Virtual Reality Exposure Therapy (VRET) bei Phobien und Süchten
Marcus Täuber
Psychotherapie-Wissenschaft 13 (1) 2023 19–23
www.psychotherapie-wissenschaft.info
https://doi.org/10.30820/1664-9583-2023-1-19
Zusammenfassung: Der Einsatz von Expositionstherapien ist durch den teilweise hohen Aufwand limitiert, die In-vivo-Konfrontationen bedürfen. VRET (Virtual Reality Exposure Therapy) bietet praktikable Alternativen durch kontrollierte Simulation der Reize. Die VRET findet daher immer mehr Eingang in Psychotherapie und Psychiatrie. Der Evidenzgrad von VRET bei spezifischen Phobien ist insgesamt als sehr hoch einzustufen. Eine grosse therapeutische Herausforderung stellt die Behandlung von Suchterkrankungen dar. Der klinische Nutzen von VRET in Zusammenhang mit Süchten wurde daher in den letzten Jahren zunehmend untersucht. In verschiedenen Studien konnte dahingehend ein proof of concept erbracht werden, als dass Suchtkranke auf die virtuelle Konfrontation mit Alkohol und anderen Substanzen sowie Glücksspiel mit erhöhtem Suchtdruck reagieren. Konkrete therapeutische Konzepte werden aktuell entwickelt und untersucht. Die positive Evidenzlage wie auch technische Weiterentwicklungen und geringere Anschaffungskosten sprechen für die Verbreitung der Anwendung von VRET in psychiatrischen Kliniken und psychotherapeutischen Praxen.
Schlüsselwörter: Virtual Reality, Virtual Reality Exposure Therapy (VRET), Phobie, Sucht, Suchtdruck
Während Angsterkrankungen weltweit mit einer Einjahresprävalenz von 10,6 % zu den häufigsten psychischen Störungen gehören, werden bei Substanzmissbrauch und Süchten nur 7,1 % adäquat behandelt, wobei der erforderliche multidisziplinäre Ansatz eine besondere therapeutische Herausforderung darstellt (Wancata et al., 2011; Degenhardt et al., 2017). Die chronische Beeinträchtigung der Lebensqualität kennzeichnet den hohen Leidensdruck der Patient*innen. Sowohl für Angsterkrankungen als auch für die Behandlung von Süchten sind niederschwellige und effektive Behandlungsformen in Klinik wie niedergelassenem Bereich von grosser Bedeutung.
Die Expositionstherapie basiert auf dem Konzept der klassischen Konditionierung, ist verhaltenstherapeutisch gut etabliert und oftmals Mittel der Wahl. In den deutschen und internationalen Leitlinien wird die Expositionstherapie bei spezifischen Phobien sogar als Erstlinientherapie empfohlen (Tsamitros et al., 2022). Sie beruht auf einer graduellen und wiederholten Konfrontation der Patient*innen mit den entsprechenden angstevozierenden Stimuli. Bei der Expositionstherapie werden die Patient*innen demnach angeleitet, angstbesetzte Objekte oder Szenen nicht mehr zu vermeiden, sondern sie gezielt aufzusuchen. In der therapeutischen Praxis erweist sich die Durchführung von solchen In-vivo-Expositionen allerdings häufig als herausfordernd, bspw. wenn die Höhenangst unter therapeutischer Begleitung auf tatsächlichen Höhen behandelt werden soll (Altenhofer & Täuber, 2020). Ein weiterer Nachteil in der In-vivo-Exposition liegt darin, dass diese Art der Intervention von Patient*innen mitunter als stressig und unangenehm erlebt wird, was zu Therapieabbrüchen führt (Boeldt et al., 2019).
