Sturm und Drang im Würgegriff der Medien

Die Leiden der jungen Generation am eigenen Geschlecht*

Volker Tschuschke & Alexander Korte

Psychotherapie-Wissenschaft 14 (1) 2024 67–81

www.psychotherapie-wissenschaft.info

CC BY-NC-ND

https://doi.org/10.30820/1664-9583-2024-1-67

Zusammenfassung: Das Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum Geburtsgeschlecht ist nicht neu, als Phänomen kann es bis in die antike Mythologie zurückverfolgt werden. Aber es war stets selten, wohingegen aktuell ein sprunghafter Anstieg von Abweichungen im Geschlechtsidentitätserleben bei Jugendlichen zu verzeichnen ist. Der Text geht dieser Problematik anhand der Frage nach, inwieweit diese Entwicklung auch ein Resultat kultureller und vor allem aber medientechnologischer Umbrüche ist, die bedingen, dass Jugendliche sich im «falschen Geschlecht» wähnen und im Extremfall eine Transition anstreben. Die wichtigsten Eckpunkte des geplanten deutschen Selbstbestimmungsgesetzes werden vorgestellt, das allerdings der zugrundeliegenden Problematik kaum gerecht werden dürfte. Der Text schließt damit, dass er diesbezüglich eine Reihe offener Fragen benennt und erste Antworten versucht.

Schlüsselwörter: Geschlechtsdysphorie, Geschlechtsinkongruenz, Transsexualität, Geschlechtsidentität, Geschlechtervielfalt, Geschlechtsangleichung

Influencer Economy – Sinnsucher und Sinnverkäufer

Die Tendenz zur Individualisierung und das Streben nach Einzigartigkeit – der «Vormarsch des Singulären» (Reckwitz, 2021, 8) – haben mit der sog. Spätmoderne einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Dies wird bspw. daran offensichtlich, dass ein hoher Prozentsatz junger Menschen tätowiert oder gepierct ist. Inge Seiffge-Krenke spricht mit Blick auf die Tendenz, den Körper zu verändern, vom «Zeitalter der Körperfixiertheit» (2018). Die damit verbundenen «Körpermodifikationen» (Borkenhagen et al., 2013)1, die weit über Tätowieren oder Piercen hinausgehen, scheinen nicht nur anzuzeigen, wer man ist und was man für wichtig und wertvoll erachtet, sondern lassen auch vermuten, ein kohärentes Selbst wäre nur noch zum Preis körperlicher Eingriffe zu haben. Auch bei besonders unter weiblichen Jugendlichen beliebten TV-Formaten wie Germany’s Next Topmodel habe «Einzigartigkeit», wie Andreas Bernard (2021) in einer Kolumne auf ZEIT-online treffend anmerkt, zu einer «Ausweitung des Bewertbaren» geführt und sei mittlerweile das zentrale Kriterium des Erfolgs: Hing dieser anfangs ab von der erreichten Punktzahl nach durchgeführtem Vergleich attraktiver, dem gesellschaftlichen Schönheits- und Schlankheitsideal entsprechender Körpermaße, stünden heute die «Besonderheit der Lebensgeschichte», nicht selten auch «die überstandene Krise einer existenziellen Abweichung» im Zentrum. Einzigartigkeit und Originalität seien zum neuen Imperativ der Menschenmusterung aufgestiegen – und gleichzeitig zum Fixstern und stets aufs Neue beschworenen Mythos des self empowerment geworden. Die Facetten der Diversity versorgten die Show mit neuen Spektren des Urteils: Fluide und korrigierbar sei nun nicht mehr nur der BMI, sondern auch die Kategorie des Geschlechts. Dabei «wirke [es] konsequent, dass das ausdrucksstärkste Satzzeichen unserer Gegenwart, der Stern, mit dem herbei gesehnten Status der Prominenz identisch ist. ‹*› wie ‹Star›.»2

Zudem verändern neue Informations- und Kommunikationsmedien das Verhältnis der Menschen zueinander, wobei diese veränderten sozialkommunikativen Strukturen ihre Nutzer überfordern können, vor allem dadurch, dass zwischenmenschlicher Kontakt nicht mehr real, sondern nur noch virtuell stattfindet. In besonderer Weise trifft dies zu für sozialkommunikative Praktiken, die einen unmittelbaren Bezug zur Sexualität haben (Korte, 2018). Eine durch die Verschiebung menschlicher Begegnung ins Virtuelle entstehende Kluft im Realitätserleben kann dazu führen, dass das Gefühl des Wahrgenommenwerdens – und damit das Gefühl einer Identität – erodiert, insbesondere bei jungen Menschen, deren Persönlichkeitsentwicklung sich noch in einer vulnerablen Phase befindet, von der wir wissen, dass das reifende Gehirn in dieser Zeit ganz erheblichen Umbau- und Reorganisationsprozessen unterworfen ist (Giedd et al., 2012). Wahrnehmungsverschiebung und Veränderung des Kontakterlebens ereilen in besonderem Maße die Generation der digital natives, die ihr Smartphone «in permanenter Tuchfühlung mit dem eigenen Körper mit sich führen, als wäre es eines seiner Organe» (Türcke, 2022, 22)3 und für die sich das Gefühl zu existieren oftmals nur noch einstellt, wenn sie telefonieren, Nachrichten austauschen oder zumindest online sind, also «medial stattfinden» (Hajok, 2015), mit möglichst eindrucksvollen, starken Bildern: «Teenager spüren sich selbst und ihre Gefühle nicht, wenn sie das nicht tun. Sie sagen Sachen wie: ‹Ich habe mein iPhone verloren, es fühlt sich an, wie wenn jemand gestorben wäre, ich meinen Kopf verloren hätte oder amputiert worden wäre›» (Eisenberg, 2019, 9).

Hinzu kommt ein weiteres medial getriggertes Phänomen: das seit den 2000er Jahren von selbstdarstellerischen Influencern betriebene Marketing – Menschen nutzen ihre Präsenz in sozialen Netzwerken, um Produkte, aber auch Lebensstile zu bewerben (Cialdini, 2001). Durch die technologische Weiterentwicklung des Internets von einer vormals monodirektionalen, konsumatorischen Nutzung (Abruf von Informationen) hin zu einer interaktiven Mitgestaltungsmöglichkeit ist ein neuer Typus von Mediennutzern entstanden – nämlich der des nicht mehr nur passiv-konsumierenden, sondern aktiv-inhaltsgenerierenden Prosumenten (Hajok, 2016; Korte, 2018). Darin mag wer will eine Emanzipation sehen oder eine Regression. Zweifellos folgt die Bedienung von Bedürfnissen bei gleichzeitiger Erzeugung neuer Bedürfnisse streng den marktwirtschaftlichen Spielregeln. Im Angebotsportfolio enthalten sind dabei auch neuartige Identifikationsschablonen.4 Doch der Reihe nach.

Die aktuelle Generation der Messenger-Dienste, Chatforen, Blogs und sozialen Netzwerke ermöglichen Kommunikation, Austausch und (vermeintliche) Begegnung, ohne eine personale Nähe einzufordern. Trotz der Distanz ist sichergestellt, sich verbunden fühlen zu können: Keine echte Nähe, aber doch eine suchtartige Kontaktsuche? Das Netz bringt in der Tat widersprüchliche Effekte hervor: Es distanziert und bringt doch einander näher, bewirkt aber möglicherweise auch, dass die Fähigkeit allein zu sein, verloren geht (Eisenberg, 2019). So gesehen, generiert offenbar jede Zeit ihre Krankheitsschwerpunkte, insofern sich in somatoformen, psychosomatischen und psychiatrischen Krankheitssymptomen symbolisch gesellschaftliche Probleme manifestieren (Shorter, 1992): Die vermeintlich weibliche Hysterie der Wendezeit vom 19. auf das 20. Jh. etwa ließe sich aus einer Frauen unterdrückenden Sexualmoral erklären; die Somatisierungen im Rahmen des Wirtschaftswunders nach dem 2. Weltkrieg als Reaktion auf Arbeitsbelastungen (und wohl auch auf die kollektive Schuldverdrängung), die Zunahme anorektischer und bulimischer Essstörungen als implizite Kritik an Überfluss und Konsumorientierung, Fatigue und Burnout aus den Überforderungen der gegenwärtigen globalisierten Leistungsgesellschaft. In Relation zu den neuen Kommunikationsverhältnissen wären die derzeitigen Veränderungen im psychischen Krankheitsspektrum zu werten: Waren früher Symptomneurosen in der Überzahl, so werden seit geraumer Zeit zunehmend häufiger sog. Ich-strukturelle Störungen diagnostiziert, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich kein stabil entwickeltes, identitätsstiftendes Ich entwickeln konnte, mit entscheidenden Folgen für ein gestörtes Selbst (Ehrenberg, 2015; Tschuschke & Hopf, 2021; Haidt, 2023).

