Therapeut*innen in sozialen Medien

Anwendung professioneller und ethischer Grundprinzipien auf den Raum der sozialen Medien

Jana A. Heimes

Psychotherapie-Wissenschaft 13 (1) 2023 11–15

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CC BY-NC-ND

https://doi.org/10.30820/1664-9583-2023-1-11

Zusammenfassung: Im Zuge der Digitalisierung findet immer mehr private und öffentliche Kommunikation im Raum der sogenannten sozialen Medien statt. Auch das Thema der psychischen Gesundheit wird dort lebendig bewegt. Im Rahmen dieser Entwicklung sind auf verschiedenen digitalen Plattformen (z. B. Instagram) zahlreiche Accounts therapeutisch arbeitender Menschen entstanden, die sich diesem Thema widmen. Die Professionalität in der Umsetzung des öffentlichen Auftritts variiert dabei erheblich. Auch approbierte Psychotherapeut*innen nutzen soziale Medien mehr und mehr, um auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen, aufzuklären oder Berufspolitik zu betreiben. Bislang ist dieser öffentliche Raum für Therapeut*innen kaum reguliert. Umso wichtiger ist es, sich der professionellen Verantwortung bewusst zu sein, die auch dort ihre Gültigkeit hat. Diese beinhaltet insbesondere, therapeutische Prinzipien von Abstinenz und Neutralität auch auf das digitale Verhalten anzuwenden und dem potenziellen narzisstischen Sog der Plattformen zu widerstehen. Eine hilfreiche und verpflichtende Orientierung bieten die vier medizinethischen Prinzipien. Die Autorin reflektiert diese neue Entwicklung im vorliegenden Artikel aus psychodynamischer Perspektive und vor dem Hintergrund ihrer mehrjährigen Erfahrung mit ihrem eigenen Praxisprofil auf Instagram. Damit lädt sie ein zu einem fachlichen Diskurs, der eine professionellere Gestaltung des medialen Raums zum Ziel hat.

Schlüsselwörter: Soziale Medien, Instagram, professionelle Haltung, Neutralität, Abstinenz, Ethik

So wie sich psychotherapeutische Theorie und Praxis kontinuierlich weiterentwickeln, verändert sich auch die Umwelt, in der Psychotherapie Anwendung findet. In Zeiten voranschreitender Digitalisierung des öffentlichen und privaten Lebens findet immer mehr zwischenmenschliche Interaktion in sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram und auf Twitter statt. Die Themen, die dort bewegt und verhandelt werden, sind so vielfältig wie die Menschen, die sich dort austauschen.

Auch das Thema der psychischen Gesundheit hat seinen Weg in soziale Medien gefunden und wird dort unter anderem unter den Hashtags #mentalhealth oder #endthestigma geteilt. Einem Bedürfnis nach Orientierung, Heilung und Verbundenheit nachgehend suchen vielen Menschen nach Informationen und Austausch über Psychologie, Psychotherapie oder alternativen Heilverfahren. Diesem Publikum folgend haben in den letzten Jahren viele Coaches und Coachinnen oder andere Menschen mit therapeutischen Angeboten ihren Weg auf die Plattformen gefunden. Die Inhalte und Angebote auf Profilen, die sich diesem Thema widmen, sind von unterschiedlicher professioneller Güte. Es finden sich in sozialen Medien einige Profile qualifizierter Expert*innen. Ein grosser Teil der Accounts, die sich mit psychischer Gesundheit beschäftigen, scheint jedoch von Menschen geführt zu werden, die kaum bis wenig professionelle Ausbildung vorweisen können. So werden auf manchen Accounts Kurse verkauft, in denen in wenigen Schritten pathologische Angst für immer überwunden werden soll oder Traumaheilung durch wenige Sitzungen Onlinecoaching stattfinden soll. Dass solche Angebote irreführend sind oder gar schädlich sein können, ist für hilfesuchende Menschen in psychischen Krisen nicht immer nachvollziehbar. Vor dem Hintergrund einer angespannten Versorgungslage oder aufgrund unzureichender Information über die verfügbaren Angebote im Gesundheitssystem stellen solche vermeintlich schnellen Lösungen für tiefgreifende Probleme eine grosse Verlockung dar. Es ist zu vermuten, dass sich gerade vulnerable Menschen in Krisensituationen von dieser Art von Inhalten angezogen fühlen und besonders empfänglich für Heilsversprechen und vermeintlich einfache Lösungen sind. Dieser Personengruppe gegenüber besteht, auch online, eine besondere professionelle Verantwortung.

