Buchbesprechung

van Bronswijk, K. & Hausmann, C. M. (Hg.) (2022).
Climate Emotions. Klimakrise und psychische Gesundheit
Psychosozial-Verlag, 418 S., 65.90 CHF, 44.90 EUR ISBN: 978-3-8379-3168-6

Psychotherapie-Wissenschaft 13 (1) 2023 98–96

www.psychotherapie-wissenschaft.info

CC BY-NC-ND

https://doi.org/10.30820/1664-9583-2023-1-98

«Gesunde Erde – Gesunde Menschen – Gesunde Seele». So umreisst Eckhart von Hirschhausen in seinem Grusswort den Zusammenhang zwischen Klimakrise und seelischer Gesundheit.

Das Buch enthält Beiträge von Georg Adelmann, Myriam Bechtoldt, Lea Dohm, Maja Dshemuchadse, Anna Georgi, Christoph M. Hausmann, Stephan Heinzel, Rebecca Jacob, Laura Jung, Vera Kattermann, Carina Keller, Malte Klar, Nathali Klingen, Monika Krimmer, Pia Lamberty, Timo Luthmann, Kathrin Macha, Sabine Maur, Claudia Menzel, Susanne Nicolai, Pia Niessen, Christoph Nikendei, Till Peplau, Felix Peter, Dagmar Petermann, Panu Pihkala, Jonas Rees, Kaossara Sani, Philipp Schiebler, Benjamin Siemann, Ole Thomsen, Johanna Thünker und Katharina van Bronswijk. Viele AutorInnen sind wie die HerausgeberInnen bei Psychologists for Future organisiert, einer dezentralen Organisation, die sich als Teil des For Future Bündnisses und der Klimagerechtigkeitsbewegung versteht. Manche AutrorInnen sind gar keine PsychologInnen, sondern Fachleute aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen. So ist das Buch zu einem interdisziplinären Werk geworden. Es ist in vier Teile gegliedert: «Grundlagen», «Klimagefühle», «Therapie und Prävention», «Gesellschaftliches».

Der Grundlagen-Teil wird mit einem Beitrag von Laura Jung über die psychische und physische Gesundheit in der planetarischen Krise eröffnet. Sie beschreibt die Auswirkungen von Hitze, Luftverschmutzung und Extremwetterereignissen auf die Gesundheit. Als Zukunftsaussicht erinnert sie daran, dass manche Teile der Erde unbewohnbar werden. Umweltschutz sei kein Selbstzweck, sondern direkte und indirekte Voraussetzung für menschliche Gesundheit und Wollbefinden. Monika Krimmer ergänzt das in der Psychosomatik etablierte bio-psycho-soziale Modell um eine planetare Umweltkomponente und spricht von «Planetary Health», einem Begriff den Kate Raworth geprägt hat. Christoph Nikendei weist auf Traumafolgestörungen im Zusammenhang mit Naturkatastrophen und Veränderungen unseres Lebensraums hin. Die Zunahme von Extremwetterereignissen wie Fluten, Dürren, Hurrikans und Waldbränden lassen eine erhöhte Migration aus klimatischen Gründen und einen damit verbundenen Anstieg von Traumatisierungen erwarten. Jonas Rees und Pia Lamberty reflektieren die Empfänglichkeit in Deutschland für Klimawandelleugnung und Verschwörungstheorien. Sie verweisen auf die Korrelate Verschwörungsmythen, Feindseligkeit, Gewaltbereitschaft, illustriert anhand einer Umfrage in der Bevölkerung im Jahr 2021. Zum Abschluss des Grundlagenteils präsentiert Christoph M. Hausmann eine Fallgeschichten mit einer Klientin und führt in ein besonderes Therapiekonzept (ACT) ein.