Mittels Virtual Reality (VR) können Expositionen kontrolliert und in einem sicheren Ambiente durchgeführt werden. So lassen sich diese Probleme zumindest prinzipiell reduzieren oder sogar gänzlich vermeiden. Die Virtual Reality Exposure Therapy (VRET) wurde bei spezifischen und sozialen Phobien bereits intensiv erforscht, und kann einen positiven Evidenzgrad vorweisen (Altenhofer & Täuber, 2020). In den letzten Jahren kamen Untersuchungen zur VRET bei Substanzmissbrauch und Süchten hinzu. Von Substanzen wie Nikotin, Alkohol, Kokain, Cannabis aber auch von Glücksspielautomaten und Internetspielen können in der VR realistische Szenarien mit Reizen erzeugt werden, die zu Suchtdruck (craving) führen können. In der Tat konnte gezeigt werden, dass virtuelle Reize wie Zigarettenschachteln oder Alkoholflaschen bei Suchtpatient*innen unmittelbar zu gesteigertem craving führen (Segawa et al., 2020). Diese Reaktivität ist die konzeptionelle Bedingung dafür, dass VRET-Interventionen einen wirksamen Ansatz in der Behandlung von Süchten darstellen können. In dieser Arbeit wird der Stand der Forschung zu VRET bei Phobien und Süchten auf Basis von Metaanalysen und systematischen Reviews diskutiert. Zusätzlich werden Entspannungsinterventionen via VR als Möglichkeit vorgestellt, VRET effizienter zu gestalten.
Die mittlerweile grosse Zahl an Studien zu VRET bei Angsterkrankungen ermöglicht es, diese solide zu evaluieren und die Effektstärke valide einzuordnen. Entsprechend sind dazu umfangreichere Metaanalysen erstellt und publiziert worden (Altenhofer & Täuber, 2020; Freitas et al., 2021; Tsamitros et al., 2022).
Insgesamt 30 Studien mit 1.057 Teilnehmern wurden von Carl et al. (2019) ausgewertet, darunter 14 Studien zu spezifischen Phobien. Die Ergebnisse demonstrieren eine hohe Effektstärke für VRET versus Warteliste (g = 0.90) sowie mittel bis hohe Effektstärke für VRET versus psychologische Placebo-Kontrollgruppen (g = 0.78). Ein Vergleich zwischen VRET und In-vivo-Therapien zeigte keine Signifikanz in der Effektstärke. Die Befunde sind konsistent für alle untersuchten Formen von Angststörungen und weisen darauf hin, dass VRET eine wirksame Intervention bei Angststörungen darstellt.
Fodor et al. (2018) haben bei Angststörungen und Depression 39 Studien analysiert, und konnten ebenfalls eine hohe Effektstärke von g = 0.79 versus Kontrollgruppen (95 % CI 0.57 bis 1.07) bei Angststörungen demonstrieren. In der Metaanalyse von Wechsler et al. (2019, n = 371) zeigt sich im Prä-Post-Vergleich von VRET und Expositionstherapie in vivo ebenfalls eine grosse Effektstärke (g = 1,00 und 1,07).
Opris et al. (2012) haben bereits die Ergebnisse aus VRET-Studien zu Angststörungen zusammengefasst und dabei festgestellt, dass VRET der Wartelistekontrolle deutlich überlegen ist und VRET eine ähnliche Wirksamkeit zeigt wie Verhaltenstherapie und kognitiv verhaltenstherapeutische Interventionen. Zudem veröffentlichten die Autor*innen, dass VRET stabile Ergebnisse über die Zeit und somit eine nachhaltige Wirkung aufweist und es eine Dosis-Wirkungs-Beziehung für VRET gibt.
In einer Metanalyse von 2021 erhoben Freitas et al. (2021), ob die klinische Wirksamkeit der VRET mit der In-vivo-Expositionstherapie vergleichbar ist. Sie fanden einen positiven Outcome für die Wirksamkeit der VRET für die meisten untersuchten Phobien. Bei wenigen spezifischen Phobien konnte die Wirkung von VRET nicht erbracht werden, was einerseits mit dem geringeren Immersionsgrad und andererseits mit der geringen Fallzahl der Studien interpretiert wurde.
Trotz hoher Evidenzlage und hoher Effektstärke insgesamt sind daher weitere Studien und Untersuchungen zu spezifischen Phobien sowie des Weiteren Optimierungen im Behandlungsprotokoll wünschenswert.
