Burnout-Multidimensionalität in der körperzentrierten Psychotherapie

Kathleen Schwarzkopf & Roland von Känel

Psychotherapie-Wissenschaft 7 (2) 63–70 2017

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CC BY-NC-ND

Zusammenfassung: Burnout spiegelt wie kaum ein anderer Zustand die zwei Gesichter der heutigen Gesellschaft wieder: auf der einen Seite das der Leistungsorientierung, Aufopferung, Stärke, Hochmotivation und des Perfektionismus, auf der anderen Seite das der Dauermüdigkeit, Erschöpfung, Antriebslosigkeit und chronischen Körperbeschwerden, etwa dem Rückenleiden. In diesem Übersichtsartikel wird ein theoretischer Überblick über die gängigste Begrifflichkeit von Burnout und seine Kernkomponenten emotionale Erschöpfung, Zynismus und reduzierte Leistungsfähigkeit gegeben. Burnout wird nicht nur als kausales Ergebnis von Arbeitsplatzfaktoren betrachtet, sondern aus einer multifaktoriellen und multidimensionalen Perspektive der Körperzentrierte Psychotherapie (KZPT) des Instituts für Körperzentrierte Psychotherapie (IKP). Dies wird genauer verdeutlicht anhand des Anthropologischen Würfelmodells, dem Kernkonzept der KZPT IKP. Dieses auf dem Gestaltansatz basierende, integrative Psychotherapieverfahren ist charakterisiert durch Prozess- und Ressourcenorientierung, Emotions- und Bedürfniszentrierung, sowie Erlebnisaktivierung. Ein Burnout ist nicht nur auf in der Vergangenheit Erlebtes zurückzuführen, sondern auch auf mangelnde Anpassungs- und Integrationsfähigkeit in unserem höchstleistungsorientieren Zeitalter. Dabei sind die Zentrierung auf die Kommunikation im Hier und Jetzt, die Integration der körperlichen Symptome, die Betonung der Selbstverantwortung und die Stärkung von Autonomie und Selbstverwirklichung wesentlich. Burnout sollte demzufolge als klinischer Ausdruck des Zusammenspiels der verschiedenen Dimensionen Körper, Psyche, Soziales, Spiritualität, Raum und Zeit betrachtet werden.

Schlüsselwörter: Burnout, Psychosomatik, Erschöpfung, Körperzentrierte Psychotherapie, Gestalttherapie

Einleitung

Knappe Deadlines, hoher Workload, Kommunikationsschwierigkeiten, Arbeitsplatzunsicherheit, fragmentierte Arbeitsabläufe etc. sind Dauerbegleiter des Arbeitsalltags. Arbeitsstress zu haben gehört quasi «zum guten Ton» und wird selten noch hinterfragt. Doch was, wenn das gewohnte Funktionieren im Beruf nicht mehr klappt? Wenn die totale Ermüdung, das Motivationsloch und Schlafstörungen nicht mehr vorübergehend sind und sogar Ferien nicht mehr den erhofften Regenerationseffekt erzielen? Wenn Herzrasen, Engegefühle in der Brust, Schwindel im Kopf, Erbrechen, rasender Puls, Angst, nicht mehr abschalten zu können, Atemnot, Schweissausbrüche, sozialer Rückzug, Appetitlosigkeit immer häufiger werden? Zunehmend wird dann von einem «Burnout» gesprochen, als Erkrankung der LeistungsträgerInnen und «Starken» (vgl. Berger et al., 2012). Der Begriff Burnout wird mittlerweile fast inflationär genutzt, doch auf diese Weise missbraucht. Er ist sowohl charakteristisch für die zwei Gesichter unserer Zeit: die Leistungs- versus Ermüdungsgesellschaft, wie auch als Folge aus der Interaktion zwischen Gesellschaftsfaktoren und Arbeitsplatzfaktoren zu betrachten (vgl. Weber & Jaekel-Reinhard, 2000). Bei seiner Einführung 1974 durch Freudenberger wurde Burnout zunächst mit einer totalen Erschöpfung von Arbeitstätigen in Helferberufen in Verbindung gebracht (vgl. Maslach et al., 2001). Der Entwicklung eines Burnouts ging voraus, dass man immer mehr mit hoher Motivation arbeitete, immer mehr eigene Bedürfnisse zurückstellte und die eigenen Symptome umdeutete oder umbewertete, bis hin zum totalen sozialen Rückzug, suizidalen Gedanken und Handlungen (vgl. zu diesem Prozess Burisch, 2014). Mittlerweile hat sich der Gebrauch ausgedehnt und bis zum heutigen Tag gibt es keine allgemeingültige Definition für Burnout. Laut dem Internationalen Klassifikationssystem psychischer Störungen ICD-10 gibt es nach wie vor keine eigenständige Diagnose für ein Burnout-Syndrom, sondern es wird im Kapitel «Probleme verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung» unter der Zusatzkodierung Z 73.0 «Burnout gleichbedeutend mit Zustand der totalen Erschöpfung» beschrieben (vgl. Berger et al., 2012). Basierend auf dem 2012 von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde verfassten Positionspapier (DGPPN, Berger et al, 2012) hat sich für die Entstehung psychischer Erkrankungen das bio-psycho-soziale Modell nach Engels durchgesetzt, welches erlaubt, Burnout als eine Kombination von biologischen Risikokonstellationen sowie psychologischen und arbeitsplatzbezogenen Bedingungsfaktoren zu betrachten. Als humanistische Psychotherapieform betont die Körperzentrierte Psychotherapie des Instituts für Körperzentrierte Psychotherapie (KZPT IKP) das ganzheitliche (systemische) Menschenverständnis, mit dem Ziel, psychisches, körperliches und soziales Erleben zu integrieren und das Bewusstgewordene im Körpergedächtnis zu verankern (vgl. Künzler et al., 2010). Ergänzend zu den etablierten Dimensionen des bio-psycho-sozialen Modells wird ein Burnout aus der Perspektive der spirituellen Lebensdimension, der Dimension des Raumes und der Dimension der Zeit betrachtet. Dabei wird in der KZPT IKP das therapeutische Gespräch mit aktiver und passiver Körperarbeit verbunden. Im vorliegenden Artikel wird Burnout aus dem Gesundheits- und Krankheitsverständnis der KZPT IKP betrachtet und ein Einblick in die multidimensionale Therapie gegeben. Der/die Burnout-Betroffene wird ins Zentrum gestellt, indem prozessorientiert, erlebniszentriert, bedürfniszentriert, ressourcenorientiert und multidimensional therapiert wird.

