Christa Futscher
Psychotherapie-Wissenschaft 13 (2) 2023 11–18
www.psychotherapie-wissenschaft.info
https://doi.org/10.30820/1664-9583-2023-2-11
Zusammenfassung: Um altes Wissen mit neuer Forschung zu verbinden, ist es hilfreich, mittels wissenschaftlicher Methodik eine Beziehung zwischen beiden herzustellen. Auf einen Hinweis von Verena Kast hin wurden Zitate von Bruce Wampold (*1948) und von C. G. Jung (1875–1961) im Rahmen empirisch qualitativer methodologischer Überlegungen verglichen. Die Resultate sind sowohl für die psychotherapeutische Praxis als auch in methodologischer Hinsicht relevant. Die Besonderheit an dieser Ausgangshypothese ist die Annahme, dass vorhandenes Wissen ein aus den jeweils verschiedenen Ursprungskontexten entstandenes Fachwissen darstellt, das in Zitaten verdichtet und konkret ausformuliert ist. Diese Aussagen, die zu unterschiedlichen Zeiten auf unterschiedlichen Kontinenten in unterschiedlichen soziokulturellen Forschungskontexten formuliert wurden, werden damit in Zusammenhang gesetzt. Untersucht wird das Thema effektive Therapierende, wobei dieses nur von Wampold in einem Artikel explizit benannt wird. Von Jung finden sich in mehreren Artikeln ähnliche Äusserungen, die jedoch zuerst ermittelt werden mussten, um sie den Aussagen Wampolds gegenüberstellen zu können. Aus der Untersuchung einer exemplarisch herausgegriffenen Gegenüberstellung von Zitaten über effektive Therapierende ergeben sich folgende Erkenntnisse: Zum einen steht das alte Wissen Jungs, trotz der Differenzen in der Entstehungsgeschichte, in enger Verbindung mit dem kontextuellen Metamodell Wampolds, zum anderen schliesst es an neue Forschungen von Tschuschke bzw. Sell und Benecke an.
Schlüsselwörter: Qualität therapeutischer Beziehung, Persönlichkeitsentwicklung, Wampold, Jung, persönliche Fähigkeiten, therapeutische Fertigkeiten, methodische Perspektivenvielfalt, psychotherapeutisches Kernwissen, Elastische Bedeutungsräume, altes und neues Wissen, Verbundenheit mit der Methode, Allegiance
In der empirischen qualitativen Forschung werden unterschiedliche Methoden eingesetzt, um einerseits interaktive Prozesse zwischen Menschen zu untersuchen oder andererseits interaktive Prozesse als Analyseinstrument zu nutzen. Ebenso können theoretische Untersuchungen einzelner Wissenschaftler*innen durch das Zusammentragen von Textmaterial mit anschliessender Analyse und vorgenommenen Vergleichen zum Erkenntnisgewinn beitragen. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Beschäftigung mit qualitativen Methoden im Hinblick auf den Wirkfaktor Psychotherapeut*in für eine theoretische Untersuchung von Bedeutung sein kann. Für die Beantwortung dieser Frage werden zunächst Grundlagen sozialwissenschaftlicher und psychotherapiewissenschaftlicher Methoden beleuchtet und in Bezug auf die Perspektiven- und die Kontextvielfalt dargestellt. Ein im Anschluss vorgenommener exemplarischer Vergleich zeigt, wie auf Basis der Kombination dieser empirisch methodologischen Grundgedanken auf theoretischer Ebene ein Ergebnis erzielt werden kann. Im Beispiel werden Zitate mit augenscheinlich ähnlichen Aussagen unter Bezugnahme auf ihre Entstehungskontexte betrachtet.
Forschungsprozess und Interaktion. Beim wissenschaftlichen Arbeiten finden zwischen Fragestellung und Ergebnis zwei Prozesse statt: Datenerhebung und Auswertung. Zwischen beiden erfolgt die Datendarstellung als fixiertes Abbild der Information aus der Erhebung in einer für die Auswertung geeigneten Textform. Stichwortartig lässt sich der Vorgang wie folgt beschreiben: Datenerhebung (Prozess) – Datendarstellung (fixiertes Abbild) – Auswertung (Prozess). In den Human- und Sozialwissenschaften greifen die Erhebungs- und Auswertungsprozesse sinnvoll ineinander (Baur & Blasius, 2022, S. 132). Auf der zwischenmenschlichen Ebene werden aus Interaktionsprozessen Informationen gewonnen, die sowohl bei der Datenerhebung als auch im Auswertungsverfahren eine Rolle spielen. Die Auswahl von Methode, Erhebungs- und Auswertungsverfahren muss nach der Auseinandersetzung mit Grundlagentheorien an die Ausgangssituation angepasst werden (ebd., S. 130). Neben der zwischenmenschlichen Interaktion ist die Perspektivenvielfalt ein wesentlicher Faktor, um der Kollektivität von Wissen und Verstehen gerecht zu werden, da durch Perspektivität das Verstehen mit dem Subjekt verbunden wird (ebd., S. 608). «In der wissenschaftlichen Praxis darf das Verstehen aber kein Reflex sein. Es muss eine Reflexion sein: ein bewusster, sich selbst beobachtender und steuernder, den Sinn gegebener Zeichen aus der Perspektive des Zeichen Setzenden rekonstruierender Interpretationsprozess» (ebd., S. 612). Das bedeutet, dass auch die Einwirkung der Forschenden auf Datenerhebung, Datendarstellung und Datenverarbeitung reflektierend eingebunden wird. Durch die Beteiligung unterschiedlicher Menschen an einzelnen Prozessen ist der Umgang mit Kontexten ein weiterer zentraler Bestandteil von Untersuchungen in diesem Bereich. Im Folgenden werden methodologische Grundannahmen aus den Sozial- und den Psychotherapiewissenschaften beleuchtet.
