpersonell manifestieren, also auch im Behandlungszimmer des Therapeuten. Wenn die eigene Ethnizität in direkten Kontakten, in der öffentlichen Meinung und in Geschichts- und Kinderbüchern immer wieder negativ erfahren wird, kann das ein tiefes Gefühl der Minderwertigkeit, der Scham, der Angst und der Wut hervorrufen. Oft entwickeln diejenigen, die einer Minderheitsgruppe angehören, eine grosse Sensibilität für alles, was nach sozialer Benachteiligung riecht. Wer sich für eine Psychotherapie entscheidet, aktiviert das Bindungssystem, und das kann eine bereits bestehende Wachsamkeit gegenüber sozialer Benachteiligung verstärken. Sieht der Therapeut (meistens ein Vertreter der etablierten Mehrheit) einen wirklich als Individuum, statt als Exemplar einer (problematischen) Minderheitsgruppe? Erhält man wirklich die gleichen Behandlungschancen wie der «gewöhnliche» Niederländer? Bei der Anmeldung zur Therapie ist das Risiko der Stereotypisierung und der Benachteiligung immer vorhanden. In dieser Hinsicht ist der Therapeut (das Team beim Erstgespräch, die Gesundheitsbehörde) zumindest ein Übertragungsobjekt, auch Gegenübertragung ist möglich. Was kann passieren?

Inszenierung einer Übertragung-Gegenübertragung beim Erstgespräch

Aziza meldet sich in Amsterdam bei einer ambulanten Einrichtung der psychischen Gesundheitsfürsorge. Später sagt sie während der Therapie: «Weniger als perfekt ist für mich nicht akzeptabel. Es hat ganz bestimmt damit zu tun, dass ich hier als Marokkanerin aufgewachsen bin.» So wurde ihr in der Grundschule empfohlen, sich auf die Realschule vorzubereiten. Heute arbeitet sie auf höchster Ebene als Betriebswirtschafterin in einer grossen Organisation. Aus Angst, auch bei der Anmeldung zur Psychotherapie nicht das zu bekommen, was ihr zusteht, schaltet sie beim Erstgespräch gleich auf stur. Der Therapeut hat das Gefühl, dass Aziza sich nichts gefallen lassen will. Er empfindet ihr Verhalten als misstrauisch, einschüchternd und grenzüberschreitend, und es verärgert ihn, vielleicht auch weil ihm aufgrund seiner eigenen, als selbstverständlich erfahrenen Mehrheitsposition der Grund für Azizas Verhalten wenig vertraut ist und er kein Gespür dafür hat. Die Verärgerung des Therapeuten kann dazu führen, dass Aziza sich noch mehr sperrt, und der Therapeut sich noch mehr ärgert usw. Die wachsende Verärgerung kann beim Therapeuten die psychoanalytische Grundhaltung der Empathie und des Verständnisses unterminieren, was zur Folge hat, dass er auf seine klassifizierenden Grundfertigkeiten als Psychiater oder klinischer Psychologe zurückgreift. Azizas Verhalten kann dann als Zeichen einer ernsten (paranoiden, narzisstischen, borderline) Persönlichkeitspathologie aufgefasst werden. Demzufolge können Azizas Behandlungsmöglichkeiten zu niedrig eingeschätzt werden: eine self-fulfilling phrophecy.

In dieser Inszenierung einer ethnokulturellen Übertragung-Gegenübertragung (Enactment) blieb unbeachtet, dass Azizas Verhalten und die Reaktion des Therapeuten (und Azizas Reaktion wieder darauf, etc.) bis zu einem gewissen Grad auch zu verstehen sind unter dem Gesichtspunkt des Spannungsverhältnisses, das auf der gesellschaftlichen Makroebene zwischen sich emanzipierenden Gruppen von Newcomern/Aussenstehenden und etablierten Gruppen autochthoner Niederländer existiert, die sich in ihrer Position bedroht fühlen. Übertragungs- und Gegenübertragungs-Phänomene im Behandlungszimmer können die innergesellschaftlichen Spannungsverhältnisse zwischen ethnischen Gruppen widerspiegeln (Leary, 2000). Unzureichende Erkenntnis dieses Zusammenhangs kann die diagnostische Urteilsbildung trüben und zu übermässigem Psychiatrisieren führen.