Burnout

In Bezug zu der am häufigsten verwendeten Beschreibung nach Maslach et al. (2001) ist Burnout gekennzeichnet durch die Dimensionen emotionale Erschöpfung, Zynismus und verringerte subjektive Leistungsfähigkeit. Die Kernkomponente der emotionalen Erschöpfung, mit Gefühlen der Überforderung und des Ausgelaugtseins bezüglich psychischer und körperlicher Ressourcen, ist gekennzeichnet durch Energiemangel, Müdigkeit, Niedergeschlagenheit, Anspannungszuständen, Unfähigkeit, sich in der Freizeit zu entspannen und Schlafstörungen, sowie körperliche Beschwerden wie Magen-Darm-Symptome, Kopf- und Rückenschmerzen und eine erhöhte Anfälligkeit für Infekte. Die zweite der genannten Burnout-Dimensionen, der Zynismus, ist charakterisiert durch Distanzierung und Gefühlen von Selbstentfremdung. Der Betroffene erlebt zunehmend Frustration mit anschliessender Distanzierung von der Arbeit, verbunden mit Schuldzuweisungen und Gefühlen von Verbitterung gegenüber den Arbeitsbedingungen sowie Abwertung, Schuldgefühlen und häufigem Gefühlsverlust. Die letzte Dimension, die verringerte subjektive Leistungsfähigkeit, geht einher mit einer psychovegetativen, kognitiven und körperlichen reduzierten Leistungsminderung. Weiter ist subjektiv die Kompetenz und Kreativität verringert, unter anderem durch Konzentrationsstörungen und Arbeitsunzufriedenheit (vgl. hierzu ausführlicher Berger et al., 2012).

Das Gefühl der permanenten Überforderung führt zu einem globalen Erschöpfungsempfinden des 21. Jahrhunderts und zeigt damit die Schattenseiten der permanenten Modernisierung und des technischen Fortschritts auf. Hierzu gehören permanente Erreichbarkeit, Dauerverfügbarkeit und das beständige Bestreben nach Höchstleistungen. Der stetige Zuwachs an Wissen und Informationsverfügbarkeit fordert das Selbst- und Ressourcenmanagement (vgl. Bakker et al., 2004; Elloy et al., 2001). Ziel ist es, sich nicht zu verausgaben und nicht auszubrennen, um immer noch effizienter, produktiver, schneller und besser zu sein als die Konkurrenz. Dem Körper wird dabei die alleinige Verantwortung des Funktionierens zugesprochen, ohne das ihm die notwendige Fürsorge geschenkt wird, die er für solche Hochleistungen brauchen würde (vgl. zu diesem Zusammenhang Hillert & Marwitz, 2006). Jegliches Nicht-Funktionieren wird dann dem Versagen der «Körper-Maschine» zugeschrieben. Psychische Komponenten hingegen werden stärker verleugnet, nicht wahrgenommen und sind nach wie vor stigmatisierender als körperliche Ursachen (vgl. hierzu Morschitzky & Sator, 2004). Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) empfiehlt in ihrem Positionspapier (Berger et al., 2012), Burnout nicht als Krankheit, sondern als durch Arbeitsstress entstandener Risikozustand für vielfältige psychische und somatische Erkrankungen zu betrachten. Bei Prädispositionen kann der durch die Burnout-Symptomatik verursachte Stress als Krankheitsauslöser für Folgestörungen, wie beispielsweise eine Depression, betrachtet werden.

Die breite Diskussion von Burnout in der Öffentlichkeit und in den Medien scheint dennoch positiv, da sie die Entstigmatisierung psychischer Krankheiten unterstützt. Vernachlässigt wird dabei, dass Denken und Fühlen unmittelbar mit körperlichen Reaktionen verbunden sind (vgl. Hüther, 2016). Der Körper wird zur Ausdrucksfläche für Gefühle. Umgekehrt können auch negative Gefühle zum Beispiel aus dem dauerhaften Erleben von Schmerzen resultieren. Die Wechselwirkungen von hohem Arbeitsstress, körperlichen Auswirkungen wie Erschöpfung, kardiovaskulären Erkrankungen, Magen-Darm-Beschwerden sowie psychischer Beeinträchtigungen, etwa reduzierte Selbstwirksamkeit, Schwingungsfähigkeit oder Affektivität, werden ausser Acht gelassen (vgl. Burisch, 2014). Die Burnout-Symptomatik wird als reine Folge der Arbeitsbelastung und von negativen Arbeitsbedingungen betrachtet, in der Annahme, dass diese sich durch eine bessere Arbeitssituation ebenfalls wieder bessert (vgl. hierzu Berger et al., 2012). Appels (2004; Appels & Mulder, 1988) zeigte in seinen Untersuchungen Zusammenhänge zwischen emotionaler Erschöpfung und dem vermehrten Auftreten von kardiovaskulären Erkrankungen. Weiter konnten Melamed et al. (2006) nachweisen, dass Erschöpfung und Burnout-Risikofaktoren sowohl für kardiovaskuläre Erkrankungen als auch für arteriosklerose-begünstigenden Typ-2-Diabetes sind. Diese Autoren zeigen Zusammenhänge mit anderen somatischen Erkrankungen auf, beispielsweise mit dem metabolischen Syndrom, der Kortisol- und Sympathikus-Regulation, mit Schlafstörungen, mit Entzündungsreaktionen, mit gestörten Immunfunktionen und gesundheitsschädigendem Verhalten. Unzählige Studien zeigen hohe Korrelationen zwischen Burnout und psychischen und psychosomatischen Symptomen (vgl. u. a. Bauer et al., 2006; Melamed et al., 2006; Schwarzkopf et al., 2016a). Ein Burnout sollte vor allem bei der Differentialdiagnose eines chronischen, somatisch nicht erklärbaren Erschöpfungszustandes in Betracht gezogen werden (vgl. Känel, 2008). Die Entwicklung verläuft prozessartig mit vielfältigen körperlichen, emotionalen, kognitiven und verhaltensorientierten Symptomen (vgl. Burisch, 2014).

