Diskussion

Gottfried Fischer, Rosmarie Barwinski

Quo vadis Psychotherapie? Ein Studium der Psychologie und Psychotherapiewissenschaft als „dritter Weg“ 1

Zusammenfassung: In diesem Beitrag wird der Weg der Psychotherapie zu einer eigenständigen Wissenschaft aufgezeigt, ausgehend von der psychotherapeutischen Praxis hin zur „Wissenschaft der Psychotherapie“ bzw. „Psychotherapiewissenschaft“. Diese Entwicklung wird als „dritter Weg“ empfohlen gegenüber einer Integration der Psychotherapie in das gegenwärtige Psychologiestudium (Vorschlag „Direktstudium“) einerseits und andererseits gegenüber einem „Psychotherapiestudium“, das weiterhin seinen eigentlichen Schwerpunkt in der postgraduierten Ausbildung hat (mit dem Psychologiestudium in seiner gegenwärtigen Form als Zulassungskriterium). Gegenüber beiden Positionen lautet unser Kompromissvorschlag „ja, aber…“ Direktstudium der Psychotherapie ja, aber in eigenständigen institutionellen Strukturen; postgraduierte Vertiefung ja, aber nicht auf der Grundlage des bisherigen Psychologiestudiums. Vielmehr ist ein Erststudium der „Psychologie und Psychotherapiewissenschaft erforderlich, das die Psychotherapeuten auf die hohen Anforderungen ihres späteren Berufs in Forschung, Praxis und Theorie vorbereitet.

Schlüsselwörter: Psychotherapie, Psychotherapiewissenschaft, Studium der Psychologie und Psychotherapiewissenschaft, Master of Science PTW, experimentelle Psychologie, Biologische Psychiatrie, Wissenschaftstheorie, Erkenntnistheorie

Abstract: The way of psychotherapy to a science of its own is being outlined – starting from the practical experience and arriving at an autonomous academic discipline called „Science of Psychotherapy“. This way is being recommended as a „third way“, in contrast to an MBA program in psychology on the one side and a training in psychotherapy restricted to postgraduate studies on the other, nor should a MBA degree in Psychology be the only criterion for admission to postgraduate training in psychotherapy. Instead of Psychology only, the authors recommend and outline a pregraduate program combining Psychology with theory and practice in the new „Science of Psychotherapy“. Such a type of academic pregraduate training according to the authors should be able to prepare psychotherapists in practice, theory and research for the high requirements of their profession.

Keywords: Psychotherapy, Science of Psychotherapy, Curriculum in psychology and the science of psychotherapy, Master of Sc. in Psychotherapy, experimental psychology, biological psychiatry, scientific theory, epistemology

1. Einführung

Das Schweizer Psychologieberufegesetz (PsyG) wurde am 18. März 2011 vom Parlament verabschiedet und ist mittlerweile am 1. April 2013 in Kraft getreten. In der Vorbereitung zum Gesetzesentwurf war eines der Diskussionsthemen die berufliche Neuordnung des Psychologiestudiums im Rahmen des Bologna-Prozesses und mögliche Konsequenzen für die Ausbildung zum Psychotherapeuten/in. In der Diskussion wurde deutlich, dass ein komplexes Geflecht von unterschiedlichen Interessenlagen, Berufsgruppen und Studiengängen aufgerufen ist, wenn Vorschläge zum Weg diskutiert werden, den die Psychotherapie in Zukunft einschlagen könnte bzw. sollte.

2. Die wichtigsten Vorschläge und Interessenlagen

Die stärksten Veränderungen in der Psychotherapieausbildung sind mit dem Vorschlag eines „Direktstudiums Psychotherapie“ im Rahmen des Bachelor-/Masterstudiengangs Psychologie an den Universitäten verbunden. In diesen Vorschlag fließen unterschiedliche Interessenlagen ein. Zunächst einmal das Interesse der Psychologiestudierenden, die – wie eine Untersuchung in Deutschland zeigte – zu mehr als 50 % später Psychotherapeuten werden wollen (Fischer & Möller 2006). Sie äußern einmal das pragmatische Interesse, die Ausbildungszeit zu verkürzen und schon zum Ende des Studiums psychotherapeutisch tätig werden zu können, nicht erst nach einer vertiefenden postgraduierten Praxis- und Vertiefungsphase von 3 bzw. 5 Jahren. Ein weiteres Motiv der Psychologiestudenten, sich schon im Erststudium für eine stärkere Fokussierung des Studiums auf die spätere psychotherapeutische Tätigkeit einzusetzen, liegt in der Praxis- und Psychotherapieferne der gegenwärtigen psychologischen Studiengänge. In der erwähnten Studie wurden praktizierende Psychotherapeuten befragt, zu etwa wie viel Prozent sie ihr Psychologiestudium aus heutiger Sicht als hilfreich für ihre jetzige berufliche Tätigkeit betrachten. Sie machten Angaben zwischen 10 und 20%, etwas unterschiedlich gelagert zwischen unterschiedlichen Therapierichtungen, wie Vt, TP oder humanistische Richtungen (Fischer & Möller a.a.O.). Der Aufbau des Psychologiestudiums in der Schweiz unterscheidet sich nicht wesentlich von den Studieninhalten in Deutschland. Deshalb kann man davon ausgehen, dass die zitierten Untersuchungsergebnisse auch für die Schweiz Gültigkeit beanspruchen können. Im Ganzen fällt diese Einschätzung wenig befriedigend aus. Folgt daraus, dass die zukünftigen PsychotherapeutInnen 5 Jahre lang etwas ganz Anderes studieren, als sie später in ihrem Beruf gebrauchen können? Könnte der Vorschlag eines Direktstudiums hier wirksame Abhilfe schaffen? Wir lassen diese Frage zunächst einmal offen, bis wir uns näher mit dem befassen, was unter „Direktstudium“ genauer zu verstehen ist.