In anderer Weise kann aber auch etwas Ähnliches passieren. Aus einem Gefühl persönlicher oder gesellschaftlicher Benachteiligung heraus (etwa als Spätling oder schwarzes Schaf der Familie, als Frau, Homosexueller, Provinzler in der Grossstadt, durch seine soziale Herkunft oder ethnische Minderheitsposition), kann der Therapeut sich übermässig mit der Aussenseiterposition des nicht-westlichen Patienten identifizieren. Er kann zum Beispiel die Art und Weise, wie Aziza sich während des Erstgesprächs verhält, idealisieren und ausschliesslich als Streitbarkeit eines vitalen Neuankömmlings deuten. Übermässige Kulturalisierung kann bewirken, dass der Ernst der Pathologie unterschätzt wird. Der Verlauf der Therapie kann daraufhin enttäuschend sein. Übermässige Psychiatrisierung und Kulturalisierung sind Fallstricke in der ethnokulturellen Gegenübertragung.

Die Aussenwelt in der Innenwelt, die Vergangenheit in der Gegenwart

In der modernen westlichen Gesellschaft sind ethnokulturelle Unterschiede stark emotional besetzt. Als Nachhall der Sklaverei, des Kolonialismus und des Holocaust prallen diskriminierende Verhaltenstendenzen auf hemmende Schuld- und Schamgefühle, vielleicht mehr denn je, jedenfalls bei rechtschaffenen Menschen. Unter anderem auch durch die beim Therapeuten (als rechtschaffenem Niederländer) existierende Angst vor Rassismus und Diskriminierung ist die Behutsamkeit, mit der in der therapeutischen Beziehung mit ethnokulturellen Unterschieden umgegangen wird, gross. Ein Supervisierter sagt: «Es fällt mir schwer, das in einer Therapie anzusprechen. Dann würde ich gleich das Gefühl haben: Bin ich überheblich? Und das will ich natürlich nicht sein.» Wenn der Therapeut zur etablierten Mehrheitsgruppe gehört und der Patient zu einer häufig diskriminierten Minderheitsgruppe, kann ein defensives Zusammenspiel entstehen, das dieses Thema aus den Therapiegesprächen ausklammert: Wir wissen natürlich, dass es Diskriminierung gibt, aber zwischen uns gibt es die nicht, wir stehen beide darüber. Eine solche narzisstische Kollusion kann der Angst des Patienten einen zusätzlichen Nährboden geben. Die unbewusste Botschaft kann nämlich sein: Der Therapeut traut sich nicht, es anzusprechen, also könnte er durchaus etwas sagen, was auf eine diskriminierende Einstellung hinweist, beide wissen, dass dies ein kritischer Punkt im Vertrauen ist, und halten sich demzufolge zurück.

Manchmal, wenn der Therapeut selbst auch einer Minderheitsgruppe angehört, sucht und betont der Patient gerade den ähnlichen Hintergrund. Dann kann ein Gefühl der Solidarität und Schicksalsgemeinschaft die Beziehung zum Therapeuten verstärken, manchmal auch indem der Patient, mehr oder weniger verblümt, negative Gefühle gegenüber der Mehrheitsgruppe äussert. Ein Patient sagt etwa:

«Darf ich Sie etwas fragen? Ihr Name ist doch auch nicht niederländisch, oder? Und Sie haben so dunkle Augen und dunkle Augenbrauen, und Sie sind so nett. Ich habe gleich gedacht, Sie sind bestimmt auch kein echter Holländer.»