Multidimensionale Aspekte eines Burnouts

Psychosomatische Erkrankungen sind sowohl für Betroffene als auch für Behandelnde häufig rätselhaft: Betroffene sind krank, leiden, haben körperliche Schmerzen, aber die MedizinerInnen finden keine Ursache. Das Symptom fühlt sich in erster Linie nicht psychisch an, ist getarnt als ein Körpersymptom und ist auch von diesem zunächst einmal nicht zu unterscheiden. Man ist krank, jedoch ohne Befund (vgl. Stelzig, 2013). Die Rede ist auch von «funktionellen Störungen», da die Organe gesund sind, jedoch die Funktion der Organe gestört ist. Es sind keine klaren kausalen Ursache-Wirkungs-Ketten, sodass man nicht im strengen Sinn behaupten kann, Stress sei de facto Ursache für ein Burnout. Vielmehr geht es um das diffizile Zusammenspiel multimodaler Faktoren (vgl. hierzu Känel, 2008). Gewisse Resilienzfaktoren können sich präventiv auswirken, sodass ein/e ArbeitnehmerIn mit hoher Selbstwirksamkeitsüberzeugung, stabilen Beziehungen und einem wohltuenden Wohnumfeld gesund bleibt, währenddessen der gesamte KollegInnenkreis an einem Burnout leidet (vgl. Känel, 2017). Es ist daher dringend indiziert, den Blick zu erweitern und Burnout ganzheitlicher zu betrachten. Die Entstehung von einem Burnout ist nach dem Verständnis der KZPT IKP multifaktoriell und multidimensional. Das Individuum wird als Einheit von Körper, Geist und Seele verstanden, welches in ständigem Austausch mit der sozialen und ökologischen Umwelt steht.

Verdeutlicht wird dies anhand des «Anthropologischen Würfelmodells IKP» (vgl. Abbildung 1) (Maurer, 2004, 2013), welches genau wie die moderne Psychosomatik auf dem bio-psycho-sozialen Krankheitsmodell von George Engel (1977, zit. nach Egger, 2005) basiert. Dieses Modell ist laut Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde DGPPN relevant für das Vorkommen von Burnout-Beschwerden (Berger et al., 2012), da es biologische Risikokonstellationen (analog genetischer Prädispositionen bei Depressionen), psychologische Belastungsfaktoren und arbeitsplatzbezogene Bedingungsfaktoren integriert.

Abbildung 1: Anthropologisches Würfelmodell IKP

Dieses nach Maurer entwickelte Kernkonzept der KZPT IKP illustriert die ständige Wechselwirkung von körperlicher und psychisch-geistiger Lebensdimension, ergänzt durch vier weitere: die soziale Lebensdimension, die spirituelle-sinnstiftende Lebensdimension sowie die Lebensdimensionen des Raumes und der Zeit. Es ist als Erweiterung zu dem linear-kausalen Denken und dem isolierten Betrachten von Phänomenen, welches für eine ICD-10-Diagnostik notwendig ist, zu betrachten (vgl. zu diesem Aspekt Maurer, 2013). Die psychisch-geistige Lebensdimension umfasst psychologische Aspekte wie realistisches Denken, Kognitionen, Wahrnehmung, Gefühle, Einstellungen, Selbstbezug sowie die verschiedenen Bewusstseinsformen (bewusste und unbewusste Anteile). Die körperliche Lebensdimension beinhaltet biologische und physiologisch Aspekte, unter anderem Beweglichkeit, Haltung, Körperausdruck und Körperbewusstsein, Sinneswahrnehmungen etc. Die soziale Lebensdimension umfasst berufliche und private Beziehungen, soziale Aktivitäten, soziale Rolle/Funktion/Status, Kontakt, Nähe-Distanz-Verhalten, Kommunikation. Die spirituelle-sinnstiftende Lebensdimension umfasst allgemeine Aspekte der Sinnstiftung und Sinnfragen, Philosophie, Religion, Meditation etc. Sie befasst sich mit existenziellen Sinnfragen (Leben-Tod, Krankheit-Gesundheit, Leiden etc.) sowie persönlichen Werten und ist nicht mit kirchlicher Institution gleichzusetzen. In diesem Zusammenhang spricht Brühlmann (2013) auch von Burnout als einer Lebenssinnkrise. Die Dimension des Raumes bringt mehr Bewusstheit bezüglich räumlichen Erfahrungen und der Ökologie und bezieht sich generell auf räumliche Erfahrungen des Menschen, inklusive des Körperinneren, des intimen Aussenraums, des sozialen Nahraums/Grossraums etc., sowie die Qualität des Lebensraumes einer Person. Die Dimension der Zeit beinhaltet das Zeitmanagement und vereinigt Vergangenheit und Zukunft zum Hier und Jetzt (Gegenwart) sowie das subjektive Zeiterleben. Mit dem Anthropologischen Würfelmodell IKP wird die Ganzheitlichkeit des Menschen symbolisch und didaktisch hilfreich abgebildet.