Sozialwissenschaft. In der sozialwissenschaftlichen Forschung werden neben statistischen Ansätzen Daten aus Interviews, Gruppendiskussionen oder Beobachtungen mit zwischenmenschlicher Interaktion gewonnen. Der dabei generierte, zunächst nicht eindeutige implizite Sinngehalt ist im transkribierten Text enthalten (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2021, S. 367ff.), und je nach Methode wird bspw. zwischen gemeintem und gesagtem bzw. latentem oder manifestem Sinngehalt usw. unterschieden. Durch die Auseinandersetzung mit diesem mehrdeutigen Material wird ‹hinter› den Text geschaut, wobei mithilfe menschlicher Interaktion implizite Strukturen wissenschaftlich expliziert werden, indem zur Klärung entweder mehrere einzelne Begutachtende für ein Material herangezogen werden oder aber mehrere Menschen in Gruppen diskutieren, bis eine ‹Einigung› über das Material stattgefunden hat. Sozialwissenschaftliche Auswertungsverfahren sind Annäherungsverfahren, die mithilfe verschiedener Perspektiven eine Sättigung im Verständnis anstreben, bis keine relevanten Auffassungsunterschiede mehr anzunehmen sind und damit die Basis für einen Vergleich geschaffen wird (ebd., S. 254). Beispiele für Auswertungsmethoden sind die Objektive Hermeneutik, die Grounded Theory oder die dokumentarische Methode. Bei diesen Herangehensweisen steht die Kommunikation als Ausdruck menschlicher Interaktion im Fokus, um geeignete Zwischenergebnisse in Form verdichteter Einzelaussagen für Vergleiche herzustellen. Diese dienen dazu, als Basis für die Theoriebildung hinsichtlich sozialwissenschaftlicher Überlegungen Gemeinsamkeiten und Unterschiede festzustellen. Die Überschneidungen zwischen einzelnen Perspektiven führen zu nachvollziehbaren Ergebnissen, deren Vergleiche einen Erkenntnisgewinn beinhalten.
Triangulation als Bindeglied. Flick (2011, S. 19) weist auf die Schwierigkeit hin, dass «übereinstimmende Ergebnisse unwahrscheinlich» sind, und schlägt vor, nicht Deckungsgleichheit, sondern Komplementarität anzustreben. Dies entspricht mehr einem Zusammenpassen von Erkenntnissen statt einer völligen Übereinstimmung. Er verweist hierbei auf die Triangulation als Strategie zur Erlangung eines tieferen Verständnisses mit allgemeinem Erkenntnisgewinn (ebd., S. 20). Die Überlegung basiert auf der ursprünglichen Anwendung der Triangulation als Fachbegriff, der aus der Landvermessung adaptiert wurde. Dort beschreibt er eine Methode, eine Position aufgrund zweier Perspektiven bzw. Referenzpunkte zu bestimmen (ebd., S. 11f.). Mit diesem Vergleich wird der Mehrwert von Schnittpunkten durch Perspektivenvielfalt erklärt. Die Parallele zur Sozialforschung lässt sich mit Flick (ebd., S. 20f.) so beschreiben: «Dabei geht es nicht um eine pragmatisch konzipierte Verknüpfung verschiedener Methoden, sondern um die Berücksichtigung ihrer jeweiligen theoretischen Hintergrundannahmen.» Die Hintergründe von Perspektiven spielen als soziokulturelle Kontexte in verschiedenen Formen eine grundlegende Rolle, bspw. der Common Sense als Basis für Gruppenverständnis (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2021, S. 14ff.).
Psychotherapiewissenschaft. In ähnlicher Weise können im Bereich der spezifisch psychotherapiewissenschaftlichen Forschung anhand der Überlegungen von Greiner (2020), Wallner (1992) und Dreher (1998) Bezüge zu Differenzierungsprozessen hergestellt werden. Unter Beachtung der Ebene von geschriebener Sprache gelingt dies auf zwei Arten, auf eine experimentelle und eine beobachtende Art. Im experimentalhermeneutischen Psychotherapieschulendialog (PTSD) wird der Fokus auf den jeweiligen soziokulturellen Kontext als Ausgangsbasis für Texte einzelner Therapieschulen gelegt und die Unterschiedlichkeit genutzt, um mithilfe fremder Perspektiven Erkenntnis zu gewinnen (Greiner & Jandl, 2015). Klar abgegrenzte Textausschnitte aus einem Fachkontext werden aktiv in einen artfremden Kontext transferiert, weshalb diese Technik Experimentelle Trans-Kontextualisation genannt wird (Greiner, 2020, S. 16ff.) Die bei diesem Vorgehen auftretende Irritation dient als Ausgangsbasis für weiterführende Erkenntnisse und bezieht damit die Verfremdungsidee ein von Wallner (1990, S. 86).
Der Unterschied zwischen diesen Überlegungen und sozialwissenschaftlichen Methoden liegt in der Beschaffenheit des Ausgangsmaterials. Dieses wird nicht aus einer Handlungspraxis gewonnen, sondern liegt bereits in Textform vor. Die Auseinandersetzung mit dem Material wiederum findet durch Zusammenwirken einer grösseren Anzahl an Menschen statt.
