Editorial

Theodor Itten

Wege zu gesunder Kraft und Schönheit der Seele

Aus Begegnungen entstehen neue Inspirationen und frische Lebenskräfte. Als moderner Nomade reise ich im zehnten Jahr zwischen meinen Wohn- und Schaffensorten, Sankt Gallen und Hamburg, hin und her. Diese Aktivität kann als eine Form des Dualismus gesehen werden. Es ist (m)ein Umkehren, ein Abschiednehmen zum Ankommen, ein Loslassen, damit neue Kenntnis reifen darf. Als ich im Oktober letzten Jahres in diese Redaktion eingeladen wurde, machte ich meinen KollegInnen den Vorschlag, ein Heft zum Standort heutiger KVT in Hamburg zu machen. Wir SeelenheilkünstlerInnen wissen aus Erfahrung, dass Menschen sich nicht aufgrund ihrer eigenen, oft in der Psychotherapie, erworbenen Einsichten ändern. Eine heilsame Psychotherapie, ob KVT oder anderer Modalität, betrachtet schon immer die ganzen Lebensumstände und deren Inhalte, Prozesse und Praxis, einer Patientin oder eines Patienten. Obschon die KVT viele kurzfristige Erfolge durch Symptomreduktion und Leidensminimierung aufweisst, ist ihre langfristige Wirksamkeit im Bereich der strukturellen Persönlichkeitsveränderung, sozialwissenschaftliche noch nicht belegt. Trotzdem, Befreiung vom seelischen Leiden ist ein kollektives Unternehmen, in dem die neue, emanzipative und integrative KVT ihren Beitrag leistet. Evelin Gottwalz-Itten war jahrelang als psychologische Forscherin im Bereich der Familientherapie im Universitätskrankenhaus Eppendorf tätig und ist, zusammen mit ihrem damaligen Oberarzt, V. Aderhold, eine Mitbegründerin der Tagungen Die subjektive Seite der Schizophrenie. Heuer fand diese zum 16. Mal statt, unter dem Motto „Schaden begrenzen, Risiken mindern, Chancen mehren“. So der kleine Hintergrund für meine Motivation, einige Personen aus diesem Norddeutschen Netzwerk für ein Themenheft zur Gesundung der Seele zu gewinnen. Das Fremdartige in uns kultivieren, heisst mit Platon: „Das Entgegengesetzte ist dem Entgegengesetzten am meisten freund.“ (Lysis, 215e)

Präsentiert werden Originalarbeiten von KollegInnen aus Hamburg, Berlin und Zürich. Was braucht es, um wieder seelisch gesund zu werden? Die Ambulanzleiterin des DGVT-Ausbildungszentrums im alten Hamburger Hafenkrankenhaus und Psychotherapeutin ASP, Evelin Gottwalz-Itten, und ihre Mitarbeiterin Maike Hartmann beschreiben ihre theoretisch reflektierte Praxis von Psychosentherapie im Ambulanzalltag. Als Experte kritisch gegenüber Medikationverabreichung in psychiatrischen Kliniken wurde der Hamburger Arzt Volkmar Aderhold schon in der Wochenzeitschrift Der Spiegel zitiert. Seine Reflektionen zur bedürfnisangepassten Behandlung und dem offenen Dialog mit Hilfesuchenden zeigen den frischen Wind zur Selbstbefähigung. Peter Lehmann fragt sich und uns: Wie aktuell ist eigentlich noch Franco Basaglia? PsychotherapeutInnen und die reduzierte Lebenserwartung psychiatrischer PatientInnen, ein wichtiges sowie dringendes Anliegen, dieses ersten Dr. h.c. in der Bewegung Psychiatrie-Erfahrener Europas. Redaktionskollege Mario Schlegel beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit der Evolution der menschlichen Psyche. Er schreibt von der Gefühlsansteckung zum Mentalisieren, über die biologischen Grundlagen der Empathie und ihren Stellenwert in der Psychotherapie. Der im weiten Felde der KVT bekannte Autor und Praktiker Harlich Stavemann steht mir Red und Antwort in einem Email-Interview zum Thema der Integrativen Kognitiven Verhaltenstherapie, die er praktiziert.

Die Schweizer Charta für Psychotherapie, Herausgeberin dieser Zeitschrift, betreibt seit Jahren die Förderung hoher qualitativer Standards in der Psychotherapieweiterbildung, der Berufs- und Weiterbildungsethik und der Wissenschaftlichkeit. Die Kommission für Qualitätssicherung überprüft alle Mitglieder auf die Einhaltung der Charta Normen und die Umsetzung der laufenden Beschlüsse der Mitgliederversammlungen. In diesem berufspolitischen Beitrag wird gezeigt, dass die Charta-Institutionen in aller Regel einhalten, was sie versprochen haben.

Die Österreicherinnen Verena Rattensberger und Pia Andreatta besprechen das Buch Emotionale Einsicht und therapeutische Veränderung: Manual der modernen tiefenpsychologischen und analytischen Psychotherapie von Gottfried Fischer, Rosmarie Barwinski und Monika Becker-Fischer. Selber stelle ich Ulrich Sollmanns Einführung in Körpersprache und nonverbale Kommunikation vor. Eine Tessiner Kollegin, Liliana Merk, bespricht das neue Buch des ASP-Vorstandsmitglieds aus Lugano, Nicola Gianinazzi: Scienza psicoterapeutica (SPT/PTW) – Un approccio alla vita umana.

Ingeborg Bachmanns Gedichteröffnungssatz „Was wahr ist, streut nicht Sand in deine Augen, lass ich hier als Einladung stehen. Sie wissen’s schon … Worte können das Mysterium unseres Wesens erläutern und bereichern unsere belehrte Unwissenheit.