Bericht
Peter Schulthess
How Art and Science meet
What practice and research of psychotherapy can learn from each other
Jährlich lässt die EAP (European Association) in Zusammenarbeit mit einem der nationalen Psychotherapie-Verbände als Organisator eine Psychotherapiekonferenz stattfinden. Diesmal gehörte auch die Universität Vilnius (Litauen) zu den Veranstaltern. Die Tagung fand vom 15. bis 18. Oktober 2014 in Vilnius in den Räumen der historischen und musealen Universität statt.
Das Tagungsthema der Konferenz sprach an: Was können Praxis und Forschung voneinander lernen? Die Praxis wird offenbar mit Kunst konnotiert, die Forschung mit Wissenschaft. Das ist natürlich provokant, versteht sich doch die Psychotherapie als wissenschaftliche und nicht als künstlerische Disziplin. Und doch hört man immer wieder, dass Psychotherapeut eben doch ein künstlerischer Beruf sei, letztlich eine Kunst, basierend auf wissenschaftlichen Konzepten und wissenschaftlich begründbaren Interventionen. Oder ist vielleicht eher die Wissenschaft eine Kunst? Jedenfalls ist der Streit, welche Forschungsdesigns der Komplexität des psychotherapeutischen Geschehens am ehesten gerecht werden, noch lange nicht ausgefochten. Davon zeugte auch diese Konferenz.
Betroffen konnte einen machen, dass mit Jerzey Alexandrowizc aus Polen einer der einflussreichten Psychiater und Psychotherapeuten bezüglich der Anerkennung von Psychotherapierichtungen äusserte, er halte gar nichts von wissenschaftlichen Ergebnissen zur Psychotherapie. Da könnten manche Verfahren Forschungsresultate zeigen wie sie wollen, man könne sie dennoch nicht als fundierte Verfahren anerkennen. Ob er da als frustrierter Wissenschaftler sprach oder als Künstler? Er meinte, Forschung hätte eh keine Relevanz für die psychotherapeutische Praxis, die Theorien der verschiedenen Konzeptionen seien mehr science fiction als science based. Effektivitätsstudien hätten instrumentellen Charakter, keinen substantiellen Wert. Auch die Efficacy-Forschung in Laborsituationen kritisierte er. Weder sei es gegeben dass in einer Gruppe mit derselben ICD 10 Diagnose alle Patienten wirklich vergleichbar seien, noch dass die schulenorientierten Interventionen gleich seien.
Metanalysen würden nur den Fehlerwert vergrössern. Es sei unverständlich, dass man daran glaube. Theorien hingegen könnten keine gute Basis für Psychotherapie sein, da sie jeweils zeitgebundene Momentaufnahmen seien. Die Diagnoseorientierung würde die Wahrnehmung beeinflussen und nur das berücksichtigen, was zur Theorie passe, abweichendes würde weggelassen.
Existierende Theorien seien am „proper functioning“ der Person orientiert. Ideen zur Pathologie würden sich an der „Norm“ messen. Oft hätte das ideologische Einschlüsse.
Neurobiologie wiederum würde die Bedeutung der Psychogenese devaluieren und die Bildung von Theorien zur Psychotherapie beeinträchtigen.
Es sei möglich, den Impact der Forschung auf die Praxis zu erhöhen, wenn existierende Mythen und Vorurteile überwunden würden. Er sei dennoch Pessimist und glaube nicht daran, dass innert kurzer Zeit Resultate der experimentellen Forschung die Praxis der Psychotherapie verbessern würden.
Bodgan Barbaro, ein weiterer polnischer Exponent der Psychotherapie sprach zum Thema, ob Psychotherapie als freier Beruf zu verstehen sei oder als medizinischer Beruf. Dass es allenfalls ein psychologischer Beruf sein könnte, fehlte in seiner Optik. Als Gründe, Psychotherapie der Medizin zuzuordnen, listete er auf: Mit Psychotherapie würden Health Disorders behandelt; die Gründungsväter der psychotherapeutischen Richtungen seien meistens Ärzte gewesen; gesetzliche Regelungen würden medizinische Berufe regeln;
Versicherungen unterstützen medizinische Leistungen; das Prestige der Medizin sei sehr hoch.
Der Status quo in Polen soll also Argument für die Zuordnung der Psychotherapie zur Medizin dienen.
Als Argumente, Psychotherapie als freien Beruf zu sehen, listete er auf: Berechtigte Kritik der Medizinalisierung; die Sprache der Psychotherapie gehe über die Medizin hinaus; ein Psychotherapeut schaue nicht nur auf Symptome, sondern auch auf Probleme und persönliches Leiden.
