52nd SPR Annual Meeting/Conference, 23.–26. Juni 2021 (online)

Psychotherapie-Wissenschaft 11 (2) 2021 83–85

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CC BY-NC-ND

https://doi.org/10.30820/1664-9583-2021-2-83b

Statt in Heidelberg fand das diesjährige Meeting der SPR online statt. Den Heidelberger Organisator*innen gelang eine technisch hervorragend organisierte Tagung zum Thema «From Unravelling to Stitching: Tailoring Psychotherapy in the Face of Change». Übersetzt heisst das in etwa: «Vom Auftrennen zum Zusammenheften: Psychotherapie massschneidern im Angesicht von Veränderung».

Die SPR (Society for Psychotherapy Research) ist eine internationale, multidisziplinäre wissenschaftliche Organisation, die sich um Psychotherapieforschung kümmert. Neben der APA (American Psychological Association) ist sie wohl die bedeutendste psychotherapeutische Forschungsvereinigung. Sie gibt eine viel beachtete Zeitschrift mit dem Namen Psychotherapy Research heraus.

Präsentationen konnten in verschiedenen Formaten geboten werden: Brief Papers sind 10–15-minütige Vorträge. Structured Discussions dauern eine Stunde und sind in der Regel von einer Forschungsgruppe organisierte Gruppendiskussionen, bei denen jede*r Teilnehmende ein 5-minütiges Position Statement abgibt, um nachher eine Diskussion unter den Teilnehmenden und dem Publikum zu ermöglichen. Ein Panel ist ebenfalls eine zu bestimmten Themen organisierte Gruppenveranstaltung von circa 80 Minuten mit drei bis vier Teilnehmenden, die je circa 15 Minuten referieren, begleitet durch eine*n Moderator*in, ergänzt durch eine*n unabhängige*n «Discussant», die*der die Präsentationen kommentiert. Und natürlich gab es auch Poster-Präsentationen zu diversen Themen und Forschungsprojekten. Nur zu Beginn und Schluss der vier Tage gab es eine Plenarveranstaltung in Form von Vorträgen des aktuellen und des ehemaligen Präsidenten.

Unter unzähligen Veranstaltungen konnte man wählen, zum Teil wurden sie in bis zu 17 virtuellen Hörsälen parallel durchgeführt. Die Teilnehmendenzahl ist schwer zu ermitteln, dürfte aber um die 600 betragen haben. Etwas Besonderes liessen sich die Organisator*innen mit einem virtuellen Café einfallen, wo man sich zur «Welcome Reception» oder in Pausen oder zum Schluss am virtuellen «Gala Dinner» zu ungezwungenen Gesprächen und gar animierten Spielen treffen konnte.

Den Kongressauftakt machten neun Pre-Conference Workshops. Den Eröffnungsvortrag hielt Martin grosse Holtforth (Bern) als amtierender Präsident. Er berichtete, wie am Ambulatorium der Universität Bern ein Forschungsprojekt lief, in dem die einen Patient*innen die (Verhaltens-)Therapie as usual erhielten und die anderen zusätzlich integrierte Interventionen, die aus der EFT (Emotion Focused Therapy) bestanden. Erwartet wurde, dass die zweite Gruppe höhere Veränderungswerte erzielen würde, was aber nicht der Fall war. Allerdings gab es eine Untergruppe bei den nur mit VT Behandelten, die bessere Veränderungswerte zeigte, ebenso wie in der Gruppe der mit VT und EFT Behandelten. Die künftige Forschungsfrage lautet somit: Wie kann man erkennen, wer besser auf die eine oder andere Therapieform anspricht (personalisierte Psychotherapie)? Warum es zu keinen signifikanten Unterschieden zwischen den beiden Behandlungskonzepten kam, kann verschiedene Gründe haben: zu kurzes Training der studierenden Therapeut*innen in EFT (Leslie Greenberg schulte sie in lediglich drei Trainingsworkshops), um zum richtigen Zeitpunkt die EFT-Interventionen (z. B. Zwei-Stuhl-Dialog) korrekt vorzunehmen; Verwirrung der Studierenden in der Orientierung am Behandlungskonzept: VZ und EFT haben verschiedene Denk- und Prozessmodelle; oder eben das Dodo-Bird-Verdict, dass alle Therapieformen etwa ähnliche Ergebnisse zeigen, was sich offenbar auch bei Kombinationen von Verfahren zeigen kann.

Aus den vielen Präsentationen können hier nur einige wenige beispielhaft erwähnt werden. Als Einstieg wählte ich am zweiten Tag ein Panel «Meaningful moments in Psychotherapy: What is meaningful in Psychotherapy?» Es besteht kein Zweifel, dass bedeutsame Momente im Therapieprozess viel zu Verlauf und Outcome beitragen. Methodisch fällt die Untersuchung solcher Momente aufgrund deren Komplexität ausserhalb des Rahmens von Standard-Forschungsparadigmen. Es braucht alternative Zugänge. Aus unterschiedlichen Sichten berichteten Forschungsgruppen aus Portugal, Heidelberg, Brünn, Dublin und Glasgow, wie sie das auf ihrem Gebiet tun. Das Spektrum reicht von qualitativen Metaanalysen, Untersuchungen der Therapeut*in-Patient*in-Interventionen bis zur Untersuchung, wie sich bedeutsame Momente ankündigen in der therapeutischen Beziehung.