Anders ausgedrückt: Das Wissen um die Kontingenz, i. e. die historische Bedingtheit medizinischer Konzepte, im Speziellen der psychiatrischen Diagnosen und sich wandelnden Klassifikationssysteme (Watters, 2016),5 die in besonderem Maße dem jeweils herrschenden Zeitgeist unterworfen sind, ist von zentraler Bedeutung für das Verständnis und die Einordnung der gegenwärtigen Verschiebungen im Diagnosespektrum ebenso wie der offensichtlichen Umbrüche auf dem umkämpften Feld des Sexuellen. Letzteres ist freilich seit eh und je Austragungsort von Generationskonflikten, wie allgemein bekannt, hat nicht erst seit den Nullerjahren dieses Jahrtausends eine diskursive Dissoziation von Geschlecht und Fortpflanzung stattgefunden (Sigusch, 2005, 2013). Die Identifizierung als «trans», «non-binär» und ähnliche Selbstkategorisierungen, für die infolge einer beispiellosen politischen Kampagne ein gesellschaftlicher Empfangs- und Möglichkeitsraum entstanden ist, fungieren dabei – das ist der springende Punkt – auch als Sinnangebote: Im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen Anforderungen, unrealistischen Schönheitsidealen, pubertätstypischer Verunsicherung, Schamkrise und Sinnsuche geben sie Jugendlichen die Möglichkeit, ihrem individuellen Leiden in einer, zu ihrer Zeit und in ihrer Kultur akzeptierten Form Ausdruck zu verleihen und verheißen zugleich Aufmerksamkeit, den Status des Besonderen, Außergewöhnlichen.

Angebot und Nachfrage

Nach übereinstimmenden Angaben von Leistungserbringern und Einrichtungen der kinder- und jugendpsychiatrischen bzw. -psychotherapeutischen Versorgung ebenso wie von schulpsychologischen oder sozialpädagogischen Beratungsstellen ist die Anzahl von Minderjährigen, die wegen eines Leidensdrucks infolge der empfundenen Geschlechtsinkongruenz vorstellig werden, in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Für Schweden bestätigte das National Board of Health and Welfare Anfang 2020 einen Zuwachs der Diagnose-Häufigkeit in der Gruppe der 13- bis 17-jährigen Mädchen um nicht weniger als 1.500% in der Zeit zwischen 2008 und 2018. Die inzwischen berühmt gewordene Grafik aus dem Gender Identity Development Service (GIDS) im Londoner Tavistock zur Fallzahlentwicklung zeigt ein Rinnsal von genderdysphorischen Jugendlichen in den Jahren bis 2012/13 und seitdem einen dramatischen Anstieg, der sich in gleicher Weise in Übersichtsdarstellungen anderer klinischer Forschergruppen in unterschiedlichen Ländern (westlicher Prägung) wiederfindet und, in Relation zu den niedrigen Prävalenzraten früherer Jahrzehnte betrachtet, als Flutwelle bezeichnet werden kann. In Großbritannien – wo infolge der gerichtlichen Aufarbeitung der Vorgänge im GIDS die Behandlung mit GnRH-Analoga zur Pubertätssuppression (s. u.) von genderdysphorischen Minderjährigen ebenso eingestellt wurde wie in den skandinavischen Ländern – stieg zwischen 2009 und 2016 die Zahl der Betroffenen weiblichen Geschlechts um mehr als das 70-fache (de Graaf et al., 2018). Zwischen 2020/2021 und 2021/2022 hat sich die Zahl der Überweisungen erneut verdoppelt (NHS, Cass, 2022).

Wenngleich es für den deutschsprachigen Raum wegen des dezentralisierten Systems der Gesundheitsversorgung keine vergleichbare Erfassung der Fallzahlen gibt, bestreitet mittlerweile niemand mehr, dass die Entwicklung hierzulande die gleiche ist (vgl. Herrmann et al., 2022). Dies betrifft auch die Inversion der Sex-Ratio, also die Umkehrung des Verhältnisses von betroffenen geburtsgeschlechtlichen Jungen zu geburtsgeschlechtlichen Mädchen: Heute sind die mit Abstand meisten Patienten weibliche Jugendliche in der frühen und mittleren Adoleszenz (de Graaf et al., 2018; Kaltiala-Heino et al., 2015, 2018; Zhang et al., 2021) mit einer – und auch das ist neu – zuvor geschlechtsnormativen Kindheit, deren Transidentifizierung und Outing erst während der Pubertät erfolgten (Aitken et al., 2015; Kaltiala-Heino et al., 2015, 2020; Chen, 2016; de Graaf et al., 2018; Littman, 2018; Zucker, 2019; Hutchinson et al., 2020; van der Loss et al., 2023). Uneinigkeit besteht indes über die mutmaßlichen Gründe für diese erklärungsbedürftige, in weniger als einer Dekade eingetretenen Entwicklung, inklusive der beobachteten epidemiologischen Verschiebungen. Wie bereits in früheren Arbeiten dargelegt (Biggs, 2020; Korte & Wüsthof, 2015; Korte et al., 2017, 2021), werden als mögliche Ursachen für den Anstieg der Neuvorstellungsrate verschiedene Faktoren diskutiert, die vermutlich zusammenwirken:

Soziale Ansteckung im medialen Kontakthof

Mit Sicherheit erfolgt auch im Zeitalter der massenmedial-digitalen Dauerberieselung die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen noch immer erstrangig durch individuelle Beziehungs-/Bindungs- und anderweitige biografische Erfahrungen. Diese machen sie im analogen Leben – in der Familie, in Bildungseinrichtungen sowie in der Gruppe gleichaltriger Peers. Fraglos ist aber die zunehmend medialisierte Umwelt, vor allem das Internet mit seinen vielfältigen Nutzungsperspektiven und Austauschmöglichkeiten zu einem wichtigen Sozialisationsfaktor geworden. Das wirft die berechtigte Frage auf, welche Bedeutung dem ständigen Raunen des Internets für die Identitätsentwicklung von Kindern und Jugendlichen – auch die Entwicklung der sexuellen und geschlechtlichen Identität – beizumessen ist (Korte et al., 2020). Auf einer Plattform wie bspw. pinterest ist die Zahl der Suchanfragen von 2018 bis 2019 für Transthemen um 4.000% angestiegen. Vor allem junge Mädchen äußern in sozialen Netzwerken und Chatforen einen «Geschlechtswechsel- bzw. Umwandlungswunsch»6 und tauschen sich intensiv darüber aus, fünfmal mehr als Jungen. Inzwischen gibt es – wie die US-Journalistin Abigail Shrier schreibt –,

«mehr als ein Dutzend social media-Websites und Plattformen, die die Entdeckung von transidenten Vorstellungen fördern. YouTube, Instagram, Tumblr, Reddit, Twitter, Facebook, DeviantArt und TikTok z. B. sind sämtlich populäre Hauptumschlagplätze, die es ermöglichen, die eigene Auffassung zu teilen, und die die physische Transformation unterstützen, sich über transphobische Bedenken hinwegzusetzen, die die Superkraft von Testosteron zelebrieren, die Tipps offerieren, wie Verschreibungen verkuppelt werden können.» (Shrier, 2021, 44, Übersetzung V. T.).

Lisa Littman (2018) hat als eine der ersten auf die Bedeutung von social contagion für die Ausbreitung des Phänomens einer plötzlich auftretenden Trans-Identifizierung unter Jugendlichen hingewiesen und im Zuge dessen die Bezeichnung Rapid onset gender dysphoriac (ROGD) vorgeschlagen. Als typisch für diese Gruppe von meist (in 80 % der Fälle) weiblichen Jugendlichen ohne Vorgeschichte einer Geschlechtsinkongruenz in der Kindheit beschreibt sie, gestützt durch die Berichte von Eltern betroffener Kinder, ein Abtauchen in entsprechende Internetforen unmittelbar vor dem trans-Outing, inklusive wiederholter Rezeption von youtube-Transitionsvideos. Selbst die World Professional Association of Transgender Health, die sich 2018 noch vehement gegen Littmans Forschung ausgesprochen hatte, hat in der letzten Version ihrer Standards of Care von 2022 die mögliche Relevanz von Peer-group-Kontakten eingeräumt: «[f]or a select subgroup of young people, susceptibility to social influence impacting gender may be an important differential to consider» (Coleman et al., 2022, 45). Inzwischen gibt es weitere Forschungsberichte, die für einen Zusammenhang des Prävalenz-Anstiegs in der Adoleszenz mit ROGD auf der Grundlage einer vorbestehenden psychischen Erkrankung sprechen und der sozialen Ansteckung als Co-Faktor eine wichtige Rolle beimessen (Zucker, 2019; Hutchinson et al., 2020; Schwartz, 2021; Diaz und Bailey, 2023).

Shrier zufolge drängen Lehrer, Therapeuten und Ärzte gestresste und verwirrte Teens eilfertig in Richtung «Geschlechtsangleichung». Sie führt Belege für eine längst in der Gesellschaft platzgreifende «Transgender-Politik» an. Erste US-Bundesstaaten (darunter Kalifornien und New York) hätten Gesetze erlassen, die für Gesundheitsbedienstete Strafen vorsähen, die sich weigerten, von Patienten verlangte Gender-Personalpronomina zu benutzen. Sie beschreibt zudem die irreversiblen Schäden, die nicht nur der Gesellschaft durch falsches Denken, sondern insbesondere jungen Mädchen und Frauen durch operative Eingriffe zugefügt würden. Sie schildert verwirrte Mädchen, agonisierte Eltern, die Rolle von Beratern, Therapeuten und Ärzten, die es leicht machten, körpermodifizierende («geschlechtsangleichende») Maßnahmen vorzunehmen, und die Probleme der Mädchen und jungen Frauen, die ihre Transitionsbehandlung rückgängig machen wollten und bitterlich bedauerten, was sie sich angetan hätten. Was über diese

«Teenage-Mädchen hinwegfegt, wurzelt […] in Videos, die im Internet kursieren. Diese zeigen von Internet-Gurus inspirierte Mimikry, ein mit Freundinnen eingegangenes Versprechen, sich an den Händen haltend, die Luft angehalten, die Augen fest zusammengekniffen. Diesen Mädchen verspricht die Transidentifikation Freiheit von der endlos verfolgenden Angst; sie befriedigt das tiefe Bedürfnis nach Akzeptanz, den Thrill der Grenzüberschreitung, das verführerische Trällern des Dazugehörens.» (Shrier, 2021, XXIXf., Übersetzung V. T.)