Erforschung der ethnokulturellen Diversität in der therapeutischen Beziehung

Smith (2006) weist darauf hin, dass, wenn sich die Ethnizität des Therapeuten von der des Patienten unterscheidet, immer eine Spur davon im Behandlungszimmer anwesend ist. Es geht also nicht so sehr darum, ob die unterschiedliche Ethnizität von Bedeutung ist, sondern vielmehr darum, ob der Therapeut dieser Tatsache Aufmerksamkeit schenkt oder nicht, und wann und wie er das macht.

Aziza erzählt in einer Sitzung, dass sie mit ihrer Schwester deren Freundin Astrid am Wochenbett besucht hat. Astrid ist in den Niederlanden ein häufig vorkommender Vorname. Dem Therapeuten fällt auf, dass Aziza die Freundin beim Vornamen nennt, ihre Schwester (über die in der Therapie viel gesprochen wird) aber nie. Er geht näher darauf ein:

«Therapeut: Sie nennen Astrid beim Namen, das machen Sie bei Ihrer Schwester nie. Stimmt das?Patientin: Das stimmt …Therapeut: Denken Sie sich etwas dabei?Patientin: Das geht automatisch … ja, ich weiss es eigentlich nicht.Therapeut: Sie wissen es nicht?Patientin: In den Niederlanden fällt es den Leuten schwer, ihren Namen zu behalten.Therapeut: Wie finden Sie das?Patientin: Nicht so schlimm … Aber wenn man jemanden länger kennt, dann finde ich es schon blöd.Therapeut: Wir kennen einander jetzt schon eine ganze Weile. Wie wäre es für Sie, wenn ich ihren Namen nicht behalte?»

Aziza meint, sie wäre schon enttäuscht, wenn der Therapeut diesen Namen nicht behalten oder ihn falsch aussprechen würde und sich das auch nicht abgewöhnen könnte. Sie sagt:

«Ich habe mich immer bemüht, nicht anders zu sein als andere Niederländer. Aber man merkt doch immer wieder, dass man eine Fremde bleibt. Man wird doch sehr oft als Teil der marokkanischen Problemgruppe abgestempelt. Das ärgert mich schrecklich. Man fühlt sich gedemütigt. Wenn Sie mich auch als Marokkanerin abstempeln würden, könnte ich hier nicht mehr über intime Dinge reden. Ich muss davon ausgehen können, dass Sie das verstehen, sonst könnte ich die Therapie nicht mehr fortsetzen.»

In den folgenden Sitzungen äussert Aziza ihre aufgestaute Wut und ihre Angst hinsichtlich der kleinen und manchmal auch grösseren Konfrontationen mit diskriminierender Stereotypisierung in ihrem Alltag. In der Therapie erlebt sie diese auch an ihrem Therapeuten. Wichtig ist, dass der Therapeut erträgt, dass er mit dem diskriminierenden Aggressor identifiziert wird. Der Therapeut untersucht seine Gegenübertragung, sowohl in seiner Reaktion auf die diskriminierende Aggression, die ihm in der Übertragung unterstellt wird, als auch auf diskriminierende Spuren im eigenen Funktionieren.

Aziza erfährt, dass ihre Annahmen nicht als «übersensibel» abgetan werden, wie dies in ihrem Alltag oft geschieht. Sie denkt, fühlt und spricht mit immer grösserer Offenherzigkeit und Selbstverständlichkeit über ihre eigene ethnokulturelle Identität, über die ihres Therapeuten und anderer Menschen. Feste Überzeugungen wie «Alle Niederländer diskriminieren» und «Hier in der Therapie spielt das keine Rolle» weichen vor einer grösseren Nuancierung und Differenzierung. Anschliessend kann dann auch deutlich werden, dass Angst vor diskriminierender Stereotypisierung manchmal eine andere Angst verdeckt. Bei Aziza etwa manifestiert sich eine Angst vor emotionaler Nähe und Abhängigkeit in der Übertragung.