Die Gemeinschaft professionell ausgebildeter Psychotherapeut*innen sollte vor dieser Entwicklung nicht kapitulieren. Es gilt, die Räume der Aufklärung und Ansprache der Gesellschaft um den digitalen Raum zu erweitern. Aufklärung sollte dort stattfinden, wo sich möglichst viele Menschen angesprochen fühlen und Sichtbarkeit für das bedeutsame Thema der psychischen Gesundheit und Psychotherapie entstehen kann. Dies kann die Aufgabe staatlicher Institutionen sein, doch auch einzelne Behandler*innen können mit ihrer professionellen Sichtbarkeit in sozialen Medien ein Gegengewicht zur Fehlinformation über psychische Gesundheit und Kapitalisierung von Heilung bilden.

Immer mehr Therapeut*innen wagen den Schritt zur Sichtbarkeit in sozialen Medien und erstellen öffentliche Accounts für ihre Praxis. Ich selbst pflege seit nun fünf Jahren einen Account auf Instagram, der meine psychotherapeutische Praxis repräsentiert und auf dem ich Inhalte rund um psychische Gesundheit und (tiefenpsychologisch fundierte) Psychotherapie teile. Von Anfang an hat mich dabei die Frage beschäftigt, wie ich trotz dieser Öffentlichkeit den bedeutsamen Prinzipien der therapeutischen Abstinenz und Neutralität gerecht werden kann und wie sich die ethischen Grundprinzipien der therapeutischen Arbeit auf den Raum der sozialen Medien übertragen lassen. Damals liess sich zu diesen Fragen noch kein fachlicher Aufsatz, noch keine empirische Datenanalyse finden.

Gemeinsam mit drei anderen Kolleginnen, namentlich Julia Neumann, Tina Steckling und Hannah Elsche, habe ich mich in den letzten Jahren mit eben dieser Frage nach der konkreten Anwendung ethischer Grundprinzipien für professionelle Therapeut*innenaccounts in sozialen Medien intensiv beschäftigt. Unsere Recherchen, individuellen Erfahrungen und Auslegung der Berufsordnung haben wir in unserem Buch Social-Media-Profile in Psychotherapie, Beratung und Coaching (Neumann et al., 2022) zusammengefasst, um sie so auch anderen Therapeut*innen zur Verfügung zu stellen, die den Anspruch haben, ihrer Professionalität und Verantwortung auch online gerecht zu werden.

Ein professionelles Social-Media-Profil anzulegen, kann aus unterschiedlicher Motivation heraus geschehen. Im Austausch mit verschiedenen Kolleg*innen, die ein Profil auf der Plattform Instagram haben, erscheinen dabei vor allem folgende Beweggründe im Vordergrund zu stehen: der Wunsch, die Sichtbarkeit der eigenen Profession/des eigenen Verfahrens zu stärken, Aufklärung zu leisten, einen Beitrag zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen zu erbringen, kollegiale Vernetzung zu stärken und auf die eigene Praxis aufmerksam zu machen. Eine besondere Herausforderung ist dabei, dass viele der Strategien, die in sozialen Medien üblicherweise für Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit sorgen, für Therapeut*innen aufgrund der professionellen Haltung nicht infrage kommen. Statt sich dem Medium anzupassen, muss also ein Weg gefunden werden, das Medium der Profession entsprechend zu nutzten.