Existenz und Durchschlagskraft von mass-social-media-induced illness, also einer durch soziale Medien getriggerten (psychischen) Erkrankung, sind gut belegt. Müller-Vahl und Koautoren verstehen diese als «Ausdruck einer kulturgebundenen Stressreaktion unserer postmodernen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, die die Einzigartigkeit des Einzelnen betont und seine vermeintliche Außergewöhnlichkeit wertschätzt, wodurch aufmerksamkeitssuchende Verhaltensweisen gefördert und die permanente Identitätskrise des modernen Menschen verschärft werden» (Müller-Vahl et al., 2022, 476, Übersetzung A. K.). Mehrfach beschrieben wurde das Phänomen u. a. im Zusammenhang mit der Beobachtung, dass während des Pandemie-bedingten Lock-down die Rate neu diagnostizierter (vermeintlicher) Tic- und Tourette-Erkrankungen unter Jugendlichen drastisch angestiegen ist, was darauf zurückgeführt werden konnte, dass in dieser Zeit Videos von (real betroffenen oder die Symptomatik nur simulierenden) Youtubern und Influencern im Netz kursierten. Besondere Verbreitung fanden diese über die Video-Plattform TikTok, weshalb diese als «funktionell» einzuordnenden – von organisch bedingten zu unterscheidenden – Tics auch als «TikTok-Tics» bezeichnet wurden (vgl. Paulus et al., 2021; Pringsheim et al., 2021; Bus et al., 2022; Han et al., 2022; Müller-Vahl et al., 2020, 2022).

Anknüpfend an zuvor Gesagtes und aus den vorbeschriebenen Erfahrungen mit ähnlich gelagerten Phänomenen (sozialer Ansteckung) lässt sich folgende Schlussfolgerung ziehen: Mit «trans» ist augenscheinlich eine neuartige Identifikationsschablone im Angebot, die, über die Massenmedien in Umlauf gebracht, auf eine Gruppe von vulnerablen Jugendlichen mit Problemen im Bereich der Selbstwahrnehmung, Körperakzeptanz und Integration der pubertätsbedingten Reifungsvorgänge trifft. Ein seltenes Phänomen und Minderheitenproblem, das als solches unbestritten besteht, wird aus falschverstandener Toleranz auf Kosten identitätssuchender junger Menschen medial und gesellschaftspolitisch instrumentalisiert; das ist in doppelter Hinsicht tragisch: sowohl für die wirklich von Transsexualität Betroffenen als auch für eine anteilsmäßig vorerst nicht quantifizierbare Gruppe von vulnerablen Jugendlichen, die ihre Angst vor individueller Emanzipation und sexueller Selbstbemächtigung7 durch Identifikation mit identitären Gefühlskollektiven und Gruppenzugehörigkeit aufzufangen suchen, eigentlich aber eine andere Form des Schutzes und der therapeutischen Unterstützung benötigten (Korte et al., 2021; Korte, 2022a, 2023; Korte & Siegel, 2023).

Geschlechtsverwirrung als neue Unübersichtlichkeit?

Vor ca. vierzig Jahren konstatierte Jürgen Habermas für das damalige intellektuelle und geistige Klima der Bundesrepublik eine Neue Unübersichtlichkeit (Habermas, 1985). Einen ähnlichen Eindruck bietet das Feld, auf dem die Frage der Geschlechtsidentität – bzw. des Geschlechtlichen allgemein – momentan verhandelt wird – sowohl was die Begrifflichkeit der Phänomene an sich betrifft, als auch hinsichtlich der an der Debatte beteiligten Gruppierungen, einschließlich der Debattenkultur selbst.8 Weitgehend einig dürften sich die Protagonisten v. a. in ihrer Ablehnung der Zweigeschlechtlichkeit sein. Diese Ablehnung und ein damit verbundenes Eintreten für «Vielfalt»9 oder für ein «Spektrum»10 können sich allerdings nicht auf genetisch oder biologisch bedingte Unklarheiten der Gattung Mensch berufen, die als gonochorontische Spezies genauso der Zweigeschlechtlichkeit unterworfen ist wie Apfelbäumchen, Frösche und Elefanten. Geschlecht ist aus biologischer Sicht definiert als Entwicklungsrichtung eines Organismus auf die Produktion eines bestimmten Keimzelltypus (Prinzip der Anisogamie) und ontogenetisch zugleich das Endresultat eines kaskadenartigen somato-sexuellen Differenzierungsprozesses, ausgehend von einer bi-potenten Gonaden-Anlage. Geschlecht ist also zunächst ein körperliches Merkmal, dessen Ausprägungen, male oder female, sich aus den Fortpflanzungsfunktionen ergeben. Geschlecht verfügt somit über eine objektive Grundlage.

Biologisch nicht-eindeutige Geschlechtszugehörigkeit – umgangssprachlich als «Intersex», alternativ als Varianten (Störungen) der Geschlechtsentwicklung bezeichnet11 – kommt nicht nur extrem selten vor, sie gründet selbst auch auf Binarität und kann keineswegs als Argument für dessen Widerlegung angeführt werden. Denn Zweigeschlechtlichkeit schließt nicht aus, dass es Menschen gibt, bei denen die geschlechtlichen Strukturen störungsbedingt nicht vollständig differenziert und damit nicht eindeutig sind.12 Das seltene Phänomen einer uneindeutigen biologischen Geschlechtszugehörigkeit (Intersex-Syndrom) steht dabei in keinerlei Relation zum ansteigenden transsexuellen Begehren in der jungen Generation heute (Korte, 2022a/b) – das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, wie jedem medizinisch Ausgebildeten bekannt und auch medizinischen Laien leicht verständlich sein dürfte. Im Unterschied zu DSD-Betroffenen (mit im Extremfall nicht-eindeutigem/intersexuellem Genitale) leiden Trans-Personen mehr oder weniger stark unter dem Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit zu ihrem biologisch eindeutigen, körperlichen Geschlecht und nehmen die ihnen zugewiesene soziale Geschlechtsrolle als nicht passend, als inkongruent wahr. Geht dieses Inkongruenz-Erleben mit einem klinisch relevanten Leidensdruck und einer Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder in anderen wichtigen Funktionsbereichen einher, spricht man von Geschlechtsdysphorie. Die englische Sprache bietet die Möglichkeit, die biologisch-körperliche Ebene von Geschlecht mit dem Begriff sex zu adressieren, während für die Ebenen des Psychischen und des Sozialen der Begriff gender verwendet wird.

In den Naturwissenschaften ist die Unterscheidung zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht eine bewährte und allseits akzeptierte. Sie ermöglichte es, wissenschaftliche Theorien über eine Vielzahl biologischer Prozesse aufzustellen, empirisch zu überprüfen und Natur zu erklären. Es gibt keine biologischen Prozesse, zu deren Erklärung weitere Geschlechter notwendig wären. Deswegen gibt es aus Sicht einer dem kritischen Rationalismus verpflichteten Wissenschaft auch keine Gründe für die Einführung weiterer Geschlechtsbegriffe. Die Definition einer «Vielzahl der Geschlechter» (i. S. sozialer Geschlechtsrollen) mag außerhalb des naturwissenschaftlichen Diskurses mit eigener Logik und Legitimität diskutiert werden. Wir benötigen aber keine weiteren Geschlechtskategorien, um zu erklären, warum Menschen unter Geschlechtsdysphorie leiden, deren Ursachen herauszuarbeiten und diesen Menschen zu helfen – meist mit Psychotherapie, nur falls nötig auch mit chirurgischen Eingriffen und Hormontherapien.

Eine neue Geschlechter-Ordnung – Recht auf Lifestyle oder auf Gesundheit?

Kurz soll auf den Beitrag (rechts-)politischer Missverständnisse und Gesetzesinitiativen zur neuen Transorthodoxie eingegangen werden. Seit 2018 ist es in Deutschland möglich, neben den Optionen «männlich», «weiblich» und «ohne Angabe» auch «divers» in das Geburtenregister eintragen zu lassen. Die vom Gesetzgeber geschaffene Möglichkeit eines anderen positiven Geschlechtseintrags jenseits des männlichen oder weiblichen Geschlechts kann in besonders gelagerten Fällen, in denen sich DSD-Betroffene weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugehörig fühlen, sich gleichwohl nicht als ‹geschlechtslos› begreifen, sinnvoll sein – wobei die Erfahrung seit Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung (§ 22 Abs. 3 PStG) zeigt, dass von dieser Option nur selten Gebrauch gemacht wird. Begrüßenswert ist überdies die durch den § 45b PStG eröffnete, inzwischen alltagsbewährte Möglichkeit für Menschen mit DSD, ihren Geschlechtseintrag und den Vornamen ändern zu lassen – nach Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung gemäß § 45b Abs. 3 Satz 1 PStG (bzw. durch eidesstattliche Erklärung gegenüber dem Standesamt in speziellen, konkret definierten Ausnahmefällen gemäß § 45b Abs. 3 Satz 2 PStG).

