Rezension
Sigrun Reinisch
Storch, M., Cantieni, B., Hüther, G. & Tschacher, W. (2010). Embodiment.
Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen; mit Ergänzungskapitel „Embodiment im Zürcher Ressourcen Modell (ZRM)“
2. erw. Auflage. Bern: Huber. 180 S., gebunden, € 29,95, ISBN 978-3-456-84837-2
Kapitel 1 beginnt mit dem Beitrag >> Wie Embodiment zum Thema wurde << von Wolfgang Tschacher (S. 13-34). Nach einem Exkurs zur Entstehungsgeschichte der Künstlichen Intelligenz, an die, Mitte des 20. Jahrhunderts höchste Erwartungen gestellt wurde, werden drei Argumente formuliert, warum diese bis jetzt so kläglich scheitern musste. Besonders auffällig war, dass Menschen bestimmte Aufgaben, wie z.B. Fußballspielen problemlos lösten, währenddessen es für Maschinen unlösbar schien. Sobald ein Körper benötigt wurde, kam es zu Schwierigkeiten. Kann die Vernachlässigung des Körpers die unüberbrückbare Hürde für die Künstliche Intelligenz sein?
Argument 1: Das Phänomen der Täuschungen
Wenn man z. B. in einem dunklen Raum abwechselnd gegenüberliegende Punkte aufblitzen sieht, werden nicht nur diese Punkte wahrgenommen, sondern man sieht ein Licht hin- und her wandern. Diese Scheinbewegung, bzw. etwas zu sehen, was nicht vorhanden ist, ist eine Leistung der menschlichen Intelligenz, die besonders in der zwischenmenschlichen Interaktion von großem Nutzen ist. Menschen können sich in andere Menschen hinein fühlen und besitzen so die Gabe zur Musterbildung. Diese ist zwar die Voraussetzung für Täuschungen aber auch der Grundstein für ein Embodiment.
Argument 2: Die kombinatorische Explosion
Die Künstliche Intelligenz geht von symbolischer Datenverarbeitung aus, d.h. für alles aus der realen Welt muss ein programmiertes Symbol bzw. eine Verknüpfung von Symbolen vorhanden sein. Ist die Anforderung an den Computer zu komplex, kommt es zu langen Antwortzeiten. Er muss gezwungen werden bestimmte Kombinationen zu ignorieren. Dem Menschen hilft wieder, die in die Wiege gelegte Musterbildung, er filtert die unwichtigen Reize und konzentriert sich auf die wichtigen und entgeht so, der kombinatorischen Explosion.
Argument 3: Das symbol grounding-Problem
Wie findet ein Computer zu einem Symbol die richtige Bedeutung? Angeblich kein Problem. Als Maßstab für Intelligenz gilt nach wie vor der Turing-Test. Bei diesem Test kommuniziert ein Prüfer mit einem Gegenüber, den er nicht sieht. Mittels Frage und Antwort soll dieser Prüfer herausfinden, ob sein Gegenüber ein Mensch ist oder eine Maschine, bis dato hat noch kein Computer diesen Test bestanden.
Nur aufgrund einer Interaktion mit der realen Welt kann ein Symbol verstanden werden, dazu bedarf es einen Körper, Embodiment liefert das symbol grounding!
Kapitel 2: >>Wie Embodiment in der Psychologie erforscht wurde<< von Maja Storch (S. 37-72). Sie beschreibt eingangs kurz wie psychisches Empfinden körperlich ausgedrückt wird, wie z.B. „ich bin genervt, deswegen runzele ich die Stirn“, aber wäre es auch umgekehrt möglich, „ich bin genervt, weil ich die Stirn runzele“? Es folgen mehrere Experimente, die genau diese Wirkrichtung untermauern und unter den Fachbegriff des Body-feedbacks zusammengefasst werden, sozusagen eine Rückmeldung des psychischen Systems an den Körper.
In einem Experiment zur Körperhaltung und Emotion von Riskind und Gotay (1982) wurde den Versuchspersonen offiziell mitgeteilt, dass sie an einer Untersuchung zum räumlichen Denken teilnehmen und entsprechende Tests durchgeführt würden. Auf das Ergebnis mussten die Probanden warten und um diese Wartezeit zu verkürzen, wurde ihnen angeboten, an einer weiteren Untersuchung teilzunehmen. In dieser sollte offiziell die Leitfähigkeit der Haut im Bezug auf Muskelreaktionen gemessen werden. Tatsächlich sollten die Personen allerdings acht Minuten in einer bestimmten Körperhaltung verharren und danach unlösbare geometrische Puzzles zusammenstellen. Getestet wurde das Durchhaltevermögen. Die Personen mit aufrechter Körperhaltung bewiesen ein deutlich längeres Durchhaltevermögen. Die gekrümmte Körperhaltung induzierte, so die Annahme, dem psychischen System Mutlosigkeit.