Zwar will und soll die Onlinepräsenz keinen Therapieersatz darstellen, doch gelten für Therapeut*innen, die öffentlich in eben dieser Funktion auftreten, die gleichen Ansprüche an Professionalität wie in der Praxis.

Berufsordnung und ethische Prinzipien

In der deutschen Muster-Berufsordnung für Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und Kinder- und Jungendlichentherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichentherapeuten (BPtK, 2007) gibt es bislang keine konkreten Richtlinien für das Führen eines professionellen Accounts in sozialen Medien. Auch in der Schweizer Berufsordnung (FSP, 2011, S. 10) sind diese noch nicht enthalten. Jedoch findet sich hier unter Artikel 28 eine klare Anforderung an die Professionalität der Mitglieder in Bezug auf öffentliche Auftritte: «Mitglieder, die in der Öffentlichkeit, namentlich in Vorträgen, Radio- oder Fernsehsendungen oder über das Internet, beratend oder kommentierend auftreten, stützen ihre Aussagen auf wissenschaftlich fundiertes Wissen oder auf die anerkannte psychologische Praxis ab.» Das in der Berufsordnung definierte berufswürdige Verhalten muss zweifelsfrei auch in sozialen Medien geltender Massstab sein. Berufswürdiges Verhalten hat laut deutscher Berufsordnung zum Ziel:

«[D]as Vertrauen zwischen Psychotherapeuten und ihren Patienten zu fördern, den Schutz der Patienten zu sichern, die Qualität der psychotherapeutischen Tätigkeit im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung sicherzustellen, die freie Berufsausübung zu sichern, das Ansehen des Berufs zu wahren und zu fördern und auf berufswürdiges Verhalten hinzuwirken und berufsunwürdiges Verhalten zu verhindern» (BPtK, 2007, S. 4).

Klare Orientierung, welchen Anforderungen berufswürdiges Verhalten unterliegt, geben dabei die vier medizinethischen Grundprinzipien (in Anlehnung an Beauchamp & Childress, 2008), nach denen sich therapeutisches Handeln richten soll: Schaden vermeiden, die Autonomie der Patient*innen respektieren, Nutzen mehren und Gerechtigkeit anstreben. Die Anwendung der medizinethischen Prinzipien in der psychotherapeutischen Arbeit beschreiben unter anderem Senf und Broda (2007). Die Berücksichtigung dieser Prinzipien muss heute ebenfalls auf den professionellen Auftritt in sozialen Medien ausgeweitet werden.

Prinzip der Nichtschädigung: Dieses Prinzip ist in der therapeutischen Arbeit absolut zentral. Neben dem rechtlichen Verbot, anderen an Leib, Leben, Ehre oder Eigentum Schaden zuzufügen oder einen solchen Schaden mit hoher Wahrscheinlichkeit zu riskieren, ist dieses Prinzip in der psychotherapeutischen Arbeit noch um den Aspekt der psychischen Schädigung ergänzt.

Mit der Erweiterung des Praxisraums um die digitale Sphäre kommen neue potenzielle Risiken hinzu. Diese können sich auf Abonnent*innen, Patient*innen, Kolleg*innen oder den Berufsstand auswirken. Schädigungen können bspw. durch Unprofessionalität auf inhaltlicher Ebene der Beiträge entstehen (z. B. durch das Verbreiten von Fehlinformation oder die Pathologisierung normaler psychischer Vorgänge). Zu Schädigung kann es auch durch Verletzung der Grenzen des geschützten Behandlungsraums und der verpflichtenden Vertraulichkeit kommen, wenn etwa Inhalte aus Sitzungen ihren Weg in die Öffentlichkeit finden.