Eine entgegengesetzte Position nehmen diejenigen Kolleginnen und Kollegen ein, die den gegenwärtigen Status – 5 Jahre Psychologie, dann postgraduierte Psychotherapieausbildung – im Wesentlichen beibehalten möchten. Auch hierfür werden nachvollziehbare Gründe angeführt. Ein Argument besagt, es sei „zu früh“, sich schon bei Studienbeginn für den Psychotherapeutenberuf zu entscheiden, während mit einem Studium der Psychologie noch andere Berufsfelder offenbleiben. Ein weiterer Vorbehalt geht von psychotherapeutischen Ausbildungsinstituten in privater Trägerschaft aus, die eine „Austrocknung“ befürchten, wenn die Ausbildung zum Psychotherapeuten bzw. zur Psychotherapeutin in die Trägerschaft der ganz überwiegend staatlichen Hochschulinstitute übergeht. Als weiteres Argument gegen ein „Direktstudium“ wird die heute extrem einseitige Besetzung der Lehrstühle für Klinische Psychologie und Psychotherapie mit Hochschullehrern angeführt, die entweder Verhaltenstherapeuten sind oder überhaupt keine Psychotherapeuten, sondern spezialisiert sind auf biologische Psychologie, Neurowissenschaften oder andere psychologische Fächer (Fischer & Möller a.a.0., Fischer, Eichenberg & van Gisteren 2009). Dieser Trend, so die Befürchtung, könnte durch ein „Direktstudium“ noch weiter verstärkt oder sogar zementiert werden. Wird somit die Psychotherapie ein weiteres Anwendungsfach der „empirischen Psychologie“, wie etwa in Klaus Grawes Konzept einer „Allgemeinen Psychotherapie“ (2004, 2000, Grawe et. al. 1994, 2001) vorgesehen? Oder soll sie vor allem ein postgraduierter Ausbildungsgang im Anschluss an ein Psychologiestudium bleiben? Auf der einen Seite steht die universitäre Psychologie und ihr Interesse, die Psychotherapie zu „integrieren“, auf der anderen die von der Schweizer Charta vertretenen Psychotherapie-Institute. Wenn mit dem „Direktstudium“ der Versuch unternommen wird, die psychotherapeutische Profession der Hochschulpsychologie einzugliedern, besteht berechtigt die Befürchtung vieler Kolleginnen und Kollegen, die bisherige Vielfalt psychotherapeutischer Modelle und Richtungen einer verhaltenstherapeutischen „Einheitsdisziplin“ zu unterwerfen.

In dieser Polarisierung könnte sich eine „Zerreissprobe“ unseres Berufsstands ergeben, wobei die Gefahr besteht, dass wichtige Errungenschaften der Psychologischen Psychotherapie rückläufig werden. Besonders die Zurückstufung der Psychotherapie zu einem „Heilhilfsberuf“ wäre zu befürchten, wenn der bisherige Differenzierungsgrad und Ausbildungsstand psychologischer Psychotherapeuten zurückgefahren wird auf „Schmalspurausbildung“ innerhalb eines Psychologiestudiums, das schon gegenwärtig vor allem aus Verhaltenstheorie besteht und mit einigen zusätzlichen Credit Points für Verhaltenstherapie mit einem Berufsabschluss zum „Psychologischen Psychotherapeuten“ endet.

2.1. Psychotherapie als „dritter Weg“

An der sog. „Bologna-Reform“ wird oft beklagt, sie bedeute einen Rückschritt von der früheren Bildungsorientierung einer Universität Humboldt’scher Prägung zum „Einpauken“ und Auswendiglernen mehr oder weniger zusammenhangloser „Informationen“, ein Lehrkonzept, das nach der Vorstellung Humboldts schon auf der Gymnasialebene überwunden sein sollte (Brandt 2011). Bekanntlich ging Humboldt von einer dreiteiligen Gliederung des Bildungswesens aus, mit einer entsprechenden Verteilung der Lernziele. Dabei vermittelt die Grundstufe die basalen Kulturtechniken, wie Lesen, Schreiben und Rechnen, die Gymnasialstufe die Fähigkeit, selbständig zu lernen (Lernen zu Lernen) und die Universität die Fähigkeit, selbständig zu forschen. Gemessen an diesen Kriterien scheint die Bologna-„Reform“ vielerorts die Grundstufe wiederbelebt zu haben, mit einigen Übergängen vielleicht noch zu den weiterführenden Stufen. Wie kann sich die Psychotherapie – heute beschränkt auf Absolventen des Psychologiestudiums – in dieser durch die Bologna-Reform geprägten Szenerie positionieren?

