Fuchs, Christian (2021). Der Körper, das Trauma und der Affekt. Theorie und Praxis der Polyvagaltheorie in der Psychotherapie

Gevelsberg: EHP ISBN: 978-3-89797-674-0 192 S., 26.99 EUR, 28.55 CHF

Psychotherapie-Wissenschaft 12 (1) 2022 111

www.psychotherapie-wissenschaft.info

CC BY-NC-ND

https://doi.org/10.30820/1664-9583-2022-1-111

Der Autor stellt in seinem Buch kein neues und eigenständiges Trauma-Therapieverfahren vor, sondern zeigt, wie humanistisch orientierte Verfahren von Erkenntnissen der Polyvagaltheorie profitieren können. Im ersten Teil wird unter dem Titel «Trauma und Autonomes Nervensystem» die von Stephen Porges formulierte Polyvagaltheorie vorgestellt, gegliedert in ein Kapitel zur «Theorie des autonomen Nervensystems», eines zur «Neurozeption», eines zu «Reaktionen des Organismus», eines zur «Co-Regulation» und schliesslich eines zu den therapeutischen Konsequenzen dieser naturwissenschaftlichen Grundlagen. Der zweite, deutliche umfangreichere Teil trägt den Titel «Praktisches Arbeiten» und gliedert sich in drei Kapitel: «Therapie und Polyvagaltheorie», «Experimente» und «Traumatische Reaktionen». Das Buch ist sehr praxisbezogen, mit Fallvignetten versehen und nimmt unter anderem auch Übungen auf, wie sie Peter Levine einsetzt in der Therapie traumatisierter Menschen. Zu Beginn finden sich die Beschreibung von Materialien, die für die Therapie hinzugezogen werden können, Fortbildungsempfehlungen und Literaturhinweise.

Christian Fuchs ist Gestalttherapeut und hat bereits ein Buch zur Gestalt des Traumatischen publiziert (vgl. die Buchbesprechung in Psychotherapie-Wissenschaft Heft 1-2021, S. 73f.). Das hier besprochene Buch ergänzt das erste, indem es eine fundierte naturwissenschaftliche Grundlage zum Verständnis körperlicher Vorgänge bei Traumatisierungen und für ein daraus abgeleitetes körperorientiertes therapeutisches Arbeiten liefert.

Stephen Porges ist ein amerikanischer Psychotraumatologe und hat unter der Bezeichnung Polyvagaltheorie eine Theorie zur Traumabehandlung vorgelegt. Er postuliert darin eine Dysregulation des autonomen Nervensystems, wobei der parasympathische Zweig des Vagusnervs für soziales Engagement stehe, das sympathische System für Kampf-Flucht-Verhalten und der dorsal-parasympathische Zweig des Vagus für Immobilisierung (Erstarrung). Durch geeignete Übungen kann das dysregulierte Nervensystem wieder gestärkt werden, sodass aus Verspannung auch wieder Entspannung entstehen kann. PatienInnen können durch geeignete Übungen den Pendelvorgang zwischen den Polen Stress und Entspannung steuern lernen und so emotionale Sicherheit finden. Fuchs ergänzt diese auf ein eher naturwissenschaftliches Verständnis beschränkte Arbeitsweise durch seine humanistische, beziehungsorientierte und Sinn erarbeitende Orientierung in wertvoller Weise. Die Darstellung der «Experimente» wirkt zwar etwas zu werkzeugkastenmässig, die Fallvignetten aus der Praxis zeigen jedoch schön, wie diese Werkzeuge in bestimmten Momenten des Therapieprozesses wirkungsvoll eingesetzt werden können zur Unterstützung der emotionalen Verarbeitung des Geschehenen und einer Neuorientierung.

Das Buch ist nicht nur für GestalttherapeutInnen bereichernd, sondern kann von allen beziehungs-, körper- und emotionsorientierten Therapierenden mit Gewinn gelesen werden. Durch seine hohe Praxisorientierung ist es leicht lesbar.

Peter Schulthess