Unprofessionelles Verhalten kann zudem die Reputation des Berufsstands beeinträchtigen. Dazu heisst es in der deutschen Berufsordnung (BPtK, 2007, S. 7): «Psychotherapeuten haben bei ihrem öffentlichen Auftreten alles zu unterlassen, was dem Ansehen des Berufsstandes schadet. Fachliche Äußerungen müssen sachlich informierend und wissenschaftlich fundiert sein. Insbesondere sind irreführende Heilungsversprechen und unlautere Vergleiche untersagt.» Dies beinhaltet auch die Verunglimpfung anderer (anerkannter) Therapieverfahren und öffentlich ausgetragene Konflikte unter Kolleg*innen.

Ein Beispiel für schädigendes Verhalten: Eine Therapeutin bewirbt auf ihrem öffentlichen Account einen kostenpflichtigen Onlineworkshop «Trauma heilen in drei Tagen» (irreführendes Heilsversprechen) und grenzt sich dabei bewusst von der gängigen Lehrmeinung ab, die sie als veraltet und überholt bezeichnet (nicht fachlich fundiert, Verunglimpfung).

Prinzip der Autonomie: Dieses ethische Prinzip rückt die Selbstbestimmung der Patient*innen in den Fokus. Deren Lebensziele, Wünsche und Einstellungen sollen respektiert werden, auch wenn sie nicht dem Wertekanon des Therapeuten, der Therapeutin entsprechen. Mit Blick auf den Onlineauftritt kann eine Verbindung zur Grundhaltung der therapeutischen Neutralität gezogen werden, die auch online ein bewertungsfreies Verhalten und eine Akzeptanz für Abweichendes erfordert.

Ein Beispiel für die Missachtung der Autonomie: Ein Therapeut veröffentlicht einen Text, in dem er sich pathologisierend über Menschen äussert, die Beziehungsmodelle abseits der traditionellen Kernfamilie wählen (diskriminierend, entwertend).

Prinzip der Fürsorge: Dieses Prinzip stellt eine der therapeutischen Hauptaufgaben dar: möglichen Schaden präventiv verhindern, eingetretenen Schaden zu lindern oder sogar zu heilen und das allgemeine Wohlbefinden zu steigern. Wie die Fürsorge den Abonnent*innen gegenüber aussehen kann, hängt sicherlich von der Art des Onlineauftritts ab. Die Frage, wie Leser*innen von den geteilten Inhalten profitieren können, sollte jedoch zentral sein. Hilfreiche Inhalte könnten etwa Psychoedukation, Unterstützung in der Selbstfürsorge oder Aufklärung über Angebote des Gesundheitssystems sein. Alle Beiträge sollten auf professionellen Kompetenzen wie Fachwissen, klinischen Fertigkeiten, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit fussen (Pope & Vasquez, 2010).

Ein Beispiel für fürsorgliche Vorgehen: Eine Paartherapeutin veröffentlicht konkrete Kommunikationsstrategien, die bei Paarkonflikten hilfreich sein können (Vermittlung von psychischen Fähigkeiten).

Prinzip der Gerechtigkeit: Dieses Prinzip beachtet die faire Behandlung aller Patient*innen, bezogen bspw. auf den Zugang zu Psychotherapie und die Verteilung von Ressourcen. Gleiche Fälle erfordern eine gleiche Behandlung, ungleiche Behandlung muss individuell moralisch begründet sein und darf nicht aufgrund der Nationalität, dem Geschlecht, dem Alter, dem Wohnort, der Religion, der sozialen Stellung oder dem bisherigen Verhalten in der Gesellschaft geschehen.

In Anwendung auf soziale Medien steht auch hier ein möglichst wertungsfreier Auftritt im Fokus. Ganz konkret kann Gerechtigkeit hier unter anderem auch bedeuten, durch gendergerechte Sprache, Barrierefreiheit (z. B. durch Bildbeschreibungen im Text für Menschen mit Sehbehinderung und Untertitel in Videos für Menschen mit einer Beeinträchtigung des Hörens) und dem Vermeiden unnötiger Fachsprache einen niederschwelligen Zugang und Inklusion zu ermöglichen.