Für Motivation und Emotion werden nicht nur zentralnervöse kognitive Prozesse berücksichtigt, sondern auch das Feedback des Körpers.
Im Weiteren folgen zahlreiche Experimente und Anleitungen, wie diese im Alltag umgesetzt werden können.
Ihr nächstes Thema beschreibt Ausstrahlung und Körper. Mit dem Fachbegriff „valence-motor compatibility“, ist gemeint, dass psychische Verarbeitungsprozesse begünstigt werden, wenn die motorische Aktivität des Körpers mit der Valenz des Themas, mit dem man sich gerade befasst, übereinstimmt, denn wer z.B. nickt kann positive Wörter besser bearbeiten als negative.
Im letzten Abschnitt beschreibt Storch Embodiment und seine Möglichkeiten und geht auf die Fragestellung ein, wie man mit dem Machtzentrum Körper am effizientesten umgeht. Im Embodiment und Selbstmanagement wird dargelegt, dass Menschen, welche ihre Selbstmanagementversuche auf das pure Denken reduzieren und den Körper dabei vergessen, ein unweigerliches Scheitern ihrer Bestrebungen riskieren.
Es folgen Tipps wie man mit Embodiment unerwünschte psychische Verfassungen los wird und erwünschte erzeugen kann. Reine Nachdenk- und Besprechungsphasen sind zu wenig, werden konstatiert, man muss den Körper die Chance geben, die ungewünschte Emotion abzuarbeiten. Erwünschte psychische Verfassungen müssen authentisch sein, ein bloßes Eintrainieren von aufgesetzter Freundlichkeit ist nicht zielführend. Der Mensch muss die gewünschte Verfassung gezielt definieren und sich sein Embodiment individuell erarbeiten.
Laut Moreno muss die neue Rolle des Menschen in sein Fleisch dringen und von innen heraus bestimmt werden. Dieser Vorgang muss selbst gestaltet werden, damit die Inhalte im neuronalen Netzwerk, mit bereits vorhandenen Gedächtnisinhalten verknüpft werden können. Nur dann wirkt das neue Handeln in Kooperation mit dem Körper authentisch.
Wie kann man nun unerwünschte psychische Verfassungen, wie Stress, mit Embodiment verhindern?
Nach Storchs Empfehlung muss das Gehirn mittels Annäherungszielen auf die gewünschte Reaktion hin trainiert werden. Je nach Persönlichkeit muss das Ziel für ein Embodiment dementsprechend formuliert werden. Möchte ich ruhig und erhaben stehen, wie eine Eiche, werde ich die Füße breiter stellen um meinen Stand zu stabilisieren. Hat man noch nie mit Embodiment gearbeitet, wird es seine Zeit brauchen, um dieses Bild zu internalisieren. Das neuronale Netz muss solange trainiert werden, bis man in realer Situation jederzeit darauf zurückgreifen kann.
Als Basis-Embodiment sieht sie die Kraft der Spontaneität. Nach Moreno haben Menschen, denen es gelingt auf jede Situation spontan und kreativ zu reagieren, das höchste Potential psychisch gesund zu bleiben. Nach seinem Konzept steht Spontaneität jedem Menschen zur Verfügung und er versteht darunter eine neue Reaktion auf eine alte Situation oder eine angemessene Reaktion auf etwas Neues. Das therapeutische Ziel Morenos ist es, den Menschen bei der Entfaltung dieser Fähigkeit zu helfen und auch jene Umstände zu bearbeiten, die dazu geführt haben, diese Fähigkeit zu verlieren.
Kapitel 3: >> Wie Embodiment neurobiologisch erklärt werden kann<< von Gerald Hüther
(S. 75–97). Er gibt in seinem Beitrag einen Überblick über den Ablauf der neuronalen Vernetzung von der embryonalen Entstehung an bis zum Tod. Im Zeitalter der Aufklärung, wurde das Funktionieren des Menschen ausschließlich auf die rationale Ebene reduziert. Heute weiß man, dass Körper und Psyche untrennbar miteinander verbunden sind.
