Psychotherapie-Wissenschaft 11 (2) 2021 91–92
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https://doi.org/10.30820/1664-9583-2021-2-91
Diese Publikation richtet sich primär an Psychotherapiestudierende der Sigmund Freud PrivatUniversität (SFU), ist aber auch für Aussenstehende und praktizierende Psychotherapeut*innen lesenswert.
Die SFU bietet seit 2005 einen Studiengang in Psychotherapiewissenschaft (PTW) an, womit Psychotherapie als einzelwissenschaftliches Universitätsfach zur Akademischen Psychotherapie wurde. Damit wurden ein Anspruch und ein Verständnis umgesetzt, Psychotherapie als eigenständiges Universitätsfach und eigenständigen Beruf zu verstehen in Abhebung von Systematiken, die Psychotherapie entweder als Teilgebiet der Medizin bzw. Psychiatrie sehen oder aber als Psychologieberuf geregelt haben (wie etwa in der Schweiz).
Psychotherapie fusst nicht bloss auf psychologischem und medizinischem Wissen, sondern auch auf kultur- und sozialwissenschaftlichem. In dieser Broschüre unternimmt es Kurt Greiner, herauszuarbeiten, was die Akademische Psychotherapie als genuines Universitätsfach kennzeichnet. Er formuliert drei zentrale Determinanten, deren Zusammenspiel die Wissenschaftlichkeit sicherstellt:
1. Polymorphie der psychotherapeutischen Disziplinen
2. Heterogenität der psychotherapeutischen Wissenskulturen
3. Konfrontation zwischen psychotherapeutischen Wissenschaftskulturen
Hervorzuheben ist, dass es die Psychotherapie genauso wenig gibt, wie die Psyche, oder das Seelenleben: «Moderne Psychotherapie ist ausdifferenziert in eine Vielzahl von Disziplinen, innerhalb derer sich höchst verschiedene Wissenskulturen entwickeln konnten. Aus wissenschaftstheoretischer Sicht handelt es sich bei den Wissenskulturen des Psychotherapierens um mannigfaltige Modi des psychotherapeutischen Denkens, Forschens und Praxishandelns, die sich keinesfalls auf eine gemeinsame Funktionslogik oder auf ein für alle verbindliches paradigmatisches Grundprinzip zurückführen lassen» (S. 11). Versuche, die Vielfältigkeit der psychotherapeutischen Ansätze auf eine «allgemeine Psychotherapie» zurückzustutzen, müssen deshalb scheitern und gehen am Wesen der Psychotherapievielfalt vorbei (Anmerkung des Rezensenten).
Im vorliegenden Büchlein führt der Autor im ersten Abschnitt knapp und präzise aus, was unter Polymorphie der Akademischen Psychotherapie zu verstehen ist, wählt (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) 16 verschiedene Psychotherapierichtungen aus und kennzeichnet sie in ihren zentralen Begriffen. Unterstützt wird das durch treffende Comic-Zeichnungen.
Der zweite Abschnitt ist der Heterogenität der spezifischen Wissenskulturen gewidmet: «Mit dem Terminus Wissenskultur ist ein theoriebasierter Denk-, Forschungs- und Handlungskontext gemeint, der in sich logisch und schlüssig aufgebaut ist und innerhalb dessen Argumentationsgrenzen wissenschaftliche Erfahrungen als wahr gelten» (S. 36). Im Nukleus jeder Wissenschaftskultur bestünde ein auf ganz bestimmte Art und Weise entwickelter Objekt-Methode-Zirkel. Das bedeutet, dass Gegenstand und Methode der Wissenschaft in einer wechselseitigen Bezugnahme, das heisst in einer unauflösbaren Interdependenz stehen. Der Autor exemplifiziert dies anhand der Disziplinen Psychoanalyse, Transaktionsanalyse und Logotherapie.
In dritten Abschnitt beschreibt er die unabdingliche kritische Selbstreflexion der psychotherapeutischen Wissenskulturen, was durch Konfrontation mit anderen Wissenskulturen unterstützt werden kann. Er spricht dabei von Konfrontationsdialogen im Dienste der kritischen Reflexion wissenskultureller Funktionsweisen. Beispielshaft beschreibt er potenzielle Konfrontationsdialoge zwischen Transaktionsanalytischer und Psychoanalytischer Wissenskultur, Psychoanalytischer und Logotherapeutischer, Daseinsanalytischer versus Individualpsychologischer, Gestalttherapie versus Biodynamischer Psychotherapie sowie Systemischer Therapie versus Verhaltenstherapie. Anschaulich zeigt er, was jeweils die eine Psychotherapierichtung aus der Konfrontation mit anderen selbstreflexiv gewinnen kann. Für diese Konfrontation wurden an der SFU diverse methodische Tools entwickelt.
Das Buch besticht durch seine prägnante Kürze und die Verwendung von Comics als Illustrationselement, was das Lesen wissenschaftstheoretischer Ausführungen vergnüglich macht.
Peter Schulthess