Ein Beispiel für ein inklusives Vorgehen: Ein Therapeut veröffentlicht ein Video zum Thema Emotionsregulation. Dabei achtet er darauf, unverständliche Fachbegriffe zu vermeiden und unterlegt das Video mit Untertiteln.

So wie diese vier ethischen Grundprinzipien bieten auch die beiden zentralen therapeutischen Prinzipien der Abstinenz und Neutralität klare Orientierung im therapeutischen Handeln, die auf das professionelle Verhalten in sozialen Netzwerken angewandt werden kann. Die Prinzipien von Abstinenz und Neutralität stehen in der psychodynamischen Therapie besonders im Fokus, besitzen in ihrer Implikation jedoch allgemeine Gültigkeit für alle psychotherapeutischen Verfahren.

Das Prinzip der Abstinenz in der Psychotherapie bedeutet, dass das therapeutische Setting einzig der Besserung der Patient*innen dienen soll. Andere Wünsche und Bedürfnisse Therapeut*innenseite dürfen nicht in der therapeutischen Beziehung befriedigt werden (Mertens, 2014). Wie dieses Prinzip in der Praxis angewandt wird, wird im Rahmen therapeutischer Aus- und Weiterbildungen ausführlich betrachtet. Doch was bedeutet es für den Auftritt in sozialen Medien?

Im Rahmen dieser Frage ist es wichtig, den Blick auf die potenzielle Zielgruppe und das Publikum zu werfen. Es ist anzunehmen, dass sich in sozialen Medien insbesondere solche Menschen von psychologisch-psychotherapeutischen Inhalten angezogen fühlen, die sich aktuell in psychischen Krisen befinden oder sogar unter einer psychischen Erkrankung leiden. Man kann also von einer vulnerablen Leserschaft ausgehen, die Hoffnung und Orientierung sucht und für Inhalte zum Thema psychische Gesundheit empfänglich ist. Schon der in sozialen Medien übliche Begriff der «Follower*innen» zeigt auf, welches Projektionsfeld einzelne Accounts oder «Influencer*innen» bieten können. Wünsche und Hoffnungen, die an die Onlinepräsenz von Therapeut*innen gerichtet werden, sind vermutlich ähnliche, wie sie auch in der Praxis vorkommen: Der Wunsch, gesehen und verstanden zu werden, Bestätigung und Anerkennung zu erhalten, emotional versorgt zu werden und Verantwortung abgeben zu dürfen (nach König, 2005). Dieses Wissen führt zu der zwingenden Schlussfolgerung, dass ein Account, auf dem Behandler*innen in ihrer professionellen therapeutischen Rolle sichtbar werden, eine besondere Verantwortung in Bezug auf Professionalität und ethische Standards erfordert.

Dies wird besonders relevant, wenn mitgedacht wird, dass auch eigene oder zukünftige Patient*innen dem Account folgen können. Jeder Inhalt, der öffentlich auf Accounts geteilt wird, jede öffentlich einsehbare Onlineinteraktion kann ihren Weg in die therapeutische Beziehung finden. Zudem stellt der öffentliche individuelle Account immer auch eine Repräsentanz des Berufsstands dar, den es würdig zu vertreten gilt.

Die Algorithmen der sozialen Medien scheinen idealisierte, (vermeintlich) private und emotionalisierende Inhalte zu bevorzugen (Cotter, 2019). Ein diesem Prinzip folgendes Auftreten ist mit dem Prinzip der Neutralität nicht zu vereinen. Schon Freud (1919a, S. 190) mahnte, der*die Patient*in solle «nicht zur Ähnlichkeit mit uns, sondern zur Befreiung und Vollendung seines eigenen Wesens erzogen werden». Wertfreiheit Patient*innen gegenüber ist eine zentrale therapeutische Grundhaltung. Doch auch Therapeut*innen können in Versuchung geraten, online ihre professionelle Rolle zu verlassen und sich als ideales Objekt mit einem klaren Wissen über richtig und falsch zu präsentieren. Um das Prinzip der Neutralität auf das Führen eines Social Media-Accounts anzuwenden, muss der eigene Auftritt immer wieder bewusst reflektiert werden. Bekommen eigene Einstellungen, Meinungen und Werte zu viel Präsenz, verringert sich der Raum, in dem sich das Gegenüber mit seiner davon abweichenden Haltung angenommen fühlen kann.