Mittlerweile wurde durch Urteil des BGH (Aktenzeichen XII ZB 383/19) klargestellt, dass der Anwendungsbereich des § 45b PStG sich nicht auf Personen erstreckt, die sich als transsexuell, ‹transident› o.ä. selbstkategorisieren oder auf Menschen, bei denen ärztlicherseits eine Geschlechtsdysphorie (DSM-5) bzw. Geschlechtsinkongruenz (ICD-11) ohne gleichzeitig vorliegende DSD-Konstellation diagnostiziert wurde oder zu diagnostizieren ist: Die Anwendung des § 45b PStG auf diese Personengruppe ist demnach also rechtsfehlerhaft und Ärzte, die nichtsdestotrotz ein – nicht vorhandenes – DSD attestieren, setzen sich mit dem Ausstellen eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses der Gefahr der Strafbarkeit gem. § 278 StGB aus. Die Richtigstellung seitens des BGH hielt die Deutsche Gesellschaft für Transidentität (dgti) e. V. nicht davon ab, über ihre Internetseite und weitere Informationskanäle die Rechtsauffassung zu verbreiten, der zufolge die § § 45b, 22 Abs. 3 PStG auch auf trans-Personen anwendbar und zur Umgehung des Transsexuellen-Gesetzes zu nutzen seien. Konsequent wurden in Positionspapieren der dgti fortan Transsexualität respektive Transidentität fälschlicherweise als Variante/n der Geschlechtsentwicklung ausgewiesen bzw. darunter subsumiert, was eine nicht näher quantifizierte Anzahl von Menschen mit transsexuellem Wunsch bzw. Geschlechtsinkongruenz motivierte, unter Vorlage einer entsprechenden – wahrheitswidrigen – ärztlichen Bescheinigung beim Standesamt eine Personenstands- und Vornamensänderung zu erwirken.

Seit Ende April dieses Jahres liegt der von der Ampelkoalition lange angekündigte, unter Federführung vom Familien- und dem Justizministerium erstellte Referentenentwurf (2023) eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften (SBGG) vor – bereit für den noch ausstehenden Kabinettsbeschluss und die Lesung im Bundestag. Die gesetzliche Neuregelung soll ein modernes «medizinisches und gesellschaftliches Verständnis von Geschlechtsidentität» abbilden, vor allem das alte Transsexuellengesetz – mit seinen bislang erforderlichen Begutachtungen zur Vornamens- und/oder Personenstandsänderung – ablösen. Denn die aktuelle Rechtslage, so die Begründung, trage den geänderten Vorstellungen auf diesem Feld «nicht ausreichend Rechnung». Künftig soll nur noch eine einfache Erklärung beim Standesamt für die «Geschlechtsänderung» nötig sein. Dem Entwurf zufolge soll damit das Verfahren für die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen bei Varianten der Geschlechtsentwicklung (DSD) einerseits und bei Abweichungen der Geschlechtsidentität («trans», «non-binär») vom Geschlechtseintrag andererseits vereinheitlicht werden.13

Als besonders heikle, auch (fach-)öffentlich kontrovers und hochemotional diskutierte Punkte haben sich bislang die Themen «Hausrecht – Umgang mit Transpersonen in Frauen vorbehaltenen Bereichen», das sog. Offenbarungsverbot, der «Umgang mit Transpersonen im Sport» und vor allem die «Rolle und Rechte von Kindern und Jugendlichen» herausgestellt. Bei unter 14-Jährigen müssen allerdings die Eltern oder Sorgeberechtigten eine Änderungserklärung abgeben. Bei älteren Jugendlichen bedarf es der Zustimmung der Eltern, die jedoch im Falle, dass diese sich dem verweigern, durch das Familiengericht ersetzt werden kann, sofern die Änderung der Angabe zum Geschlecht und der Vornamen dem Kindeswohl nicht zuwiderläuft. Es stellen sich hier – unter anderem – sogleich die Fragen,

1. wer denn die Bewertung vornehmen soll, ob die Änderung der Angabe zum Geschlecht und der Vornamen dem Kindeswohl entspricht (oder diesem zuwiderläuft) und

2. ob Kinder mit Vollendung des 14. Lebensjahres regelhaft in der Lage sind, Bedeutung, Tragweite und Folgen einer solchen Entscheidung einschätzen zu können?

Etwaige medizinische Maßnahmen, dies gilt es als Verbesserung gegenüber dem ursprünglichen Vorhaben (und den vorausgegangenen Referentenentwürfen von B 90/Die Grünen und FDP – siehe dazu Korte, 2021) anzuerkennen, werden nicht geregelt, es wird lediglich vermerkt – ohne dies näher zu präzisieren –, dass beabsichtigt sei, «die Beratungsangebote insbesondere für minderjährige Personen auszubauen und zu stärken». Die Verantwortung und Zuständigkeit dafür fällt unseres Erachtens erstrangig den therapeutischen und ärztlichen Fachgesellschaften zu. Dies sehen die politischen Entscheidungsträger und auch die Mitarbeitenden in den Beratungsstellen zu LSBTIQ-Themen jedoch ganz anders – was bezogen auf letztere Gruppe nicht überraschen sollte. Denn zum einen entspräche die Übertragung dieser Aufgabe und Durchführung als Peer-Beratung dem Wunsch nach Entpathologisierung von «trans». Zum anderen dürfte die Implementierung bzw. der Ausbau entsprechender Beratungsangebote mit dem Fluss von Fördergeldern in nicht unerheblicher Höhe verbunden sein, wie sich aus der Gesetzesvorlage herauslesen lässt.

Die am Kindeswohl orientierten Argumente und die Begründung für eine Beibehaltung des Begutachtungsverfahrens zumindest bei nicht volljährigen TSG-Antragsstellern sind so umfassend und komplex (Korte et al, 2016; Korte, 2021), dass eine erschöpfende Darstellung den Rahmen sprengen würde. Es sollen hier nur zwei Punkte angerissen werden: Wir wissen aus Katamnese-Studien, dass sich die Selbstdiagnose «trans» im Entwicklungsverlauf nicht weniger Kinder und Jugendlicher nachträglich als Fehleinschätzung herausstellt. Dies setzt allerdings voraus, dass dem Kind ein Entwicklungsraum und Zeit gewährt werden. Ist es aber realistisch anzunehmen, dass die betroffenen Kinder im Falle einer frühzeitigen, bereits in jungen Jahren durchgeführten personenstandsrechtlichen Transition imstande sind, gegen die dadurch geschaffenen Fakten anzugehen, sprich die getroffene juristische Entscheidung mit all ihren Konsequenzen später wieder rückgängig zu machen und einen anderen, alternativen Weg einzuschlagen? Oder droht nicht vielmehr die Gefahr, mit einer ungeprüft durchgewunkenen (in Form eines Verwaltungsaktes vorgenommenen) Personenstandsänderung eine Persistenz der Geschlechtsdysphorie zur Transsexualität als einzige Option für das Kind zu präjudizieren?

Jüngere Studien liefern Hinweise, was eine frühzeitige soziale Transition tatsächlich bewirkt: Sie treibt die Rate der Persister nach oben (Olson et al., 2022; Morandini et al., 2023). Die Einschätzung des DGKJP-Vorstandes,14 dass es für die wegweisende und folgenreiche Entscheidung einer juristischen Transition keiner fachlich fundierten, kinder-/jugendpsychiatrisch gutachterlichen (sic!) Stellungnahme bedürfe, sondern die Inanspruchnahme einer, bzgl. des Umfangs nicht weiter präzisierten «Beratung und Prozessbegleitung» ausreichend sei, teilen wir deshalb explizit nicht – ebenso wenig wie den Optimismus, dass eine niederschwellige Vornamens- und Personenstandänderung positiv dazu beitrüge, durch eine vollständige soziale Transition «Rollensicherheit und -klarheit» zu gewinnen, die dann «zur Erhöhung der Sicherheit etwaiger medizinischer Behandlungsmaßnahmen» führen sollte. Eine solche, u. E. nicht hinlänglich durchdachte Argumentation unterschätzt die normative Kraft des Faktischen. Ein weiterer Aspekt: Bisweilen kann die Begutachtung auch eine therapeutische Intervention sein, ähnlich der lösungsorientierten Intervention in familienrechtlichen Verfahren. In Anbetracht der Tatsache, dass erfahrungsgemäß nicht selten zwischen den beiden Elternteilen kein Einvernehmen bzgl. der Frage einer vermeintlich transsexuellen Entwicklung ihres Kindes besteht, birgt die Beibehaltung der bisherigen Praxis eindeutige Vorteile, auch gegenüber einer etwaigen Regelung, die lediglich eine Beratung vorsähe.

