Katharina Kriegel-Schmidt (Hrsg.). (2017): Mediation als Wissenschaftszweig. Im Spannungsfeld von Fachexpertise und Interdisziplinarität

Berlin: Springer. 566 Seiten. 64,99

Psychotherapie-Wissenschaft 8 (1) 104–105 2018

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CC BY-NC-ND

DOI: 10.30820/8242.22

Dieser Sammelband ist eine Premiere zum weiten Fach- und Tätigkeitsgebiet der Mediationsbewegung, welche unsere Kultur des Streitens, des konstruktiven Austragens von Konflikten und deren friedliche Beilegung, im letzten Jahrzehnt nachhaltig verändert hat. Das Ziel dieser gemeinsamen Publikation von 58 Autor*innen aus zwölf Disziplinen in 43 Beiträgen zeigt auf, wie dieser neue Zweig der Sozialwissenschaften, seine eigene bisher geleistete Forschung darstellt. Es ist, das sei schon anfangs gesagt, eine gelungene Gesamtschau dessen, was es heute im deutschsprachigen Lebensraum an spezifischen Forschungsprojekten gibt. Es gibt sie schon, wenn auch leider erst vereinzelt, die Lehrstühle für diesen, sich als eigenständiges Wissenschaftsfeld etablierendes Handlungs- und Forschungsgebiet. Die Vielfalt der je einzelnen Forschungsansätze wird, auch dank finanzieller Hilfe der Deutschen Stiftung für Mediation, welche die Forschergruppe Mediation, die sich für hochschulübergreifenden, transdisziplinären Austausch einsetzt, unterstützt. Hier findet die Leser*in eine Fülle von Kommunikationen, die nicht nur über empirische sozial-phänomenologische und systemische Erforschung von Mediationserfahrungen berichten, sondern im Weiteren auch praktische politische Einsichten darüber vermitteln, was es braucht, um diese Art und Weise der Konfliktlösung dienende Aktivität erfolgreich auszuüben.

Der Band kommt in vier Teilen daher. Im ersten werden die Beziehungen des Forschungssubjektes zu Mediation, die Gegenstandsdefinition und der Blickwinkel bei der Erforschung bedacht und beschrieben. Drei Autoren teilen sich diese Aufgabe. Mediation ist nicht nur ein Verfahren, sondern braucht eine innere Klarheit derjenigen, die sie ausüben.

In Teil zwei werden Forschungsansätze verschiedener Disziplinen vorgestellt. Die acht Autor*innen schreiben von ihren theoretischen Zugriffen, mit denen sie Mediation als ein Forschungsfeld sozial-phänomenologisch und strukturell untersuchen, beschreiben und – hoffentlich – erklären können. Mediation kann kulturwissenschaftlich erforscht werden. Gleichzeitig wird sie hier einer bildungstheoretischen Reformulierung unterzogen, da diese Aktivität uns in der gegenwärtigen, komplexer werdenden Gesellschaft positiv begleiten kann. Als Kommunikationsmacht ist Mediation, als soziologische Konfliktforschung, gleichzeitig ein Teil der kommunikationswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Ob sich nun eine Gesprächslinguistin oder eine angewandte Kreativitätsforscherin ans Werk machen – immer bekommen wir einen bunten Strauss von Ideen und Forschungsresultaten.

Der dritte Teil zu problemgeleiteten Reflexionsangeboten und empirischen Forschungsergebnissen, ob auf qualitative oder/und quantitative Weise erhoben, ausserdem oft in Kombination mit theoriegeleiteten Hypothesen, kommt in – unglaublichen elf Unterteilen – daher. Es ist eine schier unglaubliche Vielfalt von Bereichen, in denen Mediationsforschung betrieben wird. Es wäre unfair, die eine oder den anderen Forscher*in hervorzuheben. Sie sind alle in ihren Präsentationen engagiert und behalten den Blick fürs Ganze.

Erst wird die Mediation als zeitgenössisches Phänomen untersucht. Dann folgen die interkulturellen, kulturvergleichenden und internationalen Fragestellungen. Die verschiedenen Grundpositionen und kulturellen Wertsetzungen in der Mediation werden reflektiert. Die implizite und explizite Macht von Sozialstrukturen, in verschiedenen Situationen wahrgenommen, werden aufgezeigt und in narrativen Episoden analysiert. Wie Organisationen und Institutionen die Entwicklung von Konfliktmanagementsystemen beeinflussen und schon beeinflusst haben, wird untersucht. Die multifaktoriellen Konflikt- und Interventionsanalysen in komplex strukturierten Kontexten, werden anhand von empirischen Daten belegt, bevor die, für die Praxis wichtigen, speziellen Wirkfaktoren und Wirkprozesse in diesem Berufsfeld herausgearbeitet und debattiert werden können. Vom Ist-Zustand hinüber zum neuen Was-Zustand und schlussendlich zum Wozu der Interventionen. Was für Interventionsinstrumente sind wann und wie angebracht? All das geht nicht ohne Irritationen und Widersprüche, welche sich im Handeln der Mediator*innen, in all den Bereichen ihrer Aktivitäten – Betriebe, Schulen, Universitäten, Gemeinden, Bundesländer, Gruppen usw. – zeigen. Was das alles kosten darf und welche volks- sowie betriebswirtschaftlichen Überlegungen angestellt werden müssen, um eine diesbezügliche Klarheit zu bekommen, zeigt einmal mehr, wie praxisorientiert dieser ganze Sammelband daherkommt.

Welche Vorbedingungen für eine auszuübende Mediation gegeben sein müssen und was in der Ausbildung für Wissen aus dem Praxisalltag wieder in die Theorie einfliessen kann, ist dem Test des Alltags geschuldet. Es geht um die wirklichkeitsnahe Praxis in der Theorie und die Theorie in der Praxis in dieser wuchtig und doch sanft aufstrebenden neuen sozialwissenschaftlichen Disziplin. Mit ihrem dynamischen und jugendlichen Flair positioniert sich diese Forscher*innen-Gruppe in unserem Wissenschaftsfeld. Selbstverständlich sind die je eigenen Forschungen mit denen aus dem Feld der diversen Beratungen, Life-Coachings und psychologischen Supervisionen nutzbringend in Verbindung zu setzen. Im vierten und letzten Teil wird auf die vielen Master-Qualifiktationsarbeiten als Ressource für die Erforschung von Mediation hingewiesen. All dieses Erfahrungswissen, welches in Bibliotheken der Hochschulen lagert, könnte, wenn gesichtet, viele Impulse für weitere Mediationsforschung geben. Damit dieses Potenzial neu genutzt werden kann, setzt sich die Forschungsgruppe Mediation, aus der die meisten Schreiber*innen dieses wissensmässig üppigen Buches kommen, für zunehmende Onlinepublikationen ein. Dieses transdisziplinäre Projekt ist geglückt. Der Preis, von Springer VS festgelegt, ist eine Hürde, die zu nehmen es sich alleweil lohnt.

Theodor Itten