Er entwarf dann ein Hybridmodell, welches vorsieht, dass Psychotherapie medizinisch und sozialwissenschaftlich begründet sei: Jede Klassifizierung sei ein Produkt sozialen Diskurses; wie wir Verhalten definieren und beurteilen würden sei sozial und kulturell eingebunden und verändere sich, es sei nicht durch „Wahrheit“ bestimmt; die Grenzen der Medizin und der Psychotherapie seien Kontext-gebunden und Veränderungen unterworfen; Epistemologischer Kontext: Sprache schaffe Realität; und zu guter Letzt gäbe es dem pragmatischen Aspekt: Es gäbe mittlerweile viele PsychotherapeutInnen, die von sozialwissenschaftlichen Berufen her in dieses Feld gekommen seien, nicht von der Medizin her.
Sibyllinisch schloss er, dass er auch nicht wisse, welches Modell zu befürworten sei.
Erwähnt werden soll auch das Referat von Alfred Pritz zum Thema „der kleine Unterschied zwischen der Psychotherapie und wissenschaftsbasierter Psychotherapie“.
Seit 1760 sei es eine Grundfrage der Psychotherapie, ob sie Praxis, Kunst oder Wissenschaft sei (seit Messmer mit seiner Hypnose).
Messmer wandte sich ab von der Auffassung, dass psychische Störungen gottgegebenen seien. Er würde eine Energie anwenden, die bisher nicht bekannt sei. Ein Experten-Komitee bezeugte aber, dass es diese Energie nicht gäbe.
Eysenk 1952: Psychotherapie hätte keinen Effekt, weil es unheilbare Fälle gäbe und andere, die auch ohne Therapie geheilt würden.
Karl Popper: Psychotherapie sei nicht wissenschaftlich.
1985: Psychotherapiegesetz Österreich. Pritz war ein Mitautor. Anwalt fragte: Was ist Psychotherapie? Das sei nicht einfach zu erläutern. Ob Psychotherapie eine Kunst sei? Auf eine Art ja. Der Anwalt folgerte: Dann müssen wir ein Gesetz nach den Gesetzen für Künste machen. Einspruch: Die Psychotherapie sei mehr wissenschaftlich: Dann müsse man ein Gesetz gemäss Medizinalberufen machen. Es gab dann etwelche Aufregung in Österreich, als die Psychotherapie gesetzlich so zu konzipiert wurde, dass sie nicht mehr Teil der Medizin noch Teil der Psychologie war, sondern ein wissenschaftlicher Beruf in eigenen Rechten.
In der Folge sei ein erstes Buch zur Psychotherapie als neuem Beruf erschienen: Psychotherapie – eine neue Wissenschaft vom Menschen.
Die Sozialversicherungen fragten, welche Ansätze denn nun wirklich wissenschaftlich fundiert seien? Erste Antwort: Alle. Das Thema sei aber bis heute nicht abgeschlossen.
Er verglich dann Psychotherapie mit Religion: Psychotherapie arbeite nicht mit einem Gottesbegriff und dem Glauben.
Vergleich zur Juristik: In der Psychotherapie gehe es nicht um harte Interpretation von Texten, sondern um relative in Relation.
Vergleich zur Philosophie: Psychotherapie sei die Philosophie des subjektiven Individuums, nicht generalisierbar, im Unterschied zur Philosophie.
Vergleich zur Erziehung: Psychotherapie habe Aspekte davon, sei aber keine pädagogische Wissenschaft.
Medizin: Psychotherapie gehöre nicht zur Medizin. Medizin sei hauptsächlich auf Naturwissenschaft basiert und nicht mal eine eigene Wissenschaft, sondern eine Praktik, die sich unterschiedlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse bediene.
Psychotherapie: Was ist sie im Kern? Eine interpretative Wissenschaft (hermeneutisch).
Wissenschaftliche Basierung: Auch wenn die Forschungsmethoden nicht zum Kern der Psychotherapie gehören würde, wir müssten sie auch mit statistischen Methoden untersuchen.
Andererseits auch mit qualitativen und hermeneutischen Methoden. In der Psychotherapie sei die Selbstreflexivität wichtig, weswegen Selbsterfahrung als Teil der beruflichen Ausbildung verlangt würde. Dies unterscheide Psychotherapie deutlich von allen anderen Berufen. Darüber gäbe es leider noch wenig Forschung.
Zum Schluss erwähnte er die ökonomischen Interessen der Psychotherapie und der Forschung (it’s about money) und hielt fest, dass die Psychotherapie sich einerseits in Kompetition zu anderen Berufen befände, andererseits aber auch zu Esoterikern und spirituellen Heilern.
Insgesamt präsentierten 42 Redner an diesem Kongress ihre Ideen und Forschungen. Dies bei einer Teilnehmerzahl von gut 70. So waren es zumeist die Präsentatoren, die sich gegenseitig zuhörten. Der Schreibende nutzte die Gelegenheit, weitere Resultate aus dem Fundus der PAP-S Auswertungen zu präsentieren und sprach zu „Therapy Outcomes in a Naturalistic Outpatient Study throughout Switzerland“. Das Design der PAP-S und unsere positiven Resultate stiessen auch hier auf grosses Interesse.