Essentialistisches Denken und inkompetentes Schweigen

Immer wieder ist davon die Rede, die «Geschlechtsangleichung» sei erforderlich und unhinterfragt zu ermöglichen, wenn man sich im falschen Körper befinde. Könnte es aber nicht vielleicht so sein, dass es sich um eine «falsche Psyche» – um ein «falsches Leben», ein «falsches Selbst» – in einem «richtigen Körper» handelt (Tschuschke, 2023)? Jedwede Prämisse, die a priori von einer naturalistisch oder essentialistisch gefassten Identitätsentwicklung ausgeht, respektive diese zum Inhalt hat, basiert auf fundamentalen Missverständnissen über psychische Entwicklungsprozesse. Sämtlichen neurobiologischen Erklärungsmodellen zur Transsexualität ist gemeinsam, dass sie davon ausgehen, diese werde durch ein gegengeschlechtlich funktionierendes oder strukturiertes Gehirn verursacht. Fakt ist jedoch: Die neurowissenschaftlich-genetische Forschung hat bislang keine wirklich überzeugenden Nachweise erbringen können, dass «Geschlechtsidentität» biologisch bedingt (determiniert) und eine persistierende Trans-Identifizierung auf eine vorrangig oder gar ausschließlich genetisch bzw. hormonell bedingte Ätiologie zurückzuführen ist.15

Aus Sicht der Entwicklungspsychologie ist es komplett abwegig, davon auszugehen, dass Identität etwas sei, mit dem man zur Welt kommt. Schon die ersten ausführlicheren Monographien zum Konstrukt «Geschlechtsidentität» (engl. gender identity) betonten deren biopsychosoziale Grundlage (vgl. Stoller, 1968). Im Zuge der psychosexuellen Entwicklung konstituiert sich ab dem Kleinkindalter ein Zugehörigkeitsgefühl zu einem Geschlecht, das sich im weiteren Verlauf, insbesondere in der Adoleszenz im Zusammenhang mit der Entwicklung der eigenen Sexualität und den ersten soziosexuellen Kontakten konsolidiert und individuell ausgestaltet. Auch Ponseti & Stirn (2019) heben hervor, dass «Geschlechtsidentität» stets das Ergebnis einer individuellen Bindungs-, Beziehungs- und Körpergeschichte ist. Identitätskonstruktion ist also ein (lebenslang anhaltender) Prozess, so dass geschlechtsbezogenes Identitätserleben ein (sic!) Teil der Persönlichkeit ist, und «Geschlechtsidentität» – wie Identität überhaupt – erst mühselig entwickelt werden muss. In der öffentlichen – und leider auch in der fachlichen – Debatte wird nahezu vollständig ausgeschlossen, dass es sich bei somatisch gesunden Jugendlichen mit funktionsfähigen Geschlechtsorganen und normalem hormonellen Haushalt, die eine «Geschlechtsangleichung» anstreben, um eine psychische Verwirrtheit bzw. Reifungskrise und somit eine vorübergehende Störung handeln könnte. In diesem Sinne fragt auch Christoph Türcke (2021), warum die Psychoanalyse das Trans-Narrativ nicht problematisiere, gehöre es doch zum psychoanalytischen Einmaleins, erst einmal das ganze psychische Feld abzutasten, aus dem heraus der Wunsch nach einer «Geschlechtsangleichung» entspringen könne.

«Und selbst in Fällen, wo seine Herkunft verborgen bleibt, wo er sich partout nicht auflösen lässt, wo, gemessen an seinem schwer lastenden Druck, die Geschlechtsumwandlung als das kleinere Übel erscheint, müsste Fachkundigen klar sein, dass dieser Wunsch nicht aufhört, etwas Zwanghaftes, Auflösungsbedürftiges zu sein, und dass Personen, die sich einer Operation unterziehen, diese Zwangshypothese samt ihren unerschlossenen Ursachen in die neue Geschlechtsidentität mitnehmen. Nicht von ungefähr bleiben ja die meisten Umgewandelten weiterhin psychotherapiebedürftig.» (Türcke, 2021, 189f.)

Mit dem sprunghaften Ansteigen der Transgender-Wünsche, so Türcke weiter, wachse in der psychoanalytischen Zunft auch die Neigung zu deren «Entpathologisierung» und zur «Übernahme einer Dienstleisterrolle» (ebd.), sodass das gut gemeinte Anliegen der Entpathologisierung zunehmend ins Gegenteil umschlägt.16 Zweifellos werden diese Kinder und Jugendlichen von inneren Nöten geplagt, die Krankheitswertigkeit besitzen können. Wenn aber Therapeuten und Ärzte sich vorschnell auf eine Indikation zur medizinischen Transition festlegen, laufen sie Gefahr, die Betroffenen noch weiter in die Irre zu führen, liegt eine subjektiv verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit doch in der Natur psychischer Störungen.17 Die Psychoanalytikerin Alessandra Lemma, eine auf die Trans-Problematik spezialisierte Therapeutin, sieht nur sehr wenige Fälle, bei denen eine «geschlechtsangleichende» Behandlung indiziert sei. Sie betont die unreife und labile Durchgangsphase in der Pubertät und in der darauffolgenden Adoleszenz.

«Das subjektive Erleben des Geschlechts und der Prozess der Adoleszenz sind beide durch eine Fluidität und Unsicherheit gekennzeichnet. Adoleszenz ist eine Entwicklungsphase, in der die Überzeugung, alles sei machbar, genau hier und genau jetzt, die Omnipotenzgefühle der psychischen Vorgänge illustriert. In der Tat lässt sich das adoleszente Stadium wie eine Checkliste narzisstischer Pathologie lesen, aber […] die Fluidität und die Experimentiererei, die damit einhergehen, veranlassen uns, diesen Narzissmus und die Omnipotenz, die dieses Stadium mit sich bringt, etwas differenzierter zu betrachten. […] Das omnipotente Greifen nach allen möglichen Identitäten kann genauso schnell verworfen, wie durch ein neues Verlangen ersetzt werden, das besser zu passen scheint.» (Lemma, 2022, 63; Übersetzung V. T.)

Es gibt bislang zu wenige Studien, die die Langzeitfolgen von «geschlechtsangleichenden» somato-medizinischen Maßnahmen untersucht haben. Die wenigen, die einen ausreichend langen und damit ernstzunehmenden zeitlichen Follow-Up und möglichst objektiv verfügbare Daten zugrunde legen, verweisen darauf, dass es keinen psychischen Vorteil nach sex reassignment surgery (SRS) – auch als GRS (gender reassignment surgery) bezeichnet – gibt: durchschnittlich nicht weniger Arztbesuche, nicht weniger Hospitalisierungen, nicht weniger Angststörungen oder Suizidversuche, sondern, notabene, eher mehr als vor der «Geschlechtsangleichung»! Zudem bleiben Patienten nach erfolgter medizinischer Transition eine Risikogruppe, die sehr lange psychotherapeutische Begleitung benötigt. Zwar verweisen verfügbare seriöse Quellen zum einen auf die echte psychische Not hinter dem transsexuellen Wunsch, können zum anderen aber nicht belegen, dass begehrenskonforme Behandlungen im Schnitt Verbesserungen bewirken, sondern im Gegenteil, sie verursachen teils mehr Unglück als vor der Behandlung zu konstatieren war.

«2011 erschien in Schweden eine repräsentative, bevölkerungsgestützte Langzeitstudie, in der die Daten von 324 transsexuell lebenden Personen ausgewertet wurden, die alle eine ‹Geschlechtsumwandlungsoperation› hinter sich hatten. Die Studie kommt zu dem Schluss: Die Selbstmordrate bei den operierten transsexual lebenden Personen war fast zwanzigmal höher als in der Allgemeinbevölkerung. Etwa ab dem zehnten Jahr nach den Operationen stieg die Suizidrate rasant an» (Heyer, 2016).

Heyer bezieht sich auf die Langzeit-Katamnese der Arbeitsgruppe um Dhejne (2011). Simonsen et al. (2016) fanden in ihren Lang-Zeit-Follow-up-Untersuchungen heraus, dass die Komorbiditäten bei Geschlechtsdysphorie vor und nach «geschlechtsangleichenden» Maßnahmen gleichbleiben. Dies wird meist unterschlagen, wenn mit Hinweis auf die vermehrte Suizidideation unter geschlechtsdysphorischen Adoleszenten sehr für eine Pubertätsblockade geworben wird – wodurch sich nicht wenige Eltern betroffener Kinder massiv unter Druck gesetzt fühlen.

Die Frage nach der Henne und dem Ei

Einer etwas älteren schwedischen Studie (Meybodi et al., 2014) zufolge wiesen 62,7 % der Patienten, die mit einer sog. Geschlechtsdysphorie diagnostiziert waren, mindestens eine weitere psychische Erkrankung auf. 33 % von ihnen litten an Depressionen oder Suizidgedanken. Ob die psychischen Störungen ursächlich für die Geschlechtsdyphorie waren oder eine Folge derselben – auch im Sinne des Minoritäten-Stressmodells –, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Gerade unter Minderjährigen mit geschlechtsbezogenem Identitätskonflikt ist der Anteil psychisch stark belasteter Patienten mit einer hohen Rate komorbider Erkrankungen, schwerer Psychopathologie und vergleichsweise später Erstmanifestation der geschlechtsdysphorischen Symptomatik in den letzten Jahren empirisch belegt kontinuierlich weiter gestiegen (Strang et al., 2018; Becerra-Culqui et al., 2018; Zucker, 2019; Kaltiala-Heino et al., 2019, 2020; Hutchinson et al., 2020; Sorbara et al., 2020; Thrower et al., 2020; de Graaf et al., 2021).