Ein häufiges Problem bei In-vivo-Expositionen sind fehlende Akzeptanz und Dropouts von Patient*innen durch die Belastung, die Angstreize erzeugen. VRET könnte hier einen Vorteil bieten, da die Konfrontationen kontrollierter und in einem sicheren nicht-realen Kontext ablaufen. Benbow und Anderson (2019) haben eine Metaanalyse publiziert, in der die Wahrscheinlichkeit für Dropouts durch Patient*innen ermittelt worden ist. Über 46 untersuchte Studien ergaben für die VRET eine Therapieabbruchrate von 16 %. Bei In-vivo-Interventionen und der kognitiven Verhaltenstherapie von Angststörungen liegt der Dropout um etwa 22 % höher. Als Hauptgrund für den Dropout bei der In-vivo-Exposition war die Furcht vor der Exposition mit dem tatsächlich angstauslösenden Reiz genannt, bei der VRET lagen Gründe in den Abbrüchen vor allem darin begründet, dass sie für die Patient*innen nicht immersiv genug war (ebd.; Swift & Greenberg, 2012; Fernandez et al., 2015). Die Reviews und Metaanalysen zur VRET hinken der technischen Entwicklung in der VR-Technologie allerdings hinterher. Jedenfalls besteht Grund zur Annahme, dass sich das Hindernis durch ausgereiftere Produktionen mit entsprechend höherer Immersivität, durch gesteigerten Realismus und durch mehr Interaktivität deutlich minimieren lässt.
Systematische Reviews wurden bereits zur Evidenzlage für VR bei Süchten publiziert. Ghiţă et al. (2018) haben sich mit Alkoholmissbrauch beschäftigt und finden vielversprechende preliminäre Ergebnisse. Die Heterogenität in den Studien wie auch geringe Fallzahlen und Follow-up-Untersuchungen erlauben diesbezüglich aber noch kein klares Urteil.
Ähnlich ist die Schlussfolgerung im systematischen Review von Trahan et al. (2019), die sich mit Effekten von VRET auf Alkohol- und Nikotin-Abhängigkeit beschäftigten. Die Autor*innen sehen auf Basis von fünf Studien mit 212 Teilnehmenden einen Hinweis auf positive Effekte, die craving und Abhängigkeit beinhalten. Sie fassen die Wirksamkeit von VRET bei Alkohol- und Tabakmissbrauch zusammen und kommen zum Schluss, dass die VRET einen interessanten Ansatz darstellt, aber mehr Daten erforderlich sind.
In den letzten Jahren wurde in Einzelstudien speziell das craving auf verschiedene Arten von Reizen und Süchten in VR-Umgebung erforscht, es gilt als wichtiges diagnostisches Kriterium für Substanzmissbrauch und als bedeutsamer Prognosefaktor für Rückfälle (Vafaie & Kober, 2022). Eine Reduktion des craving ist demnach Indikator für den Erfolg einer Suchttherapie.
In diesem Zusammenhang fassen Segawa et al. (2020) die Evidenzlage anhand von insgesamt 37 wissenschaftlichen Artikeln zusammen. Ihre Ergebnisse wurden nach Reaktionen auf virtuelle Reize und Behandlungserfolg unterteilt. Für alle Bereiche, nämlich Nikotin, Alkohol, Kokain, Cannabis, Glücksspiel und Internetspielsucht, konnte gezeigt werden, dass Patient*innen auf virtuelle Reize mit gesteigertem craving reagieren. Solche virtuellen Reize waren z. B. Zigarettenschachteln, Alkoholflaschen oder Lotterieterminals, einfach, kombiniert und teilweise mit sozialem Druck durch Avatare. Die Daten weisen darauf hin, dass die virtuelle Reizexposition in psychischer und physischer Hinsicht mit der Exposition von realen Reizen vergleichbar ist. Komplexe Reizzusammensetzungen und sozialer Druck durch Avatare könnten die Wirksamkeit hinsichtlich des craving sogar steigern. VR-Simulationen bieten die Möglichkeit, den Expositionsgrad bzw. das Ausmass des Auslösens von Verlangen stufenweise und kontrolliert zu erhöhen. Der systematische Review der Autor*innen belegt, dass die Provokation von Suchtdruck durch eine VR-basierte Exposition möglich ist. Zudem konnte in dieser Arbeit auch die grundsätzliche Wirksamkeit von VR-gestützter Suchttherapie gezeigt werden, da durch wiederholte Exposition von Stimuli der Suchtdruck abnimmt. Optional wäre freilich auch ein Ansatz, lediglich craving durch VRET zu induzieren, den Suchtdruck selbst aber durch andere Behandlungsformen und Copingstrategien zu reduzieren. Diese Resultate sind ein proof of concept für die Möglichkeit, Missbrauchs- und Suchtproblematiken mittels VRET zu behandeln. Das Erlernen von Bewältigungsstrategien im virtuellen Raum wirkt sich laut den Autor*innen zusätzlich positiv auf Suchtdruck und das Abstinenzverhalten aus.
