Göttingen: Hogrefe Verlag. 107 Seiten. € 14.95
Psychotherapie-Wissenschaft 7 (1) 72–73 2017
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Ihren Blick aufs Ganze richten, das kann sie, die bekannte Autorin, Psychologin und Psychoanalytikerin Gaby Gschwend. Nachdem sie, für viele Jahre, zu Themen der seelischen Verwundung der Seele in Not umsichtig geschrieben hat – neben Psychologie hat Geschwend auch Soziologie und Germanistik studiert –, geht es in ihrem fünften Buch um das Aufrechterhalten des psychosozialen Wohlbefindens und die Stärkung der Seele. Dieser Text ist voller Gegenwartsbezüge, mit einem sorgenden Blick auf das Morgen. Sie ist immer schon da, die Zeit, in der etwas für sich selbst zu tun ist. Gesundung kommt, wie wir alle zu wissen glauben, von innen her. Das Zentrale: Freundlich mit sich selbst umgehen. Was es dazu braucht, ist erstmal die Stärkung der Selbstachtung, dann das Vertrauen der eigenen intuitiven Intelligenz, nicht zuletzt die Praxis der Selbstführsorge, was vielen oft schwerfällt. All dies bedeutet, sich mit den inneren Stimmen des inneren Teams vertraut machen. Diese aus der Kindheit stammenden, leitgebenden Instanzen gilt es zu benennen. Nur so können GegenspielerInnen zur gelingenden Selbstachtung identifiziert werden.
Gschwend spart nicht mit vielen Anleitungstipps, die, falls wir das wollen, können und dürfen, leicht umgesetzt werden können. Etwa sich, wie beim Musizieren, eine halbe Stunde Zeit geben, ein Tagebuch aufschlagen, um den verschiedenen Chorstimmen in mir, eine Aufschreibe zu ermöglichen. Übungen, um in sich hineinzuhorchen, werden im Text in guten Dosen vorgeschlagen. Welche Stimmen melden sich als hilfreiche und welche als eher hindernde Stimmen? Mit passenden literarischen Zitaten und einleuchtenden zusammengefassten Resultaten aus aktuellen Forschungsdaten, reichert Geschwend ihren geschmeidigen Text an. «Die Augen der anderen sind unser Gefängnis; ihre Gedanken unser Käfig», zitiert sie (zum Beispiel) Virginia Woolf, die darauf pochte, wie wichtig es für uns alle ist, einen eigenen Raum, eine eigene Zeit und eigene Aufschreibebücher zu haben. Ein altbekannter Weg von der Entfremdung zum wahren eigenen Selbst: Das eigene Fremdbild beschreiben, damit ich die Macht meiner eigenen Worte neu spüren kann.
Eine von Gschwends These lautet: Der intuitiven Intelligenz, dem eigenen Seelenraum vertrauen lernen, ist gesundheitsfördernd. Psycho-politisch ist klar, dass in der heutigen superkapitalistischen Gesellschaftsordnung, die seelische Selbstfürsorge, keinen kulturellen Wert darstellt. Trotzdem können wir, körperlich, emotional, geistig, sozial und spirituell diese Sorge ums eigene Selbst kultivieren. Der zweite Teil beschäftigt sich mit dem Bereich der eigenen Lebenszufriedenheit und wie die positiven Einstellungen zu unseren Gefühlen gefördert werden können. Das was von aussen auf uns zukommt, ist begrenzt beeinflussbar. Wie genau wir das von aussen Kommende von innen her leben können, ist veränderbar. Die Wahrnehmung und das Interpretieren dessen, was die Erfahrung des Alltags bedeutet, kann daher positiver beeinflusst werden. Hier macht sich eine Dankbarkeit breit, die wir uns selbst und den anderen gegenüber viel mehr ausdrücken dürfen, da diese eine immaterielle Wertschätzung beinhaltet. Dies ist der echte Nektar für die Seele, welcher sich positiv (hierzu werden viele Studienresultate aufgeführt) auf das Herz-Kreislauf-System auswirkt. Dankesworte wirken positiv auf neuronale Netzwerksignale. Die Moleküle der Gefühle sind zuversichtlich gestimmt.