Wie sollten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und -psychiater mit geschlechtsdysphorischen bzw. transidentifizierten Patienten umgehen? Was können sie tun, welche Haltung sollten sie einnehmen? Zunächst sollte klar sein, dass sich diese Kinder und Jugendlichen mehrheitlich in sehr ernsten psychischen Nöten befinden, die aufgrund des Leidensdrucks eine hohe Krankheitswertigkeit besitzen. Es sollte ebenso klar sein, dass psychodynamisch arbeitende Psychotherapeuten nicht nur ihre persönliche Sicht hintanzustellen haben, sondern sich auch ihrer Gegenübertragungsgefühle bewusst sein sollten. Entscheidend ist die Herstellung einer vertrauensvollen und tragfähigen Arbeitsbeziehung, spezifische Technik kommt erst im zweiten Schritt (Tschuschke et al., 2020, 2022).

Die unhinterfragte Größenfantasie, alles sei machbar, eben auch eine sog. Geschlechtsumwandlung, ist eine Größenfantasie des pubertären Entwicklungsabschnitts und sollte Psychotherapeuten nicht dazu verleiten, eine unbewusste Kollusion mit ihren Patienten einzugehen. Jugendliche blenden die lebenslangen Folgen einer somato-medizinischen Transitionsbehandlung in der Regel aus. Eine operative «Geschlechtsangleichung» bringt unvermeidbar Verstümmelungen am Körper mit sich. Damit werden, nebst Verlust der Fertilität, die anatomischen Voraussetzungen für sexuelle Erregung und Befriedigung von ihrer funktionalen Seite her beschädigt, zumindest beeinträchtigt, falls nicht sogar zerstört. Die vielfältigen und gravierenden Nebenwirkungen und Langzeitfolgen einer medizinischen Transition, soweit bislang bekannt, haben wir an anderer Stelle wiederholt ausführlich dargelegt (Korte et al., 2017, 2021; Korte 2022a, 2023; Korte & Siegel, 2023). Wie in jeder anderen medizinischen Disziplin sind auch psychotherapeutische Behandlungen Eingriffe in einen Krankheitszustand des zu Behandelnden, mit dem Ziel einer Heilung (weshalb Freud ja von der Hypnose abgeleitet zuerst die «kathartische» Methode und später die «Redekur» entwickelte). Es muss also etwas «kuriert», eben geheilt werden. Das geht nicht ohne Schmerz vonstatten, sei es in der somatischen Medizin der körperliche, sei es in der «Seelenmedizin» der psychische Schmerz. Eine tiefenpsychologische oder psychoanalytische Behandlung stellt naturgemäß die Arbeit an den Motiven in den Fokus:

Mit diesen Fragen klären sich entscheidend die dem Patienten zugänglichen Motive und auch, ob eine psychodynamische, d. h. konfliktorientierte, aufdeckende Behandlung eine ausreichend günstige Prognose hat. In der Behandlung von geschlechtsdysphorischen Kindern und transidentifizierten Jugendlichen sollten selbstverständlich stets die Eltern in den psychotherapeutischen Prozess einbezogen werden. Die Arbeit mit den Eltern birgt eine Reihe von Schwierigkeiten. Sollten die Eltern «aus allen Wolken gefallen» sein ob des Begehrens ihres Sohnes oder ihrer Tochter, stellen sich ganz andere Probleme, als wenn bereits längere Zeit seit ihrer Kenntnisnahme vergangen ist. In einigen Fällen sind Eltern getrennt, und aus konfliktreichen Gründen heraus ist der eine oder der andere Elternteil nicht bereit, mit dem Ex-Partner an der Therapie teilzunehmen. Oder beide Elternteile vertreten konträre Auffassungen bezüglich des Transitionswunsches ihres Kindes. Oder beide Elternteile sind strikt abgeneigt, einer «geschlechtsangleichenden» Behandlung ihres Kindes zuzustimmen. Wie dann aber verfahren, wenn mindestens ein Elternteil sich empört abwendet oder sogar dagegen arbeitet? Womöglich tun sich hier schwerere familiäre Konflikte auf, bei denen es sich um die eigentlichen Probleme handelt, und die sich am besten in einer systemischen Behandlung bearbeiten ließen.

Es wäre eine ganze Reihe weiterer Konfliktherde denkbar, die mit der häufig alles überstrahlenden Trans-Thematik eigentlich nichts oder wenig zu tun haben. So könnte der Patient der Symptomträger sein, der einen unausgesprochenen, der Familie unerkannten Konflikt ausdrückt oder der beide getrenntlebenden Eltern durch sein schwerwiegendes Anliegen quasi wieder zusammenzwingen will? Und wäre die Hypothese zu gewagt, dass die heftige «Waffe» eines drohenden «Geschlechtswechsels» seitens des Kindes ihm – unbewusst – als einzig verbliebener Hebel erscheint, die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich zu lenken (wie wir das ja nicht selten auch beim Krankheitsbild der Anorexie beobachten)? Oder folgt der Patient einem unausgesprochenen Wunsch der Eltern nach einem Kind anderen Geschlechts, indem er die Enttäuschung der Eltern über sein biologisches Geschlecht doch noch korrigieren will, indem er die elterliche Enttäuschung ausräumt, quasi deren ursprünglichen Wunsch erfüllt?

Sorgfalt und Fürsorge statt Transaffirmation

Es ist dringend geboten, sich in der Behandlung von geschlechtsinkongruenten bzw. -dysphorischen Kindern und Jugendlichen auf zwei Prinzipien zu besinnen, die bislang als die vielleicht wichtigsten Grundsätze der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie galten, gewissermaßen den Kern des Selbstverständnisses des Fachs bildeten: zum einen die Übernahme einer entwicklungspsychiatrischen Perspektive, zum anderen die (im Wortsinn) ganzheitliche Betrachtungsweise. Letztere fühlt sich, in Abgrenzung zu einem tumben biologistischen Determinismus, einem mehrdimensionalen, bio-psycho-sozialen Verständnis psychischer Störungen respektive Verhaltensabweichungen verpflichtet und macht selbige Erkenntnis, vor allem das Wissen um die große Häufigkeit pubertätsspezifischer Reifungs- bzw. Altersrollenkonflikte, zur Richtschnur des diagnostischen und therapeutischen Handelns.

Pathogenetisch bedeutsame familiäre Verstrickungen und eventuelle elterliche Delegationstendenzen mit Übertragung eigener sexualitätsbezogener, innerer Konflikte aufs Kind, wie auch fortbestehende, die Entwicklung eines krisenfesten Selbst beeinträchtigende ich-strukturelle Defizite, eine mangelhafte Mentalisierungs- und fehlende Einsichtsfähigkeit auf Seiten des Kindes/Jugendlichen, die es ihm unmöglich machen, Bedeutung, Folgen und Tragweite einer mit lebenslangen Konsequenzen verbundenen Entscheidung absehen zu können, lassen sich oft erst im Laufe eines therapeutischen Prozesses erkennen (und im besten Fall auflösen). Dies gilt in gleicher Weise für das Erkennen von Konfliktpathologien (vgl. Korte et al., 2014) und die Aufdeckung von häufig nachweisbaren, sequenziellen Beziehungstraumatisierungen, sowie ganz allgemein für die Entwicklung eines Verständnisses für die je unterschiedlichen, oft sehr komplexen Bedingungsfaktoren, die dem transsexuellen Wunsch im individuellen Fall zugrunde liegen.

In Abgrenzung zu einem therapeutischen Ansatz, welcher die Transidentifizierung gar nicht kritisch hinterfragt – und bei Kindern/Frühadoleszenten mehr oder weniger automatisch auf eine pubertätsblockierende Behandlung hinausläuft, die von den Befürwortern dieses Vorgehens als medizinisch unbedenklich und ethisch unproblematisch dargestellt wird – favorisieren wir eine ergebnisoffene, gender-kritische intensive Psychotherapie mit der Möglichkeit der Auflösung der Geschlechtsdysphorie (Korte et al., 2017, 2021; Korte 2022a, 2023; Korte & Siegel, 2023). Ein solches Vorgehen ist mitnichten eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Kindes, sondern eine am Fürsorgeprinzip orientierte legitime Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung. Auch stellt dieses Verständnis des therapeutischen Auftrags keinen Verstoß gegen das Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen dar, wie wiederholt fälschlich behauptet wurde (z. B. Romer & Möller, 2020). Eine Anfrage beim zuständigem Bundesministerium, welches das Gesetz seinerzeit auf den Weg brachte, konnte hier Klärung herbeiführen. Der Wunsch nach «Geschlechtsangleichung» kann und sollte als Symptom aufgefasst werden, mehr denn als diagnostische Kategorie. An die Stelle der Vorstellung von den «genuin» Transsexuellen und der Fehlannahme, dass Transsexualität eine abgrenzbare Krankheitseinheit sei, ist lange schon die Erkenntnis getreten, dass der transsexuelle Wunsch und die Fixierung darauf vielmehr die gemeinsame Endstrecke unterschiedlicher normabweichender Entwicklungsverläufe bzw. krankheitswertiger psychischer Alterationen darstellen, deren Gemeinsamkeit in der von den Betroffenen mehr oder weniger leidvoll erlebten Inkongruenz und dem Wunsch nach einem Leben im anderen Geschlecht besteht. Das Aufgeben der ursprünglichen Auffassung von Transsexualität als nosologische Entität zugunsten der Idee von einer Vielfalt transsexueller Entwicklungsverläufe eröffnete auch den Blick für die entsprechend vielfältigen Lösungswege.

