Evaluation von daseinsanalytischen Therapien

Bericht aus einem Seminar des Daseinsanalytischen Seminars DaS

Alice Holzhey

Psychotherapie-Wissenschaft 12 (1) 2022 23–30

www.psychotherapie-wissenschaft.info

CC BY-NC-ND

https://doi.org/10.30820/1664-9583-2022-1-23

Zusammenfassung: Das BAG erhebt für die zweite Akkreditierungsrunde auch die Forderung nach Evaluierung der von den Kandidaten in den verschiedenen psychotherapeutischen Weiterbildungsinstitutionen durchgeführten Therapien, um auf diese Weise die Wirksamkeit der dort vermittelten psychotherapeutischen Methoden zu prüfen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Als problematisch erweist sich die Forderung dann, wenn dazu Instrumente vorgeschrieben werden, die Wissenschaftskriterien erfüllen, die nur im Bereich der naturwissenschaftlichen Forschung Geltung beanspruchen können. Im zu referierenden Seminar wollten wir herausfinden, ob es bewährte Instrumente gibt, die wir zum Zweck einer Evaluation von daseinsanalytischen Therapien zumindest partiell übernehmen könnten. Wir vertieften uns zuerst in das Duo von BSCL und HoNOS als rein symptomorientierte Fragebogen, weil diese in den psychotherapeutischen Kliniken der Schweiz bereits seit 2011 standardmässig angewendet werden, um die Wirksamkeit der dort durchgeführten Psychotherapien zu evaluieren. Deren Lektüre war für uns informativ und machte uns zugleich perplex. Hingegen beeindruckte uns positiv die HUS, weil sie die verschiedenen Stadien eines psychoanalytisch-hermeneutischen Psychotherapie-Prozesses abbildet und insofern auch der daseinsanalytischen Psychotherapie kongruent ist. Würden wir diese Skala aber telquel übernehmen, bliebe das spezifisch Daseinsanalytische draussen. Wir wandten uns deshalb abschliessend der Frage zu, wie die Stufen der HUS sowie die erforderlichen Foki umformuliert werden könnten/müssten, damit in ihnen auch die existenzphilosophische Dimension zum Ausdruck kommt, die in der am DaS gelehrten und praktizierten «Daseinsanalyse» den psychoanalytischen Ansatz ergänzt und vertieft.

Schlüsselwörter: zweite Akkreditierung, psychoanalytische Psychotherapie, Daseinsanalyse, Existenzphilosophie, Evaluationsinstrumente, sachliche Kongruenz, wissenschaftliche Validierung

Unter obigem Titel führten am 30. Oktober 2021 Alice Holzhey und Gisela Thoma im Rahmen des Daseinsanalytischen Seminars DaS ein ganztägiges Seminar durch. Das Seminarkonzept stand anfänglich im Zusammenhang der intern noch auf Hochtouren laufenden Debatte für oder gegen eine zweite Akkreditierung. Der diesbezügliche Entscheid drängte, da für das DaS die Frist für die Zusendung der Unterlagen ans BAG bereits im November 2021 ablief. Als dann unser Seminar auf den Herbst verschoben werden musste, war der diesbezügliche Entscheid der Seminarleitung bereits in negativem Sinne gefallen. Wir sahen darin aber keinen hinreichenden Grund, um deswegen unser Seminar abzublasen. Wir fühlten uns im Gegenteil sogar freier in dessen Gestaltung.

Mit welcher Problematik wir uns dabei genau befassen wollten, verrät allerdings erst der Untertitel der Seminarankündigung: Wie müss(t)en die Instrumente beschaffen sein, mit denen eine Evaluation durchgeführt wird? Diese Frage hat es deshalb in sich, weil man sie zweifach auffassen und entsprechend auch zwei Antworten darauf geben kann. Der im «müss(t)en» angedeutete Konjunktiv weist bereits auf jenes Problem hin, das sich bestimmten psychotherapeutischen Richtungen dann stellen kann, wenn sie beiden Antworten genügen wollen. Mit der Diskussion dieses Problems startete unser Seminar, denn es war uns bewusst, dass damit die heute weitherum geltende Auffassung infrage gestellt wurde, wonach seit Beginn der 1990er Jahre die früheren Streitereien zwischen den psychotherapeutischen Schulen Schnee von gestern seien. Damals wurde gemäss dieser Auffassung ein Paradigmenwechsel auf dem Gebiet der Psychotherapie eingeläutet, den Klaus Grawe mit seinem 1994 publizierten Buch auf den eingängigen Slogan Von der Konfession zur Profession gebracht hatte. Dieser Wechsel war letztlich ein Wechsel der Perspektive: Statt eine psychotherapeutische Richtung aufgrund des ihr immanenten Menschenbildes, des jeweiligen Therapieziels und der diesem Ziel entsprechend verwendeten Therapiemethoden zu beurteilen, sollte ab jetzt nur noch ihre – mit wissenschaftlich validen Methoden nachgewiesene – Wirksamkeit zählen. Dank dieses Perspektivenwechsels schien sich die Antwort auf die Frage, welche Psychotherapien als «professionell» einzustufen seien, von selbst zu ergeben: Es sind jene, die mit wissenschaftlich validen Evaluationsinstrumenten eine möglichst grosse, möglichst effiziente, möglichst nebenwirkungsarme und überdies möglichst kostengünstige Wirksamkeit nachzuweisen vermögen.