Im Gegensatz zum Umgang mit einer künstlich erzeugten Veränderung durch einen unvermittelten Kontextwechsel stellt Dreher (1998) Überlegungen zum natürlichen und kontinuierlichen Veränderungsprozess an. Dabei wird der soziokulturelle Einfluss auf der Ebene von Begriffen im Rahmen von Konzeptforschung betrachtet, indem die Autorin bei der Entwicklungsgeschichte von schulenspezifischen Fachbegriffen auf geringfügige subjektive Auffassungsunterschiede hinweist, durch die über Verständnisdifferenzen Theorien auf längere Sicht nachhaltig verändert werden (ebd., S. 153). In diesem Punkt bestehen Übereinstimmungen mit Wallner (1990), der sich mit ähnlichen Bedeutungsräumen beschäftigt, den sogenannten Mikrowelten (Greiner & Jandl, 2015, S. 19). Liegen die Bedeutungen solcher Räume weit auseinander, wirkt eine Bedeutung aus dem einen Raum im anderen fremd. Wallner (1990, S. 86) leitet daraus seine Idee der Verfremdung ab. Wallner und Greiner beschäftigen sich also mit dem Endergebnis des von Dreher beschriebenen Veränderungsprozesses. Im Sinne des veränderlichen Spielraums spricht Dreher (1998, S. 151f.) von der «Elastizität des Bedeutungsraums» sowie von «elastischen» Begriffen, wobei sie betont, dass alltagssprachliche Worte ohne präzise Definition verstanden werden. Diese Unterscheidung zwischen Wissenschafts- und Alltagsgebrauch wird insofern weitergeführt, als sie die wissenschaftliche Anwendung als Erweiterung zum alltäglichen Gebrauch darstellt (ebd., S. 16). Dies wird damit begründet, dass Wissenschaftler*innen ein «implizites, lebensweltliches Vorwissen» über allgemeine Begriffe haben (ebd.). «Deshalb kann die wissenschaftliche Beschäftigung zunächst – ausgehend von diesen alltagssprachlichen Verwendungen – auch auf einem nicht präzise explizierten, also definierten, Begriff […] aufbauen» (ebd.). In der Alltagssprache ist der elastische Bedeutungsunterschied von Begriffen also vernachlässigbar gering, weshalb diese als Basis für allgemeines Verständnis dienen können. So kann ein sachbezogenes Thema, das in Alltagssprache ausgedrückt wird, unter Einbeziehung der Theorien von Dreher und Greiner untersucht (Futscher, 2023, S. 44ff.) und durch sich deutlich unterscheidende Entstehungskontexte im Sinne der Triangulationsidee (Flick, 2011, S. 95) aus verschiedenen Richtungen wissenschaftlich erfasst werden. «Die […] Differenzierungen zwischen […] Forschungsansätzen können für eine […] Annäherung an den untersuchten Gegenstand genutzt werden. An dieser Stelle erhält […] das Konzept der Triangulation seine spezielle Relevanz als ‹Versuch›, verschiedene Datensorten aufeinander zu beziehen» (ebd., S. 23).
Theoretische Untersuchung. Bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen kann eine theoretische Neuzusammenstellung von fertigem Fachwissen erfolgen. Dies gelingt durch die Bearbeitung wissenschaftlicher Aussagen in Form von Zitaten, wobei die Durchführung durch einzelne Personen ausreichend ist, da der implizite Sinngehalt im sozialwissenschaftlichen Sinn bei wissenschaftlichen Texten auf ein Minimum reduziert ist. Wenn für konkrete Zitate im Sinne von Mikrowelten die Entstehungskontexte verfügbar sind, kann ein unmittelbarer Vergleich angestrebt werden, da die Perspektivenvielfalt nicht erst methodisch erzeugt werden muss, sondern wie bei Greiner schon durch den Kontext als Ausgangssituation vorliegt. Bei Zitaten in Alltagssprache und ohne Fachbegriffe kann im Sinne Drehers auf die Rekonstruktion von implizitem Wissen verzichtet werden. Nach dem Differenzierungsprozess kann in Anlehnung an Greiners Ergebnisse eine Verbindung zweier augenscheinlich ähnlicher Zitate erfolgen.
«Da es jenseits bzw. außerhalb spezieller soziokultureller Rahmenbedingungen jedenfalls keine Wissenschaften geben kann, gilt prinzipiell: Wissenschaft und Forschung sind kulturabhängig» (Greiner & Jandl, 2015, S. 18). Die beiden Autoren dieser Aussage betonen, dass sich eine Erkenntnis aus der Reflexion der Abhängigkeit vom soziokulturellen Kontext ergibt (ebd., S. 17). Kommt zu den räumlichen Unterschieden, hier Schweiz und USA, eine zeitliche Komponente hinzu, erste Hälfte des 20. und 21. Jahrhunderts, kann mithilfe weit auseinander liegender Perspektiven durch das Herausarbeiten einer themengeleiteten Schnittmenge ein zeitübergreifendes Kernwissen herauskristallisiert werden (Futscher, 2023, S. 71). Parallel zu diesem konstanten Kern wird der Bereich der ‹Elastizität› innerhalb der Auffassungen aufgedeckt, wobei die untersuchende Person die Ergebnisse, ausser im Rahmen der Zusammenstellung der Kontexte, kaum beeinflussen kann. Durch die deutliche Trennung nach Raum und Zeit kann der jeweilige Entstehungskontext zu einzelnen Aussagen mithilfe einer einzigen Lesart zur Differenzierung beitragen. Auf diese Art haben sich Ergebnisse aus dem Vergleich der Aussagen Wampolds und Jungs ergeben.