Ein weiteres Forschungs-Panel ging der Frage «Research: What methods to what theories?» nach. Das Thema wurde am nächsten Tag weitergeführt in einer Structured Discussion zum Thema «The future process research: What kind of methods for what kind of theories?» Die Frage, welchen Impact Therapierendeneffekte haben auf den Therapieprozess, wie auch die Frage der Therapie-Allianz und wie unterbrochene (gestörte) Allianzen wiederhergestellt werden können, wurden in diversen Präsentationen behandelt. Schliesslich war auch die Personalisierung der Psychotherapie «What works for whom?» ein Thema. Damit verbunden ist die Herausforderung an Therapierende, den Therapieprozess und die Interventionen flexibel und auf die Kompetenzen des*der jeweiligen Patient*in ausgerichtet zu handhaben, statt stur einem methodischen Manual zu folgen.

Weiterhin besuchte ich eine Veranstaltung zum Thema «Routine Outcome in Practice», nicht zuletzt, weil das uns in der Schweiz auch im Hinblick auf das Anordnungsmodell beschäftigen wird. Neue Untersuchungen zu «common factors» wurden ebenso präsentiert. Wie gehen eigentlich Therapierende mit ihren eigenen Emotionen um, die im Therapieprozess auftauchen? Auch dazu gab es Präsentationen.

Über mannigfaltige schulenspezifische und auch schulenübergreifende Forschung konnte man sich ein Bild machen. Am letzten Tag beteiligte ich mich an einer Structured Discussion einer Gruppe von Gestalttherapeut*innen zum Thema «Abusive Science». Hier wurde der deutsche wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBR) für seine Beurteilungspraxis und seine Beurteilungskriterien harsch kritisiert. Ein Gutachten von Bruce Wampold hält diese Kriterien für unwissenschaftlich. Der WBR sei so zusammenzusetzen, dass auch die Forschungsansätze der humanistischen Therapieformen vertreten seien. Den Hintergrund bildeten die beiden Ablehnungen der Humanistischen Therapieformen und der Gestalttherapie durch den WBR. Da diese Veranstaltung einseitig parteilich zusammengesetzt gewesen sei, wurde sie teils (v. a. von einem Mitglied des WBR, der unter den Teilnehmenden war) hart kritisiert. So könne kein Dialog entstehen, was insofern seltsam war, als es bis anhin gerade der Beirat war, der sich jedem Dialog entzog.

Den Abschlussplenarvortrag hielt Wampold in seiner «past president address». In einem sehr kritischen Vortrag beleuchtete er viele Aspekte der Forschung. Er empfahl weniger zu publizieren – die Flut an Publikationen sei enorm und bringe kaum Fortschritte. Dass die Psychotherapieforschung sich einem medizinischen Modell bediene und dieses (die Randomisierten kontrollierten Studien) immer noch als Goldstandard gelte, sei ein Fehler und bringe ebenso keinen Fortschritt. Kaum ein RCT sei je repliziert worden, deren Aussagen somit nicht viel wert. Naturalistische Studien würden demgegenüber abgewertet, weil sie nicht im RCT-Design erfolgt wären … Auch die «common factors» würden abgewertet, weil sie nicht mittels RCTs etabliert worden seien. Er sprach von RCT als Fetisch. Je komplexer die statistischen Methoden, umso vorsichtiger müsse man sein: Mathematik übernehme die Stelle des Denkens. Die Resultate seien oft falsch. Er empfahl, einfache Modelle zu nutzen, dafür verschiedene. Sodass man noch wisse, was da eigentlich gerechnet würde. Forschung hätte immerhin erbracht, dass Psychotherapie wirksam sei, warum sie es wann ist, darüber wisse man trotz abertausender Studien noch wenig. Forschung hätte ermöglicht, dass Versicherungen und Staaten Geld für Psychotherapie bezahlen, was erst Mal als Erfolg gesehen werden könne: Aber Versicherungen und staatliche Regulierungen würden in Setting-Fragen und in Behandlungsmethoden eingreifen und zu Kurztherapien drängen, kontingentieren und Therapien und Therapierende zunehmend kontrollieren. Ob das nun wirklich ein klinischer Fortschritt sei? Es war eine Freude, seinem bissigen Resümee zur Forschung und deren Konsequenzen zu folgen, das er mit grosser Lust vortrug. Er endete damit, dass die Zukunft der Psychotherapieforschung den Jungen gehöre, und freute sich darüber, dass viele Nachwuchsforschende zunehmend eigene Wege gingen.

Die nächste SPR-Konferenz wird am 6.–9. Juli 2022 in Denver, Colorado, stattfinden. Die Konferenz des European Chapter tagt am 22.–24. September 2022 in Rom. Möglicherweise wird die Zukunft der SPR-Kongresse hybrid sein, da in einigen Veranstaltungen auch kritisch hinterfragt wurde, ob es angesichts der Klimaveränderungen noch zu verantworten sei, wegen eines Kongresses um die halbe Welt zu fliegen.

Peter Schulthess