Wissenschaftliche Validität vs. Angemessenheit der Evaluationsinstrumente

Die eine Antwort auf die Frage, wie die Evaluationsinstrumente beschaffen sein müss(t)en, erhält man dann, wenn man das Wie auf die wissenschaftliche Validität der Instrumente bezieht, die zur Evaluation eingesetzt werden. Sie lautet dann: Diese müss(t)en so beschaffen sein, dass die durch diese Evaluation gewonnenen Resultate selbst «wissenschaftlich valide» sind. In dieser Antwort drückt sich der besagte Paradigmenwechsel aus. Wir Daseinsanalytiker1 sehen das Problem nicht darin, dass die Gewinnung der Resultate auf wissenschaftlichem Weg zu erfolgen hat, sondern darin, dass sich der Wissenschaftsbegriff in Psychologie und Psychiatrie ebenfalls seit den 1990er Jahren extrem verengt hat und auf eine «Objektivität» in naturwissenschaftlichem Sinne abzielt, die letztlich nur mittels quantitativer Methoden zu erreichen ist.

Die andere Antwort erhält man, wenn man das Wie auf den jeweiligen Anwendungsbereich von Evaluationsinstrumenten bezieht. Dann wird zwangsläufig der totgesagte Disput um die Eigenart unterschiedlicher Psychotherapien wieder lebendig. Denn jetzt stellt sich die Frage, woran sich eine positive Wirkung auf dem Gebiet seelischen Leidens ablesen lässt. Kann man sich für die Beantwortung dieser Frage an der somatischen Schulmedizin orientieren? Wir Daseinsanalytiker meinen Nein, weil rein somatisches Leiden einerseits, psychosomatisches sowie rein psychisches Leiden andererseits sich keinesfalls gleichsetzen lassen. Das wusste man früher noch, doch seit alles unter demselben Oberbegriff «Krankheit» läuft, scheint eine Parallelisierung plötzlich angemessen: Wer krank ist, sei es somatisch oder psychisch, verdient eine seiner Krankheit angemessene Behandlung, um wieder gesund zu werden. Und zeigt sich die Gesundung nicht beiderorts – jedenfalls für den Patienten – darin, dass die Krankheitssymptome verschwunden sind?

Das mag plausibel tönen, solange man nicht genauer hinschaut, und man schaut seit dem besagten Paradigmenwechsel unter anderem auch deswegen nicht mehr genauer hin, weil er verbunden ist mit der Übernahme des medizinisch-psychiatrischen Denkansatzes, der von den beiden Leitbegriffen «Gesundheit» (respektive Normalität, Ungestörtheit, Wohlbefinden) und «Krankheit» als Privation von Gesundheit geleitet ist – nicht anders als in der somatischen Medizin. Damit wird unterstellt, es gehe auch in der Psychotherapie um die Beseitigung der «Krankheit» und ihrer «Symptome» im Dienst der Wiederherstellung der psychischen Gesundheit. Was hier fehlt, ist die Frage, ob man somatische und psychische Symptome wirklich einander gleichsetzen kann oder ob psychische Symptome eine ganz andere Qualität haben als somatische. Solange diese Frage unterschlagen wird, kann man sich problemlos darauf einigen, worauf die Evaluation von Psychotherapien fokussieren darf, ja muss, um deren Wirksamkeit festzustellen: auf nichts anderes als darauf, ob die anfänglich bestandenen Krankheitssymptome weiterhin bestehen, sich gar verstärkt oder sich, wie angestrebt, abgeschwächt (gemildert) haben, wenn sie nicht sogar ganz verschwunden sind. Denn ist es nicht evident, dass eine positive Wirkung sich im zunehmenden Verschwinden der Symptome anzeigt, derentwillen sich der Patient krank gefühlt hat? Ist man sich darin einig, folgt daraus auch schon, dass die Evaluationsinstrumente, die zum Einsatz kommen, alle demselben Schema gehorchen dürfen, ja sollen. Es braucht dann nicht verschieden geartete Evaluationsinstrumente, die dann unweigerlich auch je andersartige Resultate liefern würden, sondern nur gleichgeartete, was auch die Nachprüfung ihrer wissenschaftlichen Validität enorm erleichtert.

Wenn sich aber hinter dieser plausibel klingenden Einigung ein schwerwiegendes Vorurteil verbergen würde, das durch die allzu unbedachte Gleichsetzung von somatischem und seelischem Leiden bedingt wäre? Macht diesbezüglich nicht schon der auffällige Unterschied in der somatischen und psychopathologischen Diagnostik misstrauisch? Wie soll man verstehen, dass der somatisch kranke Patient (ausser im hohen Alter oder im terminalen Stadium) meist gleichzeitig nur an einer Krankheit leidet, derentwillen er vom Arzt derzeit behandelt wird, während der seelisch Leidende nach medizinischem Gesichtspunkt selten nur eine Diagnose hat, sondern meist gleich mehrere, weshalb die sogenannte «Komorbidität» beinahe zur Regel geworden ist. Das aber hat mit der qualitativen Andersartigkeit psychischer Symptome zu tun, die weit variabler sind und sich selten ‹brav› unter den Hut eines einzigen Krankheitsbildes bringen lassen.

Nimmt man hingegen das zweite Wie hinzu, dann sollen die Evaluationsinstrumente jene «Wirkung» messen, auf die mit einer bestimmten Psychotherapiemethode abgezielt wird. Gehört es nicht gerade zum wissenschaftlichen Ethos, qualitativ Verschiedenartiges nicht über denselben Leisten schlagen zu dürfen? Diesem Ethos gemäss ist es auch unzulässig, psychotherapeutische Methoden, die aufgrund eines hermeneutischen Konzepts von seelischem Leiden gar nicht auf eine möglichst effiziente Eliminierung der Symptome abzielen können, ihrer Andersartigkeit zum Trotz mit Instrumenten zu evaluieren, die von ihrer Eigenart her einzig dafür geeignet sind, eine «Wirkung» auf der Symptomebene zu messen.

