Editorial

Rosmarie Barwinski

Die therapeutische Beziehung

Bereits Orlinsky und Howard (1986) kamen aufgrund der Meta-Analyse von über 2300 Untersuchungen zum Schluss, dass die Qualität der therapeutischen Beziehung für das Therapieergebnis von zentraler Bedeutung ist. Dieses Ergebnis wurde in der Folge durch zahlreiche Untersuchungen bestätigt (Grawe & Caspar, 1994; Strunk & Schiepek, 2014). Eine zentrale Fragestellung der Psychotherapieforschung bildet dementsprechend das Interesse an den Eigenschaften der Patienten-Therapeuten-Dyade. Die therapeutische Beziehung ist nicht nur ein mehr oder weniger geeignetes Mittel zur Herbeiführung von erwünschten Veränderungen, sie ist gleichzeitig die tragende Grundlage des Veränderungsprozesses selbst. Und was für Praktiker und Forscher gleichermassen interessant ist: Der Zusammenhang zwischen der Qualität der therapeutischen Beziehung und dem Therapieerfolg lässt sich in gleicher Weise für unterschiedliche Therapieverfahren wie psychodynamische und kognitiv-behaviorale nachweisen. Die therapeutische Beziehung bildet die Basis dafür, dass therapeutische Techniken wirken, wenn sie in eine gute Arbeitsbeziehung eingebettet sind (Strunk & Schiepek, 2014).

Was macht eine tragende therapeutische Beziehung aus? Dieser Frage gehen vor allem Psychotherapieforscher seit Phase drei der Psychotherapieforschung nach. Wie Kächele (1992) ausführt, lassen sich aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive in der Psychotherapieforschung drei Etappen unterscheiden: Ergebnisforschung (welche Ergebnisse erzielt das Verfahren?), Erforschung der Kombination von Prozessvariablen und Ergebnismerkmalen (welche Prozessmerkmale korrelieren mit welchem Ergebnis?) sowie eine naturalistische Wende mit der Untersuchung von therapeutischen Mikroprozessen und der Evaluation von Psychotherapien im Kontext realer Praxisbedingungen. Für die Phase-3-Methodik besteht das Ziel, durch die systematische Untersuchung konkreter Therapieprozesse herauszufinden, welche Faktoren therapeutischen Fortschritt bedingen und welche ihn behindern. Übergeneralisierte Annahmen, wie sie im „generic model of psychotherapy“ von Orlinsky und Howard genannt werden, konnten in vielen Untersuchungen nicht repliziert werden (Grawe & Caspar, 1994). Aber auch allgemeine Wirkfaktoren, wie sie von Grawe (2000) ausgearbeitet wurden, werden dem therapeutischen Alltag nicht gerecht. Ein Zugang zur Frage, was eine entwicklungsförderliche therapeutische Beziehung ausmacht, sollte aus psychotherapiewissenschaftlicher Sicht im Kontext der Praxis ansetzen, bei der Therapie-Evaluation unter realen Bedingungen (Linden, 1987). Die Psychotherapie muss in Praxis, Forschung und Theoriebildung ihre eigene Methodik praktizieren. Bei Erwerb und Beurteilung von Forschungsergebnissen kann sie Ergebnisse aus Nachbardisziplinen einbeziehen, um psychotherapiewissenschaftliche Erkenntnisse zu begrenzen, aber nicht zu ersetzen.

Das vorliegende Heft versucht zur Klärung beizutragen, welche Faktoren berücksichtigt werden müssen, um eine tragfähige therapeutische Beziehung aufzubauen. Diese Frage soll auf unterschiedlichen Ebenen angegangen werden: auf der Ebene der Neurobiologie, des Körpers bzw. eines körperpsychotherapeutischen Verständnisses, aus der Perspektive der Bindungstheorie sowie aus psychodynamischer Sicht.

Der erste, sehr informative und hoch aktuelle Beitrag von Damir Lovric thematisiert den Dialog zwischen der Psychotherapie und den Neurowissenschaften. Damir Lovric geht der Frage nach, welche Faktoren aus neurowissenschaftlicher Perspektive für eine stabile, tragfähige Beziehung von Bedeutung sind. Eindrücklich schildert er die neurophysiologischen Prozesse, die Empathie zugrunde liegen, aber warnt davor, Phänomene des menschlichen Seelenlebens auf neurobiologische Korrelate der Krankheits- und Leidensphänomene zu reduzieren.

Kurt und Reiner Mosetter gehen in ihrem Beitrag „Beziehungen und Selbst-Beziehungen der Körperlichkeit“ vom Begriff der Zwischenleiblichkeit aus. Körperpsychotherapeutisch gelte es, verselbständigten Handlungsimpulsen und impliziten Erinnerungen gezielte Selbstwahrnehmungs- oder Spürhilfe zu geben. Veränderungen im Körperlichen können eine deutliche Verbesserung des psychotherapeutischen Weges und Gesamtsettings bewirken.

Marianne Rauwald stellt einen integrierten Behandlungsansatz (Mentalisierungsgestützte Eltern-Kind-Intervention) dar, in dem an der Schnittstelle zwischen therapeutischer Behandlung und psychologisch-traumapädagogischer Intervention mithilfe verschiedener Bausteine der Versuch unternommen wird, den transgenerationalen Teufelskreis der Weitergabe traumatischer Erfahrungen zu unterbrechen.

Hans Holderegger zeigt in seiner Arbeit auf, wie hilfreich das Konzept von Übertragung und Gegenübertragung für das Verstehen von komplexen Beziehungssituationen sein kann – im Alltag und in der Psychotherapie. Die Übertragung verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart und macht verständlich, welchen Einfluss vergangene Konflikte und Traumata auf unser tägliches Leben haben.

Literatur

Grawe, K. (2000). Psychologische Therapie, 2. Aufl. Göttingen: Hogrefe.

Grawe, K., & Caspar, F. (1994). Die Plananalyse als Konzept und Instrument für die Psychotherapieforschung. In: Baumann, U. (Hrsg.), Psychotherapie: Makro-, Mikroperspektive (S. 177ff). Göttingen: Hogrefe.

Kächele, H. (1992). Psychoanalytische Therapieforschung 1930–1990. Psychoanalyse – Klinik und Kulturkritk 46, 259–285.

Linden, M. (1987). Phase-IV-Forschung. Berlin: Springer.

Orlinsky, D. E., & Howard, K. J. (1986). Process and outcome in psychotherapy. In: Garfield, S. L., & Bergin, A. E. (Hrsg.), Handbook of psychotherapy and behavior change, 3. Aufl.(S. 311–384). New York: Wiley.

Strunk, G., & Schiepek, G. (2014). Therapeutisches Chaos. Göttingen: Hogrefe