Die nicht-wissende therapeutische Haltung bedeutet, dass sich der Therapeut immer wieder einprägt, dass er nicht a priori wissen kann, was sich im Patienten abspielt. Diese Haltung ist ganz besonders wichtig im Fall ethnokultureller Unterschiede zwischen Patient und Therapeut. Der Therapeut muss sich fortwährend daran erinnern, dass er nur beschränkt über emotionales Wissen von ethnokulturell anders implementierten Erfahrungen verfügt. Der Angst, die dieses Nicht-Wissen in ihm auslösen kann (eine Angst, die eng mit der Angst vor dem Fremden zusammenhängt), lässt sich begegnen, indem man viel über andere Kulturen liest und dem Patienten viele desbetreffende Fragen stellt. In dieser Gegenübertragungsreaktion hofft der Therapeut empathische Fehler zu vermeiden.

Die psychodynamische Perspektive verlangt eine andere Vorgehensweise. Pannen in der therapeutischen Beziehung durch unzulängliche Empathie des Therapeuten sind unvermeidlich, bei welchem Therapeuten und Patienten auch immer. Die hierauf folgende Wiederherstellung der Verbindung wird als ein wesentlich therapeutisch wirksamer Bestandteil betrachtet. Wenn die therapeutische Beziehung durch unzulängliche Empathie hinsichtlich der ethnokulturellen Erlebniswelt des Patienten gestört wird, kann die Wiederherstellung der Verbindung von besonderer therapeutischer Bedeutung sein. Ein solches Ereignis zeigt nämlich, dass Wiederherstellung überhaupt möglich ist und bietet somit die Gelegenheit, ethnokulturelles Unverständnis in emotional bedeutungsvoller Weise zu erforschen und zu verstehen.

Whiteness als blinder Fleck in der Gegenübertragung

Whiteness ist der Begriff, mit dem die als selbstverständlich erfahrene Seelenruhe weisser Menschen angedeutet wird, die die Bedeutung ihrer in sozial-historischer Hinsicht privilegierten ethnokulturellen Position nicht reflektieren und über wenig Empathie und Einbildungskraft der Position anderer Kategorien von Menschen gegenüber verfügen. Whiteness kann ein blinder Fleck in der Gegenübertragung sein (Altman, 2000).

Der Therapeut kann seine eigene Sensitivität für die Wirkung, die seine spezifische ethnokulturelle Position auf Patienten mit anderem Hintergrund haben kann, erhöhen, indem er den eigenen ethnokulturellen Hintergrund emotional begreift, sowohl im Licht der eigenen Familiengeschichte als auch in einer weiteren sozial-historischen Perspektive. Eine eigene Therapie kann hier hilfreich sein. In der niederländischen post-Master Ausbildung zum Psychotherapeuten ist Lehrtherapie fester Bestandteil. Dennoch vermute ich, dass dieses Thema in den vielen Fällen wenig zur Sprache kommt, in denen sowohl der auszubildende Therapeut wie der Lehrtherapeut der gleichen Mehrheitsgruppe ursprünglicher Niederländer angehört und somit die innere Notwendigkeit bei beiden fehlt. Dieser Umstand ist ein zusätzlicher Grund, dem Thema in der Ausbildung besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Eine Schlussbemerkung

In der modernen westlichen Gesellschaft werden ethnokulturelle Unterschiede oft entweder hartnäckig verschwiegen oder in grober Weise zum Ausdruck gebracht. In der psychotherapeutischen Situation sucht man seit über hundert Jahren nach Wegen, mit schwierigen Gefühlen auf eine «bessere» Art und Weise umzugehen, als sie nur entweder unter den Teppich zu kehren oder barbarisch auszuleben. Zu Sigmund Freuds Zeiten betraf dies vor allem Sexualität und Aggression (Freud, 1930a). Heute versucht man in der Therapie , mit grösserer Offenherzigkeit und Selbstverständlichkeit mit ethnokultureller Diversität umzugehen. Dies verlangt vom Therapeuten einen hohen Grad an Empathie und Vorstellungsvermögen. Wenn dies schon für einen Psychotherapeuten (für den Selbstreflexion, Reflexion des anderen und des Verhältnisses zwischen dem Ich und dem Anderen zum Beruf gehört) schwierig ist, um wie viel schwieriger und mühsamer muss es für ungeschulte Menschen in der Gesellschaft sein. In dem Masse, in dem in einer Gesellschaft, aus welchen Gründen auch immer, regressive und primitive Kräfte stärker in den Vordergrund rücken, entfremden sich immer mehr Menschen mehr und mehr von ihren kontemplativen und empathischen Fähigkeiten, und Bevölkerungsgruppen werden weiter auseinandergetrieben.