Vom unterschiedlichen Schwierigkeitsgrad symptomorientierter und psychoanalytisch-hermeneutischer Evaluationsmethoden

In der hier referierten Anfangsdiskussion wurde uns bewusst, dass die am DaS gelehrte Daseinsanalyse nur dann angemessen zu evaluieren ist, wenn dafür Instrumente verwendet werden, die auch dem Erfordernis der inhaltlichen Adäquatheit an die daseinsanalytische Psychotherapie gerecht werden. Hätte sich diese Bedingung auch unter den neuen, stärker auf Wissenschaftlichkeit setzenden Richtlinien des BAG verwirklichen lassen? Im Seminar kamen uns diesbezügliche Zweifel erneut, obwohl aus den Richtlinien kein direkter Hinderungsgrund herauszulesen ist. Denn das BAG schreibt in der Tat nicht vor, welche Instrumente für die Evaluation anzuwenden sind, und es lässt auch explizit Platz für die Anwendung «qualitativer» Methoden; es fordert lediglich, es seien auch quantitative Methoden mitzuberücksichtigen.

Der Haken ist nur, dass bei der Wahl qualitativer Methoden die zugeteilten «Experten» darüber entscheiden, ob diese auch hinreichend «wissenschaftlich valide» sind respektive, welchem Wissenschaftsbegriff sie bei ihrem Urteil folgen. Und unklar bleibt überdies, welches Gewicht den qualitativen Evaluationsmethoden respektive den mit ihnen gewonnenen Resultaten im Rahmen der Akkreditierung überhaupt zugemessen werden kann, braucht es dafür doch weit mehr «Expertentum» als für die Beurteilung der mittels quantitativen Methoden gewonnenen Resultate, wo vermeintlich «objektive Zahlen» ein eigenes Urteilsvermögen der Experten erübrigen.

Da für uns die Würfel eh schon gefallen waren, schien es uns auch überflüssig, noch länger darüber zu werweissen. Ich will hier auch nicht den Eindruck vermitteln, unsere Befürchtung hinsichtlich der künftigen Evaluationspraxis des BAG sei der einzige Grund gewesen, auf eine zweite Akkreditierung unsererseits zu verzichten, auch wenn zutrifft, dass der Seminarleitung bei ihrem Entscheid der Brief der Psychologieprofessoren ans BAG als grosse Bedrohung im Nacken sass. Es kamen auch finanzielle und personelle Gründe hinzu, die den Verzicht auf einen zweiten Versuch ebenfalls ratsam erscheinen liessen.

Brief der Professoren der klinischen Psychologie ans BAG vom August 2019

Der besagte Brief der Psychologieprofessoren ans BAG wird in dessen neuen «Richtlinien» erwähnt, weshalb wir ihn zur Lektüre vom BAG angefordert hatten. Er kam am Seminar deshalb erneut zur Sprache, weil in ihm ganz deutlich der Wille der Professorenschaft zum Ausdruck kommt, auf die zweite Akkreditierung Einfluss nehmen zu wollen, und zwar angeblich aufgrund ihrer tiefen Besorgnis über die zukünftige Qualität der ambulanten psychologischen Psychotherapie in der Schweiz. Dieser Brief trägt zwar nur die Unterschrift von Meinrad Perrez aus Fribourg und Birgit Watzke aus Zürich; in einem separaten Brief haben jedoch 22 weitere Psychologieprofessoren aus sämtlichen Schweizer Universitäten mitunterzeichnet.

Die Macht eines solchen Briefes ist, so schien es uns, nicht zu unterschätzen, vor allem dann, wenn darin der Vorwurf erhoben wird, bei der ersten Akkreditierungsrunde, die 2016 begann, sei Artikel 5 des Psychologieberufegesetzes (PsyG) «nicht zentral bewertet» worden, weshalb «eine Reihe von psychotherapeutischen Ansätzen akkreditiert» worden seien, die «weder theoretisch noch empirisch auf den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen im Fachgebiet der Psychologie basieren» würden. Wir vom DaS konnten gar nicht anders, als uns «mitgemeint» zu finden in diesem Satz. Zudem stellt dieser eine Satz schon klar, dass die Uniprofessorenschaft in klinischer Psychologie eine «längerfristige Sicherung der hohen Qualität der psychotherapeutischen Versorgung» gleichsetzt mit der «Sicherstellung», «dass die Patienten eine Behandlung erhalten, die auf wissenschaftlicher Grundlage beruht». Was das heisst, wird erst klar, wenn man mitbedenkt, dass seit der Emeritierung der Psychoanalytikerin Brigitte Boote in Zürich im Jahr 2014 sämtliche Lehrstühle an psychologischen Instituten aller Universitäten der Schweiz von Vertretern von KT und KVT besetzt sind, hängen doch die Vertreter dieser Psychotherapierichtung einem extrem verkürzten, eng an die Naturwissenschaften angelehnten Wissenschaftsbegriff an, was zur Folge hat, dass «wissenschaftliche Psychologie» mit «empirischer Forschung» und «empirische Forschung» idealiter mit Forschung mittels «quantitativer Methoden» gleichgesetzt wird.

Uns hatte auch beunruhigt, dass sich in diesem Brief die Professorenschaft anbietet, «bei der Entwicklung eines tragfähigen Evaluationskonzepts» mitzuarbeiten. Dass es nur gerade um die Entwicklung eines (!) Evaluationskonzeptes gehen soll, das bei allen Psychotherapierichtungen zur Anwendung zu kommen hat, wird hier stillschweigend vorausgesetzt und damit auch schon behauptet, dass eine einheitliche Bewertung der Wirksamkeit aller zu akkreditierenden Psychotherapierichtungen möglich sei.

Der Geist der heutigen universitären Psychologie am Beispiel der Uni Zürich

Der Zufall wollte es, dass kurz nach unserem Seminar Julian Hofmann im Rahmen der Gesellschaft für hermeneutische Anthropologie und Daseinsanalyse (GAD) einen Vortrag hielt, der hauptsächlich dem herrschenden Wissenschaftsverständnis im Fachbereich der klinischen Psychologie an der Uni Zürich gewidmet war.2 Ich erwähne ihn hier, weil er unsere Befürchtungen, die der «Brief der Professoren» ans BAG geweckt hatte, durch konkrete Belege aus dem Alltag des Zürcher Instituts bestätigte.

