Tagungsbericht

SEPI Annual Meeting/Conference, 21.–24. Juni 2022 (Lausanne), 22.–23. Juni 2022 (online)

Psychotherapie-Wissenschaft 12 (2) 2022 100

www.psychotherapie-wissenschaft.info

CC BY-NC-ND

https://doi.org/10.30820/1664-9583-2022-2-100

Da mit dem aufgrund der Pandemie nur online abgehaltenen Kongress im letzten Jahr gute Erfahrungen mit der Online-Teilnahme gemacht worden sind, hat sich die SEPI entschlossen, angesichts der Klimakatastrophe ihre Jahreskongresse künftig konsequent hybrid abzuhalten. Vor Ort für Teilnehmende aus der Region und online für solche, die lange Flugreisen unternehmen müssten, um teilzunehmen. Die SEPI will damit einen Beitrag leisten zur Reduktion des Kongresstourismus und seiner Auswirkungen auf das Klima.

SEPI ist die Society for the Exploration of Psychotherapy Integration, eine internationale interdisziplinäre Organisation, die zum Ziel hat, theoretische Konzepte, klinische Praxis und verschiedene Untersuchungs-und Therapiemethoden zu integrieren. SEPI bringt ForscherInnen und klinische PraktikerInnen zusammen, damit sie voneinander lernen können – so das Statement auf ihrer Homepage (https://www.sepiweb.org). Im Rahmen der SEPI gibt es auch weltweit verschiedene regionale Netzwerkgruppen mit eigenen Aktivitäten. Das Schweizer Netzwerk wird von Prof. Ueli Kramer, Universität Lausanne, koordiniert.

Dieses Jahr fand der 38. Jahreskongress statt. Es war der erste hybrid durchgeführte Anlass. Ich habe ihm aus den Philippinen online beigewohnt. Natürlich kamen so leider das Netzwerken vor Ort und die Pflege von persönlichen Kontakten zur Schweizer und internationalen Forschungscommunity zu kurz. Inhaltlich war die Online-Teilnahme aber dennoch spannend.

Insgesamt hatte der Anlass etwa 300 Teilnehmende. Es gab Plenarveranstaltungen und auch parallel stattfindende Panels, Symposien, Workshops und Präsentationen, zu denen man sich in verschiedene virtuelle Räume einloggen konnte. Ein Vorteil der virtuellen Teilnahme ist, dass man problemlos wechseln kann zwischen diesen parallelen Veranstaltungen, je nach eigenem Interesse. Insgesamt gab es 42 Veranstaltungen innert zwei Tagen, die meisten auf Englisch, aber auch solche auf Französisch und Türkisch. Das übergreifende Tagungsthema war «Toward a Common Core of Psychotherapy» (Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Kern der Psychotherapie).

In einem Eröffnungspanel wurde der Weg der Psychotherapie-Integration nachgezeichnet: Von einem eher chaotischen und fragmentierten Pluralismus zu einem theoretisch integrierten Pluralismus. Das wurde als Metamodernismus bezeichnet. In einem weiteren Schritt bezog man sich auf die allgemeinen Wirkfaktoren (common factors) der Psychotherapie und bewegt sich nun auf eine kohärente Theorie zu, die den schulenübergreifenden Kern der Psychotherapie beschreiben kann. Dieser letzte Schritt wird als «unification» bezeichnet. Eine kohärente metatheoretische Sicht des Feldes der verschiedenen Psychotherapie-Ansätze soll entstehen können. In seiner Präsidialrede zeigte Gregg Henriques auf, mit welchen Problemen und Mechanismen ein solcher Prozess zur Formulierung von Prinzipien eines Kerns der Psychotherapie verbunden ist.

Wie meist an solchen Kongressen nahm auch die Arbeit mit Gefühlen (beeinflusst durch die Emotionsforschung und die Forschung zur Wirksamkeit der Emotionsfokussierten Therapie [EFT]) einen gebührenden Platz ein, diesmal mit einer strukturierten Diskussion unter sechs VotantInnen unterschiedlicher Therapierichtungen zum Thema, wie das Training angehender PsychotherapeutInnen gestaltet sein soll, um zu lernen, mit Gefühlen zu arbeiten. Andere Veranstaltungen betrafen die «deliberate Practice» (wohl durchdachte Praxis): je mehr Training, desto mehr reflektierte Praxis (anhand von Videoaufzeichnungen in Intervisionsgruppen besprochen), desto besser die Praxis bzw. die professionelle Kompetenz der TherapeutInnen. Ein weiteres Panel setzte sich mit dem Thema «Psychotherapy for personality pathology: Developing an integrative focus on mechanisms of change» auseinander. Viele andere spannende Themen wären noch aufzuführen.

Die SEPI-Tagungen zeichnen sich durch einen engagierten, forschungsgestützten und schulenübergreifenden Dialog über Gemeinsames in der Psychotherapie aus. Sie zeugen davon, dass in der internationalen universitären Fachwelt eine Entwicklung von der Zersplitterung in einzelne Schulen über Patchwork-Therapiepraxis, wo willkürlich Interventionen aus anderen Therapiemodellen ungeachtet deren Menschenbilds zusammengefügt werden, hin zu einer integrierten Theorie der Psychotherapie-Integration im Entstehen begriffen ist. Etwas, das man auch als Entwicklung einer Psychotherapiewissenschaft bezeichnen kann. Hier geschieht etwas im grossen internationalen Rahmen, was wir in der Schweiz mit den wissenschaftlichen Kolloquien innerhalb der Charta für Psychotherapie im Kleinen seit Jahren auch tun. Nur schade, dass an den SEPI-Tagungen so selten KollegInnen aus den in der Charta vertretenen Therapierichtungen anzutreffen sind. Als ob wir uns immer noch scheuen würden, den Kontakt zur universitären Psychotherapie und Forschung zu suchen und uns am Diskurs zur Psychotherapie-Integration unter Wahrung der Bedeutung einer Pluralität von Psychotherapierichtungen zu beteiligen.

Peter Schulthess