Viele Beschwerden treten erst in spezifischen Situationen auf, zum Beispiel in sozialen Interaktionen wie der Begegnung mit Vorgesetzten. Aus diesem Grund ist eine ausführliche Anamnese aller Dimensionen entscheidend. Psychosomatische Erkrankungen entstehen laut Maurer (2004) dann, wenn die Ausgewogenheit der sechs Lebensdimensionen zu stark aus der Balance gerät. Widersetzliche intradimensionale Bestrebungen (z. B. Bedürfnis nach Schlaf versus Bedürfnis nach Sport) oder interdimensionale Bestrebungen (z. B. Bedürfnis nach Schlaf versus Bedürfnis nach beruflicher Weiterentwicklung) können dann zu einer inneren Zerrissenheit führen, welche sich häufig in An- und Verspannung in vielfältigster Art äussert. Es sind dann die Konflikte und die damit verbundenen Gefühle und Gedanken, welche die Funktion eines Organs krank machen (vgl. Stelzig, 2013). Burnout wird entsprechend auch als Folge von Störungen des Selbstregulationsprozesses verstanden (vgl. hierzu Künzler et al., 2010). Es entsteht dann, wenn es dem Individuum nicht mehr gelingt, die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Durch Störung des Selbstregulationsprozesses werden die Empfindung und der Ausdruck von Bedürfnissen und Emotionen blockiert. Gesundheit ist nach diesem Verständnis viel mehr als die Abwesenheit von Krankheit, sondern das Interagieren von körperlichen, psychischen, sozialen, spirituell-sinnstiftenden Faktoren, in Verbindung mit Raum und Zeit (vgl. Maurer, 2004). Sobald gesundheitsförderliche Prozesse abnehmen, ist die Entstehung von Beeinträchtigungen eher möglich. Je weniger ein Individuum zwischen den Lebensdimensionen wechselt (Fixierung in einer Dimension), desto anfälliger wird diese Person für weitere Störungen, verliert dabei Ressourcen und Kompensationsmöglichkeiten. Die Unausgewogenheit entsteht dabei durch die Wechselwirkung von äusseren Einflüssen, sowie durch die mangelnde Fähigkeit der Person selbst den Wachstums- und Veränderungsprozess zu initiieren. Ein Burnout ist daher in Anlehnung nach Maurer nicht nur auf in der Vergangenheit Erlebtes zurückzuführen, sondern auch auf mangelnde Anpassungs- und Integrationsfähigkeit in unserem auf Höchstleistung ausgerichteten Zeitalter. Burnout sollte in seinen Ursachen und seinen Auswirkungen nicht rein körperlich oder rein psychisch betrachtet werden, sondern der Blickwinkel auf andere Dimensionen (multidimensional) und die mitverursachenden Faktoren (multifaktoriell) erweitert werden. So tragen auch ausserberufliche Stressoren (vgl. Känel, 2017), körperliche und psychische Krankheiten, welche müde machen (vgl. Känel, 2008), sowie Persönlichkeitscharakteristika wie Narzissmus (vgl. Schwarzkopf et al., 2016a) zum Burnout bei. Entsprechend führt eine multimodale psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung zu einer signifikanten Reduzierung der allgemeinen für Burnout spezifischen Symptombelastung (vgl. Schwarzkopf et al., 2016b).

Die Bedeutung des Körpers in der Psychotherapie

Herr Z., 47 Jahre alt, verantwortlich für die Leitung eines Teams, bestehend aus acht Angestellten im kaufmännischen Sektor, ist seit 13 Jahren verheiratet, hat zwei Kinder. Seine Interessen sind Fahrradfahren, Wandern und Reisen. Er wohnt in einem Zweifamilienhaus auf dem Land. Durch schnelles Wachstum im Unternehmen und den damit verbundenen Umstrukturierungen und dem gestiegenen Wettbewerbsdruck, wurde von den Angestellten im vergangenen Jahr eine extrem hohe Einsatzbereitschaft erwartet. Herr Z. hat unterdessen im letzten Jahr über 800 Überstunden geleistet, ein Ende bzw. Abbau ist aktuell nicht absehbar. Seit über zwei Monaten klagt Herr Z. über Ein- und Durchschlafstörungen mit mehrmaligem Erwachen, Konzentrationseinbussen, starker körperlicher und emotionaler Erschöpfung, Vergesslichkeit, heftige Schwindelanfälle, Wutausbrüche und stechende Schmerzen im Brustbereich. In den umfangreichen medizinischen Abklärungen konnte eine körperliche Ursache für die berichteten Symptome ausgeschlossen werden. Die Symptomatik wird aus multidimensionaler Sicht in Tabelle 1 veranschaulicht. Herr Z. sitzt in der Therapie mit eingefallenen Schultern, gesenktem Blick und berichtet von beruflichen Enttäuschungen und familiären Schwierigkeiten.