Eine erste Konsequenz: Sie könnte und sollte sich als eigenständige Wissenschaft verstehen, als Verbindung, wie schon Freud empfohlen hatte, von „Heilen und Forschen“. Damit bewegt sie sich auf Stufe 3 nach Humboldts Bildungskonzeption und befreit sich von der Vorstellung, nichts weiter zu sein als eine Anwendung von Erkenntnissen der sog. „empirischen Psychologie“ auf das Praxisfeld der Krankenbehandlung. Mit einer Festlegung auf „angewandte Psychologie“ wäre zum einen das akademische Selbstverständnis der Psychotherapie aufgegeben, zum anderen würden die eigenständigen und besonderen Erkenntnismöglichkeiten verkannt, welche der psychotherapeutische Dialog eröffnet. Werden die Erkenntnisse der „empirischen Psychologie“ typischerweise in standardisierten Beobachtungssituationen, wie Experiment, Test und Laborversuch gewonnen, so stehen dem jene Erkenntnismöglichkeiten gegenüber, die ein fortgesetzter, intensiver therapeutischer Kontakt ermöglicht. Sind diese Erkenntnisse etwa weniger ergiebig als die der experimentellen Psychologie? Haben sie unsere psychologische Bildung weniger geprägt und bereichert?

Wenn wir diese Frage unvoreingenommen beantworten, dann ergibt sich daraus ein echtes Nebeneinander von Psychotherapie einerseits und der experimentellen Psychologie andererseits, nicht aber eine Unterordnung der ersteren unter die letztere, wie im Konzept einer Allgemeinen Psychologie, das von Greve & Greve (2009) empfohlen wird. Bleibt Psychologische Psychotherapie die „Magd der experimentellen Psychologie“, wie die mittelalterliche Philosophie die Magd der Theologie, oder versteht sie sich als eigenständige wissenschaftliche Disziplin mit einer eigenen Erkenntnismethodik und spezifischen Wissensbeständen? Hat sich die Psychotherapie nicht schon längst von der experimentellen Psychologie emanzipiert?

Um diese Frage zu bejahen, reicht hin, eines der neueren, integrativen Lehrbücher der Psychotherapie zu studieren. Ergebnisse einer systematisierten klinischen Erfahrung (psychotherapeutische „online-Forschung“ nach Ulrich Moser, Zürich) in Verbindung mit Ergebnissen systematischer Psychotherapieforschung („offline-Forschung“) stellen schon jetzt den weitaus größten Anteil am praxistauglichen psychotherapeutischen Wissens- und Erkenntnisbestand.

3. Auf dem Weg zur Psychotherapiewissenschaft

Dieser Weg hat eine institutionelle und eine wissenschaftstheoretische Seite. Wir wollen uns zunächst mit institutionellen Voraussetzungen befassen, in Abschnitt 4 dann mit der Wissenschaftstheorie.

Wie wäre es, wenn ein „Direktstudium Psychotherapie“ nicht als Anhängsel der bestehenden psychologischen Universitätsinstitute und Studiengänge geführt wird, sondern an einem eigenständigen „Institut für Psychotherapie“ stattfindet? An diesem Institut unterrichten überwiegend Dozenten, die selbst Psychotherapeuten sind und aus eigener praktischer Erfahrung wissen, wovon sie sprechen. Ist das eine utopische Vorstellung? Ja, aber eine solche, die keineswegs unrealisierbar erscheint, wenn nämlich die psychologische Profession die Chance ergreift, im Rahmen der sog. Bologna-„Reform“ eine echte Reform zu verwirklichen. Sind nicht auch an einer medizinischen Fakultät die Dozenten ganz überwiegend Mediziner und Ärzte? Warum also nicht Psychotherapeuten in der psychologischen Psychotherapie? Voraussetzung ist allerdings eine eigenständige institutionelle Verankerung der psychologischen Psychotherapie, die weder der Psychologie noch der Medizin untergeordnet ist, auch wenn sie zu beiden Disziplinen enge Kontakte unterhält.

Bisweilen wird die Befürchtung geäußert, ein „Direktstudium Psychotherapie“ müsste die Psychotherapie weg von der Psychologie und hin zur Medizin führen. Institutionell lässt sich das vermeiden, wenn die Psychotherapie als eigenständige Disziplin an den Universitäten vertreten ist. Lassen sich so zwar Befürchtungen, institutionell von der Medizin abhängig zu werden, ausräumen, so sind damit noch nicht alle Vorbehalte gegenüber einer „Medizinalisierung“ der Psychotherapie beseitigt. Bisweilen steht die Vorstellung dahinter, mit Einbezug medizinischer Aspekte würde die Psychotherapie ihre Orientierung an einer „Normalversion“ von menschlichem Erleben und Verhalten verlieren. Sie würde stattdessen ein „medizinisches Modell“ des Menschen übernehmen, mit vorwiegender Orientierung an pathologischen Phänomenen und einer pathologieorientierten Denkweise. Wir sollten diese Gefährdung durchaus ernst nehmen. Aber ist sie denn bisher eingetreten? Ist die Psychotherapie heute einseitig an der Pathogenese ausgerichtet und nicht ebenso sehr an einem salutogenetischen, gesundheitsorientierten Verständnis von menschlichem Erleben und Verhalten?