Aus dem Niederländischen von Christiane Kuby & Herbert Post

Literatur

Altman, N. (2000). Black and white thinking: A psychoanalyst reconsiders race. Psychoanalytic Dialogues, 10, 589–606.

Altman, N. (2004). History repeat itself in transference. Psychoanalytic Dialogues, 14, 807–815.

Davids, F. M. (2011). Internal racism: A psychoanalytic approach to race and difference. Basingstoke: Palgrave Macmillan.

Freud, S. (1930a). Das Unbehagen in der Kultur. GW XIV, 419–505.

Leary, K. (2000). Racial enactments in dynamic treatment. Psychoanalytic Dialogues, 10, 639-653.

Smith, H. F. (2006). Invisible racism. Psychoanalytic Quatertly, 75(3), 3–19.

Westen, D. (1999). The scientific status of unconscious processes: Is Freud really dead? Journal of the American Psychoanalytic Association, 47, 1061–1106.

Transfert ethnoculturel et contre-transfert dans la psychothérapie psychodynamique aux Pays-Bas

Ces dernières années, il y a de plus en plus de migrants non occidentaux de la deuxième génération en psychothérapie psychanalytique, jusqu’à présent surtout auprès de thérapeutes avec un contexte traditionnel hollandais. Tous les problèmes psychiques « normaux » et ingrédients du traitement peuvent par conséquent accepter un contenu quelque peu différent et recevoir une autre portée. Dans cet article, la priorité repose sur le transfert et contre-transfert ethnico-culturel dans la relation thérapeutique.

Mots-clés : Psychothérapie psychodynamique, psychothérapie transculturelle, migration, transfert et contre-transfert

Transfert e controtransfert etnoculturale nella psicoterapia psicodinamica nei Paesi Bassi

Negli ultimi nell’ambito della psicoterapia psicoanalitica vi sono sempre più migranti non occidentali di seconda generazione, finora soprattutto presso terapeuti con un background olandese tradizionale. Tutti i «normali» problemi psichici ed elementi del trattamento possono perciò prendere un contenuto un po’ diverso e acquisire un altro significato. Nel presente articolo il focus è sul transfert e controtransfert culturale nella relazione terapeutica.

Parola chiave: psicoterapia psicodinamica, psicoterapia transculturale, immigrazione, transfert e controtransfert

Der Autor

Dr. Wouter Gomperts ist klinischer Psychologe, Psycho­therapeut und Psychoanalytiker. Er ist Lehranalytiker bei der Niederländische Psychoanalytische Vereinigung und Supervisor bei der Niederländische Vereinigung der Psychoanalytischen Psychotherapie, Lehrtherapeut und Lehr­supervisor bei der Niederländische Vereinigung für Psychotherapie. In den Jahren 2017–2019 unterrichtet er Psychoanalyse am Institut für interdisziplinäre Forschung der Universität Amsterdam. Er war Dozent in der Fachgruppe Klinische Psychologie der Universität Amsterdam (1979–2016) und Mitarbeiter des Niederländisches Psychoanalytisches Institut (1987–2015). Er arbeitet in freier Praxis in Amsterdam.

Kontakt

Conradstraat 423 G

1018 NE Amsterdam

w. j.gomperts@me.com

Anmerkungen

1 Davids (2011) untersuchte internen Rassismus aus psychoanalytischer Perspektive. Eine Übersicht der experimentellen sozial-psychologischen Erforschung des impliziten Rassismus findet sich bei Westen (1999).