Hofmanns Vortrag basiert auf den öffentlichen Studieninformationen, den Verzeichnissen der am Institut durchgeführten Forschungen sowie auf eigenen Erfahrungen, die er selbst bis zum vergangenen Sommer als Student der klinischen Psychologie an diesem Institut gesammelt hat. Er weist zu Beginn ironisch darauf hin, dass er seither den Titel MSc (Master of Science) trägt, obwohl die «Psychologie» an der Uni Zürich der philosophischen Fakultät zugehört, die ansonsten in allen anderen Fachbereichen den Titel MA (Master of Arts) vergibt. Darin zeigt sich bereits, dass sich an diesem Institut seit der Emeritierung von Brigitte Boothe alles um einen möglichst hohen Grad von «Wissenschaftlichkeit» dreht, der sich möglichst eng an den Wissenschaftsbegriff der Naturwissenschaften anlehnt. Entsprechend enthält der Lehrstoff für Studierende hauptsächlich Berichte über empirische Forschungsresultate einerseits, Explikationen und Rechtfertigungen der an diesem Institut ausschliesslich als «wissenschaftlich» sanktionierten Forschungsmethoden andererseits. Der riesige Research-Output des Instituts gehorcht entsprechend ganz und gar der vom Institut deklarierten Devise: «Ohne Statistik wäre keine wissenschaftliche Forschung möglich.» Alternative methodische Zugänge werden am Ideal quantitativer Methoden gemessen und entsprechend als Rückfall hinter die erreichten hohen Standards von Wissenschaftlichkeit gewertet und entsprechend verachtet. Psychoanalytische Forschungszugänge sind deshalb tabu. Doch dass sogar theoretische Arbeiten, in denen relevante Begriffe oder methodische Vorannahmen des eigenen Psychologieverständnisses reflektiert werden, an diesem Institut nicht geduldet werden, ist kaum zu glauben. Der Referent hat dies allerdings am eigenen Leib erfahren, scheiterte doch seine Absicht, unter der Betreuung von Prof. Paul Hoff eine theoretische Masterarbeit zu schreiben, an der Vorgabe, wonach in jeder Masterarbeit empirische Daten ausgewertet werden müssten!

Julian Hofmann plädiert in seinem Vortrag nicht für ein Fallenlassen der quantitativen Methoden, sondern für eine überfällige Pluralisierung der Methoden, um die «Komplexität des Psychischen» nicht einfach einem bestimmten Methodenideal zu opfern.

Die drei Seminarteile im Überblick

Unser Seminar am 30. Oktober 2021 war in drei Teile gegliedert, die zu einer für uns befriedigenden Antwort auf die Frage hinführen sollten, wie Evaluationsinstrumente beschaffen sein müss(t)en, die unserem daseinsanalytischen Therapieverständnis angemessen sind/wären. In Teil I vertieften wir uns in die Evaluationsinstrumente BSCL und HoNOS, nicht weil wir glaubten, sie könnten für uns infrage kommen, sondern weil sie heute in der Schweiz bereits breit genutzt werden. Es handelt sich dabei um zwei Fragebogen, die zusammen die Wirksamkeit einer Psychotherapie anhand der Veränderung der anfänglich bestehenden Leidenssymptome einschätzen. In Teil II wandten wir uns der Heidelberger Umstrukturierungsskala (HUS) zu. Es handelt sich um ein spezifisch «psychoanalytisches» Evaluationsinstrument, das für uns deshalb hochrelevant ist, weil die am DaS gelehrte Daseinsanalyse sich ebenfalls als eine «psychoanalytische Richtung» definiert, wenn auch auf einem existenzphilosophischen Menschenbild basierend.3 Erst in Teil III kam dann das spezifisch Daseinsanalytische zu seinem Recht, indem wir die Frage stellten, wie die HUS allenfalls umformuliert werden könnte, um auch die existenzphilosophische Dimension von daseinsanalytischen Psychotherapien mitzuberücksichtigen.

I Die symptomorientierten Fragebogen BSCL und HoNOS

Gisela Thoma übernahm die Vorstellung von BSCL (Brief Symptom Checklist) und HoNOS (Health of the Nation Outcomes Scales), hat sie doch mit diesen Evaluationsinstrumenten im Rahmen ihrer therapeutischen Arbeit an einer psychotherapeutischen Klinik bereits sehr viel Erfahrung gesammelt.

Das Duo von BSCL, die die Selbsteinschätzung des Patienten abfragt, und HoNOS, die die Einschätzung durch den Therapeuten wiedergibt, wird bereits seit 2011 in der Erwachsenenpsychiatrie schweizweit in allen psychiatrischen und psychotherapeutischen Kliniken eingesetzt. Die Kliniken kommen damit einer Forderung nach, die sie gemäss dem «Nationalen Qualitätsvertrag» zu erfüllen haben. Diese beiden Instrumente sind also in den Kliniken bereits fest etabliert. Legt nicht gerade dieser Umstand es nahe, dieselben Instrumente auch für eine «wissenschaftlich fundierte» Evaluation ambulanter Psychotherapien allgemein verbindlich zu erklären?