Zweifellos gewinnt ein sog. „medizinisches Modell“ heute sehr problematische Züge, wenn wir es mit einer ausschließlich organologischen und spezialistisch überorganisierten Praxis gleichsetzen. Diese Art „Spezialistentum“ sollte die Psychotherapie natürlich vermeiden. Ein „medizinisches Modell“ dieser Art sollten Psychotherapeuten nicht kopieren. Anders steht es mit der Unterscheidung zwischen „Arzt“ und einem „Mediziner“, die aus der Medizin ja noch nicht völlig verschwunden ist. Während der „Mediziner“ bisweilen auf die Funktion eines „Rädchens im Getriebe“ des arbeitsteiligen Gesundheitssystems (und seinen ökonomischen Bedingungen) reduziert wird, hebt ein Selbstverständnis als Arzt auf ein Berufsbild ab, zu dessen Leitlinie und Berufsverständnis die Hilfe für gefährdete und/oder erkrankte Menschen gehört. Ist ein Selbstverständnis als Helfer nicht auch für Psychotherapeuten typisch? Ist die Psychotherapeutin eine „Ärztin für die Seele“, ergänzend und komplementär zum „Körperarzt“ in der somatischen Medizin?

Unter diesem Gesichtspunkt könnten wir eine Analogie und Entsprechung der beruflichen Identität zwischen Arzt und Psychotherapeuten bejahen, müssten die zwischen Psychotherapie und (naturwissenschaftlicher) Medizin aber zurückweisen.

3.1. Institutionelle Eigenständigkeit der Psychotherapie

Psychotherapie und ihre Wissenschaft sind und bleiben eine primär psychologische Disziplin, während die Medizin eine primär somatische Disziplin ist. Dieser Unterschied und die sich aus ihm ergebenden Behandlungskonsequenzen dürfen nicht verwischt werden. Man kann aber die Psychotherapie und ihre Wissenschaft durchaus als Teil einer „psychologischen Medizin“ bezeichnen, wenn mit dieser Formulierung Gemeinsamkeiten zwischen ärztlicher und psychotherapeutischer Tätigkeit hervorgehoben werden sollen. So wie der Arzt im Rahmen unserer arbeitsteiligen Gesellschaft auf das körperliche Wohl und Wohlergehen der Patienten spezialisiert ist, so der Psychotherapeut und Psychotherapiewissenschaftler auf ihr seelisches und psychosomatisches Wohlergehen. Damit wird keineswegs die heutige überwiegend naturwissenschaftlich betriebene und bis ins Extrem spezialisierte somatische Medizin zum Modell für die Psychotherapie erhoben. Damit hätte die Psychotherapie ihren eigenen, genuinen Gegenstand, das menschliche Seelenleben, schon immer verloren und käme als Ergänzung, als komplementäre Disziplin zur somatischen Medizin gar nicht mehr in Frage.

Warum sollen Psychologie und Psychotherapiewissenschaft an einem selbständigen Institut unterrichtet werden, das weder zur Medizin noch zur experimentellen Psychologie gehört, wohl aber mit beiden Disziplinen kooperiert und wissenschaftlichen Austausch pflegt? Zumeist befinden sich die Professuren für Klinische Psychologie und Psychotherapie an den psychologischen Instituten, wenn es dort denn überhaupt welche gibt, in einer extremen Minderzahl. Auch in ihren eigenen fachlichen Fragen können sie von den Professoren der anderen Fächer problemlos überstimmt werden. Das ist schon aus berufsrechtlichen Gründen bedenklich. In einer medizinischen Fakultät dagegen sind die Kompetenzen klar verteilt, und zwar so, wie die klinische Praxis es erfordert: Die Lehrstühle und Fächer des Vorklinikums sind als „Hilfsdisziplinen“ den klinischen Fächern zu- und was die Praxis betrifft, sogar untergeordnet. Sie sind die „Magd des Klinikums“, auch wenn sie im naturwissenschaftlichen Verständnis zumeist auf einem sehr viel höheren wissenschaftlichen Niveau tätig sind.

3.2. Studium der „Psychologie und Psychotherapiewissenschaft“ als Kompromissvorschlag

Ein Studiengang „Psychologie und Psychotherapiewissenschaft“, wie er in einigen europäischen Ländern bereits existiert, kann einige der bisher angesprochenen Probleme lösen oder zumindest verringern, insbesondere die Polarisierung zwischen der akademischen Psychologie und der psychotherapeutischen Profession. Zunächst und vor allem würde dem berechtigten Interesse unserer Profession Rechnung getragen, die mühsam aufgebaute und sich zunehmend profilierende Psychotherapie nicht in die experimentelle Psychologie oder die Medizin transformiert und aufgelöst zu sehen. Auch müssten die psychotherapeutischen Berufsverbände weit stärker als bisher auf jenen Pluralismus der therapeutischen Modelle und Methoden achten, der in der akademischen Psychologie heute leider nicht mehr existiert. Einiges spricht dafür, die Verhaltenstherapie weiterhin vor allem in der experimentellen Psychologie und den psychologischen Instituten anzusiedeln, wie ja auch gegenwärtig schon der Fall, während die Studierenden der „Psychologie und Psychotherapiewissenschaft“ schwerpunktmäßig in psychologischen Therapieverfahren unterrichtet werden.

