Editorial

Obwohl biopsychosoziale Konzepte in Psychiatrie und Psychotherapie Konsens zu sein scheinen und in aller Munde sind, zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass dem fallbezogenen Denken und dem praktischen Umgang mit Krankheit und Gesundheit diverser Akteure im Gesundheitswesen durchaus noch ein reduktionistisches Denken, insbesondere Unterteilungen in psychisch und somatisch bedingte Krankheiten zugrunde liegen.

Auch früher klar kognitions- und sprachlich fokussierte (z. B. psychoanalytische und verhaltenstherapeutische) Ansätze in der Psychotherapie fordern heutzutage den Einbezug des Körpers. Und im medizinischen Bereich werden eine «sprechende Medizin» sowie eine sorgfältige Reflexion der Arzt-Patienten-Beziehung gefordert. Dass die Umsetzung solcher Forderungen vielerorts noch keinesfalls realisiert sind – häufig, das muss hier auch angemerkt werden, aus ökonomischem Druck – weiss jeder, der selbst in die Mühlen des Gesundheitswesens geraten ist.

Aus den genannten Gründen erschien es uns lohnend, ein Themenheft zu Fragen des Zusammenhangs zwischen Körper und Seele bzw. zu psychosomatischen Ansätzen in der Psychotherapie zusammenzustellen und Expert/innen zu Wort kommen zu lassen, die erklärtermassen eine «Theorie der Körper-Seele-Einheit» im Blick haben.

Das vorliegende Heft enthält Beiträge von Exponent/innen dreier in der Schweizer Charta für Psychotherapie vertretenen körperpsychotherapeutischen Methoden:

Eva Kaul (Integrative Körperpsychotherapie, IBP) zeichnet die wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung von Körper-Seele-Spaltungen sowie anschliessende Bemühungen um deren Überwindung nach.

Vita Heinrich-Clauer (Bioenergetische Analyse und Therapie, IIBA) bezieht sich auf die schon von Wilhelm Reich (und einigen anderen Psychoanalytikern) beschriebenen und seither systematisch untersuchten Zusammenhänge zwischen emotionalen Problemen und muskulären Spannungsmustern und beschreibt die Aktualisierung und den Ausdruck von unterdrückten Gefühlen als psychotherapeutischen Wirkfaktor.

Kathleen Schwarzkopf (Institut für Körperzentrierte Psychotherapie, IKP) und Roland von Känel (Klinik Barmelweid) schliesslich stellen ein multifaktorielles Konzept der Burnoutbehandlung vor.

Zusätzlich war es uns ein Anliegen, ärztliche Vertreter/innen psychosomatischer Ansätze in Psychiatrie und Psychotherapie für Beiträge zu gewinnen:

In dem Artikel von Manfred Sauer und Sabine Emmerich geht es um Resonanzen in der therapeutischen Beziehung. Die Autor/innen stellen ein in Jahren der Zusammenarbeit erprobtes psychotherapeutisch-ärztliches Kooperationsmodell vor, bei dem schwer körperlich erkrankten und Unfall-Patient/innen eine ganzheitliche Behandlung angeboten wird, die auch die Belastungen der Angehörigen und des Behandlungsteams mitberücksichtigt.

Hans Jürgen Scheurle, Physiologe und Arzt, untersucht die Relevanz des Resonanzbegriffs für die Psychosomatik und erläutert diese sowohl bezüglich der Leib-Seele-Geist-Einheit als auch der Mensch-Welt-Beziehung. Er beruft sich dabei unter anderem auf die Monadentheorie von Leibniz, die er zu dem Körper-Seele-Dualismus von Descartes in Kontrast setzt. Monaden sind als Leib-Seele-Geist Einheiten definiert, die in hierarchischer Anordnung in Wechselwirkung zueinander stehen. Da Leibniz ihnen auch eine göttliche Eigenschaft zuschreibt, wurde im Reviewerverfahren die Kritik aufgebracht, dieser Beitrag verlasse in seinem Verständnis der Psychosomatik das Feld wissenschaftlicher Fundierung und betrete jenes der Religion und der Esoterik. Wir Heft-Herausgeber fanden den Beitrag dennoch lesenswert. Urteilen Sie selbst.

Volker Tschuschke stellt aus medizinpsychologischer Sicht die Wichtigkeit psychologisch-psychotherapeutischer Behandlungsmassnahmen gerade auch bei schweren körperlichen (z. B. Krebs-)Erkrankungen dar. Und zieht dazu neuere Forschungsergebnisse aus der Psychoneuroimmunologie heran, um die «psychische» Beeinflussbarkeit von somatisch manifesten Reaktionen (z. B. bei Stress) aufzuzeigen.

Neu wird zum Thema des vorliegenden Heftes erstmalig, nebst den Zusammenfassungen in englischer, deutscher, italienischer und französischer Sprache, auch auf Originalarbeiten aus dem italienischen Sprachraum hingewiesen.

Als freie Originalarbeit behandelt Kurt Greiner ein wissenschaftstheoretisches Thema. Er nimmt die seinerzeitige Kritik des Philosophen Karl Popper an der Psychoanalyse und der Individualpsychologie auf und zeigt, wie die anfangs des 20. Jahrhunderts geschriebenen Argumente gegen die Wissenschaftlichkeit dieser ersten beiden psychoanalytischen Konzeptionen heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, als Argumente für deren Wissenschaftlichkeit gelten können.

Zuletzt sei auf die Buchrezensionen hingewiesen, in denen Neuerscheinungen besprochen werden: eine umfassende Konzeptualisierung des biopsychosozialen Modells (Hugo Steinmann über Josef W. Egger), ein körperorientiertes Übungsprogramm für neue Lebensenergie (Theodor Itten über Irmhild Liebau) sowie die Neuauflage eines Buches über Stressbewältigung (Theodor Itten über Ulrich Sollmann) und ein neu erschienenes Buch zur Gestalttherapie (Peter Schulthess über Achim Votsmeier-Röhr und Rosemarie Wulf).

Ein Kongressbericht zum Weltkongress des World Council for Psychotherapy im Juli dieses Jahres rundet das Heft ab.

Wir wünschen viel Vergnügen und Anregung bei der Lektüre.

Margit Koemeda & Peter Schulthess