Während der Diskussion dieser beiden Fragebogen wuchs die Perplexität der Seminarteilnehmer. So wurde gefragt, wie es möglich ist, dass Fragebogen als «wissenschaftlich valide» gelten, die rein subjektive Aussagen von betroffenen Menschen mit nicht weiter zu hinterfragenden, weil objektiven Fakten gleichsetzen, aus denen die Wirksamkeit einer Therapie gefolgert wird – als ob die befragten Patienten wie Maschinen funktionieren würden, die so programmiert sind, dass sie gar nicht anders können, als automatisch die für sie zutreffende Antwort anzukreuzen. Die Möglichkeit subjektiver Unehrlichkeit sowie der Überforderung mancher Patienten angesichts angesprochener Themen wird nicht in Betracht gezogen; ebenso wenig die besondere Situation der Therapeuten, die beim Ausfüllen des für sie bestimmten Fragebogens unweigerlich unter einem gewissen Erfolgsdruck stehen, weil sie entweder den eigenen guten Ruf in der Klinik nicht gefährden wollen oder sich für den Erfolgsausweis der Klinik mitverantwortlich fühlen.

Gisela Thoma wies uns zudem auf zwei wunde Punkte dieser beiden zusammengehörenden Evaluationsinstrumente hin, die ihr bei ihrer Klinikarbeit immer wieder zu denken geben. Da gibt es zum einen Patienten, die weniger aus eigenem Antrieb denn auf Druck der Umgebung in die Klinik eintreten und darum anfangs noch gar nicht bereit sind, allzu viel von sich preiszugeben, um dann, wenn sie zum (psychoanalytisch orientierten) Therapeuten ein gewisses Vertrauen gefasst haben, immer offener zu werden und sogar den Mut zu gewinnen, erstmals ihre bisher verleugneten negativen Emotionen zuzulassen und zu ihnen zu stehen. Daraus kann sich ein negativer Befund bei der Evaluation zur Zeit des Austritts aus der Klinik ergeben, weil das unerwartete Auftauchen von ‹negativen› Emotionen sich nur durch die in der Therapie entstandene stärkere Symptombelastung ankreuzen lässt, was die Therapie zwangsläufig zu einem «Misserfolg» stempelt. Hier wird überdeutlich, dass eine solche Therapie nur mittels eines Evaluationsinstruments angemessen eingeschätzt werden könnte, das auf den hier in Gang gekommenen seelischen Veränderungsprozess fokussiert, von dem anzunehmen ist, dass er nachhaltiger sein wird als jede momentane Symptomminderung.

Eine umgekehrte Fehlevaluation mit BSCL und HoNOS findet hingegen dann statt, wenn die Symptome auch für den Therapeuten wundersam schnell verschwinden. Gisela Thoma deutet solche zu schnell eintretenden Erfolge damit, dass sich Patienten im geschützten Rahmen einer Klinik, in der sie auch von anderen Patienten meist mit Wohlwollen aufgenommen werden, wohler und sicherer fühlen als an ihrem Wohnort und in ihrer Wohnung, weshalb gerade starke Symptomausprägungen wie z.B. Essanfälle bald einmal verschwinden, ohne dass daraus auf eine nachhaltige Besserung geschlossen werden dürfte. Die Gefahr ist gross, dass, sobald die Patienten wieder ins gewohnte, oft schwierige Umfeld zurückgekehrt sind, sich der alte Leidensdruck und damit auch die alten Symptome wieder zurückmelden, sodass eine neue Behandlung oder gar ein Wiedereintritt in die Klinik angezeigt erscheint. Da die nachträgliche Wiederverschlechterung aber nicht mehr in die Evaluation eingeht, weil in aller Regel keine katamnestischen Erhebungen vorgesehen sind, bringen diese Patienten wenigstens den Kliniken den dringend nötigen Erfolgsausweis.

In diesem Zusammenhang hat uns im Seminar auch die informelle Nachricht beschäftigt, wonach das Jung-Institut in Küsnacht sich bereits dazu entschlossen habe, für die zweite Akkreditierungsrunde zwecks Evaluation der Wirksamkeit von nach Jung’scher Methode durchgeführten Psychotherapien durch ihre Weiterbildungskandidaten die Instrumente BSCL und HoNOS zu verwenden. Uns war klar, dass eben das für uns nicht infrage gekommen wäre. Wir überlegten uns mögliche Folgen, wenn eine solcherart wesensfremde Evaluation zum integralen Teil der ersten von Weiterbildungskandidaten durchgeführten Therapien wird; ebenso fragten wir uns, ob nicht auch die «Identität» eines Weiterbildungsinstituts Schaden nimmt, stellt doch die Übernahme solch wesensfremder Evaluationsinstrumente eine Verleugnung in diesem Falle der Eigenart Jung’scher Psychotherapie dar. Oder, so fragten wir uns auch selbstkritisch: Sind wir vielleicht allzu ‹puristisch›, tut vielleicht das Jung-Institut sogar gut daran, dem biblischen Motto zu folgen: Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist?

II Die HUS: Ein auf psychoanalytische Psychotherapien zugeschnittenes Evaluationsinstrument

«Meine Damen und Herren! Eines Tages machte man die Entdeckung, daß die Leidenssymptome gewisser Nervöser einen Sinn haben. Daraufhin wurde das psychoanalytische Heilverfahren begründet» (Freud, GW XI, S. 79).

Die Erinnerung an diesen auch für das Therapieverständnis des DaS wegleitenden Satz Freuds führte zu Teil II und damit zur Beschäftigung mit der HUS. Auch in diese führte uns wiederum Gisela Thoma ein, hat sie doch am Lehrstuhl von Brigitte Boothe klinische Psychologie studiert und war nachher noch bei ihr als Assistentin tätig. Das Freud-Zitat soll auch die Leser dieses Seminarberichts daran erinnern, dass die Psychoanalyse ein Konzept «seelischen Leidens» vertritt, das auf eben dieser «Entdeckung» beruht und deshalb mit dem medizinischen Konzept seelischen Leidens als einem «Leiden an einer (oder mehreren) seelischen Krankheit(en)» unvereinbar ist. Während Symptome, ob somatischer oder psychischer Provenienz, in medizinischer und damit auch in psychiatrischer Perspektive grundsätzlich als krankhafte Abweichungen vom Normalgesunden definiert sind, sind psychische und psychosomatische Symptome in psychoanalytischer Perspektive Manifestationen eines seelischen Leidens, die einen unbewussten «Sinn» in sich tragen.