Der zweite Teil fokussiert auf Klimagefühle (Climate Emotions). Das sind klinisch bedeutsame Gefühlsreaktionen auf die für viele offensichtliche Klimakrise und deren Auswirkungen. Panu Pihkala beschreibt die Phänomene Klimakummer, Klimadepression und Solastalgie (ortsbezogenes Gefühl von Traurigkeit und Sehnsucht). Er präsentiert dazu den aktuellen Stand der Forschung und resümiert, wie wichtig das Erleben von Sinn und Bedeutung in der Trauerverarbeitung ist. Stephan Heinzel beschreibt klinische Phänomene, die sich unter dem Begriff der Klimaangst subsummieren lassen. Er sieht diese als emotionale Reaktion auf die Klimakrise. Die weltweite Forschung zeigt, dass insbesondere junge Menschen davon betroffen sind. Klimaangst lässt sich auch als Ressource für klimafreundliches Handeln nutzen. Christoph M. Hausmann, Lea Dohm, Till Peplau und Kaossara Sani untersuchen Schuld und Schuldgefühle im Zusammenhang mit der Klimakrise. Sie berücksichtigen dabei die Nord-Süd-Beziehungen anhand eines Berichts einer Aktivistin aus der Sahelzone und identifizieren Schuldgefühle aufgrund des eigenen Lebensstils (Konsumverhalten), der eigenen Vergangenheit und des mangelnden politischen Engagements. Sie sprechen dem globalen Norden eine reale Verantwortung gegenüber Menschen in anderen Ländern sowie zukünftiger Generationen zu. Susanne Nicolai widmet sich Traurigkeit und Angst als komplementierendem Thema von Climate Anger. Die Erfahrung von Ungerechtigkeit kann heftige Wutreaktionen auslösen. Kaum ein Gefühl ist stärker mit Aktivismus konnotiert. Aus einem Gefühl der Ohnmacht richtet sich Klimazorn gegen Regierungen. Wut ist ein starker Antriebsfaktor des menschlichen Handelns. Kathrin Macha und Georg Adelmann beschreiben das Phänomen des Activist Burnout bzw. wie eine Bewegung und ein Planet ausbrennen. Sie beschreiben das klinische Bild des Burnout sowie Risikofaktoren dafür und referieren entsprechende Studien. Zu den Klimagefühlen gehören aber auch positive Emotionen (z.B. Freude, Stolz, Dankbarkeit, Hoffnung). Katharina van Bronswijk, Carina Keller, Benjamin Siemann und Myriam Beschtoldt wenden sich deren Rolle und ihrer Motivationsfunktion für ein Klimaengagement zu.

Der dritte Teil des Buchs fokussiert auf Therapie und Prävention. Unter Resilienz wird die Widerstandsfähigkeit bei auftretenden Belastungen verstanden. Felix Peter und Pia Niessen erläutern ein ganzheitliches Resilienzverständnis, das eine individuelle und eine kollektive Ebene umfasst. Claudia Menzel behandelt die Bedeutung der Umwelt für individuelles und gesellschaftliches Wohlbefinden. Direkte Naturerfahrungen stärken die Bewusstheit für umweltschützendes Verhalten. Vera Katterman setzt sich aus psychodynamischer Sicht damit auseinander, wie Klimakrise und Hoffnung trotzdem einhergehen können. Sie rückt die Frage in den Vordergrund, wie sich tiefe Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit angesichts der Zerstörung der Ökosphäre aushalten lassen. Nathali Klingen und Philipp Schiebler stellen einen verhaltenstherapeutischen Ansatz zur Bewältigung der Herausforderungen der Klimakrise vor: ACT (Acceptance and Commitment Therapy). Anna Georgi, Rebecca Jacob und Maja Dshemuchadse erläutern systemische Perspektiven auf Klimagefühle. Dagmar Petermann beschreibt, wie sich Klimagefühle bei Kindern und Jugendlichen zeigen und wie Eltern und Fachleute damit umgehen können. Timo Luthmann, Christoph M. Hausmann, und Malte Klar reflektieren in einem «Trigespräch» Ansätze zur aktivistischen Selbsthilfe.

Im vierten Teil des Buchs, «Gesellschaftliches», finden sich drei Kapitel dazu, wie PsychotherapeutInnen sich gesellschaftlich einbringen können und sollen. Sabine Maur reflektiert angesichts der Klimakrise die psychotherapeutische Berufsethik und ein gesundheitspolitisches Engagement von PsychotherapeutInnen auf der Ebene von Berufsverbänden und der Psychotherapeutenkammer. Johanna Thünker stellt sich der Frage, was die Klimakrise für die psychotherapeutische Bedarfsplanung bedeutet. Ole Thomsen und Katharina von Bronswijk erörtern Implikationen für die psychosoziale Notfallversorgung.

In einem Nachwort richten Katharina von Bronswijk und Christoph M. Hausmann einen Appell an die psychotherapeutischen Berufsgruppen. PsychotherapeutInnen sollen sich als Fachkräfte im Gesundheitswesen der Klimarealität stellen und in persönlicher Selbsterfahrung die eigenen Klimagefühle bearbeiten. Nur so könnten sie ein haltendes Setting für die Betroffenen aufbauen und ihre therapeutischen Konzepte adaptieren.

Der vorliegende Sammelband zum Thema Climate Emotions liefert das nötige Wissen und Werkzeuge, wie in der Therapie mit Klimagefühlen umgegangen werden kann. Ich empfehle ihn allen psychotherapeutisch Tätigen zur Fortbildung.

Peter Schulthess