Gschwend widersteht bewusst der Verlockung, unsere vorgefundene komplexe, mitunter widersprüchliche Lebensrealität zu vereinfachen. Die Autorin ist eine gewissenhafte, psychoanalytisch fundierte Soziologin. Ernst Bloch wird zwar, mit seinem «Prinzip Hoffnung», zitiert, nur findet die Autorin sich erfreulicherweise auch ohne dessen ideologische Verlockungen zurecht. Sie empfiehlt uns ein Optimismus-Tagebuch anzulegen. Was wäre unser Leben ohne den Göttinnen- und götterfunken der Freundschaften? Es wäre wie ein See ohne Wasser. Wie und was für FreundInnen wir haben und was wir selber dazu beitragen, damit das Freundesfeuer am Brennen gehalten wird, hilft dies zu reflektieren. Diese eigenen Worte können, in schlechten Tagen, eine gute Medizin sein.
Im dritten Teil zeigt Gschwend wie wohltuende Beziehungen gepflegt werden können. Sie gibt paartherapeutische Einsichten für den eigenen Alltag preis: Das «Wir» pflegen, mit angemessenen Erwartungen und wertschätzender Dankbarkeit, ebenso die eigene Toleranzerweiterung in Nachsicht und Versöhnlichkeit kultivieren. Dazu gehört eine offene, faire und ehrliche Kommunikation. Diese Bereiche werden besprochen und im Perspektivenwechsel eingeübt. Für das Paarleben ist der Liebeskreislauf der Gefühle und deren Wertschätzung zentral. Auf diese Weise kann das Stärken des «Uns» gelingen. Die Autorin erinnert uns an die «5 zu 1 Regel». Eine destruktive Aktion im Paar, braucht fünf positive Aktionen, damit eine frische Balance erreicht wird. Das Schlechte wirkt immer stärker als das Gute. Die chinesische Kulturregel der drei Wahrheiten – also: deine Wahrheit, meine Wahrheit und die dritte der übergeordneten, von aussen auf uns blickenden Perspektive – darf gerne übernommen werden. Mit dieser Anti-Nörgel-Methode verzichten wir absichtlich auf das Eintauchen in die negative Spiral der Paarunterminierung.
Wie wichtig es ist, das soziale Leben auszukosten, braucht sie uns nicht zu erklären. Sie tut es trotzdem mit einer Leichtigkeit und mit frischen Gedankenläufen. Gutes zu tun ist wichtig für ein erfüllendes Leben, in Solidarität mit den Mitmenschen.
Im letzten Teil präsentiert sie eine Rück- und Vorschau. Es geht dabei ums grosse Ganze. Sie schreibt: «Nach Sinn zu fragen und seelische Sinnbezüge im eigenen Leben zu erkennen oder für sich herzustellen, ist also sinnvoll.» Ob wir das, je einzeln und im Paar, in den Alltag hineinholen, gelingt je nachdem, wie frei wir die eigenen Fähigkeiten zum Glücklichsein ausüben. Die gelebten Werte, welche in den eigenen Antworten auf Lebensfragen verborgen sind, sind mitbestimmend dafür, wie wir uns in das Staunen über das Ewige eingebettet fühlen. Es kommt darauf an, mit der Transzendenz den Blick freizugeben ins Unfassbare hinein, wo die Weltanschauung, die Sternenhimmelanschauung und die spirituellen Werte sich ineinander verschlingen. Das Finale ist ein Gedicht von Ute Latendorf, dessen letzte Strophe lautet: «Von den Sternen lernen, einer von vielen zu sein / von den Jahreszeiten lernen, dass das Leben immer wieder von neuem beginnt…». Dieses Buch ist eines der leichtesten, die ich in der letzten Zeit gelesen habe, mit der schwersten aller Herausforderungen: Es zu tun.
Theodor Itten