Nur wer als Psychotherapeut medizinisch-psychiatrisch denkt, kann darauf abzielen, die manifesten Krankheitssymptome möglichst effektiv zu bekämpfen; wer hingegen psychoanalytisch denkt, muss einem gegenteiligen therapeutischen Ansatz folgen, der den Patienten dazu bringt, sich seinen Symptomen zuzuwenden und sie ernst zu nehmen, statt sie nur loswerden zu wollen. Jetzt ist die Therapie keine Behandlung mehr, die medizinischen Prinzipien folgt, sondern wird zu einem gemeinsamen analytisch-aufdeckenden Verstehensprozess, in den sich auch der Therapeut, wenn auch auf andere Art und Weise als der Patient, einzulassen hat, um dem für beide vorerst unbekannten «Sinn» der scheinbar unsinnigen Symptome auf die Spur zu kommen.

Gisela Thoma ist es gelungen, den Anwesenden die HUS als jenes Evaluationsinstrument vorzustellen, das von vornherein für jene Therapien entwickelt worden ist, die als gemeinsamer analytischer Verstehensprozess von Patient und Therapeut konzipiert sind. Diese Skala eignet sich also so wenig für die Evaluation von VT, KVT und in ähnlicher Form auf Symptombekämpfung ausgerichteten Therapieformen, wie sich BSCL und HoNOS psychoanalytisch-hermeneutischen Therapien überstülpen lassen.

Die Skala, die hier aus Platzgründen nicht abgebildet werden kann, stellt idealtypisch sieben Stufen eines sich kontinuierlich vertiefenden Prozesses der Selbstreflexion des Patienten dar. Hier geht es also um die Erfassung eines Wandels im Verhältnis zu sich selbst, der dank eines psychoanalytischen Therapieprozesses möglich wird. Dass jede nächste Stufe idealtypisch dem psychoanalytischen Ziel näherbringt, heisst nun aber gerade nicht, dass die Symptome in jeder nächstfolgenden Stufe auch schwächer werden. Gerade weil dieser sich vertiefende Verstehensprozess weniger rationaler als emotionaler Art ist, wechseln Stufen, in denen sich der Patient aufgewühlt fühlt und bisher unbekannte Gefühle kennen und ertragen lernen muss, mit Stufen ab, in denen das Neue eher konsolidiert wird.

Wie fremd muss es in den Ohren von symptomorientierten Therapeuten tönen, wenn sie hören, dass Freud die therapeutische Psychoanalyse als eine «Erziehung zur Wahrheit gegen sich selbst» bezeichnet hat (ebd., S. 451). Was hat denn «Wahrheit» mit dem Ziel von «Leidensminderung» und zunehmendem «Wohlbefinden» zu tun? Das ist in psychoanalytischer Sicht deshalb nicht voneinander zu trennen, weil seelisches Leiden auf Selbsttäuschung beruht. Darum wäre es ein riesiges Missverständnis, zu unterstellen, die Psychoanalyse bezwecke «Einsicht» anstelle der Befreiung aus der Einengung durch psychische Leidenssymptome. Nur der Weg dazu muss, wenn es denn zutrifft, dass psychische Leidenssymptome einen verborgenen Sinn in sich tragen, ein ganz anderer sein. Der Sinn hat bei Freud per se den Charakter eines «ewigen Kindheitswunsches», der völlig unzeitgemäss immer noch nach Erfüllung strebt. Ist der Patient nach vielen Widerständen bereit, die Unerfüllbarkeit dieses Wunsches auch emotional einzusehen, dann wird er auch bereit sein, ihn loszulassen. Entsprechend verliert das Symptom seine Funktion als unerkannter Wunschträger und wird überflüssig.

Wer sich in die HUS vertieft, merkt bald, dass die sieben Stufen des seelischen Veränderungsprozess nichts anderes als die Schritte hin zu einer zunehmenden Ehrlichkeit sich selbst gegenüber beschreiben, die eine zunehmende Bereitschaft beinhalten, sich von dem eigenen tiefen Hang zur Selbsttäuschung zu lösen und die Realität, mag sie auch oft bitter sein, als solche anzuerkennen. Die wichtigsten diesbezüglichen Schritte sind als unterschiedliche Stufen der HUS differenziert gefasst und auch interpretiert. Weil der Patient diesen analytisch-hermeneutischen Prozess aber nicht allein zu gehen hat, sondern zusammen mit dem Therapeuten, gibt die HUS immer auch an, welche Funktion und Rolle dem Therapeuten in den einzelnen Stufen des Selbstveränderungsprozesses zukommt. Dies macht nochmals auf eine Besonderheit der HUS aufmerksam: dass nämlich auch das mehr oder weniger adäquate Verhalten des Therapeuten mitevaluiert wird.

Nicht zu unterschätzen ist auch der Unterschied in der Bedeutung, die der Patient als je diese individuelle Person in den beiden konträren Therapieansätzen hat. Während in einer symptomorientierten Psychotherapie der Patient, nicht anders als in einer somatischen Therapie, nur als Symptomträger von Interesse ist, ist er in einer psychoanalytischen Psychotherapie von vornherein als diese individuelle Person relevant, mit seiner eigenen Geschichte, seinen eigenen Stärken und Schwächen, und insbesondere mit seinem eigenen Leiden, das durch und durch mit ihm als dieser Person zu tun hat. Entsprechend erfährt man aus symptombezogenen Fragebogen nichts über die Persönlichkeit der Patienten, in der mittels HUS durchgeführten Evaluation hingegen steht er mit seinen Wünschen und Ängsten im Zentrum.