Tabelle 1: Betrachtung der Symptomatik aus multidimensionaler Sicht

Stressoren

Ressourcen

Körperliche Lebensdimension

Schlafstörungen, körperliche Erschöpfung, Schwindel, stechende Schmerzen in der Brust

Fahrradfahren, Reisen, Wandern, regelmässige Erholungsphasen

Psychische Lebensdimension

Gedankenkreisen, Vergesslichkeit, Wutausbrüche, Perfektionismus. Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit

Reisen, Durchhaltewillen, Selbstwirksamkeit, fachliche Qualifikation

Soziale Lebensdimension

Interpersonelle Konflikte am Arbeitsplatz

Familie & Freunde

Spirituell-sinnstiftende

Lebensdimension

Lebensmüdigkeit, keine Hoffnung auf Veränderung

Sinnhaftigkeit als Familienvater und Ehemann

Raum als Lebensdimension

Hektischer Arbeitsplatz, Lärm

Wohnen in der Natur

Zeitliche Lebensdimension

Termindruck, Stress

Gemeinsame Zeit mit der Familie

Die Herausforderung für psychosomatische Erkrankungen in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung besteht darin, Krankheiten in ihren Ursachen und Auswirkungen nicht rein psychisch zu betrachten – genauso wie Somatiker diese nicht rein körperlich beurteilen sollten. Neben den körperlichen Symptomen, bringen Erkrankungen immer auch soziale und psychische Schwierigkeiten mit sich (vgl. Morschitzky & Sator, 2004). Die verschiedenen psychotherapeutischen Schulen in der Schweiz rechtfertigen ihre Existenz anhand ihrer spezifischen theoretischen Konzepte und Interventionstechniken (vgl. Koemeda-Lutz et al., 2016b). Primäres Ziel in der KZPT IKP ist es nicht, die Erschöpfung von Herrn Z. auf der Symptomebene «wegzutherapieren», da diese auf Dysharmonien in anderen Lebensdimensionen hinweisen. Die dort bestehenden entwicklungshemmenden Prozesse müssen zunächst erfasst und dann eine bessere Reorganisation erzielt werden (vgl. hierzu auch Maurer, 2002). Herr Z. muss also lernen, sich den beruflichen und familiären Bezug besser zu organisieren.

Psychosomatische Psychotherapie bedeutet neugierig zu sein – eine Neugier, die nicht auf das rein psychische beschränkt ist. So wird die psychosomatische Medizin auch als Kommunikationsmedizin oder «sprechende Medizin» (nach Thure von Uexküll, 1986) bezeichnet. Die Betroffenen werden in ihrer Lebenssituation ganzheitlich begleitet (vgl. Maurer, 2004). Dies erfordert häufig auch eine solide interdisziplinäre Vernetzung. Psychosomatische Leiden können Ausdruck belastender, schwieriger, konfliktreicher Beziehungen sein (vgl. Stelzig, 2013). Auch können Schmerzen reaktiviert werden, deren erstes bzw. letztes Auftreten bereits lange Zeit zurückliegt (vgl. hierzu Maurer, 1998). Der Schmerz ist häufig gekoppelt an negative Erfahrungen und fest im menschlichen Schmerzgedächtnis verankert (vgl. Hüther, 2016). Die Erinnerungen können dann durch körperliche Berührungen wieder wachgerufen werden. So ist ein neuer Konflikt oder Schmerz mit einem alten verzahnt. Der alte Konflikt bildet damit den fruchtbaren Boden für den neuen Konflikt. In der KZPT findet in dieser Hinsicht ein Perspektivenwechsel statt und die Frage gestellt: Wie wird der Stress so verarbeitet, dass man gesund bleibt bzw. dass eine stress-induzierte übermässige Schmerzempfindung bzw. Hyperalgesie aufgrund früherer konfliktträchtiger Stresserfahrungen (vgl. Egle et al., 2016) reduziert werden kann?

Ein grundlegendes methodisches Vorgehen der KZPT IKP ist es, zunächst die Erschöpfung oder die Wutausbrüche mit dem Körper in Verbindung zu setzen. Herr Z. wird daher aufgefordert mit seinem Körper die Wut darzustellen. Anschliessend wird er angeleitet, zwischen Verstärken der Wut, Wiederabschwächen der Wut und erneutem Verstärken abzuwechseln (zu oszillieren). Durch diesen therapeutischen Prozess wird die mit der Wut korrespondierende Körperlichkeit aktiviert. Herr Z. spürte dabei einen deutlichen Druck im Magen und auf der Brust und hatte innerlich das Bild vom Erdrücktwerden. Im anschliessenden explorativen Therapiegespräch wurde Herr Z. seine passive, erduldende Kommunikationsweise sowohl im Beruf als auch in der Familie bewusst, gespiegelt am körperlichen passiven «Erdrücktwerden». Der Patient wurde darauffolgend angeleitet, seine körperliche Haltung zu verändern, sich langsam aufzurichten, sich dann wieder einzurollen und sich erneut stärker aufzurichten. Herr Z. konnte erleben, wie die beiden verschiedenen Haltungen mit zwei unterschiedlichen Gefühlsqualitäten (schwach, wütend, hilflos versus stark, handlungsfähig, optimistisch) einhergingen. Zusätzlich erlebte Herr Z., dass er die Erschöpfung bis zu einem gewissen Grad selber regulieren konnte, das heisst durch körperliche Gestik, Mimik und Haltung beeinflussen konnte. Im Sitzen mit entspannten Schultern, aufgerichteten Rücken und fokussiertem Blick spürte er Erleichterung, Stärke und sogar Optimismus, was sein Selbstwertgefühl positiv beeinflusste. Diese Beobachtung geht mit den in der «Praxisstudie Ambulante Psychotherapie Schweiz» (PAP-S) festgestellten Trends einher, dass erfolgreiche Behandlungen zu einer Zunahme der Länge des Blickkontakts sowie zu einer Abnahme spannungsreduzierender Gesten und allgemeiner Körperspannung führen (vgl. hierzu Koemeda-Lutz et al., 2016b). Spezifischere Untersuchungen sind aktuell noch ausstehend.