In psychodynamischen Therapien geht es um die Arbeit an den tieferliegenden Befürchtungen, Ängsten, Traumatisierungen oder Sehnsüchten und nicht wie in verhaltenstherapeutischen Behandlungen um die schnelle Beseitigung von Symptomen. Es ist keineswegs selten, dass sich Konflikte oder strukturelle Defizite auftun, die sich mit einer «Geschlechtsangleichung» keineswegs beheben ließen. Grundsätzlich kritisch stehen wir jeder universellen Heilsvorstellung gegenüber, die eine Linderung von psychischem Leid in der Umsetzung ästhetisch-chirurgischer Maßnahmen sucht. Eine hormonelle Behandlung und operative Eingriffe am gesunden Körper können allenfalls in den sehr seltenen Fällen einer Geschlechtsdysphorie vom transsexuellen Typus in einem gewissen Maße hilfreich und damit ethisch vertretbar sein. Vor der Indikationsstellung von nebenwirkungs- bzw. komplikationsbelasteten somatischen Maßnahmen, die das äußere Erscheinungsbild mit dem inneren Identitätsempfinden des Betroffenen in Einklang bringen sollen, ist die diagnostische Einschätzung der Irreversibilität der Geschlechtsidentitätstransposition unabdingbar, was jedoch nur im Rahmen eines längeren diagnostisch-therapeutischen Prozesses möglich erscheint. Der Anspruch, durch eine Binnendifferenzierung des Trans-Spektrums und entsprechende Diagnose-Sicherheit die Zahl der Rückumwandlungsbegehren zu minimieren, sollte nicht als Einmischung in persönliche Belange des Patienten («Gate-keeping») abgetan, sondern als Ausdruck ärztlicher Sorgfaltspflicht verstanden werden.

One more thing

Im Unterschied zu Romer und Möller-Kallista (2021), Romer und Lempp (2022) oder Meyenburg und Langhirt (im Druck) sind wir der Auffassung, dass stattfindende gesellschaftliche Transformationen und Veränderungen des Sexualitätsdispositivs18 zwar entsprechend adaptierte und differenzierte Vorgehensweisen erforderlich machen, dass es aber auch Fehlentwicklungen gibt, die in gesellschaftspolitischen Problemen und falschen (rechts-)politischen Weichenstellungen ihren Ursprung haben. Nicht jeder unter dem Mantel vermeintlicher Progressivität und Toleranz daherkommende Trend und nicht alles, was auf öffentlicher Bühne den Zeitgeist und den Mainstream dominiert, dienen dem wissenschaftlichen Fortschritt und im konkreten Fall dem Wohl von Kindern und Heranwachsenden. Es gibt auch kulturelle und zivilisatorische Krisen, die in Verfallserscheinungen münden können (Tschuschke, 2023). Dies drückt sich derzeit an vielen Stellen als Krise der westlichen Zivilisationen und der Demokratie aus. Einen luziden Gedanken, der die Türe zum Verständnis der Ursachen für die deutliche Zunahme des (Zeitgeist-)Phänomens «Transgenderismus» öffnen könnte und in dem wir unsere eigene Ansicht wiederfinden, hat unlängst Arne Burchartz (2023) formuliert:

«Das ‹Wachstum›, untrennbar mit dem Kapitalismus verbunden, stößt […] allmählich an Grenzen – spätestens 1972 in der Studie ‹Grenzen des Wachstums› des Club of Rome diagnostiziert (Meadows, 1972) – und so muss er unweigerlich in alle geografischen, sozialen und psychischen Bereiche eindringen – unter Verleugnung der Grenzen. Wenn nun aber der quantitative Optimierungszwang allerorten kaum noch zu beherrschende Probleme mit sich bringt, bleibt als Optimierungsprojekt nur noch das Individuum und sein Selbst, das nun, mehr noch als bisher, in einen Strudel des Selbstoptimierungszwanges gerissen wird, um die stockende Maschinerie eines anachronistischen Systems am Laufen zu halten. Die Illusion der grenzenlosen äußeren Verfügbarkeit bringt die Illusion der grenzenlosen Formbarkeit (= ‹Flexibilität›) des Selbst hervor.» (Burchartz, 2023, 101)

Wir könnten es also mit einer ins Individuum verlagerten Krisenlösung und mit einer klassischen Verschiebung im psychoanalytischen Sinne zu tun haben. Inhärente (systemimmanente) Prinzipien unseres Wirtschaftssystems – dynamische Expansion des Marktes, Angebotserweiterung und Diversifizierung, Überbietungs- und Steigerungslogik – schlagen sich im Individuum nieder, indem sie auch dieses im Wortsinn entgrenzen. Dies geschieht unter Nutzung aller zur Verfügung stehenden Technologien, auch jener der Wunscherfüllungs- und Life-style-Medizin. Grenzüberschreitung und Körpermodifizierung als totale Bedürfnisbefriedigung, Pluralisierung der Geschlechterformen, Toyotaisierung aller Lebensbereiche, angelehnt an den Werbeslogan ‹Nichts ist unmöglich› – Ausdruck der Fortschrittsutopie der postmodernen Konsumgesellschaft und zynisches Versprechen zugleich (Korte, 2023).

In unserem Beitrag haben wir verschiedene gesellschaftliche Veränderungen und Einwirkungen auf die Identitätsbildung junger Menschen angeführt. Wir wollen mit unseren Überlegungen dazu anregen, diese Einflussfaktoren kritisch zu reflektieren, wissenschaftliche Publikationen einem prüfenden, d. h. vor allem auch einem methodenkritischen Blick zu unterziehen – was auf dem Gebiet der «Transgender-Health»-Medizin umso wichtiger erscheint, weil es bis heute nicht eine einzige kontrollierte vergleichende Studie gibt! – und in einem konstruktiven, wissenschaftlich orientierten (ideologiefreien) Diskurs die Argumente gegeneinander abzuwägen. Alles andere als zielführend, sondern vielmehr kontraproduktiv, weil einer weiteren Wissensgenerierung im Wege stehend, und für das Renommee unseres Fachs schädlich ist es, die dringend zu führende Debatte über ethische und offene Versorgungsfragen vorzeitig zu schließen – bspw. indem man ständig von einem angeblichen Paradigmenwechsel spricht (Romer & Möller, 2020; Romer & Lempp, 2022), der jedoch stets nur behauptet, nicht jedoch belegt oder argumentativ untermauert wird, etwa durch Verweis auf etwaige neue wissenschaftliche Erkenntnisse und einen fundamentalen Verständniszuwachs.

In einer Demokratie – und speziell in einer wissenschaftlichen Kontroverse – muss es möglich sein, Fakten zur Kenntnis zu nehmen und eine sachbezogene, inhaltliche Auseinandersetzung zu führen, anstatt der Empfehlung radikaler Aktivisten zu folgen, jeden Widerspruch, jede Form von Kritik und damit jede Diskussion mit personenbezogenen Anwürfen, Denunziationen, systematischen Cancelling oder gar Drohungen kleinzuhalten (vgl. IGLYO, 2019)19 und auf diese Weise den Diskurs zu verweigern. Sachliche, wissenschaftlich gestützte Argumente gegen die frühzeitige Weichenstellung und Einleitung «geschlechtsangleichender» Maßnahmen, die im ersten Schritt in einer Pubertätssuppression bestehen, sollten ernst genommen werden – es gibt derer zahlreiche –, und diesbezügliche Positionierungen, die unbeirrt auf die mangelhafte, nach den Modified-Grade-Kriterien mit very low certainty zu bewertende Evidenz einer solchen Behandlung hinweisen (vgl. Mahfouda et al., 2019; Chew et al., 2018; Cass, 2022), nicht wahrheitswidrig als «Außenseitermeinung» und als «Ausdruck einer transfeindlichen Gesinnung» abqualifiziert werden. Das wäre das Gegenteil einer konstruktiv-kritischen, fachlichen Debatte und eines den demokratischen Spielregeln wie auch dem selbst gesetzten Anspruch einer guten wissenschaftlichen Praxis folgenden, für alle Beteiligten fruchtbaren Dialogs.

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Media’s Stranglehold on Storm and Stress

The Sorrows of Generation Z about Sex and Gender

Abstract: The feeling of not belonging to one’s birth sex is not new; as a phenomenon it can be traced back to ancient mythology. But it was always rare, whereas recently there has been a sharp increase in gender identity deviations, especially among adolescents. The text explores the extent to which this development is a result of cultural and, above all, media-technological upheavals, which cause young people to believe they are in the «wrong gender» and, in extreme cases, to strive for transition. The most important cornerstones of the planned Self-Identification law are presented, which are however unlikely to do justice to the underlying problems. In conclusion, the text addresses a number of open questions in this regard and attempts initial answers.

Keywords: gender reassignment, transsexuality, gender diversity, gender dysphoria, transsexualism

«Sturm und Drang» nella morsa dei media

Le sofferenze delle giovani generazioni riguardo al proprio sesso

Riassunto: La sensazione di non appartenenza al proprio sesso di nascita non è nuova; come fenomeno, può essere fatta risalire alla mitologia antica. Ma è sempre stato raro, mentre attualmente è in forte aumento il numero di giovani che sperimentano deviazioni dell’identità di genere. Il testo esamina questo problema chiedendosi fino a che punto questo sviluppo sia anche il risultato di sconvolgimenti culturali e, soprattutto, mediatico-tecnologici, che inducono i giovani a credere di essere del «sesso sbagliato» e, in casi estremi, a mirare a una transizione. Vengono presentati i punti chiave più importanti della prevista legge tedesca sull’autodeterminazione, anche se è improbabile che ciò renda giustizia al problema di fondo. Il testo si conclude menzionando una serie di questioni aperte a tale riguardo, cercando di fornire delle prime risposte.