Kritischer betrachtet wird die Datenlage in einem systematischen Review von Langener et al. (2021), in dem Publikationen nach klinischen Outcomes analysiert, mit damaligem Stand keine eindeutigen Ergebnisse gefunden und Studien mit klaren klinischen Endpunkten, randomisiert-kontrollierten Designs und adäquaten Follow-ups gefordert wurden. Geht man davon aus, dass VRET als wirksame Ergänzung, aber keineswegs isoliert als alleinige Intervention zur Therapie der Sucht eingesetzt wird, und es für den integrativen Ansatz nicht ein allgemein gültiges Protokoll gibt, muss man die Bewertungen der Autor*innen relativierend betrachten. Angesichts der Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten mit VR und der individuellen Zusammenstellung begleitender Interventionen könnte sich der klinische Nachweis unter standardisierten Bedingungen als schwierig und langwierig erweisen sowie den Nutzen der VRET als ergänzende Strategie nicht ausreichend widerspiegeln. Was es demnach bräuchte, wären vor allem Real-Life-Daten aus der klinischen Anwendung.
Insgesamt lässt sich daher schlussfolgern, dass mittels VRET hoffnungsvolle Erweiterungen des Behandlungsrepertoires bei Suchterkrankungen prinzipiell zu erwarten sind. Die in dem Review präsentierten Studien beschäftigten sich mit einer breiten Palette an unterschiedlichen Missbrauchs- und Suchtproblematiken in verschiedenen Umgebungen (Segawa et al., 2020). In den verschiedenen Szenarien liegt ein besonderer Vorteil von VRET in Hinblick auf Süchten, da Substanzkonfrontationen mit sozialen Situationen unterschiedlich kombiniert werden können. Klinische Studien sind erforderlich, um die Wirkfaktoren zu charakterisieren und die Umsetzung des Konzepts in die Praxis zu unterstützen (Langener et al., 2021). Allerdings dürfen diese nicht überbewertet werden und sollten die klinische Erfahrung nicht ersetzen.
Expositionen von Stimuli, die Angstreaktionen oder craving auslösen, stellen einen nicht zu unterschätzenden Stressfaktor für Patient*innen dar. Das Erlernen von Entspannungsübungen im Zuge der VRET ist daher nicht ungewöhnlich. So wurde z. B. ein Fünf-Schritte-Protokoll für den Einsatz bei Phobiepatient*innen entwickelt, das mit Atemtechniken als Vorbereitung der VRET arbeitet (Altenhofer & Täuber, 2020).
Shiban et al. (2017) haben eine Pilotstudie mit Zwerchfellatmung bei VRET von Aviophobie durchgeführt. Die Versuchsgruppe, die VRET in Kombination mit der entspannenden Atemtechnik angeleitet bekamen, zeigten eine höhere Tendenz, die Flugangst zu überwinden. In der klinischen Praxis werden Atemtechniken geübt, bevor es zur eigentlichen VRET-Intervention kommt. Hier wären mehr Daten wünschenswert, mit einem Repertoire an Entspannungstechniken wie tiefe Atmung, progressive Muskelrelaxation und Achtsamkeit.
Keine relevante Publikation konnte zu VR-induzierten Entspannungen im Zuge von VRET vorgefunden werden. Dies wäre ein wichtiger Untersuchungsbereich, denn der Einsatz von VR ermöglicht es prinzipiell, direkt entspannende Szenen mittels virtueller Realitäten zu erzeugen. Dies können sowohl 360°-Filme sein, in denen Patient*innen entspannende Szenen passiv erleben, oder computergenerierte Simulationen, in denen auch Interaktionen oder sogar Biofeedback-Integrationen möglich sind. Mit Biofeedback ist eine messgenaue Identifikation von stressauslösenden und entspannenden Szenen der Konfrontation möglich, wodurch Interventionen zielgenauer durchgeführt werden können (Kothgassner et al., 2022).