Die KZPT IKP nach Maurer ist ein (integratives) Psychotherapieverfahren, das dem Formenkreis der Humanistischen Psychologie zuzuordnen ist. Die zentrale Basis stellt im Spezifischen der Gestaltansatz dar, der durch Fritz Perls, Laura Perls-Posner und Paul Goodman in den 1950er Jahren entwickelt wurde. Die PAP-S zeigt für humanistische Therapieverfahren grosse signifikante Effektstärken bei den Globalmassen psychische Beeinträchtigung und Symptombelastung und eine vergleichbare Effektivität mit evidenzbasierten kognitiv-verhaltenstherapeutischen Verfahren (vgl. Crameri et al., 2014). Die PsychotherapeutInnen setzten jedoch ein weitreichendes Spektrum unterschiedlicher und schulenübergreifender Interventionen ein (vgl. hierzu ausführlicher Koemeda-Lutz et al., 2016a). Sie setzten unter naturalistischen Bedingungen durchschnittlich 9,9 Prozent Techniken aus der eigenen Psychotherapieschule ein, 18,9 Prozent Interventionen aus anderen Psychotherapieschulen und 67,3 Prozent unspezifische, allgemeine Techniken. Zwischen Methodenspezifität und Behandlungsergebnis konnte kein signifikanter Zusammenhang festgestellt werden (vgl. Koemeda-Lutz et al., 2016b).

Wie der Gestaltansatz ist auch die KZPT IKP ein prozess- und ressourcenorientiertes, emotions- und bedürfniszentriertes sowie erlebnisaktivierendes Verfahren. Die Bezeichnung «körperzentriert» ist historisch bedingt, bezieht sich auf die Abgrenzung gegenüber rein verbalen Psychotherapieformen und gibt eine unvollständige Beschreibung. Passender wäre etwa «multidimensional», wie im Kernkonzept, dem Anthropologischen Wü̈rfelmodell IKP, zum Ausdruck kommt. Die KZPT IKP stützt sich auf ein kombiniertes Vorgehen mit gekoppelter Ressourcenaktivierung und Problembearbeitung (als komplementäre psychotherapeutische Wirkfaktoren). Im Fall von Herrn Z. bedeutet dies Folgendes: Zum einen gilt es, ressourcenorientiert herauszufinden, wie er beispielsweise seine Erholungspausen besser gestalten kann, was ihm im Beruf und im Alltag Freude bereitet und ihm besonders leichtfällt und nicht zuletzt was er in seinem Körper so wahrnehmen kann, dass dieser als funktionierendes «Frühwarnsystem» für Stressfallen dienen kann. Zum anderen werden konkrete lösungsorientierte Kommunikationsstrategien erarbeitet, um die Konflikte mit seinen Mitarbeitern zu klären sowie die Nähe-Distanz-Regulation im Privaten und im Beruflichen stärker zu differenzieren. Der stabilisierende, selbstwertsteigernde Anteil der Arbeit wird wieder mehr in den Fokus gerückt sowie konkrete Copingstrategien für Arbeitsstressoren entwickelt, Arbeitsstrukturen verbessert, eine Kultur von Wertschätzung und positiver Arbeitsatmosphäre gefördert, Kontrollierbarkeit sowie eine Balance von Ressourceneinsatz und Ergebnis gefördert (vgl. Nil et al., 2010). Rückkopplungsprozesse und Wechselwirkungen spielen dabei eine wichtige Rolle (vgl. hierzu Maurer, 2004). Kleine Veränderungen in den verschiedenen Lebensdimensionen verstärken einander und führen zur Abnahme der Störung. Restsymptome werden mit spezifischen Methoden bearbeitet.

Typisch für die KZPT IKP ist, dass Gesprächsinhalte immer wieder in körperliche Erfahrungen, körperlichen Ausdruck «übersetzt» werden und alles, was dabei wahrgenommen und erlebt wird, im Anschluss wieder verbalisiert wird. Herr Z. wird bei einem Wutausbruch gefragt, wo im Körper er diese Wut jetzt gerade wahrnehmen könne. Neben der «Wut im Bauch» spürte er plötzlich auch Schwere und Trauer im Herzen, welche mit Versagensängsten verbunden sind. Durch dieses Vorgehen wird körperliches und psychisches Erleben integriert, das Erleben im Hier und Jetzt aktualisiert und die Chance gegeben, neu zu Erlernendes im Körpergedächtnis zu verankern. Durch das permanente Fokussieren auf die nächsten Arbeitsziele geht das Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln im Moment verloren. Durch das Erleben im Hier und Jetzt können Gesprächsinhalte emotionalisiert werden. Polaritäten können so besser geklärt und integriert werden, da sie im Hier und Jetzt erlebbar sind. Der Betroffene kann mit allen Sinneswahrnehmungen in der Gegenwart erfahren, dass eine aktuelle, körperlich spürbare heilsame Reaktion auf die Reaktivierung von alten, belasteten Gefühlen und Schmerzen möglich ist (vgl. Gottwald, 2005). Nachdem die Versagensängste, welche mit der Wut von Herrn Z. gekoppelt waren, bearbeitet wurden, konnte der Patient eine spürbare Erleichterung und Wärme in seinem Bauch wahrnehmen sowie tiefer durchatmen. Sein gesamter muskulärer Tonus entspannte sich. Durch den ständigen Wechsel zwischen Erleben und Reflektieren (Verbalisieren des Prozesses) wird die Veränderung problematischen Verhaltens und Erlebens ermöglicht. Eine Veränderung realisiert sich im Moment des aktuellen Erlebens, welches durch den Therapeuten oder die Therapeutin aufmerksam auf der prozessualen Ebene begleitet wird.