Ausgangslage. Basierend auf einem Hinweis von Verena Kast in einer Vorlesung am C. G. Jung-Institut in Zürich wurden zum Thema effektive Therapierende zwei Aussagen untersucht, die Ähnlichkeiten aufweisen, obwohl die Autoren unabhängig voneinander forschten (Futscher, 2023). Es handelt sich zum einen um den US-amerikanischen Psychotherapiewissenschaftler Bruce Wampold (*1948) und zum anderen um den Gründer der Psychotherapierichtung Analytische Psychologie, Carl Gustav Jung (1875–1961). Beide eint das Interesse dafür, was psychotherapierende Menschen in ihrem Beruf wirksam macht. Der Artikel «Qualities and actions of effective therapists» Wampolds (2011) und der Band Praxis der Psychotherapie Jungs (1929–1951/1995) enthalten Zitate, die aufgrund ihrer augenscheinlichen Ähnlichkeit gegenübergestellt werden können. Es wurden folgende Aussagen zum Thema effektive Therapierende aus einer grossen Anzahl an Zitaten ausgewählt:
Zitat Wampold: «Effektive Therapierende verfügen über ein ausgeklügeltes Set an zwischenmenschlichen Fähigkeiten» (Wampold, 2011, S. 3).
Zitate Jung: «Der große Heilfaktor der Psychotherapie ist die Persönlichkeit des Arztes, die nicht a priori gegeben ist, sondern eine Höchstleistung darstellt» (Jung, 1945/1995, § 198).
«Die menschliche Qualität […] stellt das gesamte Rüstzeug der seelenärztlichen Kunst, das sich in beständiger Übung […] entwickelt, verfeinert und systematisiert hat, in den Dienst […] der Selbstvervollkommnung» (Jung, 1929/1995, § 174).
Diese Zitate, die keine Fachbegriffe, sondern alltagssprachliche Ausdrücke beinhalten, bilden die Basis einer exemplarischen Untersuchung im Hinblick auf Ähnlichkeiten, Unterschiede und weiterführende Übereinstimmungen (Futscher, 2023, S. 82). Diese im Folgenden zusammengefasste Untersuchung basiert auf den theoretischen Überlegungen Drehers (1998), Greiners (2020) und Wallners (1992) und kann wie dargestellt durch sozialwissenschaftliche methodologische Gedankengänge ergänzt werden.
Methodologische Überlegungen. Nach Wallner (1992, S. 86) ist für jedes Argument und jede Argumentationskette ein eigener Argumentationskontext erforderlich, damit die Aussage beibehalten wird. Auf Basis dieser Annahme kann die notwendige Rückverfolgung der Argumentationsketten durch die Beschäftigung mit den Kontexten Jungs und Wampolds erfolgen (Futscher, 2023, S. 12). Aus der durch Wampold gesetzten allgemeinen Effektivität von Therapierenden ergibt sich folgende Fragestellung: «Inwieweit können anhand augenscheinlich ähnlicher Zitate von Wampold und Jung deren Einstellungen in Bezug zur Wirksamkeit von Therapierenden verglichen werden und welche weiterführenden Übereinstimmungen resultieren aus einer entsprechenden Gegenüberstellung?» (ebd., S. 9). Die Beantwortung wird anhand eines Zitatpaars exemplarisch im Rahmen der Lesart der Autorin vorgeführt (ebd., S. 11).
Nachdem der implizite Sinngehalt aufgrund des sachlichen Themas als gering eingeschätzt wird (ebd., S. 44f.) und die Autorin das verstehende Bindeglied zwischen den expliziten Aussagen darstellt, wird kein Rekonstruktionsprozess im sozialwissenschaftlichen Sinn in Gang gesetzt (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2021, S. 452ff.). Stattdessen wird ausgehend von den ausgewählten Textstellen ein einfacher Verstehens- und Vergleichsprozess beschrieben, der angelehnt an qualitative Erhebungs- und Interpretationsmethoden auf mehreren Ebenen vorgenommen wird (Futscher, 2023, S. 11). Die Basis für das Verständnis bildet eine Beschäftigung mit der entsprechenden Literatur. Die verschiedenen Vergleichsebenen beziehen sich auf die verwendeten Begriffe, den Textkontext, den Lebens- und Forschungskontext und in Ansätzen auf eine gesellschaftspolitische Ebene (Futscher, 2023). Damit der subjektive Einfluss der Untersucherin möglichst gering bleibt, wird die Beleuchtung der Kontexte zuerst nur themageleitet und ohne Berücksichtigung der Zitate sowie nach Autoren getrennt durchgeführt. Nach diesem ersten Verstehen werden die Zitate in der Lesart der Autorin vorgestellt. Im Anschluss an die nähere Beschäftigung mit den augenscheinlich ähnlichen Zitaten ohne Kontext erfolgt der Vergleich zur Erkundung von Ähnlichkeiten, Unterschieden und möglichen Synthesen auch unter Einbezug der Kontexte (ebd., S. 53ff.). Zusätzlich werden die beiden Aussagen der Zitate zu einer Aussage verbunden. Im Überblick lässt sich das Vorgehen wie folgt darstellen (Abb. 1):
1. themageleitete Zusammenstellung der unterschiedlichen Kontexte
2. zitatgeleitete Darlegung der augenscheinlichen Ähnlichkeit
3. Vergleich auf verschiedenen Ebenen zur Differenzierung von Ähnlichkeiten und Unterschieden
4. Synthese der Zitate: Auf Basis des vertieften Verständnisses wird aus den Sätzen eine einzige gemeinsame Aussage gebildet, ohne dass diese neue Einheit genauer untersucht wird.
Abb. 1: Übersichtsdarstellung des Untersuchungsablaufs: Durchgehende Linien verweisen auf Inhalte, die bei der Untersuchung weiterverfolgt wurden. Durchbrochene Linien zeigen an, dass das Thema nur angeschnitten und nicht weiterführend behandelt wird.
