München: Ernst Reinhardt Verlag. 143 Seiten. € 24.90
Psychotherapie-Wissenschaft 7 (1) 71 2017
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Stefan Hammel ist ein vielschreibender Pfarrer, der sich in der Bibliotherapie und Hypnotherapie bestens auskennt. Er ist nicht nur als Seelsorger in somatischen und psychiatrischen Kliniken aktiv, sondern auch Leiter des Instituts für Hypnosystemische Beratung in Kaiserslautern. Dieses lustige, witzige und weise Buch kommt als ein Ausstellungskatalog daher. Ausgestellt werden die seelischen Kummer- und Störungsbilder in einer für diese Präsentation vom Autor frisch und unüblich gerahmten Gestalt. Das Gleiche ist hier keineswegs das Selbe. Ab und zu fällt ein Rahmen fast wieder auseinander. Doch das ist – in guter Dada-Manier – gewollt.
Im Vorraum der Ausstellung befinden sich Bilder der psychischen Krankheiten, der Psychotherapie und der psychischen Gesundheit. Im Korridor zwischen den Räumen begegnen wir den Therapiebeschleunigern. Danach werden die sechs Räume beschrieben, ebenso vier Zwischenräume, die da sind: Hirnorganische Störungen, Demenz, Durchgangssyndrom, Psychische Folgen von Behinderung. Ah ja, ein Balkon steht für die sogenannten Normalen unter uns bereit. Was wird gezeigt? In Raum 1: Trauma und Angst. In Raum 2: Depression und Manie. Das Burn-out-Bild bezeichnet dieses Erlebnis als eine Blockade der Handlungsfähigkeit, als einen seelischen Streik, in dem die Basis artikuliert, dass man so wie bisher weder weitermachen kann noch will. In Raum 3: Sucht, Zwang, Gewohnheit. Hier werden die Neuro-Auto-Bahnen in Kontrast zu neuen Wald- und Wiesenwegen gesetzt. In Raum 4: Wahn, Psychose, Schizophrenie. In Raum 5: Krise, Trauer, Trennung. Zuletzt in Raum 6: Belastungen von Kindern und Jugendlichen.
Es ist ein Spielen mit dem Alltag. Hammel hilft sich und uns mit seiner Metaphernsprache, wohlwissend – als Prediger –, dass Worten magische Kräfte innewohnen, die einen direkten Zugang zur Seele haben. So benennt er die Phobien, die mit Ekel vor dem Essen zu tun haben, «die Angst des Mundes». Solcherlei kreative Impulse gibt er – als Theologe – in und auf den Bildern in jedem Ausstellungsraum. Dem Autor ist liebevolles Umdichten der Erfahrungsbeschreibungen wichtig. Weg vom klinisch und theoretisch geprägten diagnostischen Blick, hin zu einem wertschätzenden, aus der Erfahrung herauskommenden Blick.
In allen Räumen gibt Hammel kurze Einführungen zum Besten, oft im Ton von: «Auch ich weiss worum es geht und nicht nur die Psy-Berufenen. Schliesslich bin ich der Kurator dieser neuen, spielerisch fluiden Ausstellung.» Betreten wir lesend die ersten Räume – auf Seite 15 ist der Lageplan abgedruckt –, so bemerken wir sofort die neuen Rahmen aus der hypnosystemischen Wortewerkstatt. Diese geben eine neue, erfrischende Sichtweise auf die sogenannten «Krankheits- und Störungsbilder» frei. Wir sehen zudem, wie wir was und warum neu sehen können. Wir beobachten die BeobachterInnen und werden selbst wiederum von diesen beobachtet. Als Berufsmann der Seelenheilkunde, spüre ich auf der Basis der eigenen Erfahrungswelt, wie frühes Gestörtwerden, wenn es des Öfteren passierte, sich in eine veritable Störung verwandeln konnte. Diese wird eine Verhaltensgewohnheit in der alltäglichen Lebensbewältigung. Die Modelle, die Metaphern, die Geschichten, welche der erfahrene und unterhaltsame Autor zum Besten gibt, sind voller Hoffnung auf neue Lösungswege. Jedoch, bitte Obacht, die Falle der Vernunft ist offen zu sehen. Ohne Probleme keine Lösung. Die ungewöhnliche Therapie von Watzlawick & Co. wird von Hammel elegant weitergeführt. Seine paradoxen Interventionen an Denkmodellen – einer Therapie der Modelle – lockt nach dem Fragen des «Warum?» dessen Geschwisterfrage, das «Wozu?», heran. Psychosen rahmt er als traumähnliche Erlebnisse, die leider nicht vom Mantel des Schlafes geschützt werden.
Für uns TherapeutInnen gleicht das Buch einem Café, in dem wir den Fragen des Autors nach unserer eigenen Befindlichkeit nachgehen können. Vielleicht – wie in einer Intervision – sind wir in einer Gruppe, welche diese Ausstellung besuchte, um die Fragen, mit wem oder mit was wir in unserem Schaffen zufrieden und stolz sind, zu bereden. Beim Earl Grey frage ich mich, ob dieser Autor wohl R. D. Laing, und andere AutorInnen aus der humanistischen schottischen Tradition nicht begegnet ist? Diese pflegten vor über 60 Jahren ein ähnliches «Re-framing» wie er. Ach, jede Generation braucht wieder neue Kuratoren, die nicht alles wissen können und wollen. Die Muster dieses Ausstellungskataloges sind elegant wie auf persischen Teppichen, den Gärten der Nomaden. Die bunten Rahmen weisen jeweils direkt ins Zentrum, den Hort der Bild-Besinnung. Jeder und jedem, ihre und seine eigene Metapher. Wie sich Regen in Schnee verwandeln kann, wenn es kalt genug ist – im Winter, der bekanntlich alles etwas weicher, sanfter und ruhiger erlebbarer macht –, so verwandeln sich, dank Hammel und seiner Wirkstatt, die diagnostischen Niederschläge als Befeuchtung neuer, ungewöhnlicher Pflanzen und Blumen im Seelengarten. Ein Sachregister unterstützt unsere Orientierung in der Ausstellung. Alles in allem: Ein abwechslungsreiches Buch.
Theodor Itten