Die integrative und ganzheitlich orientierte Therapiearbeit der KZPT IKP wird unter anderem an der Technik des «Aktiven Shiftens» deutlich. »Shiften« bedeutet »den Fokus wechseln« oder »sich verlagern«, entweder innerhalb einer Lebensdimension (intradimensional) oder zwischen den Lebensdimensionen (interdimensional). Beim intradimensionalen Shiften wird innerhalb der einzelnen Lebensdimension gewechselt. In der körperlichen Dimension wird beispielsweise vom Sitzen ins Stehen, von einem muskulär angespannten in einen entspannten Zustand, von einer Bewegung zur Ruhe gewechselt. Unter interdimensionalem Shiften wird das Wechseln zwischen den verschiedenen Lebensdimensionen verstanden. Beim Wechsel etwa vom Gespräch in das Spüren der Körperwahrnehmung erfolgt ein Shift von der psychischen in die körperliche Lebensdimension. Derartige Dimensionswechsel gehen meist mit einem Wechsel in der Gefühlsqualität einher. Herr Z. sprach zu Beginn der Psychotherapie nur von seinen stechenden Schmerzen und dem Ärger am Arbeitsplatz und vergass dabei fast, wie glücklich er sich fühlte, trotz den Schwierigkeiten eine funktionierende Partnerschaft zu führen und wie sehr er die Freizeit mit seinen Kindern genoss. Die KZPT IKP versteht das stete Wechseln von einer Lebensdimension zur anderen beim einzelnen Menschen als ein grundlegendes Lebens- und Funktionsprinzip, welches bedeutsam ist für die optimale Aktivierung der Persönlichkeit (vgl. hierzu Maurer, 2004). Im Gegenzug dazu besteht die Gefahr des Krankwerdens in einer Fixierung in einer einzigen Lebensdimension. Dies hat zur Folge, dass Erlebnishorizont und Tätigkeitsradius eingeschränkt werden und führt weiter zu einer Abnahme der individuellen Ressourcen. Durch die therapeutische Arbeit können mittels aktivem Shiften gezielt Überbrückungshilfen, Kraft, neue Impulse und kreative Lösungsversuche aus anderen Lebensdimensionen entwickelt werden. Der hier stattfindende Perspektivenwechsel dient dem Auffinden von Ressourcen, aber auch von Problemfeldern im diagnostischen Sinn, der Loslösung respektive Entfixierung (des Problems) sowie dem nichtkonfrontativen Umgang mit Widerstand (vgl. Künzler et al., 2010). Der hohe Workload wird so beispielsweise aus einer anderen der sechs Lebensdimensionen betrachtet und damit eine Änderung des Stellenwertes des Problems stattfinden, sodass eine Bewältigung leichter erscheint. Das Unternehmenswachstum und die damit verbundene gestiegene Verantwortung war für Herrn Z. zwar ein wichtiger beruflicher Karriereschritt, doch verlor es an Bedeutung, als ihm bewusst wurde, wie sehr er durch den Dauerstress das Risiko für einen Herzinfarkt steigerte.

Im Sinne der humanistischen Therapie sind bei einem Burnout die Zentrierung auf die Kommunikation im Hier und Jetzt, die Integration der körperlichen Symptome, die Betonung der Selbstverantwortung und die Stärkung von Autonomie und Selbstverwirklichung wesentlich (vgl. Ermann, 2007). Das Vorgehen der KZPT IKP impliziert eine ganzheitliche Betrachtungsweise menschlicher Erfahrung – nicht-dichotom und nicht-linear – und ist daher als Gegenspieler zum eindimensionalen ICD-10-Vorgehen zu betrachten (vgl. hierzu Maurer, 2013). Das heisst auch: Weg von einfachen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen und der isolierten Betrachtung von Phänomenen. Im Fall von Herrn Z. heisst das, sich nicht nur auf den gestiegenen Wettbewerbsdruck und die Überstunden als Ursache zu konzentrieren, sondern über den Arbeitsplatz hinausgehende Faktoren zu berücksichtigen.

Erschwerend für die psychotherapeutische Behandlung kommt hinzu, dass die Betroffenen häufig bereits eine Odyssee an Untersuchungen und Abklärungen hinter sich haben auf der Suche nach der ursprünglichen, meist einer vermuteten somatischen Ursache ihrer Schmerzen. Dabei vergeht wertvolle Zeit, welche der Chronifizierung Vorschub leistet (vgl. Stelzig, 2013). Hinzu kommt die damit verbundene Enttäuschung, nicht wahr- und ernst genommen zu werden. Die Odyssee der Abklärungen hat auch gesundheitspolitische Konsequenzen, indem sie enorme Kosten verursacht. Dennoch ist eine ausführliche Differentialdiagnose unverzichtbar, damit Symptome, welche durch eine primäre Grunderkrankung verursacht werden (wie z. B. Leistungseinschränkung oder Erschöpfung), nicht fälschlicherweise als Burnout bezeichnet werden (vgl. hierzu Känel, 2008; Berger et al., 2012). Weitere Differentialdiagnosen wären:

  1. somatisch: Anämie, Eisenmangel, Hypothyreose, Herz- und Niereninsuffizienz, Borreliose, obstruktives Schlafapnoesyndrom, degenerative Erkrankungen des ZNS etc.

  2. psychosomatisch/psychiatrisch: Chronic-Fatigue-Syndrom, depressive Störungen, Somatisierungsstörungen, Angsterkrankungen, Substanzmissbrauch etc.

Analog dem Positionspapier der DGPPN (Berger et al., 2012) betrachtet die KZPT IKP die Entstehung und die Behandlung eines Burnouts aus differenzierten, multidimensionalen Blickwinkeln und berücksichtigt dabei, dass Burnout-Beschwerden durch ein breites Spektrum anderer psychischer und somatischer Erkrankungen hervorgerufen werden können, aber auch Burnout-Beschwerden ohne gleichzeitig vorliegender ICD-10-Erkrankung eine angemessene Beachtung erhalten sollten.