Es wird erklärt, wie Gehirn und Körper aufgrund zellulärer und biochemischer Prozesse zusammenspielen und auch die wechselseitige Abhängigkeit von körperlicher und psychischer Entwicklung genau beschrieben.
Der Mensch ist von Geburt an nicht alleine lebensfähig und so von seiner Umwelt und deren Interaktion abhängig. Zuerst wird er nur von den Eltern, dann von vielen anderen Personen und Institutionen geformt und für die jeweilige Gesellschaft in der er lebt, sozialisiert. Je nach kultureller Begebenheit, Stück für Stück von seinem Körper getrennt und für seine Umwelt passend gemacht.
Diese Reaktionsmuster der Beziehungserfahrungen des Menschen werden als Metarepräsentationen im Gehirn verankert und können später dann zu Problemen führen.
Die größte Errungenschaft der Hirnforschung ist die Feststellung, dass das menschliche Gehirn eine lebenslange Baustelle ist. Bahnen im Gehirn können wieder verändert werden, allerdings ist die Verknüpfung von Wahrnehmung, Denken und Körper stärker als angenommen. Je länger eine übernommene Haltung oder ein unterdrücktes Gefühl herumgeschleppt wird, desto schwerer ist es diese Verankerung wieder aufzulösen.
Es ist es nie zu spät eingefahrene Körperhaltungen zu verändern und dadurch Kompetenz, Selbstgefühl, Selbstvertrauen und seine Lebendigkeit wieder zu erlangen.
Kapitel 4: >> Wie gesundes Embodiment selbst gemacht wird<< von Benita Cantieni (S. 101–125). Sie erklärt am Beginn, wie es zu Haltungsschäden kommt und zeigt mittels Infrarot Thermographie beeindruckend sechs schiefe Embodiments. Im nächsten Abschnitt wird in neun Schritten detailliert erklärt, wie man ein gesundes Embodiment selbst erzeugt und wie man es zwecks neuronaler Vernetzung mit einem positiven Gefühl verknüpfen kann. Mit einer Checkliste für den spontanen erlebnisbereiten Körper schließt sie, die vorherigen, theoretischen Kapitel, mit praktischen Tipps, die zum Ausprobieren einladen, ab.
Die 2. Auflage von >>Embodiment<<, wurde um Kapitel 5 <<Embodiment im Zürcher Ressourcen Modell (ZMR) von Maja Storch (S. 129-142) erweitert. Das ZMR ist die theoretische Basis für das ZMR-Training und kann überall dort eingesetzt werden, wo man Menschen helfen will, ihre Ziele in Handlungen umzusetzen. Als Ressource gilt alles was neuronale Netze aktiviert um ein bestimmtes Haltungsziel zu erreichen. Im Gegensatz zu den meisten psychotherapeutischen Verfahren werden im ZMR-Training, Ziele allgemein und nicht konkret formuliert. Ein typisches ZRM-Haltungsziel aus dem Stressmanagement-Thema wäre „Ich atme im Fluss des Lebens“. Ein Embodiment wird zu diesem Ziel individuell erarbeitet. Am Kursbeginn wird die Wechselwirkung von Körper und Psyche erklärt, ein Haltungsziel und ein dazu passendes Bild individuell erarbeitet und verkörpert. Im Anschluss folgt jeweils ein Einzelsetting in dem mittels psychodramatischer Doppeltechnik die Einzelelemente körperlich umgesetzt werden. Die jeweiligen Embodiment-Elemente werden auf ein Arbeitsblatt übertragen und den Kursteilnehmern mitgegeben. Nun muss ein tägliches Training erfolgen damit es zu einer stabilen Bahnung im Gehirn kommt und dann letztendlich in Fleisch und Blut übergehen kann.
In diesem Buch versuchen vier, aus verschiedenen Zweigen der Wissenschaft, kommende Fachleute zu erklären, wie wichtig es ist seinen Körper nicht zu vernachlässigen.
Hauptaussage: Ein gesunder Körper bzw. eine gesunde eigene Körperhaltung, eingebettet in die jeweilige Umwelt, ist für ein gesundes psychisches Erleben unverzichtbar. Jedes Kapitel hat praxisnahe Beispiele und visualisiert sehr anschaulich den jeweiligen Zugang zu einem gewünschten und gesunden Embodiment. Es lädt ein, sich mit diesem Thema näher auseinanderzusetzen.