Ausgehend von den wissenschaftlichen Entwicklungsstufen nach Thomas Kuhn (1973) hat die Psychotherapie bislang noch kein eigenständiges Paradigma ausgebildet, was man u.a. daran erkennt, dass sehr unterschiedliche Modelle existieren, die einander teilweise ausschließen. An die Stelle einer „künstlichen“ Vereinheitlichung durch Übernahme der Gegenstandsbestimmung von experimenteller Psychologie und Verhaltenstherapie (wie in der „Allgemeinen Psychotherapie“ nach Grawe a.a.O. oder Greve & Greve 2009), sollte die Psychotherapie zu ihrer pluralen Verfassung stehen und in einem breit angelegten wissenschaftlichen Dialog ein gemeinsames psychotherapeutisches Paradigma erarbeiten. „Auf dem Weg zur Psychotherapiewissenschaft“ heißt also unterwegs zu einem psychotherapeutischen Paradigma sein. Aber dieser Weg muss selbst schon pluralistisch sein. Er kann nicht, wie in der Utopie einer „Allgemeinen Psychotherapie“, in der Unterordnung der Psychotherapie und ihres Gegenstandes unter das Gegenstandsverständnis der experimentellen Psychologie bestehen. Mit Grawes Vorschlag einer „Allgemeinen Psychotherapie“ ist die Psychotherapie schon am Ziel angelangt, bevor sie sich überhaupt auf den Weg gemacht hat. Vielmehr fungiert die „Scientific Community“ der Psychotherapiewissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wie eine Großgruppe, die ein gründliches und weit ausholendes Brainstorming durchführt zur Frage, wie Menschen am besten geholfen werden kann, die in eine seelische Notlage geraten sind. Man kann davon ausgehen, dass jede der vielfältigen therapeutischen Richtungen kreative Ideen dazu beigetragen hat und beiträgt, die im Studium der Psychotherapiewissenschaft vermittelt werden können.

Auf die Notwendigkeit eines eigenen Curriculums im PTW-Studium kann hier nur hingewiesen werden. Vorschläge dazu sind in Fischer (2008, 2011) ausgearbeitet. Das Studium umfasst neben Bachelor und Master einen postgraduierten Doktoratsabschnitt, der parallel zur postgraduierten Vertiefung wahrgenommen werden kann (optional). Das Studium Psychologie und Psychotherapiewissenschaft endet im Normalfall mit dem Master-Grad. Daran schließt sich wie gegenwärtig schon die postgraduierte Weiterbildung in einem der psychotherapeutischen Vertiefungsfächer an.

3.3. Berufsrechtliche Zulassung

Sollen die Studierenden der Psychotherapie bzw. Psychotherapiewissenschaft nach dem Master in eigener Praxis arbeiten dürfen? Wenn damit bereits die Kompetenz zur eigenständigen psychotherapeutischen Praxis vergeben wird, nein; wenn diagnostische Kompetenzen und die Durchführung von Beratung, Krisenintervention und Kurztherapien in institutioneller Supervision ermöglicht werden soll, ja. Die Qualifikation zur freien psychotherapeutischen Praxis sollte wie bisher an den Abschluss in einem Vertiefungsfach gebunden sein, vergleichbar dem Facharzt in der medizinischen Ausbildung. Mit dieser Regelung wird auch das angestrebte Komplementärverhältnis zwischen Ärztin und Psychotherapeutin gewährleistet.

Schauen wir noch einmal zurück auf unsere einführenden Überlegungen, dann wurde bis hierher ein Kompromissvorschlag entwickelt, der gleichsam zwischen den eingangs beschriebenen Extrempositionen liegt. Wir bejahen ein „Direktstudium“, betrachten die Ausbildung zum Psychotherapeuten aber nicht als abgeschlossen mit dem Master und auch nicht mit einer evtl. Vergabe der Praxisbewilligung zu diesem Zeitpunkt, sondern empfehlen eine Fortsetzung der bewährten postgradualen Vertiefungsphase, in Analogie zum Facharzt in der medizinischen Berufsausbildung. Damit kommen wir einerseits dem aus unserer Sicht sehr berechtigten Wunsch der Studierenden und späteren Psychotherapeuten entgegen, in ihrem Studium Kenntnisse zu erwerben, die für ihre spätere berufliche Tätigkeit relevant sind (statt 5 Jahre Studium in überwiegend fachfremdem Unterrichtsmaterial), übernehmen aber nicht Bestrebungen nach einer radikalen Reduktion der Ausbildungszeit zum Psychotherapeuten. Unser Interesse an einer exzellenten fachlichen Qualifikation und persönlichen Bildung der Psychotherapeuten erfordert diesen Qualifikationsschritt und beugt im übrigen Bestrebungen vor, die Psychotherapie auf das Niveau eines Heilhilfs-Berufs herabzustufen, was der weit verbreiteten Tendenz zur Kostenreduktion im Gesundheitswesen entgegenkäme.