Schlussfolgerung

Der Blick für die eine dimensionale Gesamtheit des Menschen sollte nicht vergessen gehen: sowohl von den ÄrztInnen, den PsychotherapeutInnen, als auch den Betroffenen. Burnout sollte als Zusammenspiel der verschiedenen Dimensionen, wie sie im Anthropologischen Würfelmodell IKP abgebildet sind, betrachtet werden. Eine multimodale, evidenzbasierte, störungsspezifische psychotherapeutische Behandlung führt zu einer signifikanten Reduzierung der allgemeinen für Burnout spezifischen Symptombelastung (vgl. Berger et al., 2012; Schwarzkopf et al., 2016b). Die KZPT IKP kombiniert Ressourcenaktivierung und Problembearbeitung und betrachtet die Entstehung von Störungen multifaktoriell und multidimensional. Die Methode integriert und erweitert zugleich die drei klassischen Dimensionen des bio-psycho-sozialen Modells, wovon Burnout-Betroffene in therapeutischer Hinsicht besonders profitieren können.

Literatur

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Burnout multidimensionality in body-centered psychotherapy

Burnout clearly reflects the two faces of today’s society: the performers, sacrifice, strength, high motivation, and perfectionism – in contrast to fatigue, exhaustion, lethargy, and chronic somatic symptoms like back pain. This article provides a theoretical overview of the most common terminology of burnout and its core components of emotional exhaustion, cynicism, and reduced self-efficacy. Burnout should not only be seen as a causal result of workplace factors, but also from a multifactorial and multidimensional perspective. This is illustrated by the Anthropological Cube Model, the core concept of the body oriented psychotherapy IKP. This integrative psychotherapy method is based on the Gestalt approach. It is characterized by process and resource orientation, emotion and focusing on needs, as well as activation of experiences. Burnout is not only due to past experiences, but also to a lack of adaptability and integration in our high-performance-oriented era. In the sense of a humanistic therapy, the communication in the «here and now» is of the essence. Also important are the integration of physical symptoms, the emphasis on self-responsibility and the strengthening of autonomy and self-realization. Burnout should therefore be regarded as the clinical expression of a combination of the different dimensions shown in the Anthropological cube model IKP body, psyche, social, spirituality, room, and time.

Key words: Burnout, Psychosomatic, Exhaustion, Body oriented psychotherapy, Gestalttherapy

Multidimensionalità del burnout nella psicoterapia centrata sul corpo

Il burnout riflette come nessun altro stato i due volti della nostra società: da un lato l’orientamento alla prestazione, spirito di sacrificio, forza, motivazione e perfezionismo elevati, dall’altro lato affaticamento, esaurimento, letargia e problemi fisici cronici, come problemi alla schiena. In questo articolo riassuntivo viene offerta una panoramica teorica sulla più corrente nozione di burnout e la sua componente centrale, l’esaurimento emozionale, il cinismo e la capacità ridotta di prestazione. Da parte della psicoterapia centrata sul corpo (KZPT) dell’Istituto per la psicoterapia centrata sul corpo (IKP), il burnout viene visto non solo come risultato causale di fattori lavorativi, ma anche da una prospettiva multifattoriale e multidimensionale. Ciò viene spiegato più precisamente grazie ai modelli antropologici «del cubo», il concetto centrale della IKP del KZPT. Questo approccio psicoterapeutico integrato basato su un’impostazione gestaltica è caratterizzato da un orientamento dei processi e delle risorse, delle emozioni e delle necessità, oltre che dall’attivazione delle esperienze. Un burnout non è solo da rimandare al vissuto passato, ma anche a una incapacità di adattamento e di integrazione in questa nostra epoca orientata all’alto rendimento.

Pertanto sono importanti la centratura sulla comunicazione nel qui e ora, l’integrazione dei sintomi fisici, l’accento sull’auto-responsabilità e il rafforzamento dell’autonomia e dell’autorealizzazione. Il burnout di conseguenza viene considerato espressione clinica dell’interazione di diverse dimensioni, corpo, psiche, sociale, spazio e tempo.

Parole chiave: burnout, psicosomatica, esaurimento, psicoterapia centrata sul corpo, terapia della Gestalt.

Die AutorInnen

Kathleen Schwarzkopf, MSc, eidg. anerkannte Psycho­the­ra­peutin, ASP-Mitglied, Psychologin und Psychotherapeutin IKP, Coach DBVC, Netzwerkpsychologin ICAS. Aktiv in Forschung für das Universitätsspital Bern und die Universität Bern. Schwer­punkte: Krisenbewältigung, Burnout und andere Stress­folge­erkankungen, Out- und Newplacement, Pferde­gestützte Psychotherapie. In ambulanter integrativer psychiatrisch-psychotherapeutischer Praxis tätig. Selbstständig in Bern (www.praxis-am-waldrand.ch)

Roland von Känel, Prof. Dr. med., Facharzt FMH für Allge­meine Innere Medizin und für Psychiatrie und Psychotherapie. Chefarzt Departement für Psychosomatische Medizin der Klinik Barmelweid im Kanton Aargau. Und Titularprofessor an der Universität Bern. Beschäftigt sich seit Jahren mit dem Phänomen Burnout in der Klinik und Forschung. Hat zur Evaluation von Burnout als Risikofaktor für psychische und körperliche Stressfolgekrankheiten eine frei zugängliche Webapplikation www.burnoutprotector.com mitentwickelt.

Kontakt

Kathleen Schwarzkopf

Universitätsklinik für Neurologie, Kompetenzbereich für Psychosomatische Medizin, Inselspital

CH-3010 BernSchweiz

Tel: +41 (0) 79 772 49 59

E-mail: k.schwarzkopf@gmx.ch

Roland.vonKaenel@barmelweid.ch