Themageleitete Zusammenstellung der unterschiedlichen Kontexte. Im Folgenden werden die von den Zitaten unabhängigen Kontexte grob nachskizziert: Der übergeordnete soziokulturelle Kontext von Therapierenden wird im Lichte der Gesundheitsversorgung und der Geschichte als Wirkfaktor aufbereitet. Dabei wird ersichtlich, dass die Wirkfaktoren in den drei deutschsprachigen Ländern Mitteleuropas eine zentrale Bedeutung in der Gesetzgebung haben und diese auf die Forschung einwirkt. Aus der Geschichte der Therapierenden als Wirkfaktoren wird deutlich, dass der Placeboeffekt vor Jungs Zeiten zur Eliminierung des Interesses an wirksamen Heilenden beigetragen hat (Ellenberger, 2005), dass Jung (1929–1951/1995) um die Anerkennung des neuen Heilfaktors in Form der Person der Therapierenden gekämpft hat und Wampold et al. (2017, S. 12) mit metaanalytischen Ergebnissen die Popularität und die Anerkennung der Therapierenden als allgemeiner Wirkfaktor unterstützt haben.
Der Lebenskontext Wampolds ist geprägt von einem Mathematikstudium und einem späteren Interesse für die Psyche der Studierenden, gefolgt von seiner Professorentätigkeit im Fach Psychotherapiewissenschaften (Gold Medal Award for Life Achievement in the Application of Psychology, 2011). Die psychotherapiewissenschaftliche Forschungstradition in den USA ist dadurch gekennzeichnet, dass neben den Fächern Psychologie und Medizin auch den Erziehungswissenschaften eine bedeutende Rolle zukommt (Wampold et al., 2017, S. 7). Dadurch ist der Forschungsstil metaanalytisch geprägt, was zu neuen Interpretationsmöglichkeiten geführt hat (ebd., 2017, S. 211). Ein Beispiel ist die zentrale Einsicht, dass durch die Anwendung eines bestimmten Designs in klinischen Studien Interpretationen des medizinischen Modells infrage gestellt werden. Exemplarisch kann auf den Einsatz von geschachtelten Designs verwiesen werden, bei denen eine bestimmte Zuordnung von Klient*innen zu Therapierenden vorgenommen wird. Es wurde aufgedeckt, dass durch diese in klinischen Settings angewandte Methode der Effekt einzelner Methoden gegenüber der Wirksamkeit von therapierenden Personen überschätzt wurde (ebd., S. 212ff.). In diesem Sinne und aufgrund weiterer Überlegungen gilt das kontextuelle Metamodell als Gegenentwurf zum medizinischen Metamodell (ebd., S. 214). Es verweist nicht nur auf die Bedeutung der Person von Therapierenden und deren Kompetenzen, sondern auch auf deren prozesshafte Wechselwirkung mit den von ihnen angewandten Behandlungsmethoden (ebd., S. 325), was sich im Begriff Allegiance widerspiegelt.
Auch Jung (1929–1951/1995, S. 33ff.) befasste sich in dieser Zeit, in der seine Aufsätze entstanden sind, mit den Unterschieden zwischen medizinischer Praxis und Psychotherapie, wenngleich auf andere Weise. Im zweiten Quartal des 20. Jahrhunderts setze er sich für die Anerkennung der Unterscheidung zwischen einer Heilung der Seele und einer Heilung des Körpers ein (ebd., S. 86ff.) und wandte sich mit diesem Anliegen wiederholt an ein medizinisches Fachpublikum. Es war ihm wichtig, dass der Mensch in seiner Gesamtheit Beachtung findet und die intersubjektive Dynamik in der therapeutischen Beziehung in den Fokus rückt (ebd., S. 64ff.). Dabei wurde speziell die Notwendigkeit der Selbstanalyse von Therapierenden zur Persönlichkeitsentwicklung hervorgehoben (ebd., S. 119ff.) und gezielt auf das notwendige Können bei der therapeutischen Tätigkeit verwiesen (ebd., S. 94ff.). Die Knappheit in der Darstellung der Kontextgegenüberstellung ist dem Artikelumfang geschuldet.
Zitatgeleitete Darlegung der augenscheinlichen Ähnlichkeit. Die beiden Zitate werden für die kontextlose Untersuchung in einzelne Teile zerlegt und durch die Lesart der Untersucherin ihrem Verständnis gemäss dargestellt (Futscher, 2023, S. 44ff.). Die subjektiv empfundenen Augenfälligkeiten dienen in Anlehnung an Wallner (1992) als Ausgangspunkt. Er bezeichnet «augenfällige Erfahrung» (ebd., S. 13) als Alternative zu «philosophischer Spekulation» (ebd., S. 13f.) und verweist damit auf eindeutige Nachvollziehbarkeit. Der Begriff augenfällige Ähnlichkeit wird zur augenscheinlichen Ähnlichkeit umbenannt, um eine Unterscheidung zwischen dem Ins-Auge-Springen als subjektivem Vorgang der Entdeckung und der vorliegenden Eigenschaft des Ähnlichseins des Zitats zu schaffen (Futscher, 2023, S. 12).