Eine zweite Kompromisslinie in unserem Vorschlag besteht in der Antwort: Direktstudium ja, Eingliederung in die Psychologie, nein. Viele Studierende der Psychologie beklagen sich über die einseitige Ausrichtung ihres Studiums auf die Verhaltenstherapie, die keineswegs allein von jenen Dozenten vertreten und propagiert wird, die ausgebildete Verhaltenstherapeuten sind, sondern auch und ebenso von Dozenten der Grundlagen- und übrigen psychologischen Anwendungsfächer. Dem entspricht die Beobachtung, dass die universitäre Psychologie in der Schweiz wie in Deutschland methodisch und theoretisch in einer Radikalität auf den Behaviorismus und seine Entwicklungen eingeschwenkt ist, wie sie in anderen Ländern Europas und auch in den USA sonst nicht zu beobachten ist. Damit kommen wir zu Überlegungen zum wissenschaftstheoretischen und –historischen Hintergrund der gegenwärtigen Situation.

4. Wissenschaftstheoretische Aspekte

In den letzten Jahren wurde wiederholt der Nachweis geführt, dass die drei Nachbardisziplinen biologische Psychiatrie, (experimentelle) Psychologie und Psychotherapie nicht nur ein unterschiedliches Methodenverständnis haben, sondern, dadurch bedingt, ein unterschiedliches Verständnis von ihrem wissenschaftlichen Gegenstand (van Deurzen & Smith 1996, Fischer 2008, 2011, Barwinski 2009). Experimentelle Psychologie, biologische Psychiatrie und Psychotherapie haben einen gemeinsamen »vorwissenschaftlichen« Gegenstand, den man als menschliches »Erleben und Verhalten« bezeichnen kann oder mit einem präziseren Begriff, der auf den Logiker Franz Brentano (1838–1917) zurückgeht, als »intentionale Systeme« (Dennett 1971). Darunter versteht man Systeme, deren Verhalten durch Absichten, Ziele, Motive, durch Vorstellungen, Gefühle oder Gedanken bestimmt wird. Die Übersicht in Tabelle 1 verdeutlicht, wie das vorwissenschaftliche Gegenstandsverständnis dieser drei Disziplinen gemäß ihren theoretischen Zielen in den jeweiligen wissenschaftlichen Gegenstand übergeht.

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Tabelle 1: Rückdefinition des Gegenstandes durch die Forschungsmethodik

(modifiziert nach van Deurzen/Smith 1996, S. 19–43, in Fischer 2011, S. 36)

Biologische Psychiatrie und experimentelle Psychologie verwenden eine an den Naturwissenschaften ausgerichtete Forschungsmethode. Die biologische Psychiatrie folgt darin der von ihrem Gründer Wilhelm Griesinger (1817–1868) formulierten Heuristik (1845), Geisteskrankheiten als Krankheiten des Gehirns zu erforschen. Mit diesem Projekt geht ein an der naturwissenschaftlichen Medizin ausgerichteter Erklärungstyp einher, der als »substratologisch« bezeichnet werden kann: Störungen der psychischen Funktionen werden als Störungen des neuronalen Substrats verstanden, werden hypothetisch im Nervensystem lokalisiert, therapeutisch dort aufgesucht und mit biologischen Verfahren behandelt, etwa durch Psychopharmaka. Der wissenschaftliche Gegenstand ergibt sich analog zur somatisch-„biologischen“ Medizin als Bemühung, die chemischen und physikalischen Gesetzmäßigkeiten herauszufinden, die hinter den psychischen Störungsbildern liegen und diese »bedingen«. Man kann kaum bestreiten, dass dieses »Forschungsprogramm«, verstanden im Sinne des Wissenschaftstheoretikers Imre Lakatos (1977), bedeutende Einsichten und Behandlungserfolge erbracht hat und noch heute erbringt.

Die experimentelle Psychologie folgt der von ihrem Begründer Wilhelm Wundt (1832–1920) entworfenen Programmatik. Sie ist naturwissenschaftlich ausgerichtet, darum aber noch nicht unbedingt behavioristisch, da sie, wie Wundt selbst, introspektive Daten ebenso einbeziehen kann wie biologische Variablen. Die »Naturwissenschaftlichkeit« der experimentellen Psychologie ist jedoch in einem bestimmten Verständnis der experimentellen Forschungsmethodik als solcher verankert. Psychologische Experimente können grundsätzlich auch in explorativer Weise durchgeführt werden, wie etwa in der »genetischen Erkenntnistheorie« von Jean Piaget (1896–1980). Das von Wundt begründete Forschungsprojekt der experimentellen Psychologie beruht demgegenüber auf einer funktionellen Grundlage. Durch systematische Variation der Experimentalbedingung soll der Einfluss einer oder mehrerer Unabhängiger Variablen (UVn) auf eine oder mehrere Abhängige Variablen (AVn) erfasst werden. Im einfachsten und zugleich idealen Fall lässt sich die in einem psychologischen Experiment gesuchte Beziehung zwischen den beiden Variablengruppen in allgemeiner Form als Funktionsgleichung darstellen:

AV (1 … N) = f (UV 1 … N).