Untersuchungen zur attention restoration theory zeigen, dass Naturkulissen einen regenerativen Effekt auf Menschen ausüben (White et al., 2013). Liszio et al. (2018) kommen in diesem Zusammenhang bei 62 gesunden Proband*innen zum Resultat, dass VR-Naturexpositionen nach akutem Stress rasch eine positive Stimmung und Wohlbefinden fördern. Eine höhere Immersivität ist dabei ein wesentlicher Faktor, der die Entspannungsreaktion unterstützt. In zwei Fallstudien an der Universität Salzburg wurden mit dem VR Coach smart system VR-Naturaufnahmen im 360°-Modus gezeigt. Nach einem akuten Stressereignis (spontane Selbstpräsentation vor einer Gruppe) konnten innerhalb von zwei Minuten Herzratenvariabilität und Puls sehr schnell wieder in den Entspannungsbereich gebracht werden (Täuber & Altenhofer, i. V.).
Studien zu Naturexpositionen bei Angst- und Suchtpatient*innen vor, während und nach einer VRET-Intervention, wären interessant, um zu explorieren, ob sich der Stressfaktor mit diesen besser managen lässt.
Insgesamt ist VRET bei spezifischen Phobien puncto Wirksamkeit (Effektstärke) vergleichbar mit der In-vivo-Exposition und deutlich der Warteliste oder Kontrollgruppe überlegen. Der Vorteil der VR-Anwendung besteht vor allem in geringeren praktischen Hemmnissen. Entscheidend für die Akzeptanz der Patient*innen ist eine ausreichende Immersivität. Ist diese zu gering, wirkt sie sich auf eine erhöhte Abbruchrate aus (Swift & Greenberg, 2012; Fernandez et al. 2015; Benbow & Anderson, 2019). Die positiven Effekte der VRET bei Phobien auf den Alltag sind von Lindner et al. (2021) mit der lowered threshold hypothesis beschrieben, nach der VRET die Schwelle für Patient*innen reduziert, Konfrontationen mit phobischen Situationen im realen Leben einzugehen.
Bei Suchterkrankungen zeigt sich, dass unterschiedliche virtuelle Reize in Zusammenhang mit Süchten ein relevantes Ausmass an craving hervorrufen können. Diese Wirkung umfasst unterschiedliche Reize und Formen der Sucht, sodass von einem generellen Phänomen ausgegangen werden kann. Mehr noch gibt es Daten, wonach die wiederholte Konfrontation mit suchtdruckerzeugenden Reizen das craving reduzieren. Da eine zunehmende Zahl an Kliniken bereits auf VR bei Süchten setzen und hierzu untersuchen, wird die klinische Datenlage bei VRET von Missbrauchs- und Suchterkrankungen in den nächsten Jahren einen enormen Wissenszuwachs erfahren.
Es ist bei der VRET zu empfehlen, Entspannungsübungen zu erlernen oder anzuleiten. Dabei gibt es neben Ansätzen wie Atemtechniken, progressiver Muskelentspannung und Achtsamkeit auch die Option, über VR Entspannungsprogramme einzubauen. Der Einsatz von VR in der Entspannung könnte dazu führen, dass Patient*innen VR nicht nur mit dem negativen Reiz assoziieren, was sich wiederum positiv auf die Akzeptanz auswirken sollte. Ausserdem ist VR ein sehr effektives Tool, um sehr rasch physiologische Erholung von Stressreizen zu erlangen, wie eine Messung an der Universität Salzburg von Herzratenvariabilität und Puls gezeigt hat (Täuber & Altenhofer, i. V.). Eine Anforderung an VR-Systeme wäre es, dass diese es ermöglichen, entspannende Szene direkt in VRET-Programme einzuspielen. Dadurch kann effizient zwischen den Expositionen von Angst- und Suchtdruck-Reizen einerseits und den von Entspannungsszenen wie Berge, Meer und Wald gewechselt werden, ohne dass die Patient*innen etwas tun müssen.
Auch wenn Anwendungen in VR noch nicht auf breiter Front im klinischen Alltag integriert sind, wird ihre Wirksamkeit durch eine steigende Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen gestützt. Für den breiten Anwendungsbereich der VRET sind generell von Vorteil preisgünstige und niederschwellige Hard- und Software mit wahlweise Kauf- oder Mietmöglichkeiten, die Möglichkeit, unterschiedliche Szenarien hochzuladen und interaktiv einzusetzen, sowie hohe Immersivität.