Wie in der Praxis kann und muss auch in der öffentlichen Darstellung nie eine absolute Neutralität gewahrt werden. Schon allein die Auswahl der Beitragsinhalte, das individuelle Layout und der Stil der öffentlichen Interaktionen mit Follower*innen in den Kommentarspalten lässt die individuelle (therapeutische) Person sichtbar werden. Eine leicht positive Übertragung auf die öffentliche Persona, bei der die hoffnungsvolle Erwartung entsteht, im Gegenüber eine hilfreiche Person gefunden zu haben (Wöller & Kruse, 2015), kann vielleicht auch für Abonnent*innen eine gewisse stützende Funktion erfüllen. Es ist im Umkehrschluss allerdings auch zu befürchten, dass ein unreflektiert unprofessionelles Auftreten das Vertrauen in die Methode der Psychotherapie allgemein beschädigen und die Hemmschwelle erhöhen kann, sich tatsächlich in professionelle Behandlung zu begeben. Kommt es in sozialen Medien zu negativen Erfahrungen mit Therapeut*innen, erschwert dies eventuell, eine positive Erwartung gegenüber der Psychotherapie im Allgemeinen aufbauen zu können.

Anders als im direkten Patient*innenkontakt in der Praxis ist in sozialen Medien nicht klar, wer zum*zur Empfänger*in der Botschaften wird. Wo in der Praxis wohlüberlegte und gezielte Selbstoffenbarungen als Behandlungsintervention im individuellen Setting fruchtbar sein können, erreichen sie online ein ungefiltertes Publikum. Es muss immer mitgedacht werden, wie ein Beitrag auf dem professionellen Profil von tatsächlichen oder potenziellen Patient*innen gelesen und interpretiert und auf sich selbst und die Therapie bezogen werden könnte – also welches Übertragungspotenzial der Beitrag für einzelne Patient*innen bietet und welche Übertragungsmuster durch die Selbstoffenbarung auch gehemmt werden könnten. So mag ein Patient, der einen Beitrag seiner Therapeutin zur moralischen Verpflichtung zum Klimaschutz gelesen hat, gehemmt sein, sich mit seiner Ambivalenz und seinen inneren Konflikten in Bezug auf dieses Thema zu zeigen.

Natürlich kann es auch sonst zu Begegnungen ausserhalb des Praxisraums kommen, etwa im Supermarkt oder in anderen sozialen Situationen, in denen Patient*innen Privates über ihre Behandler*innen erfahren. Im Gegensatz zur Privatheit von Therapeut*innen, die hier sichtbar wird, kann und muss der professionelle Auftritt in sozialen Medien bewusster gesteuert werden.

Narzisstische Versuchung

Erfolg ist in sozialen Medien durch Aufmerksamkeit und Anerkennung in Form von «Likes» und der Anzahl der «Follower*innen» definiert. Die direkte Vergleichbarkeit dieser Werte kann zu Rivalität führen und die narzisstische Selbstdarstellung befeuern, die dem Medium inhärent ist (Gilmore, 2021). Eine Anpassung an diesen Mechanismus wird wiederum mit weiteren «Likes» verstärkt. Je mehr Aufmerksamkeit, desto grösser die narzisstische Zufuhr. Die Bedeutsamkeit des Accounts/der Onlinepersona für das narzisstische Äquilibrium gewinnt an Gewicht und muss durch immer mehr Präsenz abgesichert werden. Wie viel Sichtbarkeit Inhalte bekommen, bestimmen intransparente Algorithmen, die Nahbarkeit, Attraktivität und einfache Lösungen bevorzugen.