Vergleich auf verschiedenen Ebenen zur Differenzierung von Ähnlichkeiten und Unterschieden. Durch Beiziehen der verschiedenen Kontexte ergeben sich auf begrifflicher Ebene erste Differenzierungen, wie im Folgenden beispielhaft dargestellt (ebd., S. 50ff.): Ersichtlich wird zunächst, dass sich die beiden Forscher in den wissenschaftlichen Herangehensweisen durch unterschiedliche Zugänge zu Fallmaterial unterscheiden. Jung bezog seine Erkenntnisse aus einer umfangreichen eigenen praktischen Tätigkeit, während Wampold zahlreiche fremde Fälle als Ausgangsbasis für seine Metaanalysen nutzte. Zudem stellt Jung sein Wissen zur Wirkung der Therapierenden aus einem inneren Bezug zum therapeutischen Geschehen bereit; Wampold hingegen legt sein Wissen auf der Basis fremder Behandelnden und ihres Bezugs zu ihren Klient*innen dar (ebd., S. 21ff.). Jung hat mit empirisch qualitativer und quantitativer Forschung, dem Assoziationsexperiment, begonnen und sich später hermeneutisch geisteswissenschaftlich ausgedrückt (Roesler, 2010, S. 12). Auch Wampold war zuerst mehr der Mathematik verbunden und fand dann über Metaanalysen und sein pädagogisch geprägtes Umfeld Zugang zu psychischen Feldern (Gold Medal Award for Life Achievement in the Application of Psychology, 2011). Obwohl beide während verschiedener Phasen in der Psychotherapiegeschichte sowie auf unterschiedlichen Kontinenten tätig waren, zeigt sich eine Gemeinsamkeit in den Kontexten der beiden Autoren darin, dass beide gegen rein medizinische Herangehensweisen argumentieren (Futscher, 2023, S. 65): Wampold (2017) entwickelte aufgrund solcher Überlegungen sein kontextuelles Metamodell gegenüber dem medizinischen Metamodell und Jung (1929–1951/1995) spricht davon, seine Psychologie als Gegenmodell zur medizinischen Praxis emanzipieren zu wollen, um die damals neue Herangehensweise in der Behandlung der Seele in Abgrenzung zur Behandlung des Körpers zu etablieren.
Synthese der Zitate. Die Analyse der Zitate mit und ohne Kontext dient der Erfassung der Perspektiven, während der anschliessende Vergleich zu dem Verständnis beiträgt, dass die Aussagen beider Autoren mit geringfügigen Ergänzungen zu einer sinnvollen Einheit zusammengeschlossen werden können (Futscher, 2023, S. 63f.). Diese durch runde Klammern gekennzeichneten Ergänzungen in der untenstehenden Darstellung wurden aufgrund des Kontextes hinzugefügt und verändern daher den Sinngehalt in der Lesart der Autorin nicht:
«Der große Heilfaktor der Psychotherapie ist, (im Sinne) effektiver Therapierender, die Persönlichkeit des Arztes, die nicht a priori gegeben ist, sondern eine Höchstleistung darstellt. Sie verfügt über ein ausgeklügeltes Set an zwischenmenschlichen Fähigkeiten, (denn) die menschliche Qualität stellt das gesamte Rüstzeug der seelenärztlichen Kunst, das sich in beständiger Übung entwickelt, verfeinert und systematisiert hat, in den Dienst der Selbstvervollkommnung» (ebd., S. 64).
Diese synthetisierte Fassung der Zitate zeigt, dass mithilfe des erlangten Hintergrundwissens eine einzige für die Autorin sinnvolle Aussage zu dem Thema generiert werden kann, wenngleich daraus bisher keine weiteren Schlüsse gezogen oder andere Analysemethoden angewendet wurden.
Ergebnisse. Es wurden 9 weitgehende Ähnlichkeiten, 19 deutliche Unterschiede und 5 die Aussagekraft verstärkende (Teil-)Aspekte ermittelt (ebd., S. 65ff.). Die mehrheitlich gefundenen Differenzen erweisen sich als ineinandergreifende Ergänzungen (ebd., S. 65f.). Die weitgehenden Ähnlichkeiten in den angeführten Aussagen Jungs und Wampolds bestehen bspw. darin (ebd., S. 65), dass Behandelnde mithilfe bestimmter Fähigkeiten ihren Beruf ausüben, dass Erfolgserwartung und Ziel wesentlich sind und dass die notwendigen Fähigkeiten der Therapierenden erlernbar sind sowie verbessert werden können und sollen. Bei den Wirksamkeitsüberlegungen spielt die therapierende Person sowohl bei Jung (1929–1951/1995) als auch bei Wampold (2011) eine aktive Rolle in Bezug auf den Ausbau professioneller Fähigkeiten und Möglichkeiten, zumal die absichtliche Persönlichkeitsentwicklung laut den beiden Autoren für die Berufsausübung qualitätsstiftend ist (Futscher, 2023, S. 75). Die differenzierte Beachtung therapierender Personen als fähige Dienstleistende schliesst an das von beiden Autoren vertretene humanistisch geprägte Menschenbild an und bei beiden wird eine vergleichbare Abgrenzung gegenüber einer medizinischen Herangehensweise ersichtlich, ohne dass naturwissenschaftliche Aspekte abgelehnt werden (ebd., S. 65).
Bei den die Aussagekraft verstärkenden (Teil-)Aspekten kommen bei beiden Inhalte in Form von Differenzierung vom jeweils anderen Autor hinzu (ebd., S. 65f.). Die Aufbesserung der Persönlichkeitsentwicklung wird im Zitat Wampolds angedeutet, in Jungs Zitat wird sie hingegen mit Aufzählungen wie entwickeln, verfeinern, systematisieren, Selbstvervollkommnung genauer beschrieben. Beim gemeinsamen Thema Abgrenzung zu medizinischen Modellen tragen beide auf ergänzende Weise zur Erweiterung bei; Wampold durch die Darstellung falscher Ergebnisinterpretationen im medizinischen Modell, Jung durch die Abgrenzung zur aus seiner Sicht fehlerhaften Diagnose- und Methodenwahl. Der Heilfaktor Jungs und der Wirkfaktor Wampolds sind Beispiele für eine differenzierte Ähnlichkeit anstelle der Gleichheit. Jung (1929–1951/1995, § 198) bezeichnet den Heilfaktor explizit als gross und führt die impliziten persönlichen Qualitäten näher aus (ebd., § 174).; Wampold (2011, S. 3) hingegen verweist beim Wirkfaktor indirekt auf persönliche Qualitäten, die er explizit als Fertigkeiten beim Namen nennt.
