Hauser, R., Heidelberg, R., Weyermann, R., Helbling, J.,
Goodbread J., Hörtreiter, S. & Apel, C. (2022).
Prozessorientierte Psychotherapie. Einführung in Theorie, Methoden und Praxis
Gießen: Psychosozial-VerlagISBN: 978-3-8379-3153-2280 S., 52.90 CHF, 36.90 EUR
Psychotherapie-Wissenschaft 12 (2) 2022 102–103
www.psychotherapie-wissenschaft.info
https://doi.org/10.30820/1664-9583-2022-2-102
Die AutorInnengruppe um Reini Hauser stellt in diesem Buch die Prozessorientierte Psychotherapie anschaulich und kompakt dar und gibt eine fundierte Einführung in diesen Psychotherapieansatz, der unter der Verantwortung der ASP in Zusammenarbeit mit dem Institut für Prozessarbeit, Zürich, gelehrt wird und vom Bund akkreditiert ist.
Es ist den AutorInnen gelungen, eine gut zu lesende Darstellung der Metatheorien, des schulenspezifischen Theoriemodells und der Praxeologie zu vermitteln. Die Prozessorientierte Psychotherapie hat ihre Wurzeln in der Analytischen Psychologie C. G. Jungs, hat ihren Ansatz aber durch Bezugnahme auf anderen Metatheorien neu verortet und zählt sich heute zu Recht zu den humanistisch-experienziellen Therapieformen. Dies wird in den beiden Kapiteln «Metatheorien» und «Theoriemodell» überzeugend dargelegt. Eine besondere Bedeutung kommt der Phänomenologie und Leiblichkeit, der Bindungs- und der Kommunikationstheorie zu. Das Theoriemodell ist ein integratives und fokussiert auf die Struktur und Dynamik von Prozessen, wie auch auf ein Wahrnehmungsmodell, das sich auf die Kommunikationstheorie und die Bedeutung von (auch sensorischen) Signalen stützt.
Im Kapitel «Praxeologie» werden anschaulich die besonderen «Werkzeuge» bzw. Vorgehensweisen dieses Therapieansatzes vorgestellt. Das Arbeitsmodell der Prozessorientierten Psychotherapie wird beschrieben, ebenso Veränderungsprozesse in Sitzungen, wie TherapeutInnen Prozessen folgen und diese führen. Die Gestaltung der therapeutischen Beziehung wird als Grundlage des therapeutischen Handelns reflektiert und betont. Der Einfluss der Bindungstheorie auf das therapeutische Handeln wird erörtert. Die theoretischen Ausführungen sind mit anschaulichen Praxisbeispielen illustriert.
Einen besonderen Schatz stellt das Kapitel «Methodenspezifischer Umgang mit Störungsbildern» dar. Besprochen werden depressive Störungen, Angst- und Panikstörungen, somatische Belastungsstörungen, Abhängigkeitsstörungen, die Borderline-Persönlichkeitsstörung und Psychosen. Diese Abschnitte führen anhand der ICD- oder der DSM-Kriterien in das Störungsbild ein, schildern Ansätze anderer Therapierichtungen zum Umgang damit und fokussieren schliesslich auf das methodenspezifische Vorgehen in der Prozessorientierten Psychotherapie. Anschauliche Vignetten aus Therapiegesprächen illustrieren das Vorgehen.
Ein eigenes Kapitel ist der Gruppentherapie gewidmet, die ein wichtiges und wirksames Setting für die Prozessorientierte Psychotherapie darstellt. Beide Kapitel sind durch Bezüge zur Psychotherapieforschung (allgemein und schulenspezifisch) gut unterlegt.
Im Kapitel «Wirksamkeit» werden Forschungsbelege zur Wirksamkeit der humanistisch-experienziellen Ansätze angeführt, aber auch schulenspezifische Forschungsresultate, wie etwa diejenigen der PAP-S (Praxisstudie Ambulante Psychotherapie Schweiz), in der der Prozessorientierten Psychotherapie eine hohe Wirksamkeit bescheinigt wird.
Im letzten Kapitel wird die Forschungstradition innerhalb des Instituts und der Weiterbildung beschrieben und auch die internationale Beziehung zu Forschungsverbünden dargelegt. Zum Schluss wird auch über die Grenzen der Anwendbarkeit des Ansatzes reflektiert. Es folgen Literaturangaben, Abbildungen und Tabellen, Fallbeispiele und ein Glossar. Im Anhang werden einige Dokumente zur Praxeologie, Übungen, Gruppentherapie und Forschung beigelegt.
Das Buch gibt eine fundierte Einführung und ist zugleich ein wertvolles Lehrbuch. Es ist auch für TherapeutInnen anderer Richtungen mit einem Interesse an vergleichender Psychotherapie gut lesbar und gibt Anregungen auch für die eigene Arbeit. Gewöhnungsbedürftig und den Lesefluss etwas störend ist die gewählte Genderschreibweise mit Doppelpunkt. Verantwortlich dafür sind wohl weniger die AutorInnen als der Verlag.
Erschreckend ist der aktuelle Buchhandelspreis in der Schweiz. Eine so hohe Differenz zum Europreis ist stossend, insbesondere da der Euro heute gar weniger Wert hat als der Franken. Da kann man nur empfehlen, das Buch in Deutschland zu kaufen und den Schweizer Buchhandel zu umgehen. Die Schrift ist auch als E-Book erhältlich, zu einem deutlich günstigeren Schweizer Preis.
Peter Schulthess