Dieser, sich «selbst verstärkende[n], narzisstische[n] Spirale» (Neumann et al., 2022) sollten sich Therapeut*innen mit professionellen Accounts bewusst entziehen. Eine solche Selbstinszenierung mit Fokus auf die eigene, idealisiert dargestellte Person widerspricht den genannten Prinzipien von Professionalität. Als adäquate Quelle begrenzter narzisstischer Befriedigung kann alternativ die Anerkennung für Fachlichkeit und Nützlichkeit der eigenen Beiträge dienen. «Bekanntheit ist kein Indikator für Kompetenz. Und Kompetenz als therapeutische Fachperson bedeutet, solche narzisstischen Eigendynamiken zu erkennen, zu verstehen und zu kontrollieren» (ebd.).

Fazit

All diese kritischen Überlegungen sollen am Ende keinesfalls davor abschrecken, auch als Psychotherapeut*in online und damit auch öffentlich sichtbar zu werden. Soziale Medien sind ein stetig wachsender Ort zwischenmenschlicher Interaktion und ein wichtiger Schauplatz gesellschaftlicher Entwicklung. Statt vor dem Unbekannten zurückzuschrecken, dürfen Psychotherapeut*innen mutig sein und proaktiv mitgestalten. Von der professionellen Repräsentation unseres Berufsstands kann dieser Ort sicher profitieren. Das Thema der psychischen Gesundheit hat in den letzten Jahren, auch verstärkt durch die Coronapandemie, immer mehr Aufmerksamkeit erhalten. Nun darf und sollte diese Chance für Aufklärung und Edukation auch von Expert*innen genutzt werden.

Jedoch besteht klar die Notwendigkeit einer weiteren theoretischen und vor allem auch empirischen Untermauerung dieser ersten Überlegungen. Bislang sind Therapeut*innen bei der Gestaltung ihrer Accounts und in Onlineinteraktionen sich selbst überlassen. Klare Richtlinien, die auch in der Berufsordnung verankert sind, sind vonnöten. Dafür ist ein reflektiertes Vortasten in diesen, bislang kaum regulierten Raum und ein fachlicher Diskurs darüber erforderlich. Die schiere Anzahl therapeutischer Accounts von Psychologiestudierenden, Psychotherapeut*innen in Ausbildung und approbierten Therapeut*innen, die in den letzten Jahren entstanden sind, zeigt auf, wie wichtig es ist, die Sensibilität für eine professionelle und ethische Haltung in sozialen Medien schon frühzeitig in der Ausbildung zu implementieren.

Letztendlich möchte ich mit meiner Arbeit eine bewusste individuelle und kollegiale Auseinandersetzung anregen, die therapeutische Verantwortung auch im Raum der sozialen Medien zu übernehmen und diesbzgl. gemeinsam neue Standards zu entwickeln.

Literatur

Beauchamp, T. L. & Childress, J. F. (2008). Principles of Biomedical Ethics (6. Aufl.). Oxford UP.

BPtK [Bundespsychotherapeutenkammer] (2007). Muster-Berufsordnung. https://www.bptk.de/wp-content/uploads/2019/01/20060113_musterberufsordnung.pdf.

Cotter, K. (2019). Playing the visibility game: How digital influencers and algorithms negotiate influence on Instagram. New media & society, 21(4), 895–913.

Freud, S. (1919a). Wege der psychoanalytischen Therapie. GW XII, 183–194.

FSP [Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen] (2011). Berufsordnung. https://www.psychologie.ch/sites/default/files/media-files/2019-07/rz_19fsp_berufsordnung_4sprachig_web.pdf.

Gilmore, K. (2021). Narzissmus und soziale Medien. In S. Doering, H.-P. Hartmann & O. F. Kernberg (Hg.), Narzissmus. Grundlagen – Störungsbilder – Therapie (S. 73). Schattauer.

König, K. (2005). Abstinenz, Neutralität und Transparenz in psychoanalytisch orientierten Therapien. Klett-Cotta.