Doch beim Vergleich der symptomorientierten Fragebogen von BSCL und HoNOS mit der auf den psychoanalytischen Therapieprozess ausgerichteten HUS wird uns plötzlich auch deutlich, wie grundverschieden das Weiterbildungscurriculum für angehende Psychotherapeuten unweigerlich gestaltet sein muss, je nachdem, ob diese das Angebot einer symptom-orientiert-medizinischen oder aber einer psychoanalytisch-hermeneutischen Weiterbildung wählen. Geht es in der einen Weiterbildung hauptsächlich um Wissensvermittlung über verschiedene Störungsbilder und die entsprechend anzuwendenden (rein technisch lehr- und lernbaren) Behandlungsmethoden, ist in einer psychoanalytischen Weiterbildung der angehende Therapeut immer auch als Person gefragt. Denn offensichtlich reicht für einen psychoanalytischen Psychotherapeuten blosse «Sachkompetenz» nicht aus. Darum kann das Ziel auch nicht darin bestehen, ihn zum professionellen «Experten» weiterzubilden. Als psychoanalytischer Therapeut muss er fähig und bereit sein, sich zuerst einmal zuhörend und dann auch empathisch verstehend auf die psychischen Probleme des Patienten einzustellen, und zwar nicht nur dann, wenn sich die Therapie in ruhigen Gewässern vorwärtsbewegt, sondern auch dann, wenn sich Ängste des Patienten in Anklagen oder auch wütenden Angriffen gegen den Therapeuten manifestieren. Dazu befähigt ihn vor allem eine eigene «Lehranalyse» – vorausgesetzt, er ist bereit, sich auf einen solchen Prozess wirklich einzulassen. Persönlichen Gewinn kann der Kandidat aber auch aus allen Vorlesungen und Seminaren ziehen, weil sowohl in Fallbesprechungen wie in theoretischen Überlegungen unweigerlich grundlegende menschlich-existenzielle Probleme angesprochen werden, die ihn ebenfalls betreffen.

III Lässt sich die HUS so umformulieren, dass sie auch für die daseinsanalytische Psychotherapie zum «kongruenten» Evaluationsinstrument werden kann?

Diese Frage nun unter meiner Leitung anzugehen, statt auf die vor zehn Jahren im DaS erarbeiteten «Evaluationsfragebogen» zurückzugreifen, bildete den dritten und letzten Teil des Seminars. Der Wunsch, die HUS auch für die Evaluation daseinsanalytischer Psychotherapie beizubehalten, entstand aus der Erkenntnis heraus, dass diese einen vergleichsweise riesigen Vorteil gegenüber unserem eigenen Evaluationsinstrument aufweist – den Vorteil nämlich, aus einem Therapieprozessmodell zu bestehen, das den anzustrebenden innerseelischen Veränderungsprozess des Patienten im Ganzen abbildet. Auf die HUS sind wir deshalb – so unser Fazit – angewiesen.

Doch mit diesem Fazit sahen wir uns vor die für uns zentrale Frage gestellt, ob die HUS, deren Psychopathologie psychodynamisch konzipiert ist, so umformuliert werden könnte, dass sie auch einer daseinsanalytischen Therapie gerecht würde, die auf einem existenzphilosophisch vertieften Verständnis seelischen Leidens beruht. Statt diese Möglichkeit abstrakt zu diskutieren, verteilte ich als konkretes Beispiel einen ersten, noch ganz vorläufigen Entwurf. Dieser enthielt auf der linken Seitenhälfte originale Formulierungen der einzelnen Stufen der HUS, auf der rechten in horizontaler Entsprechung meine noch ganz unausgegorenen Vorschläge möglicher Umformulierungen. Erfreulich war für mich das grosse Interesse an diesem Versuch wie auch die intensive Diskussion, die sich daraus ergab.4

Was bis jetzt von mir unerwähnt blieb, sind die sogenannten «Foki», die für jede Evaluierung mit der HUS vorgängig zu bestimmen sind. Wir haben die Vorschläge von möglichen Foki, die die HUS liefert, zwar in Teil II diskutiert, doch habe ich mich dafür nicht erwärmen können, und zwar deshalb, weil die Foki, die die HUS selbst anbietet, der OPD (Operationalisierte psychodynamische Diagnostik) entnommen sind. Die OPD krankt meines Erachtens am Problem, dass ihr ein um die historische Dimension verkürztes psychoanalytisches Konzept seelischen Leidens zugrunde gelegt wurde, dem stattdessen eine sogenannte «strukturelle» Dimension hinzugefügt wurde, die zu sehr einem medizinischen (statt hermeneutischen) Denken verpflichtet ist. Beides kommt in den von der OPD vorgeschlagenen Foki zum Ausdruck. Diese Foki werden darum Freuds genetisch-hermeneutischer Definition von Neurose als einem «Leiden an Reminiszenzen» nicht gerecht.

Darum ziehen wir es vor, eigene daseinsanalytische Foki zu formulieren, statt uns auch hier an die von der HUS mitgegebenen Vorschläge anzulehnen und diese existenzphilosophisch zu vertiefen. Dieser Aufgabe konnten wir uns allerdings in diesem Seminar aus Zeitgründen nicht mehr widmen. Den Anwesenden war immerhin klar, dass spätestens an diesem Punkt die Bedeutung der existenzialen «Angst» für unser psychopathologisches wie auch psychotherapeutisches Konzept zum Tragen kommen muss. Es handelt sich bei der Angst um jene von Kierkegaard neu entdeckte Emotion, die in keinem Lehrbuch der Psychologie oder Psychiatrie vorkommt, weil es sich bei dieser Angst im Unterschied zu «Furcht» und «Furchtsamkeit» um eine genuin philosophische Erfahrung handelt, die einen Menschen emotional damit konfrontiert, was es heisst, ein Mensch zu sein. Exakt darum ist für das daseinsanalytische Verständnis seelischen Leidens die Angst so wichtig. Nicht alle Menschen werden von der Angst eingeholt. Nur wer besonders ‹durchlässig› («hellhörig») ist, wird von ihr gepackt, und nur wer von ihr gepackt wird, ist disponiert zu «seelischem Leiden». Darum werden daseinsanalytische Foki unweigerlich um das Thema der Angst kreisen müssen.