Oft wird das Ergebnis eines Experiments wahrscheinlichkeitstheoretisch ausgedrückt. Idealziel bleibt jedoch, die Kausalrelation zu erfassen, die sich aus dem Einfluss der unabhängigen auf die abhängige Experimentalbedingung ergibt.

Die Methode der Psychotherapie lässt sich als Untersuchung intentionaler Systeme in einer intentionalen Einstellung beschreiben. Theoretisches Ziel sind »intentionale Erklärungen«. Sie greifen auf menschliche »Intentionen« zurück, worunter allgemein die Bezugnahme auf einen Gegenstand oder ein Handlungsziel zu verstehen ist, dann weiter Emotionen, Motive, Triebe, Ziele oder Pläne. Als Forschungsmethode ergibt sich »teilnehmende Beobachtung« in einer intentionalen und kommunikativen Einstellung. Als angewandte Wissenschaft ist Psychotherapie in besonderer Weise an therapeutischer Veränderung und Entwicklung interessiert. Daher lässt sich über diese Schritte hinweg der wissenschaftliche Gegenstand als (Veränderungs-) Logik intentionaler Systeme bestimmen. Der Ausdruck (Veränderungs-) Logik als Bestimmung des wissenschaftlichen Gegenstands bedarf eines Kommentars, um Missverständnisse zu vermeiden. Damit soll nicht etwa gesagt sein, der Mensch sei vor allem kognitiv organisiert oder gar überwiegend »logisch«, Gefühle, Motive oder Triebe spielten für sein Verständnis und in der psychotherapeutischen Behandlung keine Rolle. Sicher trifft das Gegenteil zu. Mit (Veränderungs-) Logik als wissenschaftlichem Gegenstand der Psychotherapie soll jedoch ausgesagt werden, dass PTW und PM, wie jede andere Wissenschaft auch, daran interessiert sind, die innere Logik ihres wissenschaftlichen Gegenstandes zu erfassen.

Unsere Überlegungen zur „Rückdefinition des Gegenstands durch die Methode“ führen zum Ergebnis, dass die drei Disziplinen zwar einen gemeinsamen vorwissenschaftlichen Gegenstand haben, jedoch drei wissenschaftliche Gegenstände, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Der gemeinsame vorwissenschaftliche Gegenstand ermöglicht, dass Mitglieder der drei Disziplinen, Psychologen, Psychiater und Psychotherapeuten, sich im klinischen Alltag, zum Beispiel auf einer psychiatrischen Station, relativ unproblematisch verständigen können. Je weiter wir uns aber vom vorwissenschaftlichen weg- und auf den wissenschaftlichen Gegenstand hinbewegen, desto mehr ist ein Phänomen zu beobachten, das nicht allein als Sprachverwirrung, sondern als »Gegenstandsverwirrung« bezeichnet werden muss.

4.1. Die Überwindung der „Gegenstandsverwirrung“ als Aufgabe der Psychotherapie

Die spektakulärsten Missverständnisse entstehen gewöhnlich, wenn man mit gleichen Worten von verschiedenen Gegenständen spricht. Dergleichen wird »Homonymie« genannt. Ein Beispiel ist das deutsche Wort »Hahn«, das sowohl das Tier wie den Wasserhahn bezeichnen kann. Um Missverständnisse zu vermeiden, die sich aus Homonymien ergeben, greifen wir auf den sprachlichen Kontext zurück oder veranschaulichen mit Gesten und Kommentaren das jeweils Gemeinte.

Eine weitaus kompliziertere Situation entsteht, wenn Homonymien unbemerkt bleiben. Dann nehmen wir selbstverständlich an, von der gleichen Sache zu reden, während wir uns in Wirklichkeit auf Dinge beziehen, die voneinander so verschieden sein können wie der krähende Hahn und der Wasserhahn. Eine solche Situation ergibt sich aus der »Rückdefinition des Gegenstandes durch die Methode«. Für die Nachbardisziplinen Psychotherapie, experimentelle Psychologie und biologische Psychiatrie ergaben sich drei unterschiedliche wissenschaftliche Gegenstände. Sich dieser Tatsache bewusst zu werden, ist der erste Schritt zur Auflösung von Homonymien. Damit ist aber erst ein Anfang gemacht. Prinzipiell muss davon ausgegangen werden, dass sich die Bedeutungsunterschiede zwischen den drei wissenschaftlichen Gegenständen auf alle Fachtermini dieser Disziplinen erstrecken.

Soll die Verständigung zwischen den drei Schwesterdisziplinen, die bei ihrem vorwissenschaftlichen Gegenstand „menschliches Erleben und Verhalten“ relativ gut möglich ist, auch auf der wissenschaftlichen Ebene fortgeführt werden, ist eine komplexe Übersetzungsarbeit zu leisten, die selten als Notwendigkeit erkannt und noch seltener praktiziert wird. Wie aber wird entschieden, welches Gegenstandsverständnis in Verbindung mit welchem Forschungsergebnis als zutreffend betrachtet wird? Statt wissenschaftlicher Kriterien treten an dieser Stelle Mechanismen von Einflussnahme, Prestige und Macht auf den Plan. Viele Hochschullehrer der Psychologie oder Psychiatrie lassen nur gelten, was nach den Kriterien ihres wissenschaftlichen Gegenstands als „bewiesen“ gilt und sind bemüht, auch ihren Studierenden allein diese Kriterien zu vermitteln. Erkenntnisse der Psychotherapiewissenschaft, mögen sie inhaltlich auch noch so faszinierend sind, in methodischer Hinsicht systematisch erfasst und logisch begründet, fallen dabei einfach „durch den Rost“, nicht weil man sie argumentativ in Frage stellt, sondern wegen des unterschiedlichen Gegenstandsverständnisses der drei Disziplinen.