Die Liste der deutlichen Unterschiede (Futscher, 2023, S. 66ff.) ist am längsten: Der Hauptpunkt betrifft die Forschungskultur, bspw. hinsichtlich der Forschungsmethode (Metaanalysen vs. Einzelfalluntersuchungen aus der eigenen Praxis), der Forscherperspektive (Aussen- vs. Innenperspektive und Selbstreflexion), der praktischen Form der Übung von Fertigkeiten (mit Video vs. Übung an Kranken) und des Forschungsgegenstands (Betrachtung vieler unterschiedlicher Therapierichtungen vs. viele Einzelfälle einer einzigen Therapierichtung). Diese Unterschiede verweisen auf die ‹Elastizität› der Ähnlichkeit der Zitate als periphere Erscheinung zur Kernaussage der augenscheinlich ähnlichen Zitate. Der zeitlose Kernbereich (vgl. Dreher, 1998, S. 170) der gemeinsamen Aussage bezieht sich nach der Untersuchung auf die Verantwortung der therapierenden Person als Qualitätsmerkmal für die im Zentrum stehende psychotherapeutische Beziehung, die durch die eigene Persönlichkeitsentwicklung professionalisiert wird.
Kompatibilität. Aussagen über effektive Therapierende aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und aktueller Forschung haben gezeigt, dass aus ähnlich wirkenden Aussagen zu einem Thema praxisrelevante Verbindungen hergestellt werden können. Die Aussagen Wampolds schliessen direkt an die Aussagen Jungs an. Die Qualität der therapeutischen Beziehung steht in diesem Fall in engem Zusammenhang mit der Persönlichkeitsentwicklung Therapierender und mit der Art der Aneignung von Kompetenzen. Durch parallele und einander ergänzende Aussagen der Autoren lässt sich mit altem Wissen an anerkannte zeitgemässe Forschung anknüpfen.
Kernwissen. Die Untersuchung augenscheinlich ähnlicher Zitate Wampolds und Jungs und deren Vergleich in Bezug auf die Wirksamkeit Therapierendenr sowie die Suche nach weiterführenden Übereinstimmungen (Futscher, 2023, S. 9) zeigen, dass die Aussagen vergleichbar sind und beide trotz deutlicher sozio- und wissenschaftskultureller Unterschiede in dieselbe Richtung weisen. Die gemeinschaftliche Aussage ist gehaltreicher als beide Einzelaussagen, was auf ein zeitlich unabhängiges Kernwissen schliessen lässt.
Elastischer Bedeutungsraum. Dass Jung (1929–1951/1995) der Persönlichkeitsentwicklung insgesamt mehr Augenmerk schenkt und Wampold (2011) die Entwicklung von Fertigkeiten heraushebt, zeigt die Bedeutung der Anpassung durch einen ‹elastischen› Anwendungsbereich in der Praxis. In dieser Hinsicht wird die Wechselwirkung zwischen therapierender Person und Methode verdeutlicht (Futscher, 2023, S. 9). Entscheidend ist, dass für die Qualität der therapeutischen Beziehung die Persönlichkeitsentwicklung damals wie heute als wesentlich angesehen wird (ebd., S. 73). Die Forschung Wampolds (et al., 2017) hat über die Frage des Designs quantitativer Studien zu qualitativen Ergebnissen geführt, die den introspektiven Erfahrungen Jungs augenfällig ähnlich sind (Futscher, 2023, S. 67). Beide sprechen nicht von «Wissen über Methoden, sondern von Können mit Hilfe von Methoden» (ebd., S. 28). Wampold bezieht sich, was den Kontext angeht, in diesem Beispiel tendenziell mehr auf den Ausbau einzelner Fähigkeiten, die von der vorhandenen Persönlichkeit ausgehen; Jung hingegen betrachtet den Ausbau der Fähigkeiten als Teil der Persönlichkeitsentwicklung der Therapierenden (ebd., S. 73).
Allegiance. Die Herausarbeitung nützlicher Details in Bezug auf die Effektivität von Therapierenden hilft dabei, deren Verbundenheit mit ihrer Methode, der Allegiance, besser zu verstehen. Dabei wird nicht dargestellt, dass die Verbundenheit von Nutzen ist, sondern wie diese Verbundenheit zustande kommen kann. Diese Erkenntnis ist insofern relevant, als das Ziel, die eigene(n) Methode(n) implizit zur Verfügung zu haben, von zentraler Bedeutung ist und eine für die Professionalität notwendige Flexibilität der Therapierenden in der Beziehung mit den Behandelten ermöglicht. Daraus resultierende Fragestellungen können Teil von Ausbildungsforschung sein.
Gegenüberstellungen. Nachdem in Jungs Werk eine grosse Zahl an Aussagen gefunden wurde, die den Zitaten Wampolds unter dem Aspekt der augenscheinlichen Ähnlichkeit gegenübergestellt werden können (ca. 57 Entsprechungen), liegt es nahe, das Zusammenspiel aller gefundenen Zitate zu untersuchen, um ein vollständiges Bild zu erhalten. Damit kann das zeitunabhängige Kernwissen mithilfe neuer, anerkannter Forschungsmethoden wie Metaanalysen umfangreich abgesichert und ‹Elastizität› durch differenzierende Inhalte sorgfältig einbezogen werden.
