Buchbesprechung

Rumpel, S., Stulz-Koller, A., Leuzinger-Bohleber, M. & Hauser Grieco, U. (Hg.) (2022).
Weiterleben nach Flucht und Trauma. Konzepte für die Arbeit mit besonders vulnerablen Geflüchteten
Psychosozial-Verlag, 328 S., 50.90 CHF, 39.90 EUR ISBN: 978-3-8379-3219-5

Psychotherapie-Wissenschaft 13 (1) 2023 95–96

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CC BY-NC-ND

https://doi.org/10.30820/1664-9583-2023-1-95b

In diesem Buch werden die «aacho»1-Projekte in der Schweizer Flüchtlingshilfe praxisnah vorgestellt. In diesen Projekten wird versucht, Geflüchtete aus aller Welt mit verschiedenen psychotherapeutischen, psychosozialen und medizinischen Angeboten zu unterstützen. Das Anliegen des Buchs ist es, andere Gruppen, vor allem in der Schweiz, dazu zu motivieren, sich für Geflüchtete einzusetzen.

Am 24. Februar 2022 begann der Ukrainekrieg. Die Buchmanuskripte, die im April abgegeben werden mussten, konnten aus Zeitgründen nicht mehr abgeändert werden, um auch auf die Auswirkungen dieses Krieges einzugehen. Das gelang nur im einführenden Teil.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Der einführende Teil enthält Überlegungen zu Trauma, Flucht und Migration als Signaturen unserer Zeit, Ausführungen zum Umgang mit Geflüchteten und Migrant*innen in der Schweiz, Psychoanalytische Konzepte und Erfahrungen in der Betreuung traumatisierter Geflüchteter wie auch ethnopsychoanalytische Reflexionen zu inneren und äusseren Migrationsprozessen. Der zweite Teil ist der Beschreibung der «aacho»-Projekte gewidmet und enthält die Ergebnisse einer Pilotstudie zum gruppentherapeutischen Angebot «aacho» für geflüchtete Mütter mit Kleinkindern. Im dritten Teil werden zwei Partnerprojekte vorgestellt.

Die Beiträge im Buch stammen von Anna von Ditfurth, Ursula Hauser Grieco, Barbara Hirsbrunner, Anina Hofer, Sandra Hotz, Frederike Kienzle, Bernhard Küchenhoff, Marianne Leuzinger-Bohleber, Lukas Meyer, Alberto Moreno, Fabienne Omlin, Hannah Ospelt, Martina Ottiger, Stefanie Ruef, Gianna Rumpel, Sandra Rumpel, Marc Schmuziger, Antonia Stulz-Koller, Amina Trevisan, Laura Wade-Bohleber und Agnes von Wyl.

Im einführenden Teil wird erörtert, dass die Themen Migration und Flucht so alt wie die menschliche Zivilisation sind. Migrationsströme werden in Zukunft weiter nach Europa führen, sei es kriegsbedingt oder aufgrund von Naturkatastrophen. Migrationsthemen sind immer Trauer über das Verlorene, Entwurzelung, Fremdsein am neuen Ort, Neuorientierung in einer anderen Kultur. Nicht zwingend muss Migration zu einer Traumatisierung führen, das hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Oft aber führt sie zu einer solchen, insbesondere wenn die Flucht kriegsbedingt war. Wichtig ist es, ein geeignetes Angebot an psychischer und sozialer Unterstützung bereitzustellen im neuen Land, aber auch die Einstellung im Aufnahmeland gegenüber Geflüchteten. So ist in der Schweiz ein bedeutender Unterschied vorzufinden in der Einstellung zu Geflüchteten aus der Ukraine gegenüber solchen aus Afrika, dem Orient oder auch Asien.

Im Kapitel «Zum Umgang mit Geflüchteten und Migrant*innen» wird auf die rechtliche Situation in der Schweiz eingegangen, die Lebensumstände von «Sans Papiers» beleuchtet, und das Recht auf Gesundheit von Flüchtlingskindern erörtert wie auch deren besonderen Schutzstatus, den sie geniessen.

Das Kapitel «Psychoanalytische Konzepte» beschreibt aus psychoanalytischer Sicht die Bedeutung von Flucht und Migration und was diese mit sich bringen. Es schildert Erfahrungen in der psychotherapeutischen Behandlung traumatisierter Geflüchteter im «Step-by-Step»-Projekt mit illustrierenden Fallbeispielen.

In einem weiteren Kapitel des einführenden Buchteils werden aus ethnopsychoanalytischer Sicht äussere und innere Migrationsprozesse reflektiert. Fallvignetten aus verschiedenen Ländern ergänzen diese Reflexionen.

Der zweite Teil ist der Beschreibung der «aacho»-Projekte gewidmet, die 2015 von einem Zürcher Team von Psychotherapeut*innen, Psychiater*innen, einer Sozialpädagogin, einem Sozialpädagogen, einer Psychomotoriktherapeutin, einer Berufsberaterin sowie klinisch auszubildenden Psychotherapeut*innen begründet wurden, um Geflüchtete durch verschiedene Angebote zu unterstützen.

Es wird die Entstehungsgeschichte geschildert, wie auch die Erfahrungen mit Gruppentherapie und dem psychotherapeutischen Vorgehen. Es wird Einblick gewährt in den Alltag dieser Projekte, verbunden mit eindrücklichen Fallschilderungen. Die Arbeit mit Geflüchteten verschiedenen Alters von Kindern, vom Baby bis zu Adoleszenten wird beschrieben, auch was es heisst, zwischen zwei Kulturen aufzuwachsen, zwischen diesen Kulturen Frau bzw. Mann zu werden.

In den «aacho»-Projekten wird eine interdisziplinäre Verknüpfung von integrativen und medizinischen Therapien, Sozialpädagogik und Sozialarbeit umgesetzt. Fallbeispiele erläutern dies. Diese Projekte werden darüber hinaus auch wissenschaftlich beforscht. Im Buch findet man die Ergebnisse einer Pilotstudie zum gruppentherapeutischen Angebot «aacho» für geflüchtete Mütter mit Kleinkindern.

Im dritten Teil des Buchs werden zwei nationale Partnerprojekte dargestellt: Behandlungsangebote für junge Klient*innen mit Fluchterfahrung in einer universitären Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie die Anlauf- und Beratungsstelle «Prosalute – gesundheitliche Chancengleichheit».

Das Buch gibt einen beeindruckenden Einblick in die Arbeit mit Geflüchteten. Die dargebotene Breite der Themen und die anschauliche Schilderung der Arbeitsweisen machen das Buch zu einem wertvollen Informationsband für an der Flüchtlingsarbeit Interessierte, ist aber auch geeignet, Anregungen zur Arbeit mit dieser Klientel zu vermitteln.

Peter Schulthess

1 Schweizerdeutsch: ankommen.