Unser Seminar endete mit dem Vorsatz, in einem nächsten Seminar hier anzuknüpfen und für die noch anstehende Aufgabe einer Umformulierung der HUS auch konkrete Therapiebeispiele der Seminarteilnehmer zu nutzen.

Evaluation of Daseinsanalytic (existential analytical) therapies

Report from a seminar of the Daseinsanalytic Seminar DaS

Abstract: For the second round of accreditation, the Federal Office of Public Health (FOPH) also calls for evaluation of the therapies carried out by candidates in the various psychotherapeutic training institutions, in order to test in this way the effectiveness of the psychotherapeutic methods taught there. We find nothing wrong with this approach. However, the requirement proves to be problematic when tools are prescribed for this purpose that fulfill scientific criteria that can only claim validity in the field of scientific research. In the seminar to be presented, we wanted to find out whether there are proven tools that we could at least partially adopt for the purpose of evaluating Daseinsanalytic therapies. We first studied the duo of BSCL and HoNOS as purely symptom-oriented questionnaires, as these have already been used as a standard in psychotherapeutic clinics in Switzerland since 2011 to evaluate the effectiveness of the psychotherapies conducted there. Reading them was informative and at the same time perplexing for us. However, we were positively impressed by the HUS, since it depicts the different stages of a psychoanalytic-hermeneutic psychotherapy process and in this respect is also congruent with Daseinsanalytic psychotherapy. However, if we were to adopt this scale as is, everything specifically Daseinsanalytic would be excluded. We therefore finally examined the question of how the stages of the HUS and the necessary foci could/should be reformulated so that they also express the existential-philosophical dimension which complements and deepens the psychoanalytic approach in «Daseinsanalysis» as taught and practiced at the DaS.

Keywords: second accreditation, psychoanalytic psychotherapy, Daseinsanalysis, existential philosophy, evaluation tools, factual congruence, scientific validation

Valutazione delle terapie antropoanalitiche

Relazione relativa a un seminario di antropoanalitica Seminario DaS

Riassunto: L’UFSP richiede anche per la seconda fase di accreditamento una valutazione delle terapie eseguite dai candidati nei diversi istituti di perfezionamento in ambito psicoterapeutico con l’obiettivo di verificare in tal modo l’efficacia delle metodologie psicoterapeutiche insegnate in tali istituti. In merito non vi è alcuna obiezione da sollevare. Questa richiesta diventa invece particolarmente problematica quando vengono prescritti degli strumenti che soddisfano criteri scientifici validi solo nell’ambito della ricerca delle scienze naturali. Durante il seminario oggetto della relazione si è cercato di analizzare se ci fossero strumenti comprovati da adottare almeno parzialmente per valutare le terapie antropoanalitiche. I primi strumenti analizzati sono stati i questionari BSCL e HoNOS in qualità di supporti orientati a rilevare solo la sintomatologia, in quanto sono stati adottati entrambi già dal 2011 nelle cliniche di psicoterapia in Svizzera come questionari standard per valutare l’efficacia delle psicoterapie ivi adottate. Leggere tali questionari è stato informativo, ma ha suscitato al contempo delle perplessità. Al contrario, la scala HUS ha dato risultati particolarmente positivi poiché ripercorre i diversi stadi del processo di psicoterapia ermeneutico psicoanalitico ed è anche congruente con la psicoterapia antropoanalitica. Se tuttavia venisse utilizzata tale scala così com’è, si escluderebbe la specificità dell’approccio antropoanalitico. Per questo motivo al termine dell’analisi è stato preso in esame l’aspetto che riguarda le modalità finalizzate a poter/dover rimodulare le fasi della scala HUS nonché i relativi punti salienti, affinché anche la dimensione filosofico – esistenziale che integra e approfondisce l’approccio psicoanalitico nell’antropoanalisi possa trovare adeguato spazio.

Parole chiave: secondo accreditamento, psicoterapia psicoanalitica, antropoanalisi, filosofia esistenziale, strumenti valutativi, congruenza effettiva, validazione scientifica

Die Autorin

Dr. Alice Holzhey ist eidg. anerkannte Psychotherapeutin und Co-Leiterin des Daseinsanalytischen Seminars Zürich (DaS). Sie praktiziert seit 1976 in eigener Praxis in Zürich und wirkt zudem als Dozentin und Supervisorin. Sie hat zahlreiche Publikationen zur Daseinsanalyse verfasst. Seit 1991 ist sie Präsidentin der Gesellschaft für hermeneutische Anthropologie und Daseinsanalyse (GAD).

Kontakt

E-Mail: alice.holzhey@bluewin.ch

Anmerkungen

1 Zwecks besserer Lesbarkeit wird das generische Maskulinum verwendet.

2 Wer diesen Vortrag im Ganzen lesen möchte, melde sich direkt bei Julian Hofmann (julian.hofmann@uzh.ch).

3 Interessenten können die Unterlagen für Teil I und II, die die Teilnehmer vorgängig zugeschickt erhielten, beziehen unter: gisela_thoma@bluewin.ch.

4 Interessenten schicke ich diesen noch ganz vorläufigen Entwurf gern zu, da er zumindest zeigt, wie ich mir in etwa eine solche Umformulierung vorstellen könnte (alice.holzhey@bluewin.ch). Eine vertiefte Information über die diesem Entwurf zugrunde liegende Psychopathologie findet man in den letzten beiden Buchpublikationen von 2014 (Wien) und 2020 (Basel).