Anschluss an aktuelle Forschung. Die Erkenntnisse aus der Untersuchung der Zitate und ihrer Kontexte schliessen an Forschung von Tschuschke an (ebd., S. 78), der im Rahmen der Praxisstudie ambulante Psychotherapie Schweiz (PAP-S-Studie) zeigt, dass soziodemografische Unterschiede bei psychotherapeutisch tätigen Personen keine Relevanz besitzen; vielmehr gewinnt die Qualität von Therapierenden im Zusammenhang mit der Vorbelastung von Hilfesuchenden an Bedeutung (von Wyl et al., 2016). Die Persönlichkeitsentwicklung und die professionalisierte Flexibilität sind bei der Anwendung von Fertigkeiten grundlegende Bestandteile des Berufs (ebd.).
Eine weitere Verbindung zu einer konkreten Untersuchung zeigt sich im Rahmen einer Analyse zur Psychotherapieintegration. Sell und Benecke (2020, S. 197f.) kommen zu dem Schluss, dass durch «Vielheit und Unübersichtlichkeit» der Therapierichtungen die Weiterentwicklung gestört wird, während sie in der persönlichen Integration durch Persönlichkeitsentwicklung von Therapierenden ein Potenzial für Fortschritt sehen. Die Identifikation der Verbundenheit mit einer Methode als Teil der professionalisierenden Persönlichkeitsentwicklung der Therapierenden stellt einen Anhaltspunkt für die Weiterentwicklung im differenzierenden Sinne in Bezug zur Allegiance dar (Futscher, 2023, S. 78), indem die Hintergründe dieser Wirkweise beleuchtet werden. Nachdem in der Untersuchung nur eine einzige Gegenüberstellung untersucht wurde, kann davon ausgegangen werden, dass sich bei Untersuchung weiterer derartiger Aussagenpaare Schwerpunktverschiebungen ergeben bzw. noch mehr Anhaltspunkte zutage treten.
Baur, N. & Blasius, J. (Hg.). (2022). Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung. 3., vollst. überarb. u. erw. Aufl. Springer VS.
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Prospective knowledge gain by combining old knowledge and new research in psychotherapy
Abstract: To connect old knowledge with new, it is helpful to establish a relationship between the two using scientific methodology. Following a reference by Verena Kast, quotations by Bruce Wampold (*1948) and by C. G. Jung (1875–1961) were compared within the framework of empirical qualitative methodological considerations. The results are relevant both for psychotherapeutic practice and in methodological terms. The distinctive feature of this initial hypothesis is the assumption that existing knowledge represents specialised knowledge that has emerged from the various contexts of origin in each case, which is condensed and concretely formulated in quotations. These statements, formulated at different times on different continents in different socio-cultural research contexts, are thus put into context. The topic of ‹effective therapists› is examined, although this is only explicitly named by Wampold in one article. Similar statements by Jung can be found in several articles, but these first had to be identified in order to contrast them with Wampold’s statements. The following findings emerge from the examination of a pair of quotations about ‹effective therapists› taken as examples: On the one hand, Jung’s old knowledge is closely related to Wampold’s contextual meta-model, despite the differences in the history of its development, and on the other hand, it ties in with new research by Tschuschke or Sell and Benecke.
Keywords: quality of the therapeutic relationship, personality development, Wampold, Jung, personal abilities, therapeutic skills, methodological diversity of perspective, core psychotherapeutic knowledge, elastic spaces of meaning, old and new knowledge, connectedness to method, allegiance
Acquisizione prospettica di conoscenze combinando il vecchio sapere con nuove ricerche nella psicoterapia
Riassunto: Per collegare le vecchie conoscenze con le nuove ricerche, è utile stabilire una relazione tra le due ricorrendo alla metodologia scientifica. Su indicazione di Verena Kast, citazioni di Bruce Wampold (*1948) e di C. G. Jung (1875–1961) sono state confrontate nell’ambito di riflessioni metodologiche di tipo empirico-qualitativo. I risultati sono rilevanti sia per la prassi psicoterapeutica sia sul piano metodologico. La particolarità di quest’ipotesi iniziale è l’assunto secondo cui le conoscenze esistenti rappresentino un sapere specialistico emerso dai rispettivi diversi contesti di origine, che viene compattato e formulato concretamente in citazioni. Queste affermazioni, formulate in tempi diversi, in continenti diversi e in contesti di ricerca socio-culturali diversi, vengono così messe in relazione. Viene esaminato il tema dei terapeuti efficaci, laddove esso viene espressamente menzionato solo da Wampold in un articolo. In diversi articoli di Jung si trovano espressioni simili, che, tuttavia, è stato necessario dapprima identificare per poterle contrapporre alle affermazioni di Wampold. Dall’esame di un confronto di citazioni su terapeuti efficaci, selezionate a titolo di esempio, emergono i seguenti risultati: da un lato, il vecchio sapere di Jung, nonostante le differenze nella genesi, è strettamente legato al meta-modello contestuale di Wampold; dall’altro, si collega alle nuove ricerche di Tschuschke o di Sell e Benecke.
Parole chiave: qualità della relazione terapeutica, sviluppo della personalità, Wampold, Jung, competenze personali, competenze terapeutiche, varietà metodologica di prospettive, sapere di base psicoterapeutico, ambiti elastici di significato, vecchio e nuovo sapere, collegamento al metodo, allegiance
Die Autorin
Mag. pharm. Christa Futscher ist eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin in der Schweiz, Lehranalytikerin und Supervisorin am C. G. Jung Institut in Zürich, Psychotherapeutin ASP, Apothekerin und Psychotherapeutin MA in Österreich und Mitglied der Österreichischen Gesellschaft für Analytische Psychologie.
Kontakt
Mag. pharm. Christa Futscher,
MA Zielstr. 28 AT-6840 Götzis
christa@futscher.at