Bericht

Manfred Thielen

Körper-Gruppe-Gesellschaft. Neue Entwicklungen in der Körperpsychotherapie.“

Bericht vom 4. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Körperpsychotherapie (DGK) vom 22.-25.9.11 an der Freien Universität Berlin (FUB)

400 TeilnehmerInnen nahmen am Kongress bei spätsommerlichem Wetter und sehr angenehmer Atmosphäre teil. Es fanden 14 Hauptvorträge, 8 Panels und über 50 Workshops statt. Viele TeilnehmerInnen haben ein ausgesprochen positives Feedback zu den Inhalten, der Organisation und der offenen Diskussionsatmosphäre gegeben.

Das Rahmenthema behandelte auch die Ost-West-Thematik und die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen die körperorientierte Gruppentherapie in der damaligen DDR und in der BRD Verbreitung fand. Mit dieser Thematik setzten sich Marlock und Maaz auseinander. Revenstorf betrachtete die Rolle der Körperpsychotherapie (KPT) in der allgemeinen Psychotherapie.

Eberwein, Thielen und Vogt beschäftigten sich mit der körperorientierten Gruppenpsychotherapie und ihren Wirkfaktoren. Da es bisher erst wenige Konzepte und praktischen Beispiele der Körpergruppenpsychotherapie gibt, stellten die Vorträge zusammen mit dem Panel zu diesem Thema einen wichtigen Meilenstein in diesem Prozess dar.

Harms, Geuter, Boadella und Bercelli sprachen über neue Entwicklungen in der KPT. Krüger-Kirn wandelte „Auf den Spuren weiblicher Körperlichkeit“. Sollmann analysierte die „Rolle und Funktion von Körper zwischen Psychotherapie und Gesellschaft“. Und Moser setzte sichschliesslich mit „Deutschlands verdrängten Tätern“ und den entsprechenden Introjekten auseinander.

Gustl Marlock sprach über den narzisstischen Charakter der postmodernen Gesellschaft und das von ihr geprägte Körperbild, das durch die Schönheitsindustrie zunehmend „selbst-desgined“ wird. In allen Feldern der Gesellschaft wird Lebensfreude, Enthusiasmus, Leichtigkeit, Heiterkeit und Frohsinn gefordert, ein nicht unerheblicher Teil versucht diese Zustände mit Hilfe von Drogen und Fitness herzustellen. Doch darunter befindet sich häufig die lavierte Depression.

Danach sprach Hans-Joachim Maaz, der von 1980–2008 Chefarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik in Halle war, über „die intendierte dynamische Gruppenpsychotherapie in der DDR“. Werte wie Ehrlichkeit, Offenheit, Echtheit in der Gruppenpsychotherapie zu vermitteln, war bereits subversiv, denn diese Werte waren gesellschaftlich nicht gefragt. Insofern war diese Art von Gruppenpsychotherapie immer auch ein subversiver Akt. Das Gruppenkonzept war nicht leiterIn-, sondern teilnehmerInnenzentriert, die Therapie durch die Gruppe stand im Vordergrund. Durch die Zurückhaltung der Leiter, die phasenweise gezielt nicht zur Gruppe kamen, wurden bewusst negative Übertragungsgefühle evoziert.

Dirk Revenstorf, Prof. für klinische Psychologie in Tübingen, setzte sich mit der Rolle der Körperpsychotherapie im Rahmen der Richtlinientherapie, vor allem der Verhaltenstherapie (V.T), auseinander. Er plädierte für eine pluralistische Psychotherapiegesellschaft, in der natürlich auch die KPT ihren anerkannten Platz hat und für eine zunehmende Integration des Körpers in eine allgemeine Psychotherapie.

Werner Eberwein sprach zu den Wirkfaktoren der Körpergruppenpsychotherapie setzte sich dabei mit der Wirkfaktorenanalyse der empirischen Forschung auseinander. Anhand von vielen anschaulichen Bildern beschrieb er 35 Aspekte die für diese von Bedeutung sind. Im Rahmen der narzisstischen Entwicklung der Gesellschaft stellte er auch kritisch den zunehmenden Rückgang der Nachfrage der Gruppenpsychotherapie im Unterschied zu den 80er-Jahren fest.

Manfred Thielen sprach über den „Körper im Feld der Gruppe – Charakteristika der Körpergruppenpsychotherapie“. Er stellte das von seiner Kollegin und ihm entwickelte Konzept vor, das die Gruppensitzung in vier Phasen unterteilt:

Er hat selbst eine qualitative Befragung durchgeführt und auf dieser Basis neue Thesen zu den zentralen Wirkfaktoren der Körpergruppenpsychotherapie entwickelt.

Ralf Vogt sprach über die körperorientierte Gruppenarbeit mit komplex traumatisierten Patienten. Er stellte das von ihm differenziert ausgearbeitete Konzept der „Somatisch-Psychologisch-Interaktive Psychotraumatherapie von Komplex-Traumatisierten“ vor und arbeitete die Unterschiede zur Körpergruppenpsychotherapie zu neurotischen Patienten heraus.

Thomas Harms trug zum Thema: „Körper – Trauma – Bindung“ vor. Er hat seit über 15 Jahren zunächst Schreiambulanzen in Berlin und Bremen aufgebaut und einen Ansatz der körperorientierten Therapie für Babys und ihre Eltern entwickelt. Sich auf die Vegetotherapie von Reich beziehend, bringt Harms zunächst die Eltern in den körperlichen Stand der Bindungsfähigkeit zurück. In der Regel wird dann das Baby fast schlagartig ruhiger, was er anhand von Videobeispielen beeindruckend belegte.

