Kast, Verena (2019). Träumend imaginieren. Einblicke in die Traumwerkstatt

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht ISBN: 978-3-5254-5905-8 78 S., 12 EUR, 15.10 CHF

Psychotherapie-Wissenschaft 11 (2) 2021 87

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CC BY-NC-ND

https://doi.org/10.30820/1664-9583-2021-2-87

Träume beschäftigen Menschen seit jeher. Was wollen sie uns sagen? Wie sind sie zu deuten? Was für Botschaften sind darin enthalten? Wie entstehen sie? Was tragen die Neurowissenschaften zum Verständnis von Träumen bei? In der Psychotherapie spielen Träume in den meisten Therapieansätzen eine wichtige Rolle. Sie werden gern als Via regia zum Verständnis des Psychischen und des Unbewussten bezeichnet.

Verena Kast hat in der Reihe «Psychodynamik Kompakt» ein in der Tat kompaktes, gut fundiertes und zugleich leicht zu lesendes Buch publiziert, das all diesen Fragen nachgeht. Natürlich schreibt sie als Jungianerin mit einem Fokus auf Analytischer Psychologie und bezieht sich stark auf C. G. Jung. Es gelingt ihr aber so zu schreiben, dass auch Lesende anderer Therapierichtungen eine fundierte Sicht zum Umgang mit Träumen erhalten, da sie immer wieder auch eine schulenübergreifende und neurowissenschaftliche Perspektive einnimmt.

Auf einen übergreifenden Nenner gebracht handelt es sich bei Träumen um kreative, bildhafte Ausdrucksweisen des psychischen Erlebens und von Emotionen. Träumendes Imaginieren kommt dann zum Tragen, wenn das Wachbewusstsein eingeschränkt wird und so das kognitiv-rationale Denken zugunsten eines kontemplativen und bildhaften Imaginierens zurücktritt. Die Autorin spricht von einem Kontinuum zwischen Wachen und Träumen. Es beginnt beim Fantasieren (etwa auch bei der Vorfreude auf ein Ereignis), geht über zum bildhaften Imaginieren im Dämmerzustand und umfasst schliesslich auch das Träumen im Tiefschlaf. An Träume in der REM-Phase kann man sich in der Regel nur erinnern, wenn man aufgeweckt wird. Es gibt verschiedene Arten von Träumen: Schlafträume, Tagträume (sie bezeichnet diese als selbstgeneratives Denken), Albträume, luzide Träume (solche, bei denen Träumende wissen, dass sie träumen, aber wach genug sind, um den Traum willentlich zu beeinflussen und zu verändern). Kast befasst sich mit diesen verschiedenen Träumen und meint, dass sie deutlich auseinanderzuhalten sind und allesamt für die therapeutische Praxis eine wichtige Bedeutung haben. Sie betont, dass Träume immer als Wirklichkeit erlebt werden: «Ein Traum ist erst ein Traum, wenn wir erwachen.»

Die Forschung bestätigt, dass Emotionen am stärksten zum Ausdruck kommen, je tiefer der Schlaf und je geringer die bewusste Kontrolle über das Träumen sind. In Träumen manifestieren sich bildhaft emotionale psychische Konflikte, sei es aus der aktuellen Lebensgegenwart oder aus der Lebensgeschichte. Darin sind sich die verschiedenen Therapieschulen einig. Die meisten sehen es auch als gegeben, dass alle Teile eines Traums etwas vom psychischen Geschehen des*der Träumenden ausdrücken, also künstlerisch verfremdete Teile des eigenen Selbst sind. Die Therapierichtungen unterscheiden sich allenfalls in ihren Methoden und Techniken, wie sie mit Träumen und den darin enthaltenen Emotionen arbeiten. Die Beiträge in der vorliegenden Ausgabe der Psychotherapie Wissenschaft veranschaulichen dies.

Kasts Buch vermittelt Grundlagenwissen und lässt, wie im Untertitel ausgedrückt, in die Traumwerkstatt der Autorin Einblick nehmen, in der sie theoretisch Ausgeführtes anhand von Fallbeispielen illustriert. Es gliedert sich in thematische Abschnitte wie: «Imaginieren und Träumen», «Der Tagtraum: Selbstgeneratives Denken» (hier behandelt sie unter anderem Aspekte der affektiven Neurowissenschaft), «Der Traum» (Kernstück des Buches mit einem Fokus auf die Imagination bei Jung), «Albträume», «Das Zusammenspiel von Imagination und Traum», «Der Verlust von Beziehungen», «Träume im Trauerprozess», «Der Traum – ein Spiel der Imaginationen». Das Buch ist leicht zu lesen und trotz seiner Kürze fundiert. Ich habe es mit Gewinn gelesen und empfehle es gern allen psychotherapeutisch Interessierten zur Lektüre.

Peter Schulthess