Parole chiave: disforia di genere, incongruenza di genere, transessualità, identità di genere, varietà di genere, riassegnazione del sesso

Biografische Notiz

Volker Tschuschke, Prof. emeritus Dr. Dipl.-Psych. ist Psychoanalytiker und ehemaliger Lehrstuhlinhaber im Fach Medizinische Psychologie an der Universität zu Köln. Er hat an der Universität Ulm habilitiert und unterrichtet und zwei Semester den Lehrstuhl für Psychoanalyse an der Universität Frankfurt am Main vertreten, bevor er den Ruf auf den Lehrstuhl für Medizinische Psychologie am Universitätsklinikum der Universität zu Köln erhielt, den er 17 Jahre lang innehatte. Von 2007 bis 2013 koleitete er die landesweite Studie der Schweizer Charta für Psychotherapie zur differenziellen Wirksamkeit unterschiedlicher psychotherapeutischer Konzepte. Von 2013 bis 2017 leitete er an der Sigmund Freud-Privatuniversität in Berlin das Fach Psychotherapiewissenschaft. Neben seiner Lehrtätigkeit und praktischen Arbeit als Psychotherapeut und Supervisor ist er seit 1980 Psychotherapieforscher mit zahlreichen nationalen und internationalen Publikationen. In den letzten Jahren konzentriert er sich auf den Beitrag psychologischen und psychoanalytischen Denkens zum Verständnis gesellschaftspolitischer Zusammenhänge und mögliche Reformen demokratischer Fehlentwicklungen.

Alexander Korte, Dr. med., Facharzt für Psychiatrie, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Nach Tätigkeiten an der Charité-Universitätsmedizin (Pädiatrie, Pädiatrische Onkologie/Hämatologie) und dem Virchow-Klinikum (Erwachsenen-Psychiatrie und Psychotherapie) in Berlin von 1999 bis 2006, übernahm er an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Klinikum der LMU-Universität München die Position als Oberarzt und stellvertretender Klinikdirektor. Er engagiert sich in Fachmedien wie in der publizistischen Öffentlichkeit, aber auch in der fachpolitischen Diskussion für eine evidenzbasierte wissenschaftliche Herangehensweise in der aktuellen Transgender-Debatte. Auch arbeitet er als fachärztlicher Sachverständiger auf Einladung der Bundesregierung Deutschland am Gesetzentwurf des Ausschusses für Familie, Senoren, Frauen und Jugend zum Selbstbestimmungsgesetz und zur Neugestaltung des Transsexuellengesetzes (TSG) mit.

Kontakt

reklovk@web.de

* Nachdruck aus Sexuologie, 30(1–2), 2023, 7–21 mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

1 Zur Transsexualität vgl. Nieder et al., 2013, im selben Band.

2 https://www.zeit.de/2021/10/germanys-next-topmodel-diversitaet-heidi-klum-hengameh-yaghoobifarah: «Es ist mir egal, ob ihr dick oder dünn seid, schwarz oder weiß, weiblich, trans oder nonbinär – was zählt, ist nur, dass ihr einzigartig seid.» (Zitat von Heidi Klum). In der Sendung sind zuletzt wiederholt Transgender-Models aufgetreten und zum Sieger gekürt worden.

3 «Frühstück, Handy, Unterricht, Handy (falls erlaubt), Unterricht, Handy, Unterricht, Handy, Mittagessen, Handy, Hausaufgaben, Handy, Handy, Sport, Handy, Abendessen, Handy, Handy.» (Schipp, 2021, 13)

4 Vgl. Bilek, J., 2023: «Examining the Instagram account of TomBoyX underwear and Vogue model, Chellaman, a young woman who has had her healthy breasts amputated to express a ‹non-binary identity›, I can feel the allure of beautiful, young faces, brilliant performance, talented photography, fashion, color, and style as the photos coalesce into corporately stylized glamour.» Vgl. Wichert, 2022.

5 Psychiatrische Erkrankungen und Klassifikationssysteme sind nicht einfach da, sondern Diagnosen und Klassifikationen werden gemacht – so lassen sich die Einsichten des Wissenschaftsjournalisten Ethan Watters (2016) und des Medizinhistorikers Edvard Shorter (1992) zusammenfassen.

6 Vielfach wird in Texten immer noch der Begriff einer sog. Geschlechtsumwandlung verwendet; eine Geschlechtsumwandlung ist jedoch, anders als der Wechsel der sozialen Geschlechtsrolle und die Durchführung körperverändernder Maßnahmen zur Angleichung des äußeren Erscheinungsbildes an das geschlechtsbezogene Identitäts- bzw. Zugehörigkeitsgefühl, ein Ding der Unmöglichkeit. Um uns von dem Narrativ des «Im-falschen-Geschlecht-geboren» zu distanzieren, verwenden wir im Folgenden auch die verkürzte Form «Geschlechtsangleichung» zur (euphemistischen) Beschreibung einer somato-medizinischen Transitionsbehandlung nur in Anführungsstrichen.

7 Diese schließt auch eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Geschlechtsrollenstereotypen und internalisierter Homophobie ein.

8 Begriffe, die aufgerufen werden, sind u. a. Folgende: gender identity, gender dysphoria, gender incongruence, transgender/cis-gender, non binary, LGBT, LGBTQ, LGBTQ+, LSBT, LSBTI, LSBTIQ, FLTI (Frauen, Lesben, Trans*, Inter*), FINTA (Frauen, Intergeschlechtliche, Nichtbinäre, Transgender- und Agender-Personen), gender-queer, demi-gender, pan-gender, non-gender, fluide Geschlechtsidentität u. v. m.

9 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2015; McLaughlin et al., 2023.

10 Vgl. Ainsworth, 2015; Montañez, 2017; Viloria & Nieto, 2020; zur Diskussion: Wright, 2020.

11 Aus ärztlicher Perspektive ist das Akronym DSD, Disorder of Sex Development, zu bevorzugen, weil es dem internationalen Sprachgebrauch entspricht (Hughes et al., 2006) und weil es, jenseits der Diskussion um die richtige (nicht wertende) Nomenklatur, dem ärztlichen Auftrag (Behandlung von krankheitswertigen Zustanden) am besten gerecht wird. Der Oberbegriff vereint eine heterogene Gruppe seltener angeborener Variationen der genetischen, hormonalen, gonadalen oder genitalen Anlagen eines Menschen (Thyen et al., 2006).

12 Zur Phänomenologie und Häufigkeit der Störungen der somatosexuellen Differenzierung vgl. Bosinski et al., 2021.

13 Die Bundesärztekammer (2020) hatte in einer ausführlichen Stellungnahme deutlich gemacht, dass sich mit Intersexualität/DSD und Transsexualität unterschiedliche medizinische, rechtliche und ethische Fragestellungen verbinden und begründet, warum es hier einer differenzierten, jeweils eigenen rechtlichen Regelung bedarf. Das hält die Politik nicht davon ab, mit der geplanten Einführung des SBGG die für Trans-Personen und DSD-Betroffene je unterschiedlichen Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrags in ein gemeinsames Verwaltungsverfahren zu überführen.

14 Vgl. Stellungnahme der DGKJP vom 31.05.2023 zum Referentenentwurf (www.dgkjp.de/entwurf-des-selbstbestimmungsgesetzes).

15 Die zahlreichen, in den vergangenen zwei Jahrzehnten vorgelegten, durchweg interessanten und anerkennenswerten Beiträge aus den unterschiedlichen Forschungsfeldern der Neurogenetik, Neuroendokrinologie, Neuroanatomie und Funktioneller Bildgebung hier überblicksartig wiederzugeben, würde den Rahmen sprengen. Es muss auf ausführliche Darstellungen an anderer Stelle verwiesen werden (z. B. Korte et al., 2021, 2022a, 2023).

16 «Diese gute Absicht […] kippt zunehmend ins Gegenteil. Heute verschaffen sich Trans-Aktivisten lautstark Gehör mit ihren moralisch aufgeladenen, politischen Forderungen, die eine Minderheit betreffen, denen sich die Mehrheit aber anpassen soll. Der Verdacht ist nicht ganz abwegig, dass sich Ärzte diesem Zeitgeist beugen, um ihre Sensibilität für soziale Gerechtigkeit zu beweisen und nicht als transphob zu gelten. Widerstand gegen das Modephänomen kommt inzwischen aus der Szene selbst. Viele Transgender grenzen sich von den ‹Transtrendern› ab. So nennen sie die Trittbrettfahrer» (Schmid, 2020).

17 Vgl. Looti, 2022 zum Konzept der «parataxic distortion» von Harry Stack Sullivan.

18 Im Sinne Foucaults’ lässt sich ein Dispositiv definieren als ein vielschichtiger Komplex von themenbezogenen Vorstellungen, Anschauungen, Meinungen, Aussagen, Regeln, Bedingungen, gesellschaftlichen Konventionen und Praktiken.

19 Diese Empfehlungen lassen sich nachlesen in einem den Verfassern vorliegenden, inzwischen nicht mehr auf der Homepage des Netzwerks IGLYO (International Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer and Intersex Youth & Student Organisation) abzurufenden Strategie-Papiers, das zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele unter anderem vorsieht, die Debatte um «Trans-Rechte» aus dem medizinischen Kontext herauszulösen und stattdessen gezielt eine Kampagne auf den Weg zu bringen, die unter der Überschrift «Menschenrechte» firmiert.