Ulfried Geuters Thema lautete: „Emotionstheorie und Körperpsychotherapie“. Auf der Basis der Theorie von Barrett und Russell über die Kernaffekte entwickelte er die innovative Position, dass die KPT im Unterschied zu der verbalen Psychotherapie sowohl an den Kernaffekten als auch mit den objektbezogenen Emotionen arbeitet. Die KPT zeigt den PatientInnen, wie sie über den Körper auf der Achse der Intensität regulierend in emotionale Prozesse eingreifen können, und zweitens verbindet sie die Arbeit am Kernaffekt, um die objektbezogenen Emotionen zu durchleben. Letzteres zeichnet die KPT aus. Sie führt die Arbeit am Kernaffekt und die an den Emotionen, an der Klärung und Regulierung der Gefühle in einem Prozess zusammen.

David Bercelli, ein international anerkannter Traumatherapeut, der interkulturell mit 1,5 Mill. Menschen in 16 Ländern der Welt, z.B. für die WHO gearbeitet hat. Auf der Basis der Bioenergetik hat er Übungen weiterentwickelt, die er auch in Großgruppen anwendet. Durch seine systematische, bioenergetische Übungsfolge, die er Trauma-Releasing-Exercises (TRE) nennt, fängt der Körper, an zu zittern bzw. zu vibrieren, um die Übererregung, die Anspannung zu lösen. Das Zittern ist eine ähnlich natürliche d.h. unwillkürliche Reaktion auf das Trauma und den damit verbundenen Stress wie das vorherige Zusammenziehen. Dieses neurogenetische Zittern trägt dazu bei, das Trauma auf der körperlichen Ebene zu verarbeiten. Auf der psychischen Ebene bedarf die Verarbeitung natürlich auch der verbalen Arbeit.

David Boadella, Biograf von W. Reich, einer der wichtigsten neoreichianischen Vertreter, und Begründer der Biosynthese, musste leider aus Krankheitsgründen absagen. Gabriele Hoppe las seine Rede: „Die Reise vom Schrecken zur Hoffnung“, die die biosynthetische Traumatherapie darstellte, vor. Er fokussierte auf die physiologische Seite des Traumas und seine psychosomatischen Effekte und betonte die Notwendigkeit der Ressourcenorientierung und Ich-Stärkung bei der therapeutischen Arbeit. Das Trauma hat negative Auswirkungen auf die drei, von Boadella „Lebensströme“ genannten, Bereiche der Affekte und Emotionen (grün), der Beweglichkeit und Handlung (rot) und der Wahrnehmung und Aktivität (blau). Die biosynthetische Bearbeitung dieser Auswirkungen sieht spezielle körperorientierte Vorgehensweisen für alle drei Ebenen vor. Hinzu kommt noch eine vierte Ebene, das Bewusstsein und das essentielle Sein, die die Verbindung zwischen allen anderen herstellt. Seine drei zentralen Methoden des Zentrierens, des Erdens und des Anschauens konkretisierte er für seine Traumaarbeit, wie er anhand eindrücklicher Fallberichte zeigte.

Ulrich Sollmann berichtete anschaulich von seinen ersten körperpsychotherapeutischen Selbsterfahrungsgruppen in den 70er und 80er Jahren; Hintergrund war auch der politische Zeitgeist der 68er-Bewegung, die damalige Aufbruchstimmung. Er entwickelte zehn Thesen zur Körperpsychotherapie, die deutlich machten, dass der Prozess nicht antizipierbar, technizierbar, objektivierbar, sondern komplex, vielfältig, experimentell, selbstregulativ, subjektiv, dialogisch bezogen und irritierend, um Neues zu lernen, ist.

Helga Krüger-Kirn referierte, dass die soziokulturellen Geschlechtervorstellungen auf dem Hintergrund des gesellschaftlichen Kontextes auf engste mit spezifischen Beziehungs-dynamiken in Frau-Frau-Behandlungen verbunden sind. Dabei kommen ihres Erachtens der Abwertung des weiblichen Körpers und dem Homosexualitätstabus mehr noch als der Aggressionshemmung zentrale Bedeutung zu. Diese These untermauerte sie mit eindrücklichen Fallbeispielen.

Tilmann Moser, maßgeblicher Mitbegründer der Analytischen Körperpsychotherapie, sprach über: „Deutschlands verdrängte Täter. Ein körpertherapeutischer und inszenatorischer Zugang zu den Introjekten“. Kein Volk der Erde dürfte auf dem Hintergrund des Faschismus eine solch dunkle Deponie von Täterintrojekten haben wie Deutschland, betonte er. Nicht nur die Tätergeneration behielt die destruktiven Introjekte in ihren Seelen, sondern auch die zweite Generation war in großen Teilen „emotional verseucht“. An zwei klinischen Beispielen zeigte Moser, wie es zu solchen Identifizierungen mit gefährlichen Introjekten kommt. Die klassische Psychoanalyse hat wegen der ungeheuren Schwierigkeiten bei der Übertragung der bösen Anteile auf den Therapeuten und dessen Gegenübertragung große Mühe, Täterintrojekte durchzuarbeiten. Körperpsychotherapie und Inszenierung bieten hingegen neue Wege des Zugangs. Dabei ist es für ihn wichtig, die Introjekte überhaupt zu entdecken und ihnen Namen zu geben, um sie zu identifizieren und fassbar zu machen.

Fast alle Vorträge und Panels wurden auf Audio-CDs aufgenommen und können über carpediem.zell@aon.at bezogen werden.