Mertens, W. (Hg.). (2014). Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe (4. Aufl.). Kohlhammer.

Neumann, J., Steckling, T., Heimes, J. & Elsche, H. (2022). Social-Media-Profile in Psychotherapie, Beratung und Coaching. Beltz.

Pope, K. S. & Vasquez, M. J. T. (2010). Ethics in Psychotherapy and Counseling: A Practical Guide (4. Aufl.). Wiley.

Senf, W. & Broda, M. (2007). Praxis der Psychotherapie. Thieme.

Wöller, W. & Kruse, J. (Hg.). (2015). Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Basisbuch und Praxisleitfaden (4. Aufl.). Schattauer.

Therapists in social media

Applying professional and ethical principles to the social media space

Abstract: In the context of digitalization, more and more private and public communication takes place in the space of so-called social media. The topic of mental health is also vividly moved there. In the context of this development, numerous accounts of therapeutically working people have emerged on various digital platforms (e. g. Instagram), which are dedicated to this topic. The professionalism in the implementation of the public appearance varies considerably. Licensed psychotherapists are also using social media more and more to draw attention to their work, to educate or to pursue professional politics. So far, this public space for therapists has hardly been regulated. It is therefore all the more important to be aware of the professional responsibility that also applies there. This includes, in particular, applying therapeutic principles of abstinence and neutrality to digital behavior and resisting the potential narcissistic pull of the platforms. The four medical ethical principles offer a helpful and obligatory orientation. In this article, the author reflects on this new development from a psychodynamic perspective and against the background of her several years of experience with her own practice profile on Instagram. In doing so, she invites a professional discourse aimed at a more professional design of the media space.

Keywords: social media, Instagram, professional stance, neutrality, abstinence, ethics.

Terapeuti e social media

Utilizzo di principi di base professionali ed etici nella sfera mediale

Riassunto: Con l’avvento della digitalizzazione un numero sempre crescente di comunicazioni private e pubbliche avviene all’interno dei cosiddetti social media e anche il tema della salute psichica vi viene affrontato con frequenza. A fronte di questo sviluppo, su diverse piattaforme digitali (ad es. Instagram) sono comparsi numerosi account di persone che lavorano come terapeuti e che si dedicano a questo tema, ma la professionalità collegata a questi profili pubblici varia in maniera molto significativa. Anche gli psicoterapeuti abilitati utilizzano sempre più spesso i social media per attirare l’attenzione sul loro lavoro, informare o portare avanti politiche professionali. Ad oggi questo spazio pubblico praticamente non prevede regole da rispettare per i terapeuti: tanto più importante è, quindi, che questi siano consapevoli della loro responsabilità professionale, valida anche sui social network. In particolare devono ricordare che i principi terapeutici dell’astinenza e della neutralità vanno applicati anche ai comportamenti digitali e che devono resistere alla potenziale deriva narcisistica a cui possono portare queste piattaforme. I quattro principi dell’etica medica offrono un valido aiuto per orientarsi e agire nel rispetto dei propri obblighi professionali. Nel presente articolo l’autrice riflette su questo nuovo sviluppo da un punto di vista psicodinamico, alla luce della sua esperienza pluriennale con un profilo professionale su Instagram. Invita così a promuovere un confronto tecnico che mira a strutturare in modo più professionale lo spazio mediale in cui ci si muove.

Parole chiave: Social media, Instagram, atteggiamento professionale, neutralità, astinenza, etica

Die Autorin

Jana A. Heimes ist psychologische Psychotherapeutin im Verfahren der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie im Einzel- und Gruppensetting. Sie arbeitet in Berlin in eigener Praxis und führt für diese seit 2018 einen öffentlichen Account auf Instagram (@psycho_dynamik). Im kollegialen Austausch hat sie sich umfassend mit den Möglichkeiten und Grenzen eines professionellen Auftritts in sozialen Medien beschäftigt und ist Coautorin des Buchs Social-Media-Profile in Psychotherapie, Beratung und Coaching (2022).

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