Optimale Szenarien sind computergenerierte, voll-interaktive Umgebungen, durch die sich Patient*innen bewegen, dort Gegenstände greifen und Aufgaben lösen können. So kann der Grad der Konfrontation von Patient*innen, aber auch von Therapeut*innen individuell gesteigert werden. Teilweise ist auch eine spielerische Herangehensweise an angst- oder stressauslösenden Situationen möglich. Therapeut*innen können am Laptop aktiv in das Szenario eingreifen und verschiedene Änderungen bzw. Aktionen steuern. 360°-Filme werden ebenfalls für Expositionen in angst- oder stressauslösenden Situationen verwendet – ihr Vorteil liegt darin, dass sie ohne hohen Produktionsaufwand eine realistische Erfahrung bieten. Sinnvoll sind Szenarien mit Avataren, über die Therapeut*innen individuell zu den Patient*innen sprechen können sowie interaktive Szenarien mit Avataren. Bspw. können eingesetzt werden: hartnäckige Trinkaufforderungen durch Gäste, Lob und Kritik durch Vortragspublikum, kritische Fragen in einer Prüfungs- oder Bewerbungssituation, Gesprächsverwicklung in einem Bus oder im Flugzeug.
Allein aus diesen Möglichkeiten zeigt sich, wie viel Gestaltungsraum für Therapeut*innen und Potenzial in der Anwendung besteht. Die VRET wird daher in den nächsten Jahren noch stärker an Bedeutung in Psychologie, Psychotherapie und Psychiatrie gewinnen, andererseits aber hohe Anforderungen an Entscheidungen und Gesprächsführung durch Therapeut*innen stellen. Für klinische Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen werden Aus- und Weiterbildungen bereits angeboten (VR Coach GmbH: https://www.vr-coach.at).
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Exposure by pressing a button
Virtual Reality Exposure Therapy (VRET) for phobias and addictions
Absract: The use of exposure therapies is limited by the sometimes high effort that in vivo confrontations require. VRET (Virtual Reality Exposure Therapy) offers viable alternatives through controlled simulation of stimuli. VRET is therefore increasingly finding its way into psychotherapy and psychiatry. The overall level of evidence for VRET in specific phobias can be classified as very high. A major therapeutic challenge is the treatment of addictive disorders. The clinical benefit of VRET in the context of addictions has therefore been increasingly investigated in recent years. In various studies, a proof of concept could be shown that addicts react to the virtual confrontation with alcohol and other substances as well as gambling with increased addictive pressure. Concrete therapeutic concepts are currently being developed and investigated. The positive evidence base as well as technical advancements and lower acquisition costs speak for the spread of the application of VRET in psychiatric clinics and psychotherapeutic practices.
Keywords: virtual reality, virtual reality exposure therapy (vret), review, phobia, addiction, craving
Esposizione a portata di clic
Virtual Reality Exposure Therapy (VRET) contro fobie e dipendenze
Riassunto: L’utilizzo di terapie di esposizione è limitato a causa dell’impegno in parte elevato richiesto, dal momento che presuppongono confronti in vivo. La VRET (Virtual Reality Exposure Therapy), terapia di esposizione alla realtà virtuale, offre alternative praticabili grazie alla simulazione controllata degli impulsi ed è quindi sempre più utilizzata in psicoterapia e psichiatria. Il grado di evidenza della VRET in presenza di fobie specifiche è in linea generale molto elevato. Il trattamento delle dipendenze rappresenta una grande sfida terapeutica e negli ultimi anni l’utilità clinica della VRET per il trattamento delle dipendenze è stata oggetto di un numero crescente di studi. Molti di questi hanno fornito un proof of concept, dimostrando come chi soffre di dipendenza non reagisca con un aumento di desiderio quando viene posto davanti a un confronto virtuale con alcolici e altre sostanze, così come al gioco d’azzardo. Al momento si stanno sviluppando e analizzando interventi terapeutici concreti. Le evidenze positive, accanto agli sviluppi tecnici e ai costi di acquisto inferiori, sono tutti elementi a favore della diffusione dell’utilizzo della VRET nelle cliniche psichiatriche e negli studi di psicoterapia.
Parole chiave: Virtual Reality, Virtual Reality Exposure Therapy (VRET), fobia, dipendenza, desiderio
Der Autor
Dr. Marcus Täuber ist promovierter Neurobiologe, Lehrbeauftragter an der Universität Wien sowie als psychologischer Coach in freier Praxis tätig. Als Mitgesellschafter der VR Coach GmbH ist er mit fachlich-wissenschaftlichen Aspekten von Virtual Reality für psychische Probleme betraut.
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