Was folgt aus diesen Erfahrungen? Nun, die Psychotherapie muss sich zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin, zur Psychotherapiewissenschaft fortentwickeln. Sie muss ihre „Hausaufgaben“ selbst machen und kann sie nicht ihren beiden Schwesterdisziplinen übertragen. Aber dafür müssen auch die institutionellen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen geschaffen werden bzw. erhalten bleiben. Darin besteht ein genuines Anliegen der Psychotherapie als Profession und ihrer Berufsverbände. Die Psychotherapie muss in Praxis, Forschung und Theoriebildung ihre eigene Methodik praktizieren. Bei Erwerb und Beurteilung von Forschungsergebnissen kann sie sich weder in Zustimmung noch Ablehnung auf ihre Schwesterdisziplinen verlassen. Ergebnisse von experimenteller Psychologie und biologischer Psychiatrie können psychotherapiewissenschaftliche Erkenntnisse begrenzen, aber nicht ersetzen, weder im Zusammenhang der Entdeckung (context of discovery) noch der Begründung (context of proof).

Heute verfügt die PTW über ein umfangreiches Repertoire an genuiner Forschungslogik und -methodik, vor allem auch qualitativer Art, um die Kriterien systematischer Erkenntnisgewinnung und intersubjektiver Nachprüfbarkeit von Forschungsdaten und Schlussfolgerungen, die für wissenschaftliche Forschung ganz allgemein gültig sind, in vorbildlicher Weise zu erfüllen (ausführlich dazu Fischer 2011, S. 107 ff.). Schon gegenwärtig bietet die PTW faszinierende Forschungsergebnisse und Erkenntnisse von anthropologischer Tragweite, die im Allgemeinen auch das Gütekriterium der „Nicht-Trivialität“ erfüllen, was von Ergebnissen der experimentellen Psychologie und biologischen Psychiatrie (Neurowissenschaft) keineswegs behauptet werden kann. Zusammenfassend sehen wir keinen Grund, das wissenschaftliche Licht der Psychotherapie unter den Scheffel zu stellen. Auch gibt es keinen Grund, die wissenschaftliche, theoretische und praktische Emanzipation von der (experimentellen) Psychologie weiter zu verzögern. Dafür muss aber dringend an den institutionellen Voraussetzungen gearbeitet werden.

AutorInnen

Gottfried Fischer, Prof. Dr.; Psychoanalytiker; Wissenschaftliche Leitung des Deutschen Instituts für Psychotraumatologie (DIPT); Leitung der Akademie für Integrative Psychotherapiewissenschaft und der deutschen Gesellschaft für Psychotherapiewissenschaft (DGPTW). Gottfried Fischer verstarb unerwartet am 2.10.2013.

Rosmarie Barwinski, PD Dr. phil.; Psychoanalytikerin, Psychotherapeutin ASP/FSP; Privatdozentin an der Universität zu Köln; enge Kooperation mit dem Deutschen Institut für Psychotraumatologie (DIPT) und der Steinbeis-Hochschule Köln;

Leiterin des Schweizer Instituts für Psychotraumatologie (SIPT);

Korrespondenz

Rosmarie Barwinski

Heiligbergstrasse 38

CH-8400 Winterthur

E-Mail: r.barwinski@swissonline.ch

www.psychotraumatologie-sipt.ch

Literatur

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Fischer, G. (2011) Psychotherapiewissenschaft. Einführung in eine neue humanwissenschaftliche Disziplin. Gießen: Psychosozial

Fischer, G., Eichenberg, Chr., van Gisteren. L. (2009) Warum eine eigenständige Psychotherapiewissenschaft dringend gebraucht wird. Gegen Trivialisierung und Bildungsverlust der Psychotherapie. Kröning: Asanger

Fischer, G. & Möller, H. (2006). Psychodynamische Psychologie und Psychotherapie im Studiengang Psychologie. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft. Kritischer Kommentar zur Festschrift anlässlich des 100jährigen Jubiläums der Deutschen Gesellschaft für Psychologie DGPs. Kröning: Asanger

Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen: Hogrefe.

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Greve W., Greve, G. (2009) Psychotherapie im Zeichen des Wandels: Einheit in der Vielfalt. In: Psychotherapeutenjournal 4, 366-372

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Kuhn, Th. (1973): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt/M. (Suhrkamp)

Lakatos, I. (1977) The methodology of scientific research programs. Philosophical Papers Vol. 1. Cambridge: University Press

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Anmerkungen

1 Erstveröffentlichung in ZPPM Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft und Psychologische Medizin 3/2012. False Memory Debatte. Rosmarie Barwinski (Hrg.) www.Asanger.de – ZPPM (Der vorliegende Beitrag wurde etwas geändert, um den schweizerischen Begebenheiten Rechnung zu tragen.)