Psychotherapie-Wissenschaft 13 (1) 2023 5–6
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Seit Beginn der Coronapandemie erfreut sich die Digitalisierung innerhalb der Psychotherapie erhöhter Akzeptanz, sowohl bei Psychotherapeut*innen und Patient*innen als auch – etwas zurückhaltender – bei Versicherungen und Verantwortlichen in der Gesundheitspolitik. Waren digitale Interventionen und Webauftritte von Psychotherapeut*innen vor dem Auftreten von SARS-CoV-19 auf der Weltbühne noch mit Skepsis behaftet, so wurden sie ab Frühjahr 2020 zur Notwendigkeit. Weltweit fanden sich Psychotherapeut*innen und ihre Patient*innen in digitalen Videochaträumen wieder und erlebten, manchmal zum ersten Mal, die «Psychotherapeutische Begegnung 2.0». Mit dem Abflauen der Pandemie begann eine Rückbewegung in die Praxen und Kliniken, zurück zu physischem Kontakt, nach zeitweise monatelangem Aufenthalt in digitalen Beziehungsformen ohne den Einsatz zentraler Sinnesorgane wie Geruch, Geschmack und Berührung. Doch diese Rückbewegung fand in vielen Fällen nicht vollständig statt und viele Praxen behalten seitdem zumindest einen Teil ihres Onlineangebots bei.
Ist dies nun ein ganz nahtloser und natürlicher Schritt in Richtung «Blended Care», ein Ansatz, bei dem sowohl «Face-to-Face»- als auch «Online»-Interventionen in der Psychotherapie zum Tragen kommen? Welche Möglichkeiten gibt es, ebendiese Onlineinterventionen in einer Berufsgattung zu nutzen, die stark auf zwischenmenschlichem Kontakt als heilende Ressource zurückgreift? Diesen Fragen wird in den Beiträgen dieses Hefts nachgegangen. Aber auch in Zukunft an Wichtigkeit zunehmende Themen, die mit der Sichtbarkeit im digitalen Raum von Psychotherapieangeboten und ihren Vermittler*innen zu tun haben, werden umkreist.
Jana A. Heimes beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit der zunehmenden Präsenz von Psychotherapeut*innen auf digitalen Plattformen, die aufgrund ihrer mangelhaften Regulierung für diese Berufsgattung Fallstricke mit sich bringen kann. Sie zeigt auf, wie man qualitativ hochstehende und ethische Beiträge erarbeiten kann, ohne vom Sog narzisstischer Gratifikation dieser Art der Selbstdarstellung erfasst zu werden.
Marcus Täuber präsentiert in seinem Artikel den jetzigen Forschungsstand bei der Anwendung von Virtual Reality Exposure Therapy (VRET) in der Therapie von Phobien und Süchten. Dabei zeigt er eindrücklich den Nutzen dieser Interventionsform in psychotherapeutischen Settings auf, der bei spezifischen Störungsbildern demjenigen einer äquivalenten In-vivo-Intervention entspricht. Darüber hinaus wird durch diesen Artikel die Breite der Anwendungsmöglichkeiten der VRET an die Leser*innen herangetragen.
Mara Foppoli und Milena Pacciorini stellen eine Peer-Chat-Erfahrung vor, die es ermöglichte, Jugendlichen Onlineunterstützung zu bieten, und die bis heute von mehr als 6.000 Jugendlichen in der italienischen Schweiz genutzt wird. Es handelt sich zwar nicht um einen Online-Psychotherapiedienst, aber um ein niedrigschwelliges Angebot, das den Aufbau eines Systems fortsetzt, das junge Menschen vor psychischen Zusammenbrüchen schützt und das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer frühzeitigen Intervention durch Psychotherapie schärft, und das gleichzeitig als Wächter über die psychische Gesundheit fungiert. Die Autorinnen zeigen vorläufige Bewertungselemente für diese Art von Dienstleistung auf.
Karen Fried gibt Einblick in das Projekt «Just for Now», das während der Pandemie mehr als 130 Psychotherapeut*innen die Möglichkeit bot, sich online über ihre Praktiken in der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen auszutauschen, wobei die von Violet Oaklander entwickelte Methode zum Einsatz kam. Sie stellt verschiedene Onlinetools vor, die entwickelt wurden, und nimmt eine interessante Bewertung ihres Einsatzes in den verschiedenen betroffenen Ländern sowohl während der Pandemie als auch jetzt vor.
Severina Ursina Caplazi wendet sich in ihrem Artikel dem Smartphone als Mittler in psychotherapeutischen Interventionen zu. Ihre Literaturübersicht beleuchtet, welche transdiagnostischen Faktoren bei smartphonebasierten Interventionen zum Tragen kommen. Dabei zeigt sie eindrückliche Ergebnisse der Wirksamkeit von Interventionen (sog. Ecological Momentary Interventions: EMI) auf, die aufgrund der flexiblen Einsetzbarkeit von mobilen Geräten in Echtzeit vermittelt werden können. Besonders die jüngere Generation wird in den von ihr vorgestellten Studien untersucht, was als zukunftsweisendes Zeichen gedeutet werden kann.
Im zweiten Teil seines Originalbeitrages stellt Paolo Raile die forschungspraktische Umsetzung der Handlungsmöglichkeiten-erweiternden Psychotherapiewissenschaft (HEP) vor, nachdem er die wissenschaftstheoretischen Grundlagen derselben im ersten Teil (s. Psychotherapie-Wissenschaft 2/2022) erläutert hatte. Anhand anschaulicher Beispiele aus dem Psychotherapiealltag legt er seinen Vorschlag der einzelnen methodischen Schritte dar. Sein Artikel macht Lust auf das Wagnis, sich auch ohne vertiefte Ausbildung auf eine Psychotherapieschule einzulassen, der man die eigene Methode (sei dies in der Praxis oder der Forschung) als nicht zugehörig empfindet. Dabei kann der eigene Spielraum in der Anwendung und Erforschung von psychotherapeutischen Methoden erweitert werden, was schliesslich zu einer auf die Patient*innen und ihre Bedürfnisse optimaler zugeschnittenen Psychotherapie führen kann – ein sehr begrüssenswertes Konzept also.
Das Heft beschliessen wie in jeder Ausgabe einige Buchbesprechungen. Diesmal wird auch ein italienisches Buch von Marcello Veneziani besprochen, indem es um Unzufriedenheit als Ausgangspunkt für Veränderungsprozesse im Innen und Aussen geht. Die deutschsprachigen Bücher sind zum einen in den Gebieten Humanistische Therapie und Traumatherapie verortet, zum anderen beschäftigen sie sich mit der Klimakrise und psychischer Gesundheit.
Die fremdsprachigen Artikel von Karen Fried sowie von Mara Foppoli und Milena Pacciorini finden Sie sowohl in ihrer Originalsprache als auch auf Deutsch vor.
Wir wünschen eine anregende Lektüre.
